Sonntag, 19. Juli 2015

"Der beste Wein kommt noch!“ – oder der pädagogische Ansatz des Vorbereitungsdokumentes ‚Instrumentum laboris‘ der Familiensynode 2015

"In der Familie – und das können wir alle bezeugen – geschehen die Wunder mit dem, was da ist, mit dem, was wir sind, mit dem, was einer zur Hand hat […] oft ist es nicht das Ideal, nicht das, was wir erträumen oder was ‚sein sollte‘“, sagte Papst Franziskus in einer Predigt zu Beginn seiner Lateinamerikareise in der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil vor geschätzten 1 Millionen Gläubigen.

"Der beste Wein kommt noch!" -
Papst Franziskus gegen Ende der Predigt am 7.7.15
in der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil
 
Papst Franziskus bezog sich in derselben Predigt ausdrücklich auf die Familiensynode im Oktober dieses Jahres, dessen Vorbereitungsdokument ('Instrumentum laboris') seit dem 1.7.2015 auch in deutscher Sprache vorliegt. Auch dieses Arbeitspapier – eine Mixture aus dem Abschlussdokument (‚Relatio Synodi‘) der vorausgegangenen Synode und Ergänzungen in Folge der weltweiten Befragung aller Teilkirchen – weiß nun aufgrund der (gerade auch aus den deutschsprachigen Diözesen eingebrachten) Rückmeldungen der Weltkirche, dass die Familie vielfach „ein Lebensideal dar(stellt), das die Empfindungen unserer Zeit und die tatsächlichen Schwierigkeiten berücksichtigen muss“ (Instrumentum laboris, 42). Und nahe am Wortlaut der Eingabe aus Deutschland heißt es nunmehr nach einem Fragebogen, dem man vorgeworfen hat, die Lebenswirklichkeit vornehmlich an einem überhöhten Eheideal zu messen: die Ehe „muss als Geschenk verkündet werden, welches das Ehe- und Familienleben stärkt, und nicht als schwer zu verwirklichendes Ideal.“ (Ebd., 102) Und wenn es einen Gedanken gibt, der seit der Relatio Synodi des letzten Jahres noch stärker betont wird, als er vorher schon wahrnehmbar war, dann ist es der der „schrittweisen Annäherung“ (Ebd., 57), der „schrittweisen Entdeckung“ (Ebd., 99), der „schrittweisen Öffnung“ (Ebd.,103) und „schrittweisen Reifung“ (Ebd., 43) in Hinblick auf „Menschen, die zusammenleben oder nur zivil verbunden sind, (und) schrittweise ein(zu)beziehen“(Ebd., 63) sind. Möglich wird dies durch einen wertschätzenden Einbezug einer „Symphonie der Verschiedenheit“ (Ebd., 83), mithilfe der es gelingt „die positiven Elemente hervorzuheben, denen man in den verschiedenen religiösen und kulturellen Erfahrungen begegnet und die eine ‚praeparatio evangelica‘ darstellen. (Ebd.) Durch die bereits im apostolischen Schreiben Evangelium gaudium (EG 169) beschriebene „Kunst der Begleitung“ (Instrumentum laboris, 107; 109) soll ein „Weg des Wachstums“ (Ebd., 102) „in einer Sprache verkündet werden, die Hoffnung weckt“ (Ebd., 75) Aufgrund der „‘semina Verbi‘ in den Kulturen“ (Ebd., 56), gelte es „die Samen des Wortes zu begleiten, die darin verborgen sind“ (Ebd., 99), um in jenen „dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe entsprechend der fortschreitenden Hereinnahme der Gaben Gottes“ (Ebd., 39; vgl. FC 9) einzutreten.
 
...gemäß der göttlichen Pädagogik
In dieser Perspektive der ‚göttlichen Pädagogik“, in der „die Erlösungsordnung die Schöpfungsordnung erleuchtet und vollendet“ (Instrumentum laboris, 39), rücken beinahe wie von alleine alle existentiellen Peripherien menschlicher Lebenswirklichkeiten in den Blick. Weit weg von der noch im Vorwort des Fragebogens geäußerten Befürchtung, dass die Rückmeldungen der Bischofskonferenzen „ausgehend von solchen Schemata und Perspektiven gegeben werden, die einer Pastoral eigen sind, welche lediglich die Lehre anwendet“ (Einführung zum I. Teil des Fragebogens), heißt es nunmehr: „Es gilt einen Blick des Verständnisses für alle zu entwickeln, und dabei zu bedenken, dass die tatsächliche Distanz vom kirchlichen Leben nicht immer gewollt ist.“ (Instrumentum laboris, 36) Nicht von ungefähr wird das während der ersten Synodenwoche der letztjährigen außerordentlichen Bischofssynode ins Wort gebrachte, in der Zwischenrelatio (vgl. dt. Übersetzung in der AH 273 der DBK) dokumentierte, wenn auch im Abschlussdokument ‚Relatio Synodi‘ zunächst ‚expressis verbis‘ wieder getilgte „Gesetz der Gradualität“ unter der Ziffer 121 des Instrumentum laboris explizit (und mit Verweis auf FC 34) wieder eingeführt, in der der Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen angesprochen wird.

Mithilfe dieser auch in den Blog-Beiträgen der vergangenen Monate immer wieder aufgegriffenen Denkform (s. Funktionsfeld Blog-Suche rechts) und dem darüber möglichen Blick für die Realitäten familialen Lebens rücken auch die vielfältigen Herausforderungen von Familien in Armut und wirtschaftlicher Not und angesichts der vielfältigen kulturellen Einflüsse und Widersprüche nahe, die viele Familien der Welt betreffen.
Traumatische Ereignisse wie bewaffnete Konflikte, der Rückgang der Ressourcen und die Migrationsbewegungen wirken sich in wachsendem Maße auf die affektive und geistliche Qualität des Familienlebens aus und stellen ein Risiko für die Beziehungen innerhalb der Familie dar. Ihre materiellen und geistlichen Kräfte werden sehr häufig an den Rand der Erschöpfung geführt.“ (Instrumentum laboris, 9)
Derselbe zu Beginn und im vorangegangenen Blog-Beitrag vom 18.6.2015
angeklungene Leitgedanke, Familien nicht am Idealmaß eines abstrakten Familienbegriffs zu messen, führt zu der Aufforderung, sie auch „in ihrer Zerbrechlichkeit [zu] unterstützen“ (Ebd., 10) und zuallererst wertschätzend anzuerkennen. Wie schon hinsichtlich der graduellen Stufen gesagt, gilt im synodalen Vorbereitungsdokument bezogen auf das gesamte aufgezogene Spektrum der angesprochenen Familienformen – unabhängig von ihren Problemen, ihren Zerbrechlichkeiten und mancher Unvollkommenheit –, dass die Familie „Eckpfeiler des sozialen Lebens“ (Ebd., 11) , „Ressource für die harmonische Entwicklung jeder menschlichen Gesellschaft“ (Ebd.) und eine „Schule reich entfalteter Humanität“ (Ebd., vgl. GS 52) ist.

...für eine neue Ausrichtung und pastorale Umkehr der Kirche

Diese Wertschätzung muss deshalb nach Maßgabe des Instrumentum laboris mit einer ‚affektiven Teilnahme" (Ebd., 110) einhergehen, in der "sich die Kirche die Freuden und Hoffnungen, die Schmerzen und die Ängste jeder Familie zu Eigen" (Ebd.) macht. Gemäß seinem bischöflichen Wappenspruch „Miserando atque eligendo“ hält Papst Franziskus seine Kirche zu einem liebevollen Blick an, durch den die Wahrnehmung und Unterstützung des konkreten Menschen erst möglich wird:
„Es braucht also eine Kirche, die fähig ist, den Mutterschoß der Barmherzigkeit wiederzuentdecken. Ohne Barmherzigkeit ist es heute kaum möglich, in eine Welt von 'Verletzten' einzudringen, die Verständnis, Vergebung und Liebe brauchen.“ (aus der Ansprache zu den Bischöfen Brasiliens am 27.7.2013 im Rahmen des Weltjugendtag 2013)
Das Leitmotiv des Pontifikates von Papst Franziskus, die Barmherzigkeit, grundiert und unterfasst die ‚göttliche Pädagogik‘ des Vorbereitungsdokumentes von Beginn an, wie es in diesem Blog am 19.5.2015 bereits angeklungen ist. „Der große Fluss der Barmherzigkeit“ (Instrumentum, Überschrift vor 106) lässt „die unendliche Barmherzigkeit Gottes erfahren“ (Ebd., 107), die unausschöpflich ist. Zweimal zitiert das Vorbereitungspapier die Ankündigungsbulle des im Dezember dieses Jahres beginnenden Heiligen Jahres der Barmherzigkeit und davon einmal mit dem theologisch an die Grenzen gehenden Satz:
„Aus dem Herzen der Dreifaltigkeit, aus dem tiefsten Innern des göttlichen Geheimnisses entspringt und quillt ununterbrochen der große Strom der Barmherzigkeit. Diese Quelle kann niemals versiegen, seien es auch noch so viele, die zu ihr kommen. Wann immer jemand das Bedürfnis spürt, kann es sich ihr nähern, denn die Barmherzigkeit Gottes ist ohne Ende“ (Ebd., 108 bzw. MV, 25).
Was bereits schon mit der Ankündigung des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit spürbar wurde, dass die Theologie der Barmherzigkeit auch die XIV. Ordentliche Bischofssynode kennzeichnen wird, findet sich wie ein roter Faden, als pädagogischer Ansatz, auch in dem Vorbereitungsdokument: die Pädagogik der Wertschätzung des Guten, was ist, und um es weiterzuführen, auf dass es sich entfalte und vollende. „Sehen, Mitleid haben und lehren“ sind für Papst Franziskus die Verben des „guten Hirten“, wie er es im Rückblick auf seine Lateinamerikareise im Anschluss an das Angelus-Gebet am 19.7.15 kurzfasste.
Und diese Einstellung und Wirklichkeitswahrnehmung vermag es den Familien in ihren Lebenswirklichkeiten zu begegnen: dort wo Liebe in Alltäglichkeit des Familienalltags gelebt wird. Genau in dieser Weise berührte Papst Franziskus in der zu Anfang dieses Blog-Beitrags erwähnten Messe in Guayaquil auf seiner Lateinamerikareise den Zusammenhang der Lebenswirklichkeit von Familien mit der Verheißung des Evangeliums Jesu Christi:
 
 
Und in der Familie muss man die Liebe riskieren, muss man riskieren zu lieben. Und der Wein kommt, wenn auch alle Hochrechnungen und Statistiken das Gegenteil behaupten. Der beste Wein kommt zu denen, die heute alles zusammenbrechen sehen. Murmelt es, bis man es glaubt: der beste Wein kommt noch; flüstert es den Verzweifelten und Lieblosen ins Ohr. Gott nähert sich immer den Peripherien derer, die ohne Wein geblieben sind, die nur Mutlosigkeit zu trinken haben. Jesus hat eine Schwäche dafür, den besten Wein mit denen zu verschwenden, die aus dem einen oder anderen Grund schon spüren, dass sie alle Krüge zerbrochen haben.“
Der nächste Blog-Beitrag erscheint am 19.8.2016!