Dienstag, 1. September 2015


Von der "Revolution der zärtlichen Liebe – Vademecum zur Familiensynode und zum Jahr der Barmherzigkeit" am "Tag der Schöpfung"
Detail des Umschlagbilds von 'Revolution der zärtlichen Liebe.Vademecum
zur Familiensynode und zum Jahr der Barmherzigkeit (Bild
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© Andrea Göppel)
Ich glaube, dass dies die Zeit der Barmherzigkeit ist“, sagte Papst Franziskus beim Rückflug vom Weltjugendtag nicht einmal ein halbes Jahr nach seiner Papstwahl. Ich habe dieses Zitat an den Anfang des Vorwortes meines mit diesem letzten Blog-Beitrag vor der Synode gerade erschienenen Buches "Revolution der zärtlichen Liebe" gestellt, das neben allen - für die Buchveröffentlichung etwas überarbeiteten – Blog-Beiträgen  auch ein 24 Seiten umfassendes Stichwort- und Personenverzeichnis enthält. Der Titel wie der Untertitel: "Vademecum zur Familiensynode und zum Jahr der Barmherzigkeit" waren schnell gefunden. Denn mit der in den letzten Beiträgen einbezogenen Schöpfungsenzyklika ‚Laudato Si‘' ist noch einmal deutlicher geworden, wie sehr die theologische Botschaft von Papst Franziskus von der ‚Revolution der zärtlichen Liebe‘ (EG 88) in einer Schöpfungstheologie gründet, nach der „das ganze materielle Universum […] Ausdruck der Liebe Gottes ist, seiner grenzenlosen Zärtlichkeit uns gegenüber [...] - alles ist eine Liebkosung Gottes.“ (LS 84)
Papst Franziskus wählte am 1. September u.a. diese  Verse für eine Lesung in einem Wortgottesdienst aus Anlass des erstmals begangenen 'Tages der Schöpfung'.
"Die Schöpfung ist in der Ordnung der Liebe angesiedelt. […] Jedes Geschöpf ist also Gegenstand der Zärtlichkeit des Vaters, der ihm einen Platz in der Welt zuweist. Sogar das vergängliche Leben des unbedeutendsten Wesens ist Objekt seiner Liebe, und in diesen wenigen Sekunden seiner Existenz umgibt er es mit seinem Wohlwollen." (LS 77)
In demselben „Strom der Barmherzigkeit“ (MV 25) gipfelt das Geheimnis der Menschwerdung und Auferstehung Jesu Christi (LS 96-100), die „kosmische Liebe“ (LS 236) in den Sakramenten – insbesondere der Eucharistie – wie das Leben der Kirche:
Der Tragebalken, der das Leben der Kirche stützt, ist die Barmherzigkeit. Ihr gesamtes pastorales Handeln sollte umgeben sein von der Zärtlichkeit, mit der sie sich an die Gläubigen wendet; ihre Verkündigung und ihr Zeugnis gegenüber der Welt können nicht ohne Barmherzigkeit geschehen“. (MV 10)
Wie sehr die beiden Begriffe ‚Barmherzigkeit und Zärtlichkeit‘ für Papst Franziskus innerlich verbunden sind und sich wechselseitig erschließen, wird in den zurückliegenden Ansprachen und Veröffentlichungen immer deutlicher – auch wenn der letztgenannte, von Papst Franziskus oft gebrauchte Begriff der ‚zärtlichen Liebe‘ für unsere mitteleuropäischen Verhältnisse ungewohnt klingt und sicher das durchschnittliche kirchenamtliche Sprechen und Denken in den deutschsprachigen Diözesen eher noch nicht erreicht hat. Doch bietet gerade dieser Begriff der ’Zärtlichkeit‘ einen Zugang zum Vollsinn des Begriffes ‚Barmherzigkeit‘. In seiner Predigt in der Christmette 2014 drückt Papst Franziskus dies in folgender Weise aus:

[E]s ist die Liebe, mit der er in jener Nacht unsere Schwachheit, unser Leiden, unsere Ängste, unsere Sehnsüchte und unsere Grenzen angenommen hat. Die Botschaft, auf die alle warteten, das, wonach alle tief innerlich suchten, war nichts anderes als die Zärtlichkeit Gottes: Gott, der uns mit einem von Liebe erfüllten Blick anschaut, der unser Elend annimmt, Gott, der in unser Kleinsein verliebt ist. Wenn wir in dieser Heiligen Nacht das Jesuskind betrachten, wie es gleich nach der Geburt in eine Futterkrippe gelegt wird, sind wir zum Nachdenken eingeladen. Wie nehmen wir die Zärtlichkeit Gottes an? Lasse ich mich von ihm erreichen, lasse ich mich umarmen oder hindere ich ihn daran, mir nahe zu kommen. „Aber ich suche doch den Herrn“, könnten wir einwenden. Das Wichtigste ist allerdings nicht, ihn zu suchen, sondern zuzulassen, dass er mich findet und mich liebevoll streichelt. Das ist die Frage, die das Christuskind uns einzig mit seiner Gegenwart stellt: Lasse ich zu, dass Gott mich lieb hat?“ (Papst Franziskus, Predigt in der Christmette 2014)

Das ist die Kernaussage des Evangeliums, der Frohen Botschaft, auch wenn wir sie uns nicht häufig genug sagen können und müssen – und gerade auch den Begriff ‚zärtlich‘ immer wieder verwenden, damit er nicht nur von Papst Franziskus gesagt wird und damit letztlich doch nicht hier bei uns angekommen ist, überhört wird, ‚unerhört‘ bleibt. Für Papst Franziskus ist es eindeutig, dass eine Mystik der überfließenden Liebe Grundlage ist für die Zukunft der Kirche und nicht minder für die Zukunft der Welt. Schon in der Schöpfungsenzyklika wies er auf die Bedeutung dieser Spiritualität hin:

Denn es wird nicht möglich sein, sich für große Dinge zu engagieren allein mit Lehren, ohne eine ‚Mystik‘, die uns beseelt, ohne „innere Beweggründe, die das persönliche und gemeinschaftliche Handeln anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen“. (LS 216)

Und wie Papst Franziskus schon in der Schöpfungsenzyklika die Kohärenz einer solchen Schöpfungsspiritualität mit einer offenherzigen Liebe allen Menschen gegenüber ebenso voraussetzt wie anmahnt, dürfen wir dies auch als Vorhersage für die pastoralen Leitlinien und theologischen Lehraussagen der kommenden Bischofssynode lesen:  

Ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist.“ (LS 91)

Diese Zuwendung zu den Menschen bis zu den „existentiellen Peripherien“ gründet für Papst Franziskus aber nicht in einem moralischen Imperativ, sondern in einer positiven Beschämung, in der Widerfahrnis, zärtlich geliebt, ja gestreichelt zu sein und darin mitgerissen zu werden in einem wahren ‚Fluss der Barmherzigkeit‘ (Instrumentum laboris 106).

Erst aus der Beschämung, von Gott in meinem Kleinsein geliebt zu sein, folgen für Papst Franziskus in seiner Predigt am Heiligen Abend die Sätze, die auch als Leitfragen zu Beginn der Schlussetappe der Familiensynode stehen können:

Gehen wir noch einen Schritt weiter: Haben wir den Mut, mit Zärtlichkeit die schwierigen Situationen und die Probleme des Menschen neben uns mitzutragen, oder ziehen wir es vor, sachliche Lösungen zu suchen, die vielleicht effizient sind, aber der Glut des Evangeliums entbehren? Wie sehr braucht doch die Welt von heute Zärtlichkeit!

Und in der Ankündigungsbulle des Jahres der Barmherzigkeit setzt Papst Franziskus fort:

Wie sehr wünsche ich mir, dass die kommenden Jahre durchtränkt sein mögen von der Barmherzigkeit und dass wir auf alle Menschen zugehen und ihnen die Güte und Zärtlichkeit Gottes bringen! Alle, Glaubende und Fernstehende, mögen das Salböl der Barmherzigkeit erfahren, als Zeichen des Reiches Gottes, das schon unter uns gegenwärtig ist. (MV 5)

Von dieser Botschaft wird auch die Familiensynode getragen sein, wenn Sie sich den vielen Fragen zuwendet, die als neue Herausforderungen in der weltweiten Befragung identifiziert wurden und nach einer neuen pastoralen Aufmerksamkeit verlangen: die vielen vorehelichen Partnerschaften und Freundschaften, die nicht einfach nur als Sünde angesehen werden, die wiederverheiratet Geschiedenen, die ihr Leben weder für sich noch vor ihren Kindern als auf immer fortbestehende Todsünde betrachten, wie Menschen mit homosexueller Orientierung, die auch in ihrer sexuellen Veranlagung Gottes Schöpferwillen am Werke sehen.

Eins steht schon jetzt fest: Wenn die diesjährige Bischofssynode – etwa unter Aufnahme der oft genannten theologischen Schlüsselbegriffe der ‚Analogie‘, der ‚Gradualität‘, mit der Rede von ‚Semina verbi‘ oder ‚Wachstumsstufen der Freundschaft – ein Erfolg wird, wird sie geprägt sein von einer Spiritualität, die nahe am ‚Herzschlag der Zeit‘ ist.

Papst Franziskus hat in der Schöpfungsenzyklika deutlich gemacht, dass es keine wirkliche ‚ökologische Umkehr‘ und Schöpfungsverantwortung geben könne, wenn sie nicht auch durchzogen ist von einer tiefen Schöpfungsspiritualität und Mystik (vgl. LS 216). Dasselbe ist auch bezogen auf die genannten, vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit zu sagen. Ohne eine Spiritualität der Barmherzigkeit, ohne eine ‚Revolution der zärtlichen Liebe' (EG 88), werden wir die Menschen von heute nicht mehr erreichen. Nur in barmherziger Liebe und Zärtlichkeit, die über den Buchstaben des Gesetzes hinausgeht, die größere Liebe einbezieht, und darin das Gesetz erfüllt (vgl. MV 21), wird die Kirche auch als Grundsakrament dieser Liebe wahrgenommen werden. Kirche überlebt, wie das gerade erschienene Buch von Kardinal Marx überschrieben ist. Denn die Zeit der Barmherzigkeit ist jetzt!


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