Mittwoch, 12. Februar 2020

Mehr als eine Fußnote!  Querida Amazonia - oder: Vier Visionen für eine Kirche mit einem amazonischen Gesicht
„An das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens“ richtet Papst Franziskus sein nachsynodales Schreiben Querida Amazonia (Geliebtes Amazonien) und damit zugleich an eine „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (QA 61). Darin stellt Papst Franziskus zugleich das bereits mit Synodenabschluss angenommene Schlussdokument der Amazoniensynode offiziell vor und bietet in seinem Schreiben dafür einen „groben Rahmen für die Reflexion“ […], „die eine Hilfe und Orientierung für eine harmonische, schöpferische und fruchtbare Rezeption des ganzen synodalen Weges sein kann.“ (QA 2)

Zwei Dokumente: Das Nachsynodale Schreiben und das Schlussdokument

Entsprechend der Apostolischen Konstitution Episcopalis Communio (Art. 18 § 1) hat bereits das Schlussdokument der Amazonassynode mit seiner Annahme durch Papst Franziskus am 26.10.2019 Teil am ordentlichen Lehramt des Nachfolgers Petri. Beide Dokumente sind deshalb heute zusammen offiziell vorgestellt worden. Ausdrücklich unterstreicht Papst Franziskus diese Arbeit echter Synodalität:
"Es bietet uns die Folgerungen der Synode, an der viele Menschen mitgearbeitet haben, die die Problematik Amazoniens besser kennen als ich und die Römische Kurie, da sie dort leben, mit ihm leiden und es leidenschaftlich lieben. Ich habe es daher vorgezogen, das Schlussdokument in diesem Apostolischen Schreiben nicht zu zitieren, weil ich vielmehr dazu einlade, es ganz zu lesen.“ (QA 3)

Von vier Arten der Bekehrung zu vier Visionen für eine Kirche mit einem amazonischem Gesicht (QA 61)

Das veröffentlichte Schlussdokument spricht von vier Arten der Bekehrung (pastoral, ökologisch, kulturell und synodal), die Papst Franziskus als „vier große Visionen“ weiterführt, in denen die „Verkündigung […] und die Strukturen der Kirche […] Fleisch und Blut“ annehmen. Sie gliedern zugleich das nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia:
"Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen (autochthonen) Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird." (QA 7)

Die erste Vision beschreibt eine soziale Vision Amazoniens (QA 8-27), „das alle seine Bewohner integriert und fördert, damit sie das ‚buen vivir‘ – das ‚Gute Leben‘ – dauerhaft verwirklichen können […] Denn obschon Amazonien vor einer ökologischen Katastrophe steht, muss darauf hingewiesen werden, dass »ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde«“. (QA 8; vgl. Laudato Si‘ 49) Der Verurteilung sozialer Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Ungleichheit und das Werben für Gemeinschaftssinn und sozialen Dialog sieht Papst Franziskus unmittelbar verbunden mit einer kulturellen Vision (QA 28-40)
"Ich träume von einem Amazonien, dass seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt, wo auf so unterschiedliche Weise die Schönheit der Menschheit erstrahlt." (QA 7)
In dieser Vision spricht Papst Franziskus vom „Polyeder Amazoniens“,  das viele Völker und Nationalitäten und mehr als einhundertzehn indigene Völker umfasst. Wider eine „postmoderne Kolonialisierung" unterstreicht Papst Franziskus deren je „eigene kulturelle Identität und einen einzigartigen Reichtum in einem plurikulturellen Universum aufgrund der engen Beziehung, die die Bewohner zu ihrer Umwelt aufbauen". (QA 31) Da diese „Kulturen der ursprünglichen Völker im engen Kontakt mit der natürlichen Umwelt entstanden sind und sich entwickelt haben, so können sie schwer unversehrt bleiben, wenn diese Umwelt Schaden erleidet.“ Dies ist zugleich die Überleitung zu einer ökologischen Vision, in der eine „kosmische Dimension“ (QA 41) zum Tragen kommt.
"Ich träume von einem Amazonien, das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt." (QA 7)
Anknüpfend an die vorausgegangenen Visionen unterstreicht Papst Franziskus in dieser ökologischen Vision (QA 41-60), wie die „Weisheit der ursprünglichen Völker Amazoniens dazu [inspiriert], sorgsam und respektvoll mit der Schöpfung zu leben, im klaren Bewusstsein ihrer Grenzen, das jeden Missbrauch verbietet. Die Natur missbrauchen bedeutet, die Vorfahren, die Brüder und Schwestern, die Schöpfung und den Schöpfer zu missbrauchen und dadurch die Zukunft aufs Spiel zu setzen.“ (QA 42) Dem „Schrei der Erde“ Amazoniens stellt Papst Franziskus die „Prophetie der Kontemplation“, „Erziehung und ökologische Haltungen“ zur Seite und plädiert für ein „erneuertes Bewusstsein über den Wert der Schöpfung“ (QA 60)

"Ich träume von christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken." (QA 7)
In dieser vierten, explizit kirchlichen und die meisten Absätze umfassenden Vision (QA 61-110) träumt Papst Franziskus von einer „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (QA 61). Die "Verkündung" und "Wege der Inkulturation" werden bis zu "Ansatzpunkten für eine Heiligkeit amazonischer Prägung" weitergeführt. Eine besondere Aufmerksamkeit legt Papst Franziskus dabei – Evangelii gaudium 123 zitierend auf „religiöse Ausdrucksformen, die sich spontan aus dem Leben der Völker ergeben, […] denn »in der Volksfrömmigkeit kann man die Art und Weise wahrnehmen, wie der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben wird.“ (QA 78; vgl. EG 123)


Die Inkulturation der Liturgie

Unter der Überschrift „Inkulturation der Liturgie“ (QA 81) findet sich eine sehr schöne, schöpfungstheologische Herleitung der Sakramente, insofern „in ihnen das Göttliche und das Kosmische, die Gnade und die Schöpfung vereint sind.“ Seine ebenfalls an alle Menschen guten Willens gerichtete Enzyklika Laudato Si‘ (LS 235) zitierend sind sie „eine bevorzugte Weise, in der die Natur von Gott angenommen wird und sich in Vermittlung des übernatürlichen Lebens verwandelt.“ (QA 81) Es ist für Papst Franziskus zugleich die Einladung „in der Liturgie viele Elemente der intensiven Naturerfahrung der Indigenen aufzugreifen und eigene Ausdrucksformen in den Liedern, Tänzen, Riten, Gesten und Symbolen anzuregen.“ (QA 82).

Inkulturation der Dienste und Ämter
...und die offene Frage der viri probati

Unter der Überschrift "Inkulturation der Dienste und Ämter" (QA 85-90) nimmt Papst Franziskus auch Bezug auf die Entwicklung der „kirchlichen Organisationsformen und in den kirchlichen Ämtern“, wie sie auch in Deutschland in zwei Foren des Synodalen Weges diskutiert werden. Ohne die im heute ja ebenfalls offiziell vorgestellten Abschlussdokument aufgeführte Möglichkeit „anerkannte Männer, die ein fruchtbares Ständiges Diakonat innehaben, zu Priestern zu weihen“ (Abschlussdokument 111; vgl. Übersetzung von Vatican News vom 26.10.2019) zu zitieren, belässt es Papst Franziskus auf den Hinweis hinsichtlich der Art und Weise, „wie kirchliche Dienste strukturiert und gelebt werden, an Inkulturation zu denken.“ Ob und wie an dieser Stelle der Wunsch der Synodenmehrheit für die Kirche Amazoniens Wirklichkeit werden kann, ist an dieser Stelle weder vorentschieden noch abschlägig beschieden: vielmehr ein Verweis auf den Prozess, der zwar alles an der "Feier der Eucharistie" (QA 89) als "Quelle und Höhepunkt (QA 92) orientieren will  und dennoch nicht der Versuchung verfällt, alles an der "Präsenz der geweihten Amtsträger" (QA 93) festzumachen. Der kirchenrechtlich mögliche Einsatz von Gemeindeleiter*innen (QA 94) – auch in den deutschen Ortkirchen bislang eher die Ausnahme – wird ebenso hervorgehoben wie der Einsatz und Befähigung von Laien (QA 89) im Leben einer „Kirche mit amazonischen Gesichtszügen“ (QA 94). 

Frauen in Diensten und Ämtern

Dabei wird die Kraft und die Gabe der Frauen (99-103) zwar besonders hervorgehoben, allerdings ihre Möglichkeit „zu den heiligen Weihen zugelassen“ zu werden ausdrücklich in die Grenzen verwiesen: Ohne diese im nachsynodalen Schreiben ausdrücklich auszuschließen, stellt die Weihe von Frauen für Papst Franziskus „eine Begrenzung der Perspektiven“ dar: „Sie würde uns auf eine Klerikalisierung der Frauen hinlenken und den großen Wert dessen, was sie schon gegeben haben, schmälern als auch auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags führen.“ (QA 100) Umgekehrt sollten Frauen „in einer synodalen Kirche […]  eine zentrale Rolle in den Amazonasgemeinden spielen, Zugang zu Aufgaben und auch kirchlichen Diensten […] einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben“. (QA 103)

Eine Einschätzung zum Schluss

Auch wenn viele Kommentare anlässlich des nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia im Blick auf das Aussparen der Möglichkeiten der Weihe verheirateter Männer und Frauen enttäuscht ausfallen werden, könnten sie ebenso im Blick auf das zu gleicher Zeit „offiziell“ veröffentlichte – wenn auch nur in italienischer Sprache vorliegende – Schlussdokument den Prozess weiter offen oder gerade erst geöffnet sehen. Die Ausgestaltung der Möglichkeiten in der Pastoral vor Ort – in Amazonien, weltweit wie hier vor Ort auf dem Synodalen Weg – ist dabei zusätzlich zusammen zu sehen mit der in Kürze erwarteten Konstitution zur Kurienreform Praedicate evangelium und der Möglichkeit der Teil- und Ortskirchen, ihre Verantwortung am ordentlichen Lehramt in neuer Weise wahrzunehmen. Das offizielle Abschussdokument mitsamt dem nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia machen es möglich, sie rufen in der Zusammenschau sogar dazu auf! (QA 2-4) Bis sich diese Lesart durchsetzt, wird der synodale Prozess weiter voranschreiten müssen.



Erstveröffentlicht am 12.2.20 auf https://bistumlimburg.de/beitrag/mehr-als-eine-fussnote-querida-amazonia/

Sonntag, 2. Februar 2020

Über die Zulassung von „viri probati“ und das „Zeugnis echter Katholizität“: Fazit der 1. Synodalversammlung des Synodalen Weges und zu den Erwartungen hinsichtlich des nachsynodalen Schreibens (Querida Amazonia*) der Amazonassynode
(Screenshot: Katholisch.de vom 02.2.20)
Nach dem Grünen Licht von Seiten der Vollversammlungen der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZDK) und dem Gottesdienst am 1. Dezember 2019 in der Münchener Frauenkirche zur Eröffnung hat an diesem Wochenende (Donnerstag, 30.1.20 bis Samstag, 1.2.20) mit der ersten Synodalversammlung der auf zwei Jahre angelegte Synodale Weg mit 230 Synodenteilnehmenden aus allen 27 deutschen Diözesen und weiteren Gästen und Beobachter*innen aus dem Bereich benachbarter Bischofskonferenzen richtig begonnen.

Dass das Treffen ein "Zeugnis echter Katholizität der Kirche in Deutschland" gewesen sei, wird der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck zitiert. Die Satzung und Geschäftsordnung  wurden zeitaufwändiger als nach Tagesordnung ursprünglich vorgesehen und paradoxer Weise mit Einwänden sowohl hinsichtlich mangelnder Berücksichtigung der hierarchischen wie der demokratischen Ordnung, mit dem Ziel den Synodalen Weg mit seiner Satzung noch im Ansatz zu stoppen – ebenso angenommen, wie die Listen der auf je 30 Personen angelegten Synodalforen bestimmt.

 "Wider die gewaltige Krise, in welcher die katholische Kirche nicht nur in Deutschland, sondern weltweit steckt", sind es die zwischen den Synodalversammlungen i.e.S. inhaltlich ausgerichteten Foren, die die Arbeitsergebnisse des Synodalen Weges beraten und vorbereiten werden. Zu den nach der Zäsur, die der Missbrauchsskandal für die Kirche in Deutschland bedeutete, als zentral identifizierten Themen der einmütig beschlossenen Foren „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“, „Priesterliche Existenz heute“, „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ und „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ werden Ergebnisse vorbereitet, die z.T. auch auf weltkirchlicher Ebene rückgebunden werden müssen.

Dass gerade heute auch die ersten inhaltlichen Akzentsetzungen des nachsynodalen Schreibens (Querida Amazonia*) kommuniziert werden, die das letztgenannte Forum „Priesterliche Lebensform“ auch im Rahmen der Synodalversammlung ansprechen wird – von einigen Teilnehmenden auch bereits in der Synodalversammlung ausdrücklich ins Wort gebracht –, ist eine Koinzidenz von Welt- und Ortskirche, die gleichwohl seit der Amazonassynode nicht anders zu erwarten gewesen ist. Papst Franziskus hat im Ernstnehmen der Synodalität, dem Markenkern seines Pontifikates, in seinem nachsynodalen Schreiben im Grunde wiederum nichts anderes als das Ergebnis der Amazonassynode aufgenommen – entgegen den Widerstand einer vor kurzem von Kardinal Robert Sarah in Umlauf gebrachten (und sogar dem emeritierten Papst untergeschobenen) Publikation, in welcher er die Kontinuität der Lehre der Katholischen Kirche als gefährdet ansah.

'Viri probati' als Priester und Frauen als Diakoninnen?!

Denn wie im Blog-Beitrag vom 27.10.2019 erwähnt, wurde mit einer Zweidrittelmehrheit im Oktober 2019 auf der Amazonassynode der Vorschlag im Absatz 111 (bei 41 Gegenstimmen) mit der bereits Mitte 2019 veröffentlichten Begründung des Vorbereitungsdokumentes angenommen:
"Rechtmäßige Unterschiede schädigten die Einheit der Kirche nicht, sondern dienten ihr, wie auch die Vielfalt der existierenden Riten und Disziplinen bezeuge. Deshalb schlage man angesichts des Priestermangels und der sakramentalen Notlage in Amazonien vor, Kriterien zu erstellen, „um geeignete und von der Gemeinde anerkannte Männer, die ein fruchtbares Ständiges Diakonat innehaben, zu Priestern zu weihen“. Diese Priester mit bereits bestehender Familie könnten „in den entlegensten Regionen des Amazonas das Wort verkünden und die Sakramente feiern“. (Vatican News vom 26.10.19)

Auch zur Prüfung der Frage nach dem Diakonat der Frau wird sich das nachsynodale Schreiben in dem Sinne äußern, dass Papst Franziskus von der Synode beauftragt wurde zu prüfen, welche Aufgaben den Diakoninnen der Urkirche historisch zukamen und was das für die Zukunft heiße. „Wir erwarten ihre Ergebnisse“, hieß es in Punkt 103" (Vatican News vom 26.10.19) des Abschlussdokumentes, der mit 30 Gegenstimmen der zweitumstrittenste, aber ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit angenommene Absatz der Amazonassynode war. Umgekehrt stimmten nur 11 Synodale gegen den Vorschlag, Frauen als "Gemeindeleiterinnen" – Punkt 102 des Abschlussdokumentes –  zuzulassen, der nach der Inkraftsetzung über das nachsynodale Schreiben sicher ebenso Anlass sein wird, ihn im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ hinsichtlich der Konsequenzen für die Diözesen Deutschlands weiterzudenken.

Es ist eine „Kirche im Aufbruch“ (EG 20) – in Deutschland wie in der Weltkirche. Sie ergreift damit die Chance ihre "Tradition für die Zukunft zu bewahren" – wider das "Behüten der Asche", wie Papst Franziskus es in der Abschlussansprache der Amazonassynode am 26.10.2019 auf den Punkt brachte.


* Nachtrag vom 7.2.2020

Samstag, 21. Dezember 2019

Evangelisierung als "Kern der Reform". Weihnachtsansprache von Papst Franziskus über die "pastorale Neuausrichtung" der Kirche
(Screenshot: Die Presse vom 21.12.2019)
Seit Beginn seines Pontifikates steht die Reform von Kirche und Kurie auf der Agenda von Papst Franziskus. Sie war bekanntermaßen Motiv und Auftrag seiner Wahl nach dem überraschenden Rücktritt seines Vorgängers Papst Benedikt XVI. Mit dem Kardinalsrat seit dem Jahr 2013 beraten, hat Papst Franziskus den Entwurf einer neuen Kirchenverfassung im Jahr 2019 an die Bischofskonferenzen aus aller Welt gesendet, um sie nun im Frühjahr 2020 zu veröffentlichen. Schon vor über einem Jahr hieß es bereits, dass die neue Konstitution mit dem Titel "Praedicate Evangelium" die Evangelisierung in den Mittelpunkt stellen und mit ihrer Inkraftsetzung das bisherige vatikanische Grundgesetz "Pastor Bonus" von 1988 ersetzen werde. Weil es nötig ist, das Evangelium unter veränderten Bedingungen in eine neue Zeit zu sprechen, bedürfe es so betont Papst Franziskus in seiner heutigen Weihnachtsansprache einer "pastoralen Neuausrichtung" der Kurie, ja der Kirche insgesamt:

Die Glaubenskongregation und die Kongregation für die Evangelisierung der Völker seien „zu einer Zeit gegründet, in der es einfacher war, zwischen zwei ziemlich klar abgegrenzten Bereichen zu unterscheiden: einer christlichen Welt auf der einen Seite und einer noch zu evangelisierenden Welt auf der anderen. Diese Situation gehört jedoch der Vergangenheit an.“ Sie seien entsprechend seinem programmatischen Schreiben Evangelii gaudium aus dem Jahr 2013 neu auszurichten.

"Die Reform der Strukturen, die für eine pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinne verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden«" (EG 27).
...„andere 'Landkarten', andere Paradigmen
Die veränderten Rahmenbedingungen und den Ausgangspunkt der Evangelisierung heute stellt Papst Franziskus in einer schonungslosen Analyse dar, in der „andere „Landkarten“, andere Paradigmen, die uns helfen, unsere Denkweisen und Grundeinstellungen neu auszurichten“, gefragt seien:

"Wir haben keine christliche Leitkultur, es gibt keine mehr! Wir sind heute nicht mehr die Einzigen, die Kultur prägen, und wir sind weder die ersten noch die, denen am meisten Gehör geschenkt wird. Wir brauchen daher einen Wandel im pastoralen Denken, was freilich nicht heißt […]. Das Christentum ist keine dominante Größe mehr, denn der Glaube – vor allem in Europa, aber auch im Großteil des Westens – stellt keine selbstverständliche Voraussetzung des allgemeinen Lebens mehr dar“. (Ebd.

All dies führe „zwangsläufig zu Veränderungen und neuen Schwerpunkten in den oben genannten Dikasterien sowie in der gesamten Kurie.“

"Es geht also um große Herausforderungen und um notwendige Ausgewogenheit. Diese ist oft nicht leicht zu verwirklichen, aus dem einfachen Grund, dass in der Spannung zwischen einer glorreichen Vergangenheit und einer gestalterischen Zukunft, die in Bewegung ist, die Gegenwart liegt, in der es Menschen gibt, die notwendigerweise Zeit zum Reifen brauchen; es gibt historische Umstände, die im Alltag zu bewältigen sind, da während der Reform die Welt und die Ereignisse nicht stillstehen; es gibt rechtliche und institutionelle Fragen, die Schritt für Schritt gelöst werden müssen, ohne magische Formeln oder Abkürzungen." (Ebd.

...die Versuchung, sich auf die Vergangenheit zurückzuziehen
Trotz aller Ungleichzeitigen insistiert Franziskus auf die Unausweichlichkeit der Veränderung gegenüber einem – auch in den Ortskirchen nicht minder vorherrschenden – überkommenem Denken und dem Festhalten an nicht mehr zeitgemäßer Strukturen.

"In Verbindung mit diesem schwierigen geschichtlichen Prozess besteht immer die Versuchung, sich auf die Vergangenheit zurückzuziehen (selbst unter Verwendung neuer Formulierungen), weil diese beruhigender, vertrauter und sicherlich weniger konfliktgeladen ist. Auch dies gehört jedoch zum Prozess und zum Risiko, bedeutende Veränderungen einzuleiten. Hier muss man vor der Versuchung warnen, eine Haltung der Starrheit anzunehmen. Die Starrheit kommt von der Angst vor Veränderung und übersät am Ende den Boden des Gemeinwohls mit Pflöcken und Hindernissen und macht ihn so zu einem Minenfeld der Kontaktunfähigkeit und des Hasses. Denken wir immer daran, dass hinter jeder Starrheit irgendeine Unausgeglichenheit liegt. Die Starrheit und die Unausgeglichenheit nähren sich gegenseitig in einem Teufelskreis."  (Ebd.
Mit den schon in früheren Reden zum selben Anlass zitierten Versuchungen und Krankheiten der Kirche  der "Krankheit, sich 'unsterblich',  'immun' oder sogar 'unentbehrlich' zu fühlen", der "Krankheit der geistigen und geistlichen 'Versteinerung'"  sowie des „geistlichen Alzheimer“   knüpft Papst Franziskus an seine Aufsehen erregende Weihnachtsansprache an die Kurie aus dem Jahr 2014 an, die er wie die Kirche insgesamt wieder neu zu einem „lebendigen Körper“ verändern will. Und er zitiert die letzten Worte des im Jahr 2012 verstorbenen Kardinals Carlo Maria Martini.
»Die Kirche ist zweihundert Jahre lang stehen geblieben. Warum bewegt sie sich nicht? Haben wir Angst? Angst statt Mut? Wo doch der Glaube das Fundament der Kirche ist. Der Glaube, das Vertrauen, der Mut. […] Nur die Liebe überwindet die Müdigkeit.« (Ebd.

Wie der über lange Jahre auf Reformen in der Kirche dringende Mailänder Erzbischof verbindet Papst Franziskus den Aufruf zur Reform mit der Weihnachtsbotschaft, mit „Logik der Menschwerdung“, weil Christus „unsere Geschichte, die Geschichte eines jeden von uns angenommen hat.“ Daran erinnere uns Weihnachten. „Die Menschheit also ist der besondere Schlüssel, mit dem die Reform zu lesen ist. Die Menschheit ruft auf, fragt an und ruft hervor, das heißt sie ruft dazu auf, hinauszugehen und die Veränderung nicht zu fürchten.
"Weihnachten ist das Fest der Liebe Gottes zu uns – der göttlichen Liebe, welche die Veränderung inspiriert, leitet und korrigiert und die menschliche Angst, das „Sichere“ aufzugeben, besiegt, um uns neu auf das „Mysterium“ einzulassen." (Ebd.
Eine Weihnachtsansprache, die in Analyse der Gegenwart wie der Entschlossenheit zur Veränderung auch auf den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland zu lesen ist.

Samstag, 23. November 2019

Grünes Licht für den Synodalen Weg und „Bausteine für den Synodalen Weg im Reißverschlussverfahren“ aufgrund des Paradigmenwechsels in der Neubewertung von Homosexualität
Gut einen Monat nach Beendigung der Amazonassynode nehmen auch in Deutschland die Vorbereitungen des Synodalen Weges weiter Kontur an: Nachdem die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 25. September 2019 und der Hauptausschuss des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am 18. Oktober 2019 die Satzung des Synodalen Weges bereits angenommen hatten, beschließt nun auch die vom 22. bis 23 November 2019 zusammengekommene Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken den Synodalen Weg gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz zu gehen.



Im Zentrum der Beratungen der Vollversammlung stehen diesbezüglich die Benennung der Delegierten für den Synodalen Weg und die Verabschiedung einer Erklärung unter dem Titel „Segen schenken – Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare“. Als einen „Baustein für den synodalen Weg im Reißverschlussverfahren“ bezeichnet Birgit Mock als Sprecherin des ZdK für familienpolitische Grundfragen die Erklärung und den zugehörigen Grundlagentext mit einigen best practice-Beispielen, an dem Vertreter*innen aus der theologischen Wissenschaft, kirchlichen Arbeitsstellen, katholischen Verbänden und Dachorganisationen, Initiativen, den Diözesanräten und der Seelsorgearbeit mitgewirkt haben. Die Erklärung wirbt für eine differenzierte Sicht auf Partnerschaft und Sexualität und einen wertschätzenden Blick auf die "Vielfalt von Segenswünschen", wie Dr. Martina Kreidler-Kos als Mitglied der Arbeitsgruppe in ihrem einführenden Impulsvortrag hervorhebt.

"Es soll nicht zuerst auf vermeintliche Defizite von Paaren geschaut werden, sondern auf die Liebe, die Paare miteinander leben, und die Gottessehnsucht, die sich in ihrem Wunsch nach einem kirchlich vermittelten Segen ausdrückt. Eine pauschale Abwertung von Partnerschaften, die keine sakramentale Ehe eingehen können, hält das ZdK für nicht tragbar und sieht hier einen dringenden pastoralen Handlungsbedarf. Entsprechend fordert es eine offizielle Entwicklung der liturgischen Praxis in der katholischen Kirche." (ZDK vom 23.11.2019)

Ein Paradigmenwechsel in der Neubewertung von Homosexualität

Zugrunde liegt dieser Forderung ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel in der Neubewertung von Homosexualität, auf den Prof. Benedikt Kranemann in seinem Statement am im Rahmen der Vollversammlung hinweist: 
"Wir beobachten seitens der Liturgiewissenschaft – und ich denke, das bewegt ja auch die Pastoral sehr stark –, dass wir […]  – in den letzten Jahrzehnten hat das eine besondere Dynamik bekommen – es zunehmend mit Lebenssituationen zu tun haben, in denen Menschen um Segen bitten, aber wir mit tradierten Formen des Gottesdienstes und der entsprechenden Theologie diese Felder, diese Lebenssituationen nicht abdecken können.“ (ZDK Live-Stream vom 23.11.2019; eigene Übertragung)
"Wir erleben hier in der Theologie […] in den letzten Jahren einen wirklichen Paradigmenwechsel – und der Begriff passt hier wirklich –, ein Paradigmenwechsel, was die Einschätzung von Homosexualität angeht. Ein Paradigmenwechsel, den Sie beobachten können in der Exegese des Alten und Neuen Testament, den sie beobachten können sehr stark in der Moraltheologie, in der systematischen Theologe und – ich muss leider sagen – erst in letzter Zeit auch in der Liturgiewissenschaft“. (Ebd.)

Die Bedeutung des Paradigmenwechsels für Segnungsfeiern

"Die Theologie des Segens, wie sie durch das Benediktionale als […] amtliches, liturgisches Buch formuliert ist, geht von einer grundsätzlichen Segensbedürftigkeit des Menschen aus und interpretiert diese als Verlangen […] ‚nach Heil, Schutz und Erfüllung für das eigene Leben‘. Wo Menschen nach Segen verlangen, um sich die Zuwendung Gottes zusprechen zu lassen oder sich ihrer zu versichern, kann dieses nicht verweigert werden. […] Die Kirche lässt sich hier in Dienst nehmen. Segen bedeutet Dank und Lobpreis, Deutung des Lebens aus dem Glauben und Bitte um neue Lebenschancen; und bedeutet auch Verbindung des Lebens eines Paares zur Heilsgeschichte Gottes.“ (Ebd.)
Die Segensfeier als Vollform der Liturgie
 
"Die Kirche hat jeweils auf Veränderungen von Lebensverhältnissen, von Partnerschaftskonstellationen reagiert. Liturgiegeschichte ist hier nicht stehengeblieben, sondern bleibt dynamisch. Solche Segensfeiern […] müssen als Liturgie der Kirche in einer entsprechenden theologisch-ästhetischen Feiergestalt begangen werden. […] Diese Feiern sind Ausdruck, Performanz eines veränderten kirchlichen Umgangs mit unterschiedlichen Partnerschaftskonstellationen - hier eben mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften […] Es muss […] eine Liturgie in Vollform sein […], keine Liturgie, die gleichsam im Privaten stattfinden und stattfinden muss, also diese ‚Sakristei-Verhältnisse‘, keine Liturgie, die auf Wesentliches wie einen Segen verzichtet, keine Liturgie die ohne kirchliche Leitung stattfindet usw. usf. Die Lebenssituation, der symbolisch-zeichenhaft der Segen zugesprochen wird, muss gottesdienstlich, rituell ernstgenommen werden." (Ebd.)


Der angemessene Ritus für die Segnung einer Partnerschaft

"Eine Liturgie für ein gleichgeschlechtliches Paar wird sich möglicherweise anderer Zeichen bedienen können als diejenige wie für ein heterosexuelles Paar. […] Es kann aber nicht darum gehen durch eine Herabstufung der Feierlichkeit solcher Feiern oder den Verzicht auf einzelne Elemente – da ist immer die Diskussion: Umgang mit dem Ring oder den Ringen – einen Unterschied zur sakramentalen Ehe zu markieren. […] Es geht um den angemessenen Ritus für die Segnung einer Partnerschaft." (Ebd.)


Die besondere Bedeutung des Segensgebets

"Zu einer solchen Segensfeier gehört ein entsprechendes Segensgebet. […] Es muss ein anamnetisch-epikletisches Gebet sein. Es muss ein Gebet sein, das die Heilsgeschichte erinnert, als gegenwärtig-relevant erinnert und das Paar in diesen Kontext der Heilgeschichte hinstellt. Und es muss ein Segengebet sein - das wäre das Stichwort Epiklese –,  das um die Gabe des Geistes Gottes in dieser Situation betet. Das Paar hat teil an der Heilgeschichte Gottes. […] Solche Gebete brauchen deshalb die gerade beschriebene diese Doppelstruktur. Sie tragen – liturgiewissenschaftlich betrachtet – den Charakter eines 'zentralen Gebetes'. Und dieses 'zentrale Gebet' gibt über die Bedeutung für die Kirche wie für das Paar Auskunft. Die kirchliche Akzeptanz solcher Feiern mehr noch der Menschen, die diese begehen muss sich in der Öffentlichkeit der Feier und einer wie auch immer legitimierten kirchlichen Leitung ausdrücken. Diese Feiern haben kirchliche Relevanz und theologisch betrachtet haben sie auch ekklesiologische Relevanz." (Ebd.)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken tritt mit der heutigen Erklärung für die kirchenamtliche Zulassung von Segensfeiern für homosexuelle Menschen ein. Für Benedikt Kranemann wäre bei einer kirchenamtlichen Zulassung notwendig auch „eine Entschuldigung bei den Paaren geboten, deren Leben durch kirchliche Verweigerung solchen Segens beschädigt worden ist.“  (Ebd.)



Bausteine für den Synodalen Weg im Reißverschlussverfahren

Die Erklärung zur Neubewertung von Homosexualität und die sich eröffnenden Möglichkeit von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind  – wiederholt mit den bereits zitierten Worten gesagt – „Bausteine für das Reißverschlussverfahren auf dem Synodalen Weg“. Mit den anderen Bausteinen, die allein das neu benannte Forum 3 des Synodalen Weges „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ bereithält, und den vielen anderen der drei weiteren Foren stehen eine große Anzahl zentraler Themen auf der Agenda des Synodalen Weges.
Und der Baustein ‚Segensfeiern‘ gehört sicher auch zu den Anliegen, zu denen zehn Generalvikare in einem gemeinsamen Brief vom 5. November 2019 an die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken „grundlegende Reformen“ in der Kirche im Zuge des Synodalen Weg gefordert haben:
"In einer Welt, die immer mehr zusammenwächst und gleichzeitig von wachsender Vielfalt und Freiheit bestimmt ist, wünschen wir uns eine Kirche, in der Pluralität und Diversität gewünscht und erlaubt sind." (katholisch.de vom 5.11.2019)
Birgit Mock unterstreicht in ihrem Statement bei der Vorstellung der ZDK-Erklärung zu den Segensfeiern diesen Wunsch nach Diversität, indem sie den Moraltheologen Stefan Görtz zitiert: „Mit Diversität innerhalb und zwischen den Ortskirchen ist zu rechnen. Das ist ein Preis der christlichen Freiheit.“ Und sie ergänzt, dass dies zugleich „eine Chance für die Ungleichzeitigkeiten in unserer Weltkirche" sei.




Sonntag, 27. Oktober 2019

"Tradition als Bewahrung der Zukunft, nicht als Behüten der Asche" – oder: "Die pastorale, ökologische, kulturelle und synodale Bekehrung" der Amazonassynode und ihre Bedeutung für den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland
(Screenshot von Vatican News vom 26.10.19:
Papst Franziskus bei der Abschlussansprache)
Im Live-Kommentar für Vatican News rekapituliert Claudia Kaminski zu Beginn der Abschlussmesse der Bischofssynode für das Amazonasgebiet die wesentlichen Ergebnisse dieser Sonderversammlung:
"Die Synode ist mit einem Aufruf der Teilnehmenden zu einer ganzheitlichen Umkehr in der katholischen Kirche zu Ende gegangen. Das veröffentlichte Schlussdokument spricht von vier Arten der Bekehrung: pastoral, ökologisch, kulturell und synodal. Angeregt wird auch die Weihe verheirateter Männer zu Priestern für entlegene Gemeinden sowie die Entwicklung eines amazonischen katholischen Ritus.“ (vgl. auch Vatican News vom 26.10.2019)
Wie diese vier Arten der Bekehrung innerlich zusammenhängen, wird im Synodendokument im 4. Kapitel des Abschlussdokumentes über die ökologische Umkehr deutlich:
"Unser Planet ist ein Geschenk Gottes“, beginnt dieses Kapitel (65) und lenkt den Blick auf dringend erforderliches Handeln angesichts einer „sozioökologischen Krise“ im noch nie dagewesenen Maßstab. Sich als katholische Kirche mit der unbegrenzten Ausbeutung des „gemeinsamen Hauses und seiner Bewohner“ auseinanderzusetzen, sei dringend, zur ganzheitlichen Ökologie gebe es keine Alternative, sie sei nicht irgendein zusätzlicher Weg, den die Kirche wählen könne, um die Zukunft dieses Gebiets zu sichern: „Sie ist der einzige mögliche Weg.“ (67) (Vatican News vom 26.10.19)

"Stirbt Amazonien, dann stirbt die Welt", hatte auch der renommierte deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber zu Beginn der abschließenden Synodenwoche die Teilnehmenden der Synode gemahnt, so dass eine Bekehrung auf allen Ebenen notwendig sei. Die Kirche habe für diese nötige Konversion – so Kardinal Schönborn in einem Interview – eine Botschaft:
"Um umkehren zu können, braucht es Verzicht; um verzichten zu können, braucht es Kraft und Motivation. Beides gibt das Evangelium." Das Evangelium zu leben, sei daher die Kraftquelle, die man brauche, um die nötige ökologische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umkehr zu schaffen.“ (Kathpress.at vom 26.10.19)

Diesen Begründungszusammenhang hatte Papst Franziskus – sein programmatisches Lehrschreiben Evangelii gaudium (261) aus dem ersten Jahr seines Pontifikates zitierend – bereits in seiner Umweltenzyklika Laudato Si‘ im Jahr 2015 herausgestellt:
"Denn es wird nicht möglich sein, sich für große Dinge zu engagieren allein mit Lehren, ohne eine „Mystik“, die uns beseelt, ohne „innere Beweggründe, die das persönliche und gemeinschaftliche Handeln anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen“ (Enzyklika Laudato Si‘, 216)

Tradition als Bewahrung der Zukunft
Papst Franziskus warnt deshalb in seiner live gestreamten Abschlussansprache vor der Versuchung das synodal über drei Woche erarbeitete Abschlussdokument auf Teilaspekte zu reduzieren,
"...sich bei der Berichterstattung über das Synoden-Schlussdokument nicht „auf bestimmte disziplinarische Fragen zu versteifen“ – wohl eine Anspielung auf die Zölibatsfrage. „Kleine elitäre Gruppen“ innerhalb der katholischen Kirche würden wohl auch diesmal wieder versuchen, ihre Sicht der Dinge durchzusetzen, indem sie sich auf „Details“ stürzen und das „große Ganze“ aus dem Auge verlieren. […] Manche denken, die Tradition wäre ein Museum, etwas Altes. Ich sage hingegen gern: Die Tradition ist die Bewahrung der Zukunft, nicht das Behüten der Asche. Sie ist wie die Wurzeln, durch die der Saft den Baum wachsen lässt, damit er Frucht bringt.“ (Vatican News vom 26.10.19)
Die Synodale Erfahrung der Amazonassynode

Synodalität, das synodale Voranschreiten der Sonderversammlung für das Amazonasgebiet, ist Teil der Lösung einer lebendigen Weiterentwicklung der Tradition:
"Damit die Kirche wirklich miteinander voranschreitet, braucht sie heute eine Umkehr zur synodalen Erfahrung (88), hält die Synode fest. Dieses neue Miteinander brauche eine Kultur des Dialogs und des Zuhörens, der geistlichen Unterscheidung, des Konsens „um Räume und Modalitäten geteilter Entscheidung zu finden und auf die pastoralen Herausforderungen zu antworten“. So werde sich im Leben der Kirche eine geteilte Verantwortung „im Geist des Dienens“ herausbilden. Die Synode stellt diese Aufgabe als dringlich heraus, um „Klerikalismus und willkürliche Eingriffe“ zu überwinden." (Vatican News vom 26.10.2019)
'Viri probati' als Priester und Frauen als Diakoninnen?!
Jenseits einer Reduzierung auf Schlagzeilen zur Synode spürte ich dann doch eine innere Bewegung und Rührung, als ich bei der Vorbereitung des morgendlichen Frühstücks im Radio den Synodenvorschlag der Weihe von "viri probati" für die Seelsorge im Amazonasgebiet – obwohl das Synodendokument diesen Begriff als solchen vermeidet – zum Abschluss der Radio-Kurznachrichten im Westdeutschen Rundfunk hörte und diese Meldung später dann auch in den Nachrichtensendungen des Fernsehens wahrnahm. Die Begründung des mit einer Zweidrittelmehrheit angenommenen (bei 41 Gegenstimmen) Synodenvorschlages folgt im Absatz 111 der in diesem Blog bereits zitierten Begründung des Vorbereitungsdokumentes:
"Rechtmäßige Unterschiede schädigten die Einheit der Kirche nicht, sondern dienten ihr, wie auch die Vielfalt der existierenden Riten und Disziplinen bezeuge. Deshalb schlage man angesichts des Priestermangels und der sakramentalen Notlage in Amazonien vor, Kriterien zu erstellen, „um geeignete und von der Gemeinde anerkannte Männer, die ein fruchtbares Ständiges Diakonat innehaben, zu Priestern zu weihen“. Diese Priester mit bereits bestehender Familie könnten „in den entlegensten Regionen des Amazonas das Wort verkünden und die Sakramente feiern“. (Vatican News vom 26.10.19)
"Vorsichtiger gibt sich das Dokument mit dem Diakonat der Frau. Das Thema sei bei den Beratungen vor der Synode und der Synode selbst sehr präsent gewesen, heißt es ausdrücklich. Man bitte darum, die Erfahrungen aus Amazonien mit der Studienkommission teilen zu können, die im Auftrag von Papst Franziskus geprüft hatte, welche Aufgaben den Diakoninnen der Urkirche historisch zukamen und was das für die Zukunft heiße. „Wir erwarten ihre Ergebnisse“, heißt es in Punkt 103" (Vatican News vom 26.10.19), der mit 30 Gegenstimmen der zweitumstrittenste der Amazonassynode war. Umgekehrt stimmten nur 11 Synodale gegen den Vorschlag, Frauen als "Gemeindeleiterinnen" – Punkt 102 –  zuzulassen.

…und die Bedeutung für den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland
Diese Punkte  Gegenstandsbereich auch der Foren des Synodalen Weges in Deutschland , aber im Grunde das Gesamtverständnis einer synodalen Kirche, stehen auch bei dem Anfang Dezember in Deutschland beginnenden Synodalen Weg im Mittelpunkt der Beratungen. 
Wie offen die Bischofssynode in Rom mit einer transparenten Öffentlichkeitsarbeit über täglich live gestreamte Pressekonferenzen, die Veröffentlichung der Ergebnisse der Kleingruppenarbeit in den Sprachgruppen bis hin zur Präsentation der Abstimmungsergebnisse des Abschlussdokumentes – mit all diesen Themen auf weltkirchlicher Ebene ohne Scheuklappen, Denk- und Sprachverbote umgegangen worden ist, kann auch für die Kirche in Deutschland ein Beispiel und Vorbild sein.
Nicht beeindrucken lassen sollten sich auch die Teilnehmenden des Synodalen Weges in Deutschland von den jedes synodale Voranschreiten blockierenden und den Gesamtzusammenhang der vier zu Beginn dieses Beitrags genannten Dimensionen der Bekehrung aus dem Blick verlierenden "kleinen elitären Gruppen", die Papst Franziskus in seinen letzten Worten der Abschlussansprache  der Amazonassynode an ein Zitat von Charles Péguy erinnerten:
"Weil sie nicht den Mut haben, auf der Seite der Welt zu sein, glauben sie, auf der Seite Gottes zu stehen. Weil sie nicht den Mut haben, sich im menschlichen Leben zu engagieren, glauben sie für Gott zu kämpfen. Weil sie niemanden lieben, glauben sie Gott zu lieben.“ (Vatican News vom 26.10.19)