Samstag, 6. Oktober 2018


Unici, solidali, creativi / Vereint, solidarisch und kreativ – oder: Wir sind der Frühling der Kirche!


„Vereint, solidarisch und kreativ“ unter diesem Motto bildete ein großes Fest für und mit den Jugendlichen und zugleich für und mit den Synodenteilnehmern den Höhepunkt dieses Samstages, auf der eine Reihe von Jugendlichen von ihren ,bei manchen bewegenden, bei anderen beeindruckenden Lebensgeschichten und ihrer Hoffnung berichteten – und zum Abschluss Papst Franziskus stellvertretend für die Synodenteilnehmenden Fragen mit auf den Weg der weiteren Beratung geben.

Stellvertretend für einige andere, zitiere ich aus dem Zeugnis von Daniel Zaccaro

"Aufgewachsen im Quarto Oggiaro, der ‚Mailänder Bronx‘, wo sich alles nur um Geld, Prestige und Macht drehte, geriet Daniel Zaccaro schon jung auf die schiefe Bahn: Diebstahl, Bankraub, waren nur einige der Missetaten, die er aus Perspektivlosigkeit begangen hatte. Seinen 18. Geburtstag verbrachte Daniel im Gefängnis. Er war aggressiv und rastete auch in der Haft aus. Von einer Strafanstalt wurde er in die nächste verlegt. Heute ist er 25 Jahre alt. Er erinnere sich genau an jenen Menschen, der seinem Leben eine andere Wendung gab, einer der Gefängnisseelsorger in der Strafanstalt Beccaria, erzählt er. Dieser leitete ein Haus für straffällig gewordene Jugendliche, in welches aufgenommen zu werden es Daniel nach langem Drängen gelang. Doch als er nach abgebüßter Strafe nach Quarto Oggiaro zurückkehrte, ging es wieder los mit der Kriminalität. Die einzige Lösung bestand darin, wieder in die Gemeinschaft des Seelsorgers von Beccaria zurückzukehren, wo er heute mit einem Senegalesen, einem Marokkaner und einem Russen zusammenlebt, das Abitur nachgeholt hat und Erziehungswissenschaften studiert. ‚Heute weiß ich, worauf es ankommt, wenn man junge Menschen zum Glauben erziehen will‘, sagte David vor der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula Paolo VI., ‚man muss sie vor allem die Fragen wiederentdecken lassen, die sie verloren haben.‘" (Vaticannews vom 6.10.2018)

"Tief berührt zeigt sich der Papst von den persönlichen Geschichten, die ihm die Jugendlichen erzählt haben, Geschichten voller Leidenschaft und Schmerz ebenso wie voller Wünsche und Sehnsüchte. Von Niederlagen und vom Wunsch, wieder aufzustehen, erzählten die Jugendlichen, die Franziskus aufforderte, in ihrem Leben dorthin zu eilen, wo die schönsten Ziele auf sie warten." (Ebd.)

Bewegende Statements, nach denen ich heute Mittag auch Gelegenheit hatte, Thomas Andonie persönlich zu fragen. Paolo Ruffini hatte in der Pressekonferenz am ersten Synodentag noch auf die Frage aus dem Presseauditorium, ob er etwas Neues, ihn in neuer Weise Anrührendes im Synodenplenum wahrgenommen habe, gesagt,  dass er bislang nichts gehört habe, was ihn habe aus dem Sessel habe springen lassen ("...non c’è niente che mi abbia sorpreso al punto da sobbalzare sulla sedia..."). Thomas Andonie – noch unter dem Eindruck des gestrigen Tages, als er noch am Abend aus den Reihen der Auditor*innen auf sein „starkes Statement“ angesprochen wurde – berichtet mir gegenüber von einer ganz anderen, in ihm nachhallenden Geschichte, die ein asiatischer Bischof erzählte:

"Dieser Bischof habe einmal auf einer Jugendfreizeit T-Shirts signiert und nach einem Jahr erfahren, dass ein Junge das Shirt unter sein Kissen gelegt habe. Für ihn – sein Vater war über vier Jahre im Ausland – war es ein persönlich-inniges Symbol einer Familie anzugehören."
Eine weitere Geschichte, die unterstreicht, wie Kirche – diese Frage nach ‚der Kirche“ wurde heute Mittag auf der Pressekonferenz auch dem für die Organisation des Festes verantwortlichen Kardinal Card. Giuseppe Versaldi, Präfekt der Kongregation für das katholische Bildungswesen, gestellt –, wie 'Kirche' ein Ort der Liebe, der Hoffnung und der Zukunft ist und sein kann. Dazu passend berichtet Kardinal Dieudonné Nzapalainga, Erzbischof von Bangui (Republik Zentralafrika), wie die Kirche in Afrika ein Ort der Beheimatung sei, gerade für diejenigen, die entweder an Migration denken oder aber sich von einer von einer als Kolonialistisch wahrgenommenen westlichen Welt in ihrer Identität und ihren Werten angegriffen fühlen, wohingegen auf weltkirchlicher Ebene eine Diversität als Reichtum wahrgenommen könne. Vielleicht sind es diese Erfahrungen des „Miteinander Kirchesein“, des „Aufeinander Hörens“ und „Miteinander Sprechens“, die den weiteren synodalen Verlauf am meisten bestimmen werden.

Dass in der deutschen Sprachgruppe gleich von Anfang an auch Clemens Blattert (als Experte) und Thomas Andonie (als Auditor) Rederecht eingeräumt wurde, kann als weiteres gutes Zeichen gewertet werden, dass die vertrauliche und gute Atmosphäre auch in dieser intensivsten Arbeitsform des synodalen Prozesses besser nicht sein könnten – auch wenn ein Bild der deutschen Sprachgruppe auf den ersten Blick verrät, dass die fraulich-weibliche Perspektive hier nun wirklich gänzlich fehlt.
Feststellen kann ich – wenn mich meine heute gesammelten Eindrücke nicht täuschen – und der italienische Originaltitel des Festes „Noi per. Unici, solidali, creativi“ mit dem „Wir“ am Anfang, dass die oft ins Wort gebrachte Zusage der Synodendokumente „Die Jugend ist die Zukunft der Kirche“ usw. in den Statements der jungen Erwachsenen kraftvoll in der 1. Person Plural ausgedrückt werden.

Mariano Germán García, der als Verantwortlicher in der Jugendpastoral Auditor von Seiten der Argentinischen Bischofskonferenz ist, betont in der Pressekonferenz heute, dass es diese Synode, dass jetzt eine besondere Zeit sei. Und dann sagt er, was ab heute ggf. auch häufiger zu hören sein wird:
 "Wir sind der Frühling der Kirche. Eine bessere Zukunft ist möglich."
„Der Papst traue den Träumen der Jugend“, das wird für Mariano Germán García spürbar und teilt auch Thomas Andonie, der mir – wenn nicht der Schweigepflicht der synodalen Beratung unterworfen – am liebsten von einem weiteren bewegenden und frei vorgetragenen Beitrag des Papstes am Donnerstagvormittag berichtet hätte. Dieses Vertrauen auf die Jugend wird auch in der kurzen Ansprache von Papst Franziskus beim abendlichen Fest nach der Übergabe der Fragen der Jugendlichen noch einmal in dichter Weise erfahrbar. Wer die Antworten auf die Fragen geben wird, verrät Papst Franziskus gleich zu Beginn:-)

Freitag, 5. Oktober 2018



Zuhören, Empathie und ausrangierte Steine - oder: Die ersten Statements deutscher Synodenteilnehmer in der Synodenaula


"Zuhören, Empathie und ausrangierte Steine": Das waren die am meisten ausgesprochenen Worte, mit denen Paolo Ruffini, Präfekt des Dikasteriums für Kommunikation und Präsident der Synodalen Kommission für Information die Beiträge der heutigen Gäste der Pressekonferenz einleitete, aber auch die gestern und heute eingebrachten Statements in der Synodenaula aus der deutschen Sprachgruppe gemeint haben könnte.
Die deutschen Synodenteilnehmer: Weihbischof Johannes Wübbe, Thomas Andonie, Kardinal
Reinhard Marx, Bischof Stephan Oster und Bischof Felix Genn (© Mazur/catholicnews.org.uk) 
Der Osnabrücker Weihbischof Johannes Wübbe sprach bereits gestern Nachmittag vor dem Synodenplenum und bezog sich in seinem Beitrag besonders auf den ersten Teil des Synodenpapieres und die benachteiligten Jugendlichen in der Welt:
„Benachteiligte Jugendliche gibt es momentan sowohl in Deutschland, als auch weltweit. Es ist das Anliegen des Heilligen Vaters, dass gerade auch diese Jugendlichen zu Protagonisten einer neuen Zukunft in Kirche werden. Das bedeutet, dass wir von ihnen lernen, mit ihnen reden und uns von ihnen sagen lassen, wie eine Kirche der Zukunft zu sein hat.“

Dies beziehe sich sowohl auf die Sprache als auch auf die Struktur, erklärte Weihbischof Wübbe weiter. Die Kirche müsse die Sprache der Jugend sprechen, heißt es heute auch in dem zusammenfassenden Bericht der Pressekonferenz. Die Kirche müsse die „digitale Sprache“ der „digital Natives“, aber auch die Sprache des Sports und der Musik verstehen und sprechen lernen.

Insgesamt 20 Synodale waren es, die am heutigen Vormittag zum ersten Teil des grundlegenden Arbeitspapiers ebenso wie acht Hörer*innen sowie als Sondergast Br. Alois Löser zu sprechen kamen. Der aus Deutschland stammende Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé bringt den „Dienst des Zuhörens“ ins Wort, indem er den Gründer der Gemeinschaft, Frère Roger, zitiert: „Wenn die Kirche zuhört, wird sie zu dem, was sie ist: eine Gemeinschaft der Liebe".


Unter den acht Auditoren kommt auch die Stimme des 660.000 Jugendliche in Deutschland vertretenden Vorsitzenden des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) zu Wort. Wie auf der Pressekonferenz – durch den von der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in Australien berichtenden Erzbischof von Sydney, Anthony Colin Fisher OP – stellt auch Thomas Andonie die Forderung nach Konsequenzen aus dem weltweiten Missbrauchsskandal an den Anfang seines Statements, von denen auch Kardinal Marx heute anlässlich einer Inauguration eines neuen Präventions-Studiengangs an der Päpstlichen Gregoriana-Universität überzeugt ist, dass sie mit einem „fundamentalen, systematischen Wandel“ verbunden sein müssen.

„Es braucht jetzt ein Hören auf und die Sorge um die Betroffenen, angemessene Entschädigungszahlungen, unabhängige Untersuchungen der Vertuschung, Übernahme der Verantwortung, Entfernung der Täter aus dem kirchlichen Dienst und standardisierte und strukturell abgesicherte Präventionsmaßnahmen. Aber: Das reicht nicht! Wir müssen klerikalistische Strukturen aufdecken. Es geht nicht um Einzelfälle, das Problem liegt im System! Keine Begründung für kirchenrechtliche Regelungen kann sich halten, wenn klar wird, dass durch sie sexualisierte Gewalt begünstigt wurde. Es gibt keinen Paragraphen im Kirchenrecht, der heiliger ist als die Würde eines Menschen! Jetzt zählen keine Worte mehr, es zählen nur noch Taten. Wenn die Kirche dieses Unrecht nicht entschlossen bekämpft und beendet, wird sie ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen – besonders der jungen Menschen – nicht wiedererlangen. Dann ist alles umsonst, was wir hier besprechen."

Mit zwei weiteren Themen bringt Thomas Andonie ebenfalls die Themen der Synodenaula ein, die auch in der Pressekonferenz eine zentrale Rolle spielen. Zunächst zur Rolle der Frau, deren neue veränderte Bedeutung für Bischof Manuel Ochogavía Barahona, Bischof von Colón-Kuna Yala (Panama) auch im Instrumentum laboris in neuer Weise anklingt:

"Wir können nicht weiterhin fünfzig Prozent der Bevölkerung von der Leitung der Kirche ausschließen. Viele junge Frauen finden aufgrund dieser Ungerechtigkeit in der Kirche keine Heimat mehr. Und mit der Frage der Leitung hängt auch die Frage der Weihe zusammen. In den Jugendverbänden arbeiten Frauen und Männer, Laien und Priester bereits gleichberechtigt und geschlechterparitätisch zusammen und zeigen, wie bereichernd es ist, so vielfältig Kirche zu sein."
Und ein weiteres heißes Eisen, das nach den Umfragen – etwa auch demjenigen Ergebnisbericht der Umfrage aus dem Erzbistum Köln, in dem die Themengebiete der Sexualität wie der Homosexualität am dringlichsten für wichtig für den innerkirchlichen Dialog gehalten wurden – bringt Andonie in folgendem Statement auf den Punkt:

"Ein Großteil der jungen Menschen lehnt die Sexualmoral der Kirche, vor allem ihre Haltung zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und zu vorehelichem Geschlechtsverkehr, ab. Sie verstehen sehr gut, was die Kirche von ihnen fordert, vertreten aber– als getaufte und gefirmte Christinnen und Christen – schlichtweg eine andere Auffassung. Dabei sind ihnen Werte wie Treue und Verantwortung füreinander übrigens besonders wichtig. Nur wenn die Kirche bereit ist, diese Lebenswirklichkeiten anzuerkennen, wird sie in diesen wichtigen Fragen mit jungen Menschen neu ins Gespräch kommen können."
Auch auf diese Positionsbestimmung gab es im Pressesaal eine Resonanz: einmal im Bericht von Paolo Ruffini, der die gegensätzlichen Positionen des entschiedenen Plädoyers für die Vermittlung der überkommenen kirchlichen Lehre – bis hin zur Vermeidung der Begriffe LGBT, wie sie ja tatsächlich im Instrumentum laboris (nr. 197) aufgenommen ist – und die Positionen, die die Realität ins Wort brachten, dass heute viele Paare eine Beziehung ohne Sex nicht leben könnten und wollten, vortrug. Die ebenso ironisierende wie polemische Nachfrage desjenigen Vatikanisten, der schon eine gefakte Version der Enzyklika ‚Laudato Si‘‘ im Jahr 2015 vorab leakte und dem auch während der Familiensynode des Jahres 2015 die unrühmliche Rolle zukam, einen ‚privaten Brief‘ von Synodenvätern an Papst Franziskus an die Öffentlichkeit durchzustechen, ob der Prozess der Unterscheidungsfindung am Ende der drei Synodenwochen eine Veränderung der Lehre der Kirche erwarten lasse, lässt ahnen, dass gerade dasjenige Thema, das bereits gestern als "zentral" apostrophiert wurde, nicht nur im Hintergrund schwelt…. aber nicht zuletzt angesichts der Missbrauchsskandals ohne Angst und mit Freimut angepackt werden muss.

Kardinal Marx teilte heute auf der erwähnten Veranstaltung in der Gregoriana diesbezüglich eine Erinnerung an die Diskussionen unter den Kardinälen, die vor dem Konklave 2013 in Rom abgehalten wurden, das Franziskus wählte, und sagte, dass ein Gefühl, das damals geteilt wurde, die Notwendigkeit einer "offenen Diskussion" in der Kirche sei, ohne Angst vor dem zu haben, was der Obere von jemandem erwartet oder hören wollen.



„Es ist eine ernste und herausfordernde Stunde für die Kirche. Bitte, habt keine Angst.“ (Vatican Insider vom 5.10.18; eigene Übersetzung)







Donnerstag, 4. Oktober 2018


Nel discernimento si deve parlare liberamente – oder: Der Beginn der Unterscheidungsfindung im Synodenplenum

Für die erste Pressekonferenz am Mittag des ersten Beratungstages haben der Pressesprecher Greg Burke und der Präfekt des Dikasteriums für Kommunikation und Präsident der Synodenkommission für Information Dr. Paolo Ruffini die Soziologie-Professorin Chiara Giaccardi aus Mailand, Carlos José Tissera, Bischof von Quilmes (Argentinien) und aus der Reihe der Jungen Erwachsenen Joseph Cao Huu Minh Tri aus Vietnam geladen. Sie berichten mit dem Hinweis auf den Festtag des Hl. Franziskus am heutigen 4.10. und von den Glückwünschen an Papst Franziskus, die heute am Anfang der synodalen Beratung standen. Papst Franziskus – berichtet Chiara Giaccardi – habe seinerseits die Versammlung gebeten, mit Freimut (Parrhesia) und Offenheit sich auf den mit dem heutigen Tag beginnenden synodalen Weg der Unterscheidungsfindung einzulassen.

Teilnehmende der Pressekonferenz vom 4.10.2018 (Bild: @vaticannews)
Ich erinnere, wie in etwa dieselben Worte auch bereits jeweils zu Beginn der beiden vorausgegangenen Familiensynoden am 6.10.2014 und am 5.10.2015 mit größter Eindringlichkeit vorgetragen und mit höchster Aufmerksamkeit aufgenommen wurden – damals für die Synodalen, von den früheren Synoden gewohnt, schriftliche Eingaben vorab einzureichen und vorzutragen, ein gänzlich neues Verfahren. Aber genau dieses Procedere der vorgefertigten Statements, die es zuletzt auf der XIII. Ordentlichen Bischofssynode im Jahr 2012 gegeben hat, wird heute in der Pressekonferenz von Seiten interessierter Journalisten gleich zweimal angefragt, mit der Bitte die Inhalte der Statements wie die mit ihnen verbundene Rednerliste für die journalistische Arbeit ausgehändigt zu bekommen. Es ist die Gelegenheit für P. Antonio Spadaro SJ, Sekretär der Kommission für Information, die Methode der Unterscheidungsfindung, die gestern bereits weite Teile der im gestrigen Blogbeitrag zitierten Redebeiträge in der Synodenaula ausmachten, gegenüber den Journalisten zu erläutern. Auf die Frage, warum die Statements der Synodalen nicht offengelegt werden, antwortet er, dass man im Zuge der Unterscheidungsfindung frei in der Versammlung sprechen müsse, ohne sich von der Tatsache konditioniert zu fühlen, dass die Worte preisgegeben werden. Umgekehrt stünde es jedem und jeder frei, über Interviews in eigener Verantwortung mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.


https://twitter.com/antoniospadaro/status/1047901842619940864
Ebenso wie die Thematisierung des prozeduralen Voranschreitens der Synode werden auch die bis zum Mittag vorgetragenen Inhalte von 25 Redebeiträgen zum ersten Teil des Instrumentum laboris sicher noch öfter wiederaufgenommen werden. Es waren darunter „5 bis 6“ Beiträge, die auf das Versagen der Kirche im Missbrauchsskandal, aber darüber hinaus auch das Fehlen hinsichtlich der pastoralen Begleitung junger Erwachsener ansprachen.  
„Es wurde von der Notwendigkeit gesprochen, den jungen Menschen in den konkreten Situationen zuzuhören, in denen Sie sich befinden, von den vielen jungen Menschen, die von der gegenwärtigen Gesellschaft "verworfen" werden, von der Fähigkeit der "Prophetie" junger Menschen, von der Schwierigkeit, die die Kirche registriert hat, den Glauben an die neue Generation weiterzugeben und einer Jugendpastoral, die die Kinder, Jugendlichen nicht einfach ‚domestizieren‘ darf.“ (Vatican Insider vom 4.10.2018; eigene Übersetzung)


Es ist der einzigen Frau auf dem Podium der Pressekonferenz, Prof. Chiara Giaccardi, vorbehalten, gleich zu Beginn als erste Berichterstatterin das "Thema Sexualität und Körperlichkeit" anzusprechen, dass auch "von vielen der Synodenväter in einer sehr offenen Weise“ ins Wort gebracht wurde. Einige Interventionen haben die "mangelnde Begleitung dieser Dimension" und die Notwendigkeit gesehen, "sie ganzheitlich zu überdenken, sie nicht nur einzudämmen, sondern ihr zu helfen, sich auf eine Art und Weise auszudrücken, die schön ist und Persönlichkeit entwickelt".
Auch und gerade dieses Thema ‚Sexualität‘ wird sicher von Tag zu Tag neu ins Gespräch der Synodenaula rücken. Es gehörte bereits während der Familiensynoden (vgl. den Blog-Beitrag vom 16.10.2015) zu den Top 5 – und es steht bei den jungen Erwachsenen sicher nicht minder oben an.

Bei vielen der genannten Themen geht es auch um Fragen des Glaubens und der Lehre, die immer wieder neu und generationsübergreifend ins Gespräch gebracht werden müssen. Mit dem deutschem Delegierten Clemens Blattert SJ (Leiter der Zukunftswerkstatt SJ in Frankfurt, der als Experte an der Synode teilnimmt und einen weiteren sehr persönlichen Synodenbericht aus erster Hand beisteuert) teile ich das Aufhorchen anlässlich eines gestern vom Generalrelator  Kardinal Sérgio da Rocha zitierten Wortes von Papst Franziskus, dass die Angewiesenheit eines lebendigen Glaubens auf die lebendige Auseinandersetzung in dichter Weise beschreibt und ebenfalls Teil des Arbeitsdokumentes der Synode geworden ist:
„Ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ist ein Glaube in der Krise; ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt, ist ein Glaube, der wachsen muss; ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen; ein Glaube, der uns nicht belebt, ist ein Glaube, der belebt werden muss; ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss.“ (Instrumentum Laboris 73, ein Zitat von Franziskus aus der Weihnachtsansprache vor der Kurie 2017)

Spätestens in der dritten Synodenwoche - das Zitat steht im dritten Teil des synodalen Arbeitspapiers  - werden wir dem Zitat erneut begegnen.


Mittwoch, 3. Oktober 2018


Horizonte erweitern, das Herz öffnen, Strukturen verändern – oder: wie die Jugendsynode begann



Auditor*innen und Synodale. Mitte rechts bzw. unten links die dt. Delegierten
Thomas Andonie, Vorsitzender des BDKJ, und Jugendbischof Stefan Oster
Mit einem Gottesdienst auf dem Petersplatz begannen am Vormittag die 267 Synodenväter und 49 Auditor*innen in der Gemeinschaft von mehreren Tausend Gläubigen die XV. Generalversammlung der Bischofssynode zur Thematik „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“. Papst Franziskus erinnert bereits in seiner Predigt[d]ie Gabe des aufrichtigen, betenden und von Vorurteilen und Vorbedingungen möglichst freien Zuhörens“ und knüpft zugleich an seine Rede während der Gebetswache zur Vorbereitung der Familiensynode, 4. Oktober 2014 an:


„Auf Gott hören, um mit ihm auf den Schrei des Volkes zu hören; auf das Volk hören, um mit ihm den Willen wahrzunehmen, zu dem Gott uns ruft.“
Papst Franziskus unterstreicht diese Bedingungen des gegenseitigen Zuhörens noch einmal bei seiner Ansprache in der Synodenaula, in dem er auf die Bedingungen des Dialogs der Generationen zu sprechen kommt und nicht ohne Augenzwinkern und Heiterkeit im Synodenplenum bemerkt, dass der größte Teil der Anwesenden eher nicht mehr der Generation der Jugendlichen zuzurechnen sei.





„Die Beziehungen zwischen den Generationen sind ein Gebiet, in dem Vorurteile und Stereotype mit einer sprichwörtlichen Leichtigkeit Wurzeln schlagen, so dass wir es oft nicht einmal bemerken. Junge Menschen sind versucht, Erwachsene als überholt zu betrachten; Erwachsene hingegen sind versucht, junge Menschen als unerfahren zu betrachten, meinen zu wissen, wie Sie sind und vor allem, wie Sie zu sein und sich zu verhalten haben. All das kann ein großes Hindernis für den Dialog und die Begegnung zwischen den Generationen sein.“ (eigene Übersetzung)
Umgekehrt könne „[d]­­­­­­­ie Begegnung der Generationen [] äußerst fruchtbar sein, um Hoffnung zu erzeugen.“  Der Prophet Joel lehrt uns in dem, was [] eine Prophezeiung für unsere Zeit sein könnte: "eure Ältesten werden Träume, eure jungen Leute werden Visionen haben" (3,1) und Sie werden prophezeien.“


Um dies im Miteinander von Synodenvätern, Expert*innen, Delegierten und den insgesamt 34 jungen Erwachsenen aus den verschiedensten Teilen und Ortskirchen der Welt zu ermöglichen – so erläutert im Anschluss der Generalsekretär der Bischofssynode, Kardinal Lorenzo Baldisseri – , werden alle Synodenteilnehmer eine auf 4 Minuten bemessene (und damit um eine Minute gegenüber den vorausgegangenen Synoden verlängerte) Redezeit im Synodenplenum haben – gefolgt von entsprechend mehr Zeit und ausführlicherem Austausch in den Sprach- und Kleingruppen, den sogenannten 'Circoli minori‘, die insgesamt 12 mal zusammenkommen und beraten werden.


Mit diesen Hinweisen zur Arbeit der Bischofssynode rekapituliert Kardinal Baldisseri die nun bald zweijährige Vorbereitungszeit, der am 6. November 2016 von Papst Franziskus ausgerufenen Generalversammlung der Bischofssynode. Stationen waren das erste Vorbereitungsdokument der Bischofssynode vom 13. Januar 2017 samt einem Brief von Papst Franziskus an die Jugendlichen, die Freischaltung einer allen Jugendlichen der Welt offenstehende Online-Umfrage (die 110.000 Jugendliche vollständig ausfüllten), ein Expertenseminar im September 2017 und schließlich die Vorsynode mit über 300 Jugendlichen vom 19. – 24. März 2018, deren Ergebnisdokument in das nun vorliegende Arbeitspapier der Bischofssynode, dem Instrumentum laboris geflossen ist.


Entsprechend seinen drei Teilen wird der Fortgang der Synode – in etwa im Wochenrhythmus der auf dreieinhalb Wochen angelegten Synode – den Schritten von „Erkennen – Interpretieren – Wählen“ folgen, wobei darauf zu achten sein wird, die jeweiligen Phasen inhaltlich wie methodisch auseinanderzuhalten. Dies unterstreicht der Generalrelator Kardinal Sérgio da Rocha, der zugleich betont, dass das einer Unterscheidungsfindung dienende Verfahren mehr sei als eine Methode, sondern ein neuer ‚ekklesialer Stil‘, der eng mit dem Pontifikat von Papst Franziskus verbunden sei.


„Dabei wird es von Anfang an wichtig sein, die Methode mit Disziplin zu respektieren, ohne ihre verschiedenen Momente vorwegzunehmen oder zu verwechseln: Es wäre falsch, sich zu entscheiden, ohne vorher zu erkannt und interpretiert zu haben; es wäre ungerecht, unabhängig von dem, was man erkannt hat, zu interpretieren; und es wäre letztlich vergeblich, zu erkennen und zu interpretieren, ohne dann zu entscheiden, in welche Richtung der nächste Schritt gehen soll.“ (eigene Übersetzung)


Papst Franziskus will eine "Kirche im Hören und im Aufbruch“, die „im Status einer permanenten Mission“ begriffen ist und synodal voranschreitet – wie bereits durch die Aufnahme von 84 bzw. 136 direkten Zitaten der Synodenabschlusstexte aus den Jahren 2014 und 2015 im nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia unter Beweis gestellt wurde. Nach der neuen, am 15. September 2018 veröffentlichten Apostolischen Konstitution „Episcopalis communio“ radikalisiert sich der synodale Prozess nun durch eine neue Geschäftsordnung noch weiter, indem das Abschlussdokument als solches bereits nach der Zustimmung der Synode und der Annahme durch Papst Franziskus am Synodenabschlusstag, den 27. Oktober 2018, Teil des ordentlichen Lehramtes werden wird.  

Es bleiben 25 Tage synodaler Prozess, bei dem es darauf ankommen wird, die großen Themen dieser Synode: die Jugend in ihrer Lebenswirklichkeit und mit ihren spezifischen Herausforderungen, den Glauben sowie die unterschiedlichen Weisen ihrer Berufung tiefer zu ergründen, die Zukunft der Kirche zu gestalten. 
 

Papst Franziskus ruft zum Abschluss seiner Predigt im Synodeneröffnungsgottesdienst die letzten Worte des II. Vatikanischen Konzils den Synodalen in Erinnerung, die nicht von ungefähr ebenfalls der und an die Jugend gewidmet waren:

"Vier Jahre arbeitete die Kirche daran, ihr Antlitz zu verjüngen, um dem Entwurf ihres Gründers, des Lebendigen schlechthin, des ewig jungen Christus, besser zu entsprechen. Und am Ende dieser beeindruckenden 'révision de vie' wendet sie sich an euch: Für euch junge Menschen, für euch vor allem, hat sie mit ihrem Konzil ein Licht entzündet, das die Zukunft, eure Zukunft erhellt. Die Kirche begehrt, dass die Gesellschaft, die ihr aufbauen werdet, die Würde, die Freiheit und das Recht der Menschen respektiert: und diese Menschen seid ihr. […] Sie vertraut darauf, dass ihr verstehen werdet, euren Glauben im Leben zu bezeugen, den Glauben an das, was dem Leben Sinn verleiht: die Gewissheit der Existenz eines gerechten und guten Gottes.

Im Namen dieses Gottes und seines Sohnes Jesus ermahnen wir euch, eure Herzen auf die Vielgestaltigkeit der Welt hin zu weiten, den Ruf eurer Brüder und Schwestern zu verstehen und eure jugendlichen Energien mutig in ihren Dienst zu stellen. Kämpft gegen jeden Egoismus. Weigert euch, den Instinkten von Gewalt und Hass, die Kriege und ihre traurigen Begleiterscheinungen des Elends hervorrufen, freien Lauf zu lassen. Seid großzügig, rein, respektvoll, aufrichtig. Und errichtet mit eurer Begeisterung eine bessere Welt als die heutige!" (Paul VI, Botschaft an die Jugendlichen am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, 8. Dezember 1965). 

Und zu den Synodalen gewandt, die zur Zeit des Konzils noch mehrheitlich der jungen Generation zugehörten, erinnert Papst Franziskus ein Zitat Friedrich Hölderlins:



"Dass dir halte der Mann, was er als Knabe gelobt."






 

Dienstag, 2. Oktober 2018

Vor Beginn der Jugendsynode 2018

Auf den Tag genau vor vier Jahren, am 2.10.2014, veröffentlichte ich meinen ersten Beitrag im Rahmen der Blog-Berichterstattung zur Familiensynode 2014, von der zuvor niemand genau sagen oder ahnen konnte, wie transparent die Möglichkeit der Mitverfolgung im Zuge des Synodenverlaufes und weiteren synodalen Prozesses bis zur Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia sein würde. Und wusste ich so zu Beginn selbst nicht, was ich genau erleben würde, und ob die Tag für Tag neu und aktuell zu erstellenden Tagesberichte während der Synoden der Jahre 2014 und 2015 und die dazwischen und danach monatliche Blog-Berichterstattung die Mühe lohnen würden, sind es die nunmehr über 46.000 Seitenaufrufe beinahe „aus aller Welt“ (die Online-Übersetzungsfunktion machte auch das möglich), die allen Aufwand rückblickend mehr als aufgewogen haben.

Morgen Vormittag beginnt die Jugendsynode, die ich aus der mir eigenen „familienpastoralen Brille“ wahrnehmen werde, mit einer mit Papst Franziskus als Hauptzelebranten gefeierten Messe. Die XV. ordentliche Bischofssynode steht dabei im Kontext von viele Teile der Katholischen Kirche in der Welt beschämenden Missbrauchsskandalen durch katholische Geistliche und eine über Jahr-zehnte hinweg vornehmlich die Täter stützende und schützende kirchliche Institution. Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist als solche angefragt, wenn nicht erschüttert. Und so werden die Ergebnisse von Studien und Untersuchungen, die etwa der deutschen Kirche ein vernichtendes Zeugnis zum Umgang mit Missbrauch ausgestellt haben, mit ihren Hinweisen auf Strukturen, die den Missbrauch begünstigen, ebenso mit in die Jugendsynode hineinspielen, wie Anstöße, wie die heutige Sexualpädagogik ggf. Wege weisen kann, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und aus einem genuin christlichen Verständnis in neuer Weise zu orientieren.
Es steht viel auf dem Spiel, mit der Thematik der Synode „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ gar die entscheidenden Fragen der Zukunft der Kirche…, welche die Jugend ist!
Wie wichtig eine um theologische Genauigkeit, Sachlichkeit bemühte Perspektive, die in einem Arbeitsbereich einer deutschen Diözese Verantwortung trägt, wurde mir im Rahmen der zurückliegenden Zeit oft zurückgemeldet und ist in Zeiten tendenziöser, unvollständiger oder unsachgemäßer Presseberichterstattungen (man verfolge nur parallel die Nachrichten, Kommentare und Foren einiger sogenannt 'unabhängiger katholischer Nachrichtenmagazine') wahrscheinlich noch wichtiger als je zuvor. Beschreiben, festhalten, was sich ereignet, in Beziehung setzen zu den vorbereitenden Dokumenten der Jugendsynode, unter Einbeziehung der Umfrageergebnisse und der Vorsynode mit über 300 Jugendlichen… das möchte ich auch in diesem Oktober 2018 erneut versuchen. Gestärkt fühle ich mich durch ein vorbereitendes Hauptseminar und die Mitarbeit der Studierenden im SoSe 2018 an der LMU in München, deren Studienergebnisse – etwa über ein Interview mit dem Vorsitzenden des BDKJ Thomas Andonie, der nun sogar als Auditor an der Synode in Rom selbst teilnehmen wird – ebenso einfließen werden, wie die Veröffentlichungen von Umfrageergebnissen zur Vorbereitung der Synode von über 7.000 Jugendlichen im Erzbistum Köln.
Ich freue mich auf die kommenden Tage der Jugendsynode 2018, die wieder einen spannenden Verlauf erwarten lassen. „Theologie in Echtzeit“, wie ich die zurückliegenden fünf Jahre einmal in einem Bericht für die Kölner Kirchenzeitung (KiZ 16/2017, S. 17) genannt habe.


Wie wichtig in meiner Arbeit eine um theologische Genauigkeit, Sachlichkeit aber auch Beheimatung in einem Arbeitsbereich einer deutschen Diözese Verantwortung tragenden und beheimateten Person gewesen ist, wurde mir selber oft zurückgemeldet und ist in Zeiten tendenziöser, unvollständiger oder unsachgemäßer Presseberichterstattungen (man verfolge nur parallel die Nachrichten, Kommentare und Foren einiger sogenannt 'unabhängiger katholischer Nachrichtenmagazine') wahrscheinlich noch wichtiger als je zuvor. Beschreiben, festhalten, was sich ereignet, in Beziehung setzen zu den vorbereitenden Dokumenten der Jugendsynode, unter Einbeziehung der Umfrageergebnisse und der Vorsynode mit über 300 Jugendlichen… das möchte ich auch in diesem Oktober 2018 erneut versuchen. Gestärkt fühle ich mich durch ein vorbereitendes Hauptseminar und die Mitarbeit der Studierenden im SoSe 2018 an der LMU in München, deren Studienergebnisse – etwa über ein Interview mit dem Vorsitzenden des BDKJ Thomas Andonie, der nun sogar als Auditor an der Synode in Rom selbst teilnehmen wird – ebenso einfließen werden, wie die Veröffentlichungen von Umfrageergebnissen zur Vorbereitung der Synode von über 7.000 Jugendlichen im Erzbistum Köln.


Ich freue mich auf die kommenden Tage der Jugendsynode 2018, die wieder einen spannenden Verlauf erwarten lassen. „Theologie in Echtzeit“, wie ich die zurückliegenden fünf Jahre einmal in einem Bericht für die Kölner Kirchenzeitung (KIZ 16/2017, S. 17) genannt habe. Ich freue mich auf die kommenden Tage der Ju-gendsynode 2018, die wieder einen spannenden Verlauf erwarten lassen. „Theologie in Echtzeit, wie ich die zurückliegenden fünf Jahre einmal in einem Bericht für die Kölner Kirchenzeitung (KIZ 16/2017, S. 17) genannt habe.

Ihr Holger Dörnemann


Samstag, 8. April 2017

Ein Jahr Amoris laetitia! - Was bleibt, was noch kommt und wie Amoris laetitia die Kirche bereits jetzt verändert hat!

(Bild: © Mazur/catholicnews.org.uk)
„Man wird ‚Amoris laetitia‘ nur verstehen, wenn man den Paradigmenwechsel nachvollzieht, den dieses Schreiben unternimmt“, schreibt Kardinal Walter Kasper über das auch ein Jahr nach seiner Veröffentlichung am 8.4.2016 immer noch heftig diskutierte Lehrschreiben von Papst Franziskus. Auf den Tag genau ein Jahr danach ist das Dokument immer noch ganz obenauf in  der Agenda der Kirche – leider allerdings mit einer medialen Schieflage entweder in Hinblick auf die Diskussion um den Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen, im Spontanreflex der Intensivierung der Ehepastoral – so wichtig diese Themen für sich genommen auch sind – oder hinsichtlich der Bedeutung des naturrechtlichen Typus ethischer Urteilsbildung (wie sie von vier Kardinälen in sogenannten ‚Dubia‘ reklamiert wird).
Bei der Aktualisierung des Themenregisters der Printversion des Synodentagebuches (das in der Spalte rechts zum Download hinterlegt ist und auch für die Internetrecherche in diesem Blog helfen kann) sprangen mir die roten Linien der theologischen Entwicklungen und über die hinzugekommen Stichwörter und deren Verweisstellen der vergangenen drei Jahre noch einmal deutlicher in die Augen. Im Blick auf diese nunmehr mehrfach überarbeitete Konkordanz der zentralen Themen möchte ich die Fragen „Was bleibt von Amoris laetitia, was kommt noch und wie Amoris laetitia die Kirche bereits verändert hat?‘ in sechs Schritten auf den Punkt zu bringen versuchen:


'Wahrnehmen' - oder die 'Symphonie der Verschiedenheit'
(Stichwörter aus dem Themenregister/ der Konkordanz)
Wörter, die das ‚Wahrnehmen von Lebenswirklichkeit‘ in den verschiedensten Bedeutungen zum Ausdruck bringen, gehörten zum Ausgangpunkt des synodalen Weges der vergangenen drei Jahre. Zwei weltweite Befragungen vor den Familiensynoden der Jahre 2014 und 2015 richteten den Blick auf die Lebenswelt der Menschen „in der modernen Welt“ im Kontext von Ehe und Familie. Mithilfe eines realistischen Frageansatzes sollte vermieden werden, dass die Antworten nur von der kirchlichen Lehre und deren Schlussfolgerungen ausgehen (s. Beitrag vom 19.12.2015). Zu Tage gefördert haben sie eine kulturelle Vielfalt, eine ‚Symphonie der Verschiedenheit‘, die am Ende der Familiensynode des Jahres 2015 zur Beschreibung der Katholischen Kirche als „Diversität und Einheit in der Synodalität“ führte. Schon früh zeichnete sich in der Wertschätzung der Verschiedenheit der Kulturen für den weiteren Verlauf der synodalen Beratungen ab: „der Weg [der Einbezug der verschiedenen Kulturen] ist das Ziel; das Problem die Lösung“ (s. etwa die Beiträge vom 19. Mai 2015 und 8.2.2016).

'Stufenweises Wachstum' - oder das 'Prinzip der Gradualität'
(Stichwörter aus dem Themenregister/ der Konkordanz)
Früh war ebenfalls bereits in der ersten Beratungswoche der Familiensynode 2014 der Begriff der 'Gradualität' bedeutsam geworden, in der der Mensch in einem „dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe“ (vgl. AL 122, 295) sein Leben entfalten kann – bis hin zu der „besonderen“ (AL 125; 207) oder sogar „größten Freundschaft“ (AL 123) der Ehe. Ohne das Ideal von Ehe und Familie zu relativieren oder tiefer zu hängen, prägt das Plädoyer für die Durchlässigkeit menschlichen Lebens auf allen seinen Entfaltungs- und Vervollkommnungsstufen für die göttliche Liebe die revolutionäre, alle blickverengende Erstarrung aufbrechende Perspektive des nachsynodalen Schreibens „Amoris laetitia“. Sie führt dazu, dass jüngst etwa der Passauer Bischof Stefan Oster die Segnung von nicht verheirateten Paaren vorschlug – ein Gedanke der vormals – befangen in einem naturrechtlichen Denkhorizont – undenkbar bzw. unsagbar gewesen wäre.

Der 'liebevolle Blick' - oder der ' Strom der Barmherzigkeit'
(Stichwörter aus dem Themenregister/ der Konkordanz)
Mit der Ausrufung des Jubiläumsjahres der Barmherzigkeit (vgl. Beitrag vom 19.5.2015) hob Papst Franziskus in neuer Weise das christliche Grundmotiv der barmherzigen Liebe hervor, das auch der leitende Grundgedanke zum Verständnis des gesamten synodalen Weges sowie des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia ist. Die Barmherzigkeit – allen Menschen gegenüber bis zu den „existenziellen Peripherien“  (AL 312) – meint für Papst Franziskus aber nicht ein moralisches Sollen, sondern führt in eine positive Beschämung hinein, selbst zärtlich geliebt zu sein und darin auch selbst mitgerissen zu werden in einem wahren ‚Fluss der Barmherzigkeit‘ (Instrumentum laboris 106, MV 25). Die persönliche Widerfahrnis der Liebe ermöglicht auf neue Weise den ‚liebevollen Blick‘ auf Welt und Schöpfung ebenso wie für die liebevolle Zuwendung und Wertschätzung zu jedem einzelnen Menschen, für die Liebe, die niemanden und nichts ausschließt. „Wie sehr braucht doch die Welt von heute Zärtlichkeit!“ (Vgl. Beitrag vom 1.9.2015)

'Begleiten – Unterscheiden – Einbeziehen' - oder die 'Kunst der Begleitung'
(Stichwörter aus dem Themenregister/ der Konkordanz)
Die ‚Kunst der Begleitung‘ (EG 169) ist seit dem Lehrschreiben Evangelii gaudium ein zentrales Thema des Pontifikates von Papst Franziskus. Im Rahmen des synodalen Prozesses wurde diese Kunst, die Sandalen von den Füßen zu streifen vor dem Heiligen Boden des Nächsten (vgl. Ebd.) und der liebevollen Begleitung in verschiedenen didaktischen Dreischritten kurzgefasst: „Hören – Maß nehmen – Deuten/ Unterscheiden“ oder etwa „Annahme – Begleitung – Unterscheidung – Einbeziehung“. Es ist dies die von Franziskus als ‚Pädagogik der Gnade‘ (AL 279), als ‚Pädagogik der Liebe‘ (AL 211) oder als ‚Göttliche Pädagogik‘ (AL 78) bezeichnete Weise einer barmherzigen Liebe, in der niemand für immer verloren oder ausgeschlossen ist (MV 12; AL 308). Bezogen darauf wird die – bislang in der Logik naturrechtlichen Denkens undenkbare – sakramentale Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen in konkreten Einzelfällen möglich, wie es am 1.2.2017 von den deutschen Bischöfen rezipiert (und mittlerweile auch Äußerung des 'Authentischen Lehramtes' von Papst Franziskus bestätigt*) wurde. Zugleich wird im ethischen Diskurs der Paradigmenwechsel von einem vornehmlich naturgesetzlich ansetzenden Denken hin zu einer Öffnung für weitere Begründungsansätze ethischen Handelns – wie etwa der Tugend-, Beziehungs- oder Verantwortungsethik – und die Wertschätzung der Bedeutung der je persönlichen praktischen Vernunft des einzelnen Menschen vollzogen.

Im ‚Zustand permanenter Mission‘ – oder ‚Kirche im Aufbruch‘
(Stichwörter aus dem Themenregister/ der Konkordanz)
Papst Franziskus ist – wie wir heute wissen – im Konklave am 13. März 2013 zum Papst gewählt worden, nachdem er zuvor die Kardinäle in einer aufrüttelnden Analyse dafür sensibilisierte, dass ihm scheine, dass Christus in dem von Skandalen wie von einem verrechtlichten Denken geprägten ‚Haus der Kirche‘ heute „von innen klopft, damit wir ihn herauskommen lassen“. Was den zu wählenden Papst angeht, plädierte der heutige Papst für eine Person, die „aus der Betrachtung Jesu Christi und aus der Anbetung Jesu Christi der Kirche hilft, an die existenziellen Enden der Erde zu gehen, der ihr hilft, die fruchtbare Mutter zu sein, die aus der ‚süßen und tröstenden Freude der Verkündigung‘ lebt.“ (Vgl. Beitrag vom 19.9.2015) Papst Franziskus führt neu zu einer ‚Kirche im Aufbruch‘ (EG 20), eines Volkes Gottes im ‚Zustand permanenter Mission‘ – mit einer Freude an der Verkündigung der frohen Botschaft der zärtlichen Liebe Gottes.

Der 'Weg der Synodalität' – oder die ' heilsame Dezentralisierung'
(Stichwörter aus dem Themenregister/ der Konkordanz)
‚Der Weg ist das Ziel‘, lautete auch während der entscheidenden Synode 2015 (vgl. den Beitrag vom 17.10.2015; vgl. auch den Beitrag vom 19.5.2015) ein vorgezogenes Resümee des vorangehenden synodalen Prozesses. Die synodalen Befragungen standen am Anfang; und paradoxerweise war gerade die Feststellung der Unterschiedlichkeit der Kulturen in der Abschlussansprache derselben Synode eines der wichtigsten Ergebnisse überhaupt (s. Ebd.). In AL 3 wiederholt Papst Franziskus, dass jedes allgemeine Prinzip inkulturiert werden und auf regionaler Ebene weitergedacht, dekliniert und rezipiert werden muss. In diesem Zusammenhang unterstreicht Papst Franziskus zum 50jährigen Synodenjubiläum eine Neuausrichtung des Papstamtes, das im Sinne einer heilsamen Dezentralisierung seine Aufgabe, „Prinzip und Fundament der Einheit der Vielfalt“ (LG 23) zu sein, auf neue Weise finden muss. In einem Zugleich mit einer neuen Weise der Primatsausübung muss den Orts- und Teilkirchen das damit verbundene Maß an Lehrautorität auch formell zugesprochen werden. Diese Neubestimmung der Kirchenverfassung steht freilich – wie zuletzt im Beitrag vom 19.3.2017 betont – noch bevor und ist der letzte, formale Schritt für eine synodale Kirche ‚im Aufbruch‘ (EG 20, 24, 46), für einen ‚Zustand permanenter Mission“ (EG 25). Mit einem Satz aus dem letzten Abschnitt von Amoris laetitia gesprochen:

"...bleiben wir unterwegs! Was uns verheißen ist, ist immer noch mehr." (AL 325)

* Aktualisisierung vom 8.12.2017