Donnerstag, 8. April 2021

5 Jahre Amoris laetitia – Erinnerung an meine AL-Lieblingsstelle

 

Meine Erinnerungen anlässlich „5 Jahre Amoris laetitia“ hatte ich bereits auf Fragen für ein Interview gegeben, das am 19.3.2021 – dem Jahrestag der Unterzeichnung durch Papst Franziskus - in diesem Blog und tags zuvor in der Bistumspresse.de veröffentlicht wurde. Dass ich noch gerne danach gefragt worden wäre, welche Ziffer des Schreibens für mich die wichtigste sei, dachte ich danach mehrfach. Dass gerade heute auf den Tag vor 5 Jahren das Schreiben veröffentlicht wurde – ich muss gestehen, dass ein Beitrag auf katholisch.de mir dies erst in den frühen Morgenstunden wieder ins Bewusstsein rief – lässt mich noch einmal die Gefühle erleben, die ich damals hatte…. und auch meine Ziffer zitieren.

Etwas früher als vor der Pressefreigabe um 12:00 Uhr las ich das Dokument bereits am Vormittag quer und begann damit, in der Suchfunktion das Wort „Freundschaft“ einzutragen. 19 Treffer werden angezeigt; aber entscheidend: Freundschaft in Bezug auf Ehe davon allein 14 Mal. Wahrscheinlich werde ich nach wie vor einer der wenigen Theolog*innen sein, der sich darüber freut – damals kamen mir Freudentränen , hatte ich selbst so viel rund um die Freundschaftskategorie selbst geschrieben – in diesem Blog etwa am 14.2.2015 (manchmal erschien es mir, ich schreibe ihn nur deshalb) – in den Synodensprachen übersetzt, via Twitter unter den Hashtags in die Welt gesendet... Und so war es natürlich auch „mein Thema“ im Blog-Eintrag vom 8.4.2016. In AL 123 – derselben Ziffer 123, in der auch in der Summa contra gentiles von Thomas von Aquin das auf Aristoteles zurückgehende Zitat steht – wird die Ehe als „größte Freundschaft“ bezeichnet und in der Folge als „besondere Freundschaft“ (AL 125) charakterisiert. 

"Nach der Liebe, die uns mit Gott vereint, ist die eheliche Liebe die » größte Freundschaft «. [Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles, III, 123; vgl. ARISTOTELES, Nikomachische Ethik, 8,12 (ed. Bywater, Oxford 1984, S. 174)] Es ist eine Vereinigung, die alle Merkmale einer guten Freundschaft hat: Streben nach dem Wohl des anderen, Gegenseitigkeit, Vertrautheit, Zärtlichkeit, Festigkeit und eine Ähnlichkeit zwischen den Freunden, die sich im Laufe des miteinander geteilten Lebens aufbaut. Doch die Ehe fügt alldem eine unauflösliche Ausschließlichkeit hinzu, die sich in der festen Absicht ausdrückt, das gesamte Leben miteinander zu teilen und aufzubauen.“ (AL 123)

 

Mit der Wertschätzung der Ehe als einer besonderen Form der Freundschaft (vgl. AL 120, 123, 125, 126, 127, 133, 142, 156, 267) „erfährt die Ehetheologie der katholischen Kirche eine Weiterentwicklung in mehrfacher Hinsicht. Auf diese Weise wird zugleich eine integrale Sicht auf unterschiedliche Formen verschiedener Partnerschaften in einer graduellen Perspektive möglich. Denn neben der besonderen Art Freundschaft ehelicher Liebe vermag es der Freundschaftsgedanke, auch einen wertschätzenden Blick auf weitere eheähnliche Partnerschafts- und neue Familienformen zu ermöglichen, die in der gewählten Perspektive der Analogie der Liebe nun auch wahrnehmbar werden. Mit dem Neuverständnis der Ehe als eine „besondere Form der Freundschaft“ (AL 207) wird die Ehepartnerschaft zugleich als spezifische Ausformung in einem Kontinuum von Freundschafts- und Partnerschaftsbeziehungen gesehen wie hervorgehoben.“ (Dörnemann 2017, 196)

 

Und dieser Blick ermöglicht in neuer Weise eine "Gradualität in der Seelsorge" (AL 293):

"Der Blick Christi, dessen Licht jeden Menschen erleuchtet (vgl. Joh 1,9; Gaudium et spes, 22), leitet die Pastoral der Kirche gegenüber jenen Gläubigen, die einfach so zusammenleben oder nur zivil verheiratet oder geschieden und wieder verheiratet sind. In der Perspektive der göttlichen Pädagogik wendet sich die Kirche liebevoll denen zu, die auf unvollkommene Weise an ihrem Leben teilhaben: […] Wenn eine Verbindung durch ein öffentliches Band offenkundig Stabilität erlangt – und von tiefer Zuneigung, Verantwortung gegenüber den Kindern, von der Fähigkeit, Prüfungen zu bestehen, geprägt ist –, kann dies als Chance gesehen werden, sie zum Ehesakrament zu begleiten, wo dies möglich ist." (AL 78)

Vielleicht bietet ja das Aktionsjahr zu Amoris laetitia, das in das Weltfamilientreffen im Jahr 2022 münden wird, Gelegenheit über die Freundschafts-Kategorie die „Pädagogik der Liebe“ (AL 211) breiter ins Bewusstsein zu heben. Auf dass  AL 123 bekannter und theologisch rezipiert werde!


 

Dienstag, 23. März 2021

Für einen neuen Anfang - oder: Notwendige Konsequenzen für die kirchliche Sexuallehre nach einem Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln 

(Ausschnitt aus der Pressekonferenz - s.u. ab Min 55 - vom 19.3.21)

Ausdrücklich wird im Gutachten über "Pflichtverletzungen von Diözesanverantwortlichen des Erzbistums Köln im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Schutzbefohlenen durch Kleriker des Erzbistums Köln im Zeitraum von 1975 bis 2018" die Mitursächlichkeit der Sexualmoral am Missbrauchsskandal herausgestellt:

- die Wertung jeglicher Sexualität außerhalb der Ehe als schwere Sünde gegen das 6. Gebot (vgl. KKK 2390). 
- die kirchenrechtliche Wahrnehmung des Missbrauchs durch Kleriker ausschließlich als Zölibatsverstoß gegen das 6. Gebot (Can. 1395 §2). 


Sie führten zu

- der Zahl und der Schwere der Straftaten sowie mangelndem Schuldbewusstsein der Täter
- und zum strukturellen Ausblenden der Opfer- bzw. Betroffenenperspektive bei Tätern, Personalverantwortlichen und Vertuschern (von individuellen 'Pflichtverletzungen' strafrechtlicher Art abgesehen, die ausdrücklicher Gegenstand des Kölner Gercke-Gutachtens sind).

 


Das hätte - weitergedacht - zur Konsequenz:

- eine Sexuelle Bildung als integraler Bestandteil der Ausbildungsordnung von Klerikern (die weit über das 6. Gebot "Du sollst nicht die Ehe brechen" hinausgehen muss).

- die Anerkennung sexueller Selbstbestimmung jedes Menschen (die es als Grundsatz ethischen Handelns und sexueller Bildung in kirchlichen Texten nicht gibt!) und der vielen zerstörerischen Konsequenzen im Falle ihrer Übertretung bei den Opfern/Betroffenen sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt - insbesondere bei Minderjährigen.

- ein grundsätzliches Denken von den Opfern und Betroffenen her, das die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und seiner systemischen Ursachen wie die Behandlung jedes neuen Falls Sexualisierter Gewalt kennzeichnen muss.

- das entschiedene Eintreten für eine Änderung des Wordings kirchlicher Verlautbarungen und der Lehrverkündigung (z.B. des Katechismus) und der Rechtsnormen des kirchlichen Gesetzbuches CIC entsprechend einem geänderten Denken und Handeln.  

 



Freitag, 19. März 2021

Fünf Jahre "Amoris laetitia" -  Ran an die heißen Eisen. Interview mit Fußnote* zum Beginn des Amoris laetitia-Aktionsjahres 2021-2022

 

Auf den Tag vor fünf Jahren unterzeichnete Papst Franziskus das Schreiben „Amoris laetitia“ zu Ehe und Familie, das am 8.4.2016 veröffentlicht wurde. Auch wenn er die offizielle Lehre der Kirche damals unangetastet ließ, hat das Papier Türen für aktuelle Debatten geöffnet: zum Beispiel zu wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexualität.

Das am heutigen 19.3.2021 beginnende Amoris laetitia-
Aktionsjahr endet mit dem Weltfamilientreffen in Rom.

„Amoris laetitia hat möglich gemacht, was wir jetzt auch auf dem Synodalen Weg versuchen: Liebe und Sexualität in gelingenden Partnerschaften nochmal neu auf unsere Gesellschaft hinzudenken“, sagt Holger Dörnemann. Er leitet die Abteilung „Familien und Generationen“ des Bistums Limburg und arbeitet als Experte im Forum zu Sexualität und Partnerschaft des Synodalen Wegs mit. Das Forum diskutiert unter anderem darüber, wie die Kirche in Zukunft mit homosexuellen Paaren oder wiederverheiratet Geschiedenen umgehen sollte. Ohne „Amoris laetitia“ wären viele dieser Diskussionen heute so nicht möglich, schätzt Dörnemann. „Der Papst hat viele heiße Eisen angefasst.“

Vor fünf Jahren, im Anschluss an zwei Bischofssynoden zu Ehe und Familie, veröffentlichte Franziskus das Papier, das viele als sein bis dato wichtigstes Lehrschreiben bezeichneten. Er wolle mehr Barmherzigkeit in der kirchlichen Morallehre zulassen, sagte er damals. Priester und Bischöfe sollten moralische Gesetze nicht anwenden „als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“.

 

In mehreren Paragraphen widmete er sich sogenannten „unvollkommenen Situationen“, also Lebensgemeinschaften, die nicht dem katholischen Ideal der Ehe entsprechen. „Er schaut auf alles, was in der persönlichen Geschichte der Menschen, der Paarbeziehung und der Familie an Wertvollem da ist – und nicht nur auf das, was zum Ideal noch fehlt“, fasst Dörnemann das Papier zusammen.

 

Zum Beispiel beim Thema Homosexualität. Zwar sei der große Schritt in Blick auf die Würdigung homosexueller Partnerschaften ausgeblieben, sagt Dörnemann. Aber das Papier sei auch revolutionär in dem, was nicht drinsteht. Denn obwohl im Katechismus steht, dass homosexuelle Partnerschaften „in sich nicht in Ordnung sind“, findet man das in Amoris laetitia nicht.

 

Das liegt auf der Linie des Papstes, der grundsätzlich findet, „dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen“, wie er in Amoris laetitia schreibt (AL 3, vgl. AL 37). Priester und Bischöfe forderte er dazu auf „die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden“. Zum Beispiel bei der Begleitung wiederverheirateter Geschiedener. In einer Fußnote (AL 351) eröffnete der Papst die Möglichkeit, diese in Einzelfällen wieder zu Sakramenten zuzulassen; die Entscheidung darüber überließ er den Ortskirchen. Als eine der ersten habe daraufhin die Deutsche Bischofskonferenz 2017 in einem Papier die Möglichkeiten des Einbezugs von Paaren aller Art am Gemeindeleben und an der Eucharistiefeier eröffnet, sagt Dörnemann.

 

Dass Ortskirchen eigenverantwortlich abwägen und entscheiden können, das fordern auch die Befürworter des Synodalen Wegs. „Ortskirche und Weltkirche müssen ineinander spielen“, sagt Holger Dörnemann und wünscht sich, pastorale Schritte in Bezug auf Liebe und Sexualmoral in Zukunft stärker in die Weltkirche eintragen zu können. Die Offenheit von Amoris laetitia ermutigt dazu. Und die nächste Bischofssynode im Herbst 2022 in Rom. Das Thema: Synodalität.


 

*Interview für https://www.bistumspresse.de/fuenf-jahre-amoris-laetitia, veröffentlicht am 18.3.2021. Es wurde am 12.3.21 geführt, drei Tage vor der Veröffentlichung der in Form, Inhalt und Diktion aus der Zeit gefallenen und noch nicht einmal persönlich vorgetragenen Note der Glaubenskongregation, die durch den unterzeichnenden Präfekten Kardinal Luís F. Ladaria am 15.3.21 erklärte, dass die Kirche "keine Vollmacht" habe, homosexuelle Partnerschaften zu segnen, weil Homosexualität "nicht der Schöpfungsordnung" entspräche und eine sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe als "Sünde" nicht segenswürdig sei. Die Stellungnahme des Dikasteriums für Laien, Familie und Leben vom 18.3.2021 schlägt hingegen wieder pastorale und an den Amoris laetitia-Wortlaut anknüpfende Töne an zum  „Thema Homosexualität - naturgemäß mit anderer Akzentsetzung als im jüngsten Dokument aus der Glaubenskongregation.“ (Vaticannews vom 18.3.2021)

 

Der für das Dikasterium für Laien, Familie und Leben und zugleich für das Amoris laetitia-Aktionsjahr verantwortliche Kardinal Kevin Farrel erklärte aus Anlass seiner Eröffnung:

"Wir sind offen dafür, alle Menschen zu begleiten… Ich habe viele Male mit Menschen zusammengearbeitet, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, und werde das auch weiterhin tun und sie weiterhin begleiten… Niemand, niemand darf jemals von der pastoralen Fürsorge und Liebe der Kirche ausgeschlossen werden!“ (Vaticannews vom 18.3.2021)

Es zeigt sich einmal mehr – wie in diesem Blog über die zurückliegenden sieben Jahre seit den Befragungen im Vorfeld und Verlauf der Familiensynoden und Jugendsynode festgehalten –, dass das Thema der pastoralen Begleitung aller Menschen in Anerkennung ihrer sexuellen Orientierung, Lebens- und Familienform weiter eine der zentralen Herausforderungen des Aktionsjahres Amoris laetitia 2021-2022 bis zur #Synod22 sein wird.


** "Andererseits hat diese jüngste Antwort keine große Autorität: Die übliche Formulierung, der Papst habe den Text "approbiert" wurde ersetzt durch: der Papst "wurde informiert". Die Absicht, das Dokument als weniger bedeutsam zu kennzeichnen, ist klar.“ (katholisch.de vom 28.3.2021)



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Samstag, 6. März 2021

"Wenn wir aber die Geschwisterlichkeit bewahren wollen, dürfen wir den Himmel nicht aus den Augen verlieren" - Gebet der Kinder Abrahams beim interreligiösen Gebet in Ur


(Screenshot Vatican Media: Interreligiöses Gebetstreffen vor dem Haus Abrahams, Ur)

"Wir sehen zum Himmel hinauf. Wenn wir nach tausenden Jahren den gleichen Himmel betrachten, erscheinen dieselben Sterne. Sie erhellen die dunkelsten Nächte, weil sie gemeinsam leuchten. Auf diese Weise gibt uns der Himmel eine Botschaft der Einheit: Der Allerhöchste über uns lädt uns ein, uns niemals von unserem Bruder, unserer Schwester neben uns zu trennen. Das „Über“ Gottes verweist uns auf das „Andere“ des Bruders, der Schwester. Wenn wir aber die Geschwisterlichkeit bewahren wollen, dürfen wir den Himmel nicht aus den Augen verlieren. Wir, Nachkommen Abrahams und Vertreter verschiedener Religionen, fühlen, vor allem diese Aufgabe zu haben: unseren Brüdern und Schwestern zu helfen, ihren Blick und ihr Gebet zum Himmel zu erheben. […] 


Und wir beten dafür, dass die Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit überall respektiert und anerkannt werden: Dies sind Grundrechte, denn sie machen den Menschen frei, den Himmel zu betrachten, für den er geschaffen wurde. […] 


Es liegt an uns, den Mut zu haben, den Blick zu erheben und die Sterne zu betrachten, die Sterne, die unser Vater Abraham gesehen hat, die Sterne der Verheißung." 


(
Aus der Ansprache von Papst Franziskus beim interreligiösen Gebetstreffen)

 

(Screenshot Vatican Media: Interreligiöses Gebetstreffen, Ur / Irak)


Gebet der Kinder Abrahams

Allmächtiger Gott, unser Schöpfer,  
du liebst die Menschheitsfamilie und auch sonst alles, was deine Hände vollbracht haben. Wir, die Söhne und Töchter Abrahams, die dem Judentum, dem Christentum und dem Islam angehören, danken dir zusammen mit anderen Gläubigen und allen Menschen guten Willens, dass du uns Abraham, einen berühmten Sohn dieses edlen und geschätzten Landes, als gemeinsamen Vater im Glauben geschenkt hast. 
Wir danken dir für das Beispiel dieses gläubigen Mannes, der dir bis zum Äußersten gehorchte und seine Familie, seinen Stamm und sein Land verließ, um in ein Land zu gehen, das er nicht kannte. 
Wir danken dir auch für das Beispiel an Mut, Durchhaltevermögen, Seelenstärke, Großzügigkeit und Gastfreundschaft, das uns unser gemeinsamer Vater im Glauben gegeben hat. 
Wir danken dir insbesondere für seinen heroischen Glauben, den er bewies, als er bereit war, seinen Sohn zu opfern, um deinem Befehl zu gehorchen. Wir wissen, dass dies eine äußerst schwierige Prüfung war, aus der er dennoch als Sieger hervorging, weil er dir ohne Vorbehalt traute, der du barmherzig bist und immer neue Wege für einen Neubeginn eröffnest. 
Wir danken dir, denn dadurch, dass du unseren Vater Abraham gesegnet hast, hast du ihn zu einem Segen für alle Völker gemacht. 
Wir bitten dich, du Gott unseres Vaters Abraham und unser Gott: Schenke uns einen starken Glauben, der sich für das Gute einsetzt, einen Glauben, der unsere Herzen für dich und für alle unsere Brüder und Schwestern öffnet, und eine Hoffnung, die sich nicht unterdrücken lässt und überall die Treue deiner Verheißungen zu erkennen vermag. 
Mache jeden von uns zu einem Zeugen deiner liebenden Sorge für alle, besonders für die Flüchtlinge und Vertriebenen, die Witwen und Waisen, die Armen und Kranken. 
Öffne unsere Herzen, schenke uns die Bereitschaft, einander zu vergeben und mache uns zu Werkzeugen der Versöhnung und des Friedens, zu Erbauern einer gerechteren und geschwisterlicheren Gesellschaft. 
Nimm alle Verstorbenen, besonders die Opfer von Gewalt und Krieg, auf in dein Reich des Lichtes und des Friedens. 
Steh den Verantwortlichen darin bei, die Entführten zu suchen und zu finden und vor allem Frauen und Kinder zu schützen. 
Hilf uns für den Planeten Sorge zu tragen, das gemeinsame Haus, das du uns allen in deiner Güte und Großzügigkeit gegeben hast. 
Komm uns beim Wiederaufbau dieses Landes zu Hilfe und gib uns die Kraft, die wir brauchen, um denen zu helfen, die ihre Heimat und ihr Land verlassen mussten, so dass sie sicher und in Würde zurückzukehren und ein neues Leben in Frieden und Wohlstand beginnen können. Amen. 
(Gebet der Kinder Abrahams von Papst Franziskus beim interreligiösen Gebetstreffen in Ur am 6.3.2021)

 

Donnerstag, 4. Februar 2021

Transparenz und Verantwortung - und warum wir das "Monitoring der Öffentlichkeit" auf dem Synodalen Weg brauchen

Am heutigen 4.2.2021 hat etwas mehr als ein Jahr nach dem ersten Synodalforum eine zweitägige Online-Konferenz als weiterer Coronabedingter Zwischenschritt des Synodalen Wegs vor der regulären zweiten Synodalversammlung begonnen, die jetzt vom 30.9. bis 2.10.2021 geplant ist. Und anders als im letzten Jahr, wo bereits Reformanliegen in Anbetracht der als systemisch identifizierten Ursachen schon an die Stelle des Missbrauchsskandals getreten waren, rückte dieser selbst – insbesondere aufgrund mangelhaften Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln – wieder in den Fokus. Bereits vorab wurde eine Erklärung mit dem Titel "Transparenz und Verantwortung. Konsequent gegen sexuellen Missbrauch und Gewalt in der Kirche" des Präsidiums des Synodalen Weges veröffentlicht, die zu Beginn der Konferenz verlesen und den Erzbischof von Köln zu einem weiteren Schuldbekenntnis bewegte, das jedoch abermals nicht konkret auf persönliches Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen einging.


Herausragend war der Beginn der morgen mit den inhaltlichen Berichten fortsetzenden Onlineversammlung insbesondere durch die Vorstellung und die bewegenden Statements des neuen Betroffenenbeirates, die zwei Sprecher und eine Sprecherin in einer Dichte ins Wort brachten, dass die Versammlung trotz der virtuellen Anlage eine Tiefe erhielt, die auch die Hoffnung wieder fühlbar werden ließ.

(Screenshot aus dem Live-Stream von SynodalerWeg.de

Dass Missbrauchsaufarbeitung und eine Auseinandersetzung mit den Ursachen sexueller Gewalt eine Weise der Evangelisierung sei, wie es Johanna Beck zum Ausdruck brachte, deckt sich mit meinen Erfahrungen in dem Synodalforum, in dem ich als Berater mitarbeiten darf und dessen Arbeitsstand morgen eines von den vier thematischen Schwerpunkten sein wird. Dass die vom sexuellen Missbrauch und von sexualisierter Gewalt Betroffenen die Arbeit des Synodalen Weges bereichern können, lässt mich an deren Beteiligung im Limburger Aufarbeitungsprozess denken, der mit seinen Ergebnissen und über 60 Einzelaufträgen Anfang dieses Jahres in die Implementierungsphase übergangen ist. Die Beteiligung Betroffener stellt eine persönliche Weise eines sensiblen, kritischen und vor allem externen Monitorings dar, das heute abermals für die Aufarbeitung und ebenso im Sinne der Einführung einer Verwaltungsgerichtbarkeit angefragt und angemahnt wurde.

 

Eine zweite Weise ist die Rolle der Laien, deren "Stunde" jetzt gekommen sei, wie die Vizepräsidentin des Präsidiums Karin Kortmann im Anschluss an die Worte des Betroffenenbeirates für alle Gläubigen der Kirche ergänzte. Sie seien jetzt in ihrer Verantwortung in die Pflicht genommen, müssten jetzt fordern und einfordern und dürften vor allem nicht mehr schweigen, dass sich etwas in der Kirche ändere.

 

Eine dritte Weise eines Monitorings brachte Bischof Stephan Ackermann ins Wort. Ähnlich wie Bischof Bätzing vor gut anderthalb Monaten sagte, dass Medien dabei unterstützten was wir unter Umständen nicht schaffen aufzuklären", sagte Bischof Stephan Ackermann auf die Frage wie es "ein diözesanübergreifendes Monitoring für das Gesamte" geben könne mit an Deutlichkeit nicht zu überbietender Nüchternheit:

"Solange es das strukturiert nicht gibt, geht das Monitoring wesentlich über die Öffentlichkeit. […] Die Öffentlichkeit hat die Wächterfunktion darüber und schaut dahin."*

Solange es kein diözesanübergreifendes Monitoring gibt und innerkirchlich auf einen einzelnen Klagefall die "vorgeschriebene Frist nicht eingehalten" bzw. in Rom erst dann reagiert wird, wenn etwas über eine "Studie" ans Licht der Öffentlichkeit kommt, wie Erzbischof Stephan Heße in einem heute veröffentlichten Interview zum Ausdruck brachte, ist es die Öffentlichkeit, die das Monitoring leisten muss, bis wirklich Transparenz und Verantwortung Einzug halten. Derzeit ist die Kirche angewiesen auf das Monitoring der Öffentlichkeit für das, was sie aus sich nicht schafft aufzuklären, bis endlich Verantwortung übernommen und darüber - in hoffentlich nicht zu weiter Zukunft - verlorene Glaubwürdigkeit wiederaufgebaut werden kann.


* Eigene Mitschrift der Online-Konferenz auf dem Synodalen Weg (4.2.2021)  https://www.youtube.com/watch?v=gVJoTAmTEpk&feature=youtu.be


Sonntag, 3. Januar 2021

Synodaler Weg 50 Jahre nach der Würzburger Synode- oder: „Letzte Chance“ wider die Unglaubwürdigkeit, in der sich „eine Institution selbst zugrunde“ richtet.

"Die Würzburger Synode war 100 Prozent notwendig und sie lebt bis heute fort. […] Die Bewegung geht nach vorne und die Impulse von damals sind weiterhin sehr stark präsent. Die große Mehrzahl der gläubigen Katholikinnen und Katholiken in unserem Land wollen Veränderung, und darum ist auch der Synodale Weg so notwendig“. (katholisch.de vom 2.1.21)

Mit diesen Worten verweist der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Georg Bätzing auf die Notwendigkeit der Würzburger Synode, die auf den Tag genau vor 50 Jahren in Würzburg begann, und ihre Bedeutung für den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland. Jüngere Theolog*innen könnten sich die Augen reiben, dass ebendiese Synode im Schlussdokument in den Beschlüssen ‚Dienste und Ämter‘ und ‚Beteiligung der Laien‘ unter anderem die Zulassung von Frauen zum Diakonat, Zugangswege für verheiratete Männer zum Priestertum und Mitbestimmung der Laien in der Kirche geradeheraus ansprechen und fundiert mit Argumenten begründen, die auch heute wieder zitiert werden. Sie stehen mit anderen wichtigen Themen auch im Rahmen des Synodalen Weges 50 Jahre später weiterhin auf der Tagesordnung und sind für Bischof Bätzing Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der Kirche

"Wir gehen diesen Weg mit allen Steinen und Wegweisern aus verschiedensten Richtungen, aber es ist unsere Verantwortung, ihn jetzt zu gehen. Wenn wir uns den drängenden Fragen nicht stellen, werden wir unglaubwürdig.“ (Ebd.)

Als „letzte Chance“ bezeichnet dies auch das oben mit Cover bezeichnete neue Buch “Synodaler Weg“, indem es "Standpunkte zur Zukunft der Kirche" von beteiligten Synodalen der ersten Plenarversammlung veröffentlicht. Dass die Themen und Forderungen – anders als vor 50 Jahren – in Rom mehr Beachtung finden, soll über einen Einbezug desjenigen Sekretariates möglich werden, das für die Weltbischofssynode 2022 das Thema Synodalität insgesamt aufplant. Auch zur Synodalität hatte die Würzburger Synode ein Beschlussvotum verabschiedet, das seiner Zeit ebenfalls keine Beachtung in Rom (und selbstredend daraufhin auch keinen Niederschlag im Codex Iuris Canonici von 1983) gefunden hat, das nun auch für Rom in doppelter Weise interessant, ja zielführend werden könnte.

Die Würzburger Synode bat 1975 in einem bist zum heutigen Tag nicht beantworteten Votum im Beschluss "Räte und Verbände" den Papst:

"a) den Bistümern […] das Recht zu geben, in jedem Jahrzehnt eine gemeinsame Synode durchzuführen; b) ein entsprechendes Statut, das unter Wahrung aller im Statut der Gemeinsamen Synode festgelegten Grundsätze die für weitere gemeinsame Synoden erforderlichen Regelungen zu treffen und von der Deutschen Bischofskonferenz mit der Bitte um Genehmigung vorgelegt wird, zu approbieren bzw. in Kraft zu setzen; c) die Bischöfe unserer Diözesen rechtzeitig zu ermächtigen, die für die Durchführung der nächsten gemeinsamen Synode erforderlichen Maßnahmen gemeinsam vorzubereiten und für ihre Diözesen anzuordnen." (Beschluss: Räte und Verbände, Teil IV, 2)

 

Die Veröffentlichung des seit dem Frühjahr 2019 erwarteten Dokuments Praedicate evangelium, das die alte Konstitution zur Kirchenverfassung Pastor Bonus von 1988 ablösen wird, ist nunmehr für einen Termin vor Ostern dieses Jahres angekündigt. Sie wird nach den bisherigen Ankündigungen den subsidiären Auftrag der Kurie in Rom, aber darüber auch die Anteilnahme der Teilkirchen an der Lehrautorität der Kirche herausarbeiten. Zu ebendieser Verantwortung gehören auch Partikularkonzilien, die heute eine andere Zusammensetzung erfordern, als sie der CIC als kirchliches Rechtsbuch Anfang der 1980er Jahre für notwendig hielt. Und als Paradebeispiel zeitgemäßer Synodalität ist der „Synodale Weg“ – auch wenn für ihn keine Rechtsnorm im CIC existiert – über alle inhaltlichen Eingaben für die Zukunft der Kirche hinweg bestes Beispiel für das, was Ziel der Bischofssynode 2022 sein soll: eine Synodale Kirche, deren Verwirklichung ihrerseits nicht nur dasjenige ist, was "Gott von seiner Kirche im 3. Jahrtausend erwartet", sondern auch die Erfüllung desjenigen Auftrags, den das Konklave Papst Franziskus im Jahr 2013 mit der Aufgabe der Kurien- und Kirchenreform mitgegeben hat.


Bis dahin ist freilich noch ein langer Weg. Und jenseits allen Optimismus' im Blick auf den vor Augen stehenden Zukunftsweg in Deutschland und der Weltkirche, muss schnellstmöglich alles getan werden, dass nicht aufgrund eines mangelhaften Umgangs mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, der den Synodalen Weg überhaupt erst ausgelöst hat, die Kirche in Deutschland schon auf dem Weg alle Glaubwürdigkeit verloren hat und sich “eine Institution selbst zugrunde“ richtet. Auch und gerade hier gilt: 

"Die Zeit läuft uns weg!"

Dienstag, 22. Dezember 2020

Weihnachtsfest in der Pandemie – oder: Die Chance in der Krise wider die verlorene Glaubwürdigkeit

Als wenn die diesjährige Weihnachtsansprache für die Römische Kurie auch und gerade auf den Anlass des Synodalen Weges der Kirche in Deutschland und sein Stottern angesichts von Pandemie und intransparenter Missbrauchsaufarbeitung – wie derzeit im Erzbistum Köln* – gemünzt wäre, stellt Papst Franziskus die Krise der Kirche in den Mittelpunkt seiner diesjährigen Weihnachtsansprache:

"Dieses Weihnachtsfest ist das Weihnachtsfest in der Pandemie, der gesundheitlichen, sozialökonomischen, aber auch kirchlichen Krise, die die ganze Welt unterschiedslos getroffen hat. Die Krise ist nicht mehr nur ein Allgemeinplatz des Diskurses und des intellektuellen Establishments, sie ist zu einer Realität geworden, die alle betrifft." (Vaticannews vom 21.12.20)

Und er fügt wie schon im März auf dem Petersplatz umgehend hinzu:

"Diese Geißel war eine beachtliche Bewährungsprobe und zugleich eine große Chance, uns zu bekehren und wieder authentisch zu werden." 

 

Verlorene Authentizität und Glaubwürdigkeit

 

Allein: die Authentizität wird der Katholischen Kirche in Deutschland gerade nicht mehr abgenommen. Zunotorischen Lügnern“ werden Bischöfe aus dem Erzbistum Köln gerechnet, deren Missbrauchsaufarbeitung auch von bischöflichen Kollegen als unsäglich“, „verheerend“, zutiefst verletzendund als „regelrechtes Desaster“ bezeichnet wird.

 

Nach dem im März 2019 anlässlich des weltweite Ausmaße annehmenden Missbrauchsskandals veröffentlichten Papstschreiben „Ihr seid das Licht der Welt“ (Vos estis lux mundi) kennzeichnet gerade Bischöfe 

"eine ständige und tiefe Umkehr der Herzen, die durch konkrete und wirksame Handlungen bezeugt wird; diese beziehen alle in der Kirche mit ein, sodass die persönliche Heiligkeit und der moralische Einsatz dazu beitragen können, die volle Glaubwürdigkeit der Verkündigung des Evangeliums und die Wirksamkeit der Sendung der Kirche zu fördern." (Ebd.)

Was aber tun, wenn die Glaubwürdigkeit erschüttert ist und fehlt? Wie kann man glaubhaft Weihnachten feiern, wenn die Hirten diese selbst vermissen lassen, man am „Umgang mit den Verbrechen sexueller Gewalt in der Kirche ablesen kann: Die können und wollen das Kind gar nicht schützen.“ (Kölnische Rundschau 13.12.20)

 

Die verlorene Glaubwürdigkeit stand am Anfang des Synodalen Wegs in Deutschland. Sie wiederherzustellen, „den zugrundeliegenden Problemen, die dieses schreckliche Missbrauchsgeschehen überhaupt ermöglicht haben“, nachzugehen, war und ist trotz einer aufkommenden „Grundfrustration […] angesichts der aktuellen Debatten um Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln“ weiterhin Ziel des nunmehr Corona-bedingt bis zum Herbst 2022 projektierten Synodalen Weges.

 

Die aktuelle Situation mit den Worten der diesjährigen Weihnachtsansprache einfach nur als Krise zu verstehen, erscheint fast euphemistisch ausgedrückt, weil sie nicht durch Aussitzen oder Zuwarten gelöst werden kann vielmehr dadurch nur verschlimmert wird , sondern nur durch ein Bekenntnis von Schuld und die Übernahme und das Tragen von Verantwortung. 


 Darüber hinaus, nicht hinwegsehen


Und dennoch ist auch -  trotz oder angesichts aller Verzweiflung über einzelne Verantwortungsträger - darüber hinaus zu sehen.
Denn eine „Reflexion über die Krise warnt uns davor, die Kirche vorschnell nach den Krisen zu beurteilen, die durch die Skandale von gestern und heute verursacht wurden“ (Ebd.) und darin die Kirche schon auf dem Weg „in eine Sekte“ abdriften zu sehen, wie im Blick auf die Missbrauchsaufarbeitung in Köln gerade schon geschrieben wird. Davon abstrahierend sagt Papst Franziskus in der aktuellen Weihnachtsansprache:

"Wie oft scheint auch unseren kirchlichen Analysen die Hoffnung zu fehlen. Ein hoffnungsloser Blick auf die Wirklichkeit kann nicht als realistisch bezeichnet werden. Die Hoffnung gibt unseren Analysen das, was unsere kurzsichtigen Augen so oft nicht wahrnehmen können."  (Ebd.)

Und beim nächsten Absatz erinnert der Wortlaut von Papst Franziskus fast wieder an den schonungslos und beinahe sarkastischen Stil früherer Weihnachtsansprachen, der zu Beginn die eigentliche Chance in der Krise herausarbeitet:

"Wer die Krise nicht im Licht des Evangeliums betrachtet, beschränkt sich darauf, die Autopsie einer Leiche durchzuführen. Er schaut auf die Krise, aber ohne das Licht des Evangeliums. Die Krise ist nicht nur deswegen so erschreckend für uns, weil wir verlernt haben, sie so zu sehen, wie das Evangelium es uns nahelegt, sondern weil wir vergessen haben, dass allem voran das Evangelium selbst uns in eine Krise bringt. Es ist das Evangelium, das uns in eine Krise bringt."  (Ebd.)

(Screenshot Vaticannews vom 21.12.20)

Und bei Licht betrachtet ist ja gerade das die Erfahrung des Synodalen Wegs, auch wenn ich sie nur – wie geschrieben – für den Verlauf eines Synodalforums aus eigener Perspektive bezeugen kann.

"Wenn wir aber wieder den Mut und die Demut finden, laut auszusprechen, dass die Zeit der Krise eine Zeit des Heiligen Geistes ist, dann werden wir uns auch angesichts der Erfahrung von Dunkelheit, Schwäche, Zerbrechlichkeit, Widersprüchen und Verwirrung nicht mehr niedergeschlagen fühlen, sondern immer ein inniges Vertrauen darauf bewahren, dass die Dinge gerade eine neue Form annehmen, die allein aus der Erfahrung einer im Dunklen verborgenen Gnade entsprang. […]
Wenn uns also ein gewisser Realismus unsere jüngste Geschichte nur als die Summe von nicht immer geglückten Versuchen, Skandalen, Stürzen, Sünden, Widersprüchen und Kurzschlüssen beim Zeugnisgeben darstellt, sollten wir weder erschrecken, noch sollten wir die Evidenz all dessen leugnen, was in uns und in unseren Gemeinschaften vom Tod betroffen ist und der Bekehrung bedarf. Alles, was böse, widersprüchlich, schwach und zerbrechlich ist und sich offen zeigt, erinnert uns noch stärker an die Notwendigkeit, alles Denken und Tun, das dem Evangelium nicht entspricht, in uns absterben zu lassen. Nur wenn wir eine bestimmte Mentalität absterben lassen, wird es uns auch gelingen, Platz für das Neue zu schaffen, das der Geist ständig im Herzen der Kirche weckt. Die Kirchenväter waren sich dessen bewusst, sie nannten es „Metanoia". (Ebd.)

 

Metanoia, Aggiornamento und Synodalität – oder: Was in der Krise zu tun ist


"Was ist in der Krise zu tun? Zunächst einmal sollte man sie als eine Zeit der Gnade annehmen, die uns gegeben ist, um Gottes Willen für jeden von uns und für die ganze Kirche zu verstehen." (Ebd.)

"In jeder Krise gibt es immer ein begründetes Bedürfnis nach einem aggiornamento: das ist ein Schritt vorwärts. Aber wenn wir wirklich eine solche Aktualisierung wollen, müssen wir den Mut zu einer umfassenden Bereitschaft haben." (Ebd.)

Dieses Aggionamento ist mehr als das „Flicken eines Kleides“. Wir sind vielmehr „aufgerufen, denselben Leib mit einem neuen Gewand zu bekleiden“ (Ebd.).

"Ohne die Gnade des Heiligen Geistes, selbst wenn man beginnt, die Kirche synodal zu denken, wird sie sich, anstatt sich auf die Gemeinschaft mit der Präsenz des Heiligen Geistes zu beziehen, als eine beliebige demokratische Versammlung verstehen, die sich aus Mehrheiten und Minderheiten zusammensetzt. Wie ein Parlament, beispielsweise: Das ist nicht Synodalität. Allein die Gegenwart des Heiligen Geistes macht den Unterschied." (Ebd.) 

 

Der Synodale Weg im Heiligen Geist

Auch in diesem Absatz scheint die Weihnachtsansprache indirekt auch auf die Situation der Kirche in Deutschland gemünzt zu sein, wie sie ähnlich schon in der Audienzansprache des Papstes am 25.11.20 anklang (vgl. Blog-Beitrag vom 1.12.2020). Aus Sicht eines der Präsidenten des Synodalen Weges und Vorsitzenden des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK) Thomas Sternberg „sollten die Synodalen auch daran arbeiten, ihre Kommunikation mit Rom zu verbessern. Er habe den Eindruck, dass im Vatikan 'Fehlvorstellungen' über die Katholiken in Deutschland kursierten, etwa dass in Deutschland zwei etwa gleich große Gruppen von Konservativen und Progressiven 'aufeinanderprallen' würden. Dabei sei eine große Mehrheit bereit, neue Wege zu gehen." (katholisch.de vom 18.12.20)

 

Und ich darf als Mitglied des Synodalforums "Liebe und Sexualität" anfügen: Sie sollten deutlich machen – wie schon im vorausgegangenen Blog-Beitrag erwähnt – wie sehr der Synodale Weg seinerseits eine Bewegung im Heiligen Geist ist. In diesem Sinn ist Weihnachten im Jahr 2020 in und trotz aller Unsäglichkeiten in einigen Ortskirchen ein Zeitpunkt der Gnade heute, einer Zeit der "Neuheit, die aus dem Alten hervorgeht und es fortwährend fruchtbar macht" und in der wir "nicht geboren werden, um zu sterben, sondern im Gegenteil, um etwas Neues anzufangen." [Hanna Arendt] (Weihnachtsansprache vom 21.12.20)  



* Link ergänzt am 23.12.2020

Dienstag, 1. Dezember 2020

Verlorene Glaubwürdigkeit – oder: 1 Jahr Synodaler Weg


                                                (Screenshot: katholisch.de vom 1.12.19)
Vor einem Jahr wurde der katholische Reformprozess "Synodaler Weg" in Deutschland in der Münchener Frauenkirche mit einem Gottesdienst eröffnet. Die Kirche sei "kein geschlossenes System, keine Zitadelle, die sich einmauert" und bedürfe der "Offenheit" und eines synodalen Weges um der Zukunft der Kirche willen, sagten damals der Münchener Kardinal Reinhard Marx und die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Katholiken Karin Kortmann. Nur durch „unsere selbstkritische Arbeit“ könne man die durch den Missbrauchsskandal verlorene Glaubwürdigkeit wiedererlangen.

"Nach der schrecklichen Erfahrung, dass sexueller Missbrauch in der Kirche stattgefunden hat", gelte es nun, "Gefährdungen systemischer Natur" anzuschauen, etwa "falsche Herrschaftsorganisationen", ergänzte der Kardinal. Um wieder glaubwürdige Zeugen der Freude und der Hoffnung zu sein, "müssen wir manche Hindernisse beseitigen". (katholisch.de vom 1.12.19)

Vor diesem Hintergrund ist es unaushaltbar, dass ein Jahr nach dem Beginn des Synodalen Weges ein spätestens seit März 2020 vorliegendes Gutachten zu den Missbrauchsstrukturen und -taten im Erzbistum Köln wegen angeblicher methodischer Mängel bis auf weiteres endgültig unter Verschluss gehalten wird – von dem Eingeständnis der Instrumentalisierung Betroffener ganz zu schweigen, die sich in diesem Zusammenhang ein zweites Mal mit denselben Mechanismen der Macht missbraucht fühlen (selbst noch einmal darin, dass Einzelnen von ihnen unter Auflagen Inhalte im März nächsten Jahres zugänglich gemacht werden sollen, wie es seit dem ersten Adventswochenende heißt)


So geht es nicht weiter! Wenn die Voraussetzungen für den synodalen Weg – das vorbehaltlose Offenlegen der Gutachten von Missbrauchstaten und -strukturen – nicht gegeben sind, untergräbt das Verhalten auch nur einer Ortskirche die Glaubwürdigkeit aller  anderen Ortskirchen in Deutschland, der verschiedenen Synodalforen und des Synodalen Wegs insgesamt.


Dabei ist der Reformprozess an einigen Stellen gut unterwegs: zumindest für das Synodalforum „Liebe und Sexualität“ – wie es abgekürzt genannt wird , in dem ich mitarbeiten darf, kann ich sagen, dass der Arbeits- und Diskussionsstand trotz oder wegen Corona und den Möglichkeiten digitaler Kommunikation vorangeschrittenen ist auf einem Weg, den ich von den Plenar- und Regionenkonferenzen, der Arbeit im Forumsplenum wie in der Redaktionsgruppe als einen geistlichen Prozess erlebe: Nicht nur dass Gottesdienste am Anfang standen und den synodalen Weg begleiten, auch die Verantwortung für die kirchliche Gemeinschaft als ganze und ihre Lehre werden mit großer Ernsthaftigkeit in der Forumsarbeit verfolgt und vom Gebet begleitet. Genau in diesem Sinn, „in einer Gemeinschaft, in seinem Wort, in der Eucharistie und im Gebet zu sein“, bezeichnete Papst Franziskus in seiner Generalaudienz vor genau einer Woche die Kennzeichen von Synodalität und eines Cammino sinodale, die sich von denjenigen einer bloßen "strada sinodale" – ohne Wirken des Hl. Geistes und nur auf das Erzielen von Mehrheitsentscheidungen bedacht – unterscheiden.

Dass der Tiefpunkt der unsäglichen Missbrauchstaten und die zugrundeliegenden Strukturen dazu beigetragen haben, auch die kirchliche Lehre von der Wurzel her neu wahrzunehmen und zu durchdringen, ist dabei eine paradoxe und doch so wichtige Erfahrung gleich einem Wendepunkt: dass Lehrentwicklung durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit, also auch durch Offenlegung von Unrechtstaten und –strukturen geschehen kann. In Bezug auf den in diesem Blog schon oft zitierten kirchlichen Grundsatz, dass „die apostolische Überlieferung in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt“ (DV 8), hatte ich diesbezüglich im vorausgegangenen Blog-Beitrag bereits die „geschärfte und vertiefte Perspektive auf das Feld der Sexualität in der Arbeit des Synodalforums“ beschrieben.

"Die Bedeutung sexueller Selbstbestimmung und die Würde jedes Menschen in seiner sexuellen Identität bekommen einen Stellenwert, der auch die kirchliche Sexualmoral wieder anschlussfähig an heutige Grundsätze der Sexualwissenschaften machen könnte." (Blogbeitrag vom 19.11.20)

Aber jenseits aller Ansätze des Aufbruches wird das Wahrnehmen der Zeichen der Zeit und ihre Deutung im Licht des Evangeliums nur gelingen, wenn wirklich auch nur der Anschein von Vertuschung, von Institutions- und Täterschutz verflogen, Aufarbeitung von externer Seite angefragt und einbezogen ist und eingeholte Gutachten radikal offengelegt werden – auch und gerade das WSW-Gutachten im Erzbistum Köln, wie es auch die Vollversammlung des ZDKs am 20.11.20 fordert: 

"Aktuell sind wir Zeuginnen und Zeugen intransparenter Vorgänge im Erzbistum Köln. Wir fordern, diese vollständig offen zu legen und insbesondere die Ergebnisse aus dem Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zugänglich zu machen. Außerdem muss für weitere Untersuchungen eine unabhängige Kommission vergleichbare Prozesse und anzuwendende Methoden definieren und die Ergebnisse diözesanübergreifend evaluieren." (ZDK.de vom 20.11.20)

Die Zurückhaltung des besagten Gutachtens hat bereits jetzt einen Glaubwürdigkeitsverlust verursacht, dass eine erstickende Atmosphäre der Unglaubwürdigkeit über die Kölner Bistumsgrenzen hinaus sich immer weiter ausbreitet: Das Gegenteil dessen, was mit dem vor einem Jahr in Deutschland auf den Weg gebrachten 'Synodalen Weg' intendiert war. Wie es um die Kirche steht, bringen nachdrücklich und bewegend die „Fragen an meine Kirche – Sorgen eines Landpfarrers im Rheinland“ zum Ausdruck, die ebenfalls Ende November veröffentlicht wurden. 

Ein authentisches und ebenso bedrückendes wie ermutigendes Hirtenwort zum Advent 2020 in Deutschland.