Donnerstag, 18. Juni 2015

"Laudato si‘ – oder über den gemeinsamen Nenner von Ökologie-Enzyklika und Familiensynode"– ergänzt um einige zentrale Aspekte des vorbereitenden Arbeitspapieres 'Instrumentum laboris'

„Gott verzeiht immer, wir, die Menschen, verzeihen einige Male, die Natur verzeiht nie.“ Diesen Ausspruch eines argentinischen Bauern zitierte Papst Franziskus Anfang des Jahres auf einer Pressekonferenz auf dem Flug von Colombo nach Manila am 15.1.2015 und wiederholt in seinen Ankündigungen der weltweit seit langem erwarteten wie in gewissen Kreisen befürchteten Umwelt-Enzyklika 'Laudato si''. Und dieses Zitat ist schon in der Zueignung durch Papst Franziskus insofern revolutionär, als die Aussage, dass die menschlichen Klima-Sünden tatsächlich ab einem gewissen Zeitpunkt irreversibel und nicht wiedergutzumachen sind, eigentlich eine naturwissenschaftliche Annahme bedeutet und keine theologische Lehraussage im eigentlichen Sinne ist.
Collage aus dem Titel der Ökologie-Enzyklika, dem Ausschnitt einer Werbetasche von
Christ & Welt der ZEIT und dem Flyer-Deckblatt des DBK-/ ZDK-Hearings vom 18.6.15
Revolutionär ist ebenso das daraus abgeleitete und bislang für lehramtliche Texte – unbeschadet der akzentuierten Kontinuität in der Soziallehre der Kirche beispielslose Plädoyer für eine nachhaltige Entwicklung, und beides angesichts der Papst Franziskus sehr bewussten, spannungsreichen Geschichte in der Rezeption von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen durch die kirchliche Lehrmeinung, die er noch auf dem Rückflug von Korea nach Rom im August 2014 in aller Vorsicht ansprach.
„[Das ist kein] leichtes Problem, denn über die Bewahrung der Schöpfung, die Ökologie, auch die menschliche Ökologie, kann man bis zu einem gewissen Punkt mit einiger Sicherheit sprechen. Danach kommen die wissenschaftlichen Hypothesen, einige ziemlich sicher, andere nicht. Und eine solche Enzyklika, die lehramtlich sein muss, darf nur auf den Sicherheiten aufbauen, auf den Dingen, die gesichert sind. Wenn der Papst nämlich sagt, dass das Zentrum des Universums die Erde und nicht die Sonne ist, irrt er sich, denn er äußert sich zu einer Sache, die wissenschaftlich sein muss, und so geht das nicht“ (Pressekonferenz auf dem Rückflug von Korea am 18. August 2014).
Nach den drei großen Kränkungen des christlichen Glaubens, dass ‚die Erde nicht Mittelpunkt des Weltalls‘ (immerhin wurde Galileo Galilei vor knapp 23 Jahren kirchlicherseits offiziell rehabilitiert), der Mensch nicht Krone einer sieben Tage währenden Schöpfungswoche (sondern nach Charles Darwin Produkt einer evolutiven Entwicklung) und mit seinem Verstandesvermögen auch nicht uneingeschränkt ‚Herr im eigenen Haus‘ ist (seit den psychoanalytischen Erkenntnissen Sigmund Freuds) wird von Papst Franziskus für einen Großteil des Christentums eine weitere Kränkung eingestanden, die mit einer am biblischen Wortlaut festhaltenden Haltung beinahe ebenso unaushaltbar ist: Dass der in derselben Schöpfungsgeschichte ausgesprochene Unterwerfungsauftrag der Welt (vgl. Gen 1,28) seine Grenzen dort findet, wo die Schöpfung als Ganze gefährdet ist und der Mensch seine und die Grundlagen der Schöpfung insgesamt gefährdet.
Aber diesmal ist die kirchliche Lehrmeinung nicht zu spät (auch wenn es in der Hinsicht einiger Naturwissenschaftler schon fünf nach zwölf ist), zumindest insofern nicht, als diese nicht nur ein Politikum, sondern in manchen Teilen der (vor allem ‚neuen‘) Welt gar anders gesehen wird; wo das, was weltweit mehrheitlich als (leid- und sorgenvoll eingestandenes) gesichertes Wissensgut angesehen wird, immer noch als vermeintliche Glaubensfrage behandelt wird (hinter der nicht selten ganz weltliche Interessen von Macht, Einfluss und wirtschaftlichem Gewinnstreben stehen). Dabei ist die Unterscheidung von Glauben und Wissen so etwas wie das ‚kleine Einmaleins‘ der katholischen Theologie. „Entweder etwas wird gewußt, dann ist es nicht Gegenstand des Glaubens, oder es wird geglaubt, dann ist es nicht Gegenstand des Wissens.“ (Dörnemann, Freundschaft, 80) Der Glaube ist also Grenze der Vernunft und umgekehrt die Vernunft Grenze des Glaubens. (vgl. ebd.) Sicher, das kann man auch anders sehen. Doch ist dies die Weise, wie die katholische Kirche denkt und dies mit der Enzyklika „Laudato si‘“, aber auch schon mit der 1998 veröffentlichten Enzyklika „Fides et ratio“ Papst Johannes Pauls II., den Werken des Thomas von Aquin etc. eindrücklich zum Ausdruck bringt. Und das kann und muss mitunter auch ein Eingeständnis bzw. die Anerkennung einer wissenschaftlichen Erkenntnis sein, mit der das Glaubensgut randschärfer gesehen und ausgedrückt zu werden vermag und die als eigenständiger ‚Flügel der Wahrheit‘ (Ebd.) niemals nie das Proprium des Glaubens gefährden kann (das per definitionem eben nicht zu wissen ist und auch niemals zu diesem in Widerspruch gebracht werden darf).
Dieselbe Perspektive der Wahrnehmung von Wirklichkeit kennzeichnet das „Hören“ auf das „Was Familien sagen“, wie das erste gemeinsame Hearing des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und der Deutschen Bischofskonferenz  beinahe zeitgleich wie die Veröffentlichung der Ökologie-Enzyklika am 18.6.2015 in Berlin überschrieben war. Auch bei der Definition des Familienbegriffes haben wir es nicht – auch wenn es nicht wenige ‚glauben machen‘ wollen – mit einer Glaubensfrage zu tun, sondern mit der Wahrnehmung einer nicht nur durch biblische Zeiten hindurch sehr pluriformen sozialen Größe:
"Denn im Alten und Neuen Testament ist die Familie im heutigen Verständnis unbekannt. Vielgestaltig stellen sich die Familienformen sowie das Verhältnis von Familie und Religion bereits im Alten Testament dar. […] Abgesehen von einem anders ansetzenden ‚Familienverständnis’ – bajit […] bezeichnet die Hausgemeinschaft, mishpa cħa […] bezeichnet einen Clan innerhalb eines Stammes – finden sich polygame Familienformen wie Jakob mit Lea und Rahel (Gen 29) oder aber Verbindungen, die auch Sklavinnen in die Familie integrierten (wie bei Abraham und Hagar; Gen 16) oder das Institut der Leviratsehe (Gen 38)."  (Vgl. Dörnemann, Ehe und Familie, 42)

Und auch zur Zeit des neuen Testaments bleibt unser heutiger Familienbegriff dem biblischen Denken fremd. Der Familienbegriff des Neuen Testaments drückt sich in den Begriffen oikos bzw. oikia aus, wobei die jeweilige Bedeutung der Hausgenossenschaft nur dem jeweiligen Kontext zu entnehmen ist. Dabei nimmt es der Bedeutung von Ehe und Familie als erstem Lernort des Glaubens und Schule der Liebe nichts, wenn man das Christentum etwa im Gegensatz zum Judentum und zum Islam gar als Familien relativierende Religion bezeichnen muss. So heißt es im Neuen Testament:
„Wer um meines Namens willen Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen“, heißt es bei Mt 19,29. Oder: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig“ bei Mt 10,37. Auch wenn in diesen Formulierungen auf das den Familienbereich übersteigende Gottesreich abgehoben wird, verweist das Neue Testament darin implizit zugleich ein Verabsolutieren der Familienloyalität zurück: Die Nachfolge Jesu beansprucht Priorität vor allen familiären Bindungen." (Ebd., 43)
Und es kommt nach katholischer Lehre überhaupt nicht darauf an, Sozialformen – möglichst unversehrt – in den Himmel zu bringen (manchmal kann auch eine Trennung einen Heilsweg bedeuten, und nicht von ungefähr heißt es: „…bis dass der Tod Euch scheidet“), sondern auf das Heil und Glück des Einzelnen – auf das hin freilich Ehe und Familie in besonderer und vielfältiger Weise hingeordnet sind. Und genau das ist die Aufgabe der diesjährigen Familiensynode wie des gesamten bald zwei Jahre währenden synodalen Weges: angesichts der Wahrnehmung und des 'Hörens' der Herausforderungen von Familien heute (= I. Teil des am 23.6.2015 veröffentlichten Vorbereitungsdokumentes 'Instrumentium laboris') ihre Berufung und Mission orientiert am Evangelium Jesu Christi in der modernen Welt genauer zu beschreiben (vgl. II. und III. Teil des 'Instrumentum laboris'). Dabei wird es angesichts des Wandels der Formen familialen Lebens in der heutigen Gesellschaft und in den unterschiedlichen Kulturen darauf ankommen die graduelle Reifung, Öffnung und Annäherung der Beziehungformen aufzunehmen (Vgl. Instrumentum laboris 43, 57, 59, 103) und darin die „Stufen der Liebe im Prisma der Analogie“ in neuer Weise zu beschreiben, wie H.M. Christmann einen Abschnitt der entsprechenden Frage 23,1 der II-IIae der Summa Theologiae des Thomas von Aquin in seinem Kommentar der Deutschen Thomasausgabe, Bd. 17 A (S. 420) bereits im Jahr 1959 einleitet. Auch wenn wir es auf der diesjährigen Synode nicht erleben werden, dass „[d]ie Stufen der Freundschaft im Lichte der Analogie“ – wie Christmann einen weiteren Abschnitt (Ebd., S. 426) überschreibt – in Hinblick auf die Ehe angedacht werden (wie es etwa im Blog-Beitrag vom 14.2.2015 mit Bezug auf Thomas von Aquin versucht wurde), wird es doch der in der Umwelt-Enzyklika und dem Abschlussdokument der vorausgegangenen Familiensynode ausformulierte Gedanke der Orientierung an der Wirklichkeit des Lebens (unter Einbezug der für das Arbeitspapier 'Intrumentum laboris' aus allen Teilkirchen angefragten Wirklichkeitsbeschreibung ) derjenige Ausgangspunkt sein, in den hinein die befreiende Botschaft der Liebe Gottes zu entfalten ist. Die Ehe ist genau das Abbild (nach Eph 5,32) der in Jesus Christus mitgeteilten Liebe Gottes zu uns Menschen; genau das ist der schmale und doch so tief reichende Grund der dogmatischen Lehre.

Alles entscheidet sich im Verständnis der Ehe, wie wir die in Jesus Christus offenbar gewordene und bis in den Tod durchgehaltene Liebe Gottes zu uns Menschen deuten und sie in Bezug auf Lebenswirklichkeit der Menschen von heute erschließen. Nach der Ökologie-Enzyklika ist dies der nächste – innerkirchlich wie gesellschaftlich nicht minder bedeutsame – Meilenstein für die Glaubwürdigkeit und Zukunftsfähigkeit des Christentums in der heutigen Zeit. Beides, die Umwelt-Enzyklika wie der synodale Prozess zu den Fragen rund um Ehe und Familie – selbst und gerade da, wo sie sich „an alle“ (vgl. Laudato si' 3), wenden – , sind das Gegenteil einer 'Anpassung an den Mainstream' oder an eine 'Globalisierungsideologie', wie Kritiker immer wieder 'glauben machen' wollen, sondern die bewusste Wahrnehmung der Zeichen der Zeit um der Zukunft von Schöpfung und Menschheit, der Relevanz und des Propriums des Glaubens, um des Evangeliums willen.


Wie die Ökologie-Enzyklika ist auch das gerade veröffentlichte Arbeitspapier 'Instrumentum laboris' Ergebnis der 'pastoralen Kreativität von Papst Franzikus' (Ebd., Nr. 147). Ähnlich wie die Enzyklika möge - wie der Sondersekretär der Bischofssynode Erzbischof Bruno Forte in der Pressekonferenz am 23.6.2015 bezogen auf den weiteren synodalen Prozess sagte  - ein "offener Prozess angestoßen werden, der ein gemeinsames Unterscheiden erfordere". (Vatican Insider vom 23.6.2015)

Der nächste Blog-Beitrag erscheint am 19.7.2015!