Dienstag, 22. Dezember 2020

Weihnachtsfest in der Pandemie – oder: Die Chance in der Krise wider die verlorene Glaubwürdigkeit

Als wenn die diesjährige Weihnachtsansprache für die Römische Kurie auch und gerade auf den Anlass des Synodalen Weges der Kirche in Deutschland und sein Stottern angesichts von Pandemie und intransparenter Missbrauchsaufarbeitung – wie derzeit im Erzbistum Köln* – gemünzt wäre, stellt Papst Franziskus die Krise der Kirche in den Mittelpunkt seiner diesjährigen Weihnachtsansprache:

"Dieses Weihnachtsfest ist das Weihnachtsfest in der Pandemie, der gesundheitlichen, sozialökonomischen, aber auch kirchlichen Krise, die die ganze Welt unterschiedslos getroffen hat. Die Krise ist nicht mehr nur ein Allgemeinplatz des Diskurses und des intellektuellen Establishments, sie ist zu einer Realität geworden, die alle betrifft." (Vaticannews vom 21.12.20)

Und er fügt wie schon im März auf dem Petersplatz umgehend hinzu:

"Diese Geißel war eine beachtliche Bewährungsprobe und zugleich eine große Chance, uns zu bekehren und wieder authentisch zu werden." 

 

Verlorene Authentizität und Glaubwürdigkeit

 

Allein: die Authentizität wird der Katholischen Kirche in Deutschland gerade nicht mehr abgenommen. Zunotorischen Lügnern“ werden Bischöfe aus dem Erzbistum Köln gerechnet, deren Missbrauchsaufarbeitung auch von bischöflichen Kollegen als unsäglich“, „verheerend“, zutiefst verletzendund als „regelrechtes Desaster“ bezeichnet wird.

 

Nach dem im März 2019 anlässlich des weltweite Ausmaße annehmenden Missbrauchsskandals veröffentlichten Papstschreiben „Ihr seid das Licht der Welt“ (Vos estis lux mundi) kennzeichnet gerade Bischöfe 

"eine ständige und tiefe Umkehr der Herzen, die durch konkrete und wirksame Handlungen bezeugt wird; diese beziehen alle in der Kirche mit ein, sodass die persönliche Heiligkeit und der moralische Einsatz dazu beitragen können, die volle Glaubwürdigkeit der Verkündigung des Evangeliums und die Wirksamkeit der Sendung der Kirche zu fördern." (Ebd.)

Was aber tun, wenn die Glaubwürdigkeit erschüttert ist und fehlt? Wie kann man glaubhaft Weihnachten feiern, wenn die Hirten diese selbst vermissen lassen, man am „Umgang mit den Verbrechen sexueller Gewalt in der Kirche ablesen kann: Die können und wollen das Kind gar nicht schützen.“ (Kölnische Rundschau 13.12.20)

 

Die verlorene Glaubwürdigkeit stand am Anfang des Synodalen Wegs in Deutschland. Sie wiederherzustellen, „den zugrundeliegenden Problemen, die dieses schreckliche Missbrauchsgeschehen überhaupt ermöglicht haben“, nachzugehen, war und ist trotz einer aufkommenden „Grundfrustration […] angesichts der aktuellen Debatten um Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln“ weiterhin Ziel des nunmehr Corona-bedingt bis zum Herbst 2022 projektierten Synodalen Weges.

 

Die aktuelle Situation mit den Worten der diesjährigen Weihnachtsansprache einfach nur als Krise zu verstehen, erscheint fast euphemistisch ausgedrückt, weil sie nicht durch Aussitzen oder Zuwarten gelöst werden kann vielmehr dadurch nur verschlimmert wird , sondern nur durch ein Bekenntnis von Schuld und die Übernahme und das Tragen von Verantwortung. 


 Darüber hinaus, nicht hinwegsehen


Und dennoch ist auch -  trotz oder angesichts aller Verzweiflung über einzelne Verantwortungsträger - darüber hinaus zu sehen.
Denn eine „Reflexion über die Krise warnt uns davor, die Kirche vorschnell nach den Krisen zu beurteilen, die durch die Skandale von gestern und heute verursacht wurden“ (Ebd.) und darin die Kirche schon auf dem Weg „in eine Sekte“ abdriften zu sehen, wie im Blick auf die Missbrauchsaufarbeitung in Köln gerade schon geschrieben wird. Davon abstrahierend sagt Papst Franziskus in der aktuellen Weihnachtsansprache:

"Wie oft scheint auch unseren kirchlichen Analysen die Hoffnung zu fehlen. Ein hoffnungsloser Blick auf die Wirklichkeit kann nicht als realistisch bezeichnet werden. Die Hoffnung gibt unseren Analysen das, was unsere kurzsichtigen Augen so oft nicht wahrnehmen können."  (Ebd.)

Und beim nächsten Absatz erinnert der Wortlaut von Papst Franziskus fast wieder an den schonungslos und beinahe sarkastischen Stil früherer Weihnachtsansprachen, der zu Beginn die eigentliche Chance in der Krise herausarbeitet:

"Wer die Krise nicht im Licht des Evangeliums betrachtet, beschränkt sich darauf, die Autopsie einer Leiche durchzuführen. Er schaut auf die Krise, aber ohne das Licht des Evangeliums. Die Krise ist nicht nur deswegen so erschreckend für uns, weil wir verlernt haben, sie so zu sehen, wie das Evangelium es uns nahelegt, sondern weil wir vergessen haben, dass allem voran das Evangelium selbst uns in eine Krise bringt. Es ist das Evangelium, das uns in eine Krise bringt."  (Ebd.)

(Screenshot Vaticannews vom 21.12.20)

Und bei Licht betrachtet ist ja gerade das die Erfahrung des Synodalen Wegs, auch wenn ich sie nur – wie geschrieben – für den Verlauf eines Synodalforums aus eigener Perspektive bezeugen kann.

"Wenn wir aber wieder den Mut und die Demut finden, laut auszusprechen, dass die Zeit der Krise eine Zeit des Heiligen Geistes ist, dann werden wir uns auch angesichts der Erfahrung von Dunkelheit, Schwäche, Zerbrechlichkeit, Widersprüchen und Verwirrung nicht mehr niedergeschlagen fühlen, sondern immer ein inniges Vertrauen darauf bewahren, dass die Dinge gerade eine neue Form annehmen, die allein aus der Erfahrung einer im Dunklen verborgenen Gnade entsprang. […]
Wenn uns also ein gewisser Realismus unsere jüngste Geschichte nur als die Summe von nicht immer geglückten Versuchen, Skandalen, Stürzen, Sünden, Widersprüchen und Kurzschlüssen beim Zeugnisgeben darstellt, sollten wir weder erschrecken, noch sollten wir die Evidenz all dessen leugnen, was in uns und in unseren Gemeinschaften vom Tod betroffen ist und der Bekehrung bedarf. Alles, was böse, widersprüchlich, schwach und zerbrechlich ist und sich offen zeigt, erinnert uns noch stärker an die Notwendigkeit, alles Denken und Tun, das dem Evangelium nicht entspricht, in uns absterben zu lassen. Nur wenn wir eine bestimmte Mentalität absterben lassen, wird es uns auch gelingen, Platz für das Neue zu schaffen, das der Geist ständig im Herzen der Kirche weckt. Die Kirchenväter waren sich dessen bewusst, sie nannten es „Metanoia". (Ebd.)

 

Metanoia, Aggiornamento und Synodalität – oder: Was in der Krise zu tun ist


"Was ist in der Krise zu tun? Zunächst einmal sollte man sie als eine Zeit der Gnade annehmen, die uns gegeben ist, um Gottes Willen für jeden von uns und für die ganze Kirche zu verstehen." (Ebd.)

"In jeder Krise gibt es immer ein begründetes Bedürfnis nach einem aggiornamento: das ist ein Schritt vorwärts. Aber wenn wir wirklich eine solche Aktualisierung wollen, müssen wir den Mut zu einer umfassenden Bereitschaft haben." (Ebd.)

Dieses Aggionamento ist mehr als das „Flicken eines Kleides“. Wir sind vielmehr „aufgerufen, denselben Leib mit einem neuen Gewand zu bekleiden“ (Ebd.).

"Ohne die Gnade des Heiligen Geistes, selbst wenn man beginnt, die Kirche synodal zu denken, wird sie sich, anstatt sich auf die Gemeinschaft mit der Präsenz des Heiligen Geistes zu beziehen, als eine beliebige demokratische Versammlung verstehen, die sich aus Mehrheiten und Minderheiten zusammensetzt. Wie ein Parlament, beispielsweise: Das ist nicht Synodalität. Allein die Gegenwart des Heiligen Geistes macht den Unterschied." (Ebd.) 

 

Der Synodale Weg im Heiligen Geist

Auch in diesem Absatz scheint die Weihnachtsansprache indirekt auch auf die Situation der Kirche in Deutschland gemünzt zu sein, wie sie ähnlich schon in der Audienzansprache des Papstes am 25.11.20 anklang (vgl. Blog-Beitrag vom 1.12.2020). Aus Sicht eines der Präsidenten des Synodalen Weges und Vorsitzenden des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK) Thomas Sternberg „sollten die Synodalen auch daran arbeiten, ihre Kommunikation mit Rom zu verbessern. Er habe den Eindruck, dass im Vatikan 'Fehlvorstellungen' über die Katholiken in Deutschland kursierten, etwa dass in Deutschland zwei etwa gleich große Gruppen von Konservativen und Progressiven 'aufeinanderprallen' würden. Dabei sei eine große Mehrheit bereit, neue Wege zu gehen." (katholisch.de vom 18.12.20)

 

Und ich darf als Mitglied des Synodalforums "Liebe und Sexualität" anfügen: Sie sollten deutlich machen – wie schon im vorausgegangenen Blog-Beitrag erwähnt – wie sehr der Synodale Weg seinerseits eine Bewegung im Heiligen Geist ist. In diesem Sinn ist Weihnachten im Jahr 2020 in und trotz aller Unsäglichkeiten in einigen Ortskirchen ein Zeitpunkt der Gnade heute, einer Zeit der "Neuheit, die aus dem Alten hervorgeht und es fortwährend fruchtbar macht" und in der wir "nicht geboren werden, um zu sterben, sondern im Gegenteil, um etwas Neues anzufangen." [Hanna Arendt] (Weihnachtsansprache vom 21.12.20)  



* Link ergänzt am 23.12.2020

Dienstag, 1. Dezember 2020

Verlorene Glaubwürdigkeit – oder: 1 Jahr Synodaler Weg


                                                (Screenshot: katholisch.de vom 1.12.19)
Vor einem Jahr wurde der katholische Reformprozess "Synodaler Weg" in Deutschland in der Münchener Frauenkirche mit einem Gottesdienst eröffnet. Die Kirche sei "kein geschlossenes System, keine Zitadelle, die sich einmauert" und bedürfe der "Offenheit" und eines synodalen Weges um der Zukunft der Kirche willen, sagten damals der Münchener Kardinal Reinhard Marx und die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Katholiken Karin Kortmann. Nur durch „unsere selbstkritische Arbeit“ könne man die durch den Missbrauchsskandal verlorene Glaubwürdigkeit wiedererlangen.

"Nach der schrecklichen Erfahrung, dass sexueller Missbrauch in der Kirche stattgefunden hat", gelte es nun, "Gefährdungen systemischer Natur" anzuschauen, etwa "falsche Herrschaftsorganisationen", ergänzte der Kardinal. Um wieder glaubwürdige Zeugen der Freude und der Hoffnung zu sein, "müssen wir manche Hindernisse beseitigen". (katholisch.de vom 1.12.19)

Vor diesem Hintergrund ist es unaushaltbar, dass ein Jahr nach dem Beginn des Synodalen Weges ein spätestens seit März 2020 vorliegendes Gutachten zu den Missbrauchsstrukturen und -taten im Erzbistum Köln wegen angeblicher methodischer Mängel bis auf weiteres endgültig unter Verschluss gehalten wird – von dem Eingeständnis der Instrumentalisierung Betroffener ganz zu schweigen, die sich in diesem Zusammenhang ein zweites Mal mit denselben Mechanismen der Macht missbraucht fühlen (selbst noch einmal darin, dass Einzelnen von ihnen unter Auflagen Inhalte im März nächsten Jahres zugänglich gemacht werden sollen, wie es seit dem ersten Adventswochenende heißt)


So geht es nicht weiter! Wenn die Voraussetzungen für den synodalen Weg – das vorbehaltlose Offenlegen der Gutachten von Missbrauchstaten und -strukturen – nicht gegeben sind, untergräbt das Verhalten auch nur einer Ortskirche die Glaubwürdigkeit aller  anderen Ortskirchen in Deutschland, der verschiedenen Synodalforen und des Synodalen Wegs insgesamt.


Dabei ist der Reformprozess an einigen Stellen gut unterwegs: zumindest für das Synodalforum „Liebe und Sexualität“ – wie es abgekürzt genannt wird , in dem ich mitarbeiten darf, kann ich sagen, dass der Arbeits- und Diskussionsstand trotz oder wegen Corona und den Möglichkeiten digitaler Kommunikation vorangeschrittenen ist auf einem Weg, den ich von den Plenar- und Regionenkonferenzen, der Arbeit im Forumsplenum wie in der Redaktionsgruppe als einen geistlichen Prozess erlebe: Nicht nur dass Gottesdienste am Anfang standen und den synodalen Weg begleiten, auch die Verantwortung für die kirchliche Gemeinschaft als ganze und ihre Lehre werden mit großer Ernsthaftigkeit in der Forumsarbeit verfolgt und vom Gebet begleitet. Genau in diesem Sinn, „in einer Gemeinschaft, in seinem Wort, in der Eucharistie und im Gebet zu sein“, bezeichnete Papst Franziskus in seiner Generalaudienz vor genau einer Woche die Kennzeichen von Synodalität und eines Cammino sinodale, die sich von denjenigen einer bloßen "strada sinodale" – ohne Wirken des Hl. Geistes und nur auf das Erzielen von Mehrheitsentscheidungen bedacht – unterscheiden.

Dass der Tiefpunkt der unsäglichen Missbrauchstaten und die zugrundeliegenden Strukturen dazu beigetragen haben, auch die kirchliche Lehre von der Wurzel her neu wahrzunehmen und zu durchdringen, ist dabei eine paradoxe und doch so wichtige Erfahrung gleich einem Wendepunkt: dass Lehrentwicklung durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit, also auch durch Offenlegung von Unrechtstaten und –strukturen geschehen kann. In Bezug auf den in diesem Blog schon oft zitierten kirchlichen Grundsatz, dass „die apostolische Überlieferung in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt“ (DV 8), hatte ich diesbezüglich im vorausgegangenen Blog-Beitrag bereits die „geschärfte und vertiefte Perspektive auf das Feld der Sexualität in der Arbeit des Synodalforums“ beschrieben.

"Die Bedeutung sexueller Selbstbestimmung und die Würde jedes Menschen in seiner sexuellen Identität bekommen einen Stellenwert, der auch die kirchliche Sexualmoral wieder anschlussfähig an heutige Grundsätze der Sexualwissenschaften machen könnte." (Blogbeitrag vom 19.11.20)

Aber jenseits aller Ansätze des Aufbruches wird das Wahrnehmen der Zeichen der Zeit und ihre Deutung im Licht des Evangeliums nur gelingen, wenn wirklich auch nur der Anschein von Vertuschung, von Institutions- und Täterschutz verflogen, Aufarbeitung von externer Seite angefragt und einbezogen ist und eingeholte Gutachten radikal offengelegt werden – auch und gerade das WSW-Gutachten im Erzbistum Köln, wie es auch die Vollversammlung des ZDKs am 20.11.20 fordert: 

"Aktuell sind wir Zeuginnen und Zeugen intransparenter Vorgänge im Erzbistum Köln. Wir fordern, diese vollständig offen zu legen und insbesondere die Ergebnisse aus dem Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zugänglich zu machen. Außerdem muss für weitere Untersuchungen eine unabhängige Kommission vergleichbare Prozesse und anzuwendende Methoden definieren und die Ergebnisse diözesanübergreifend evaluieren." (ZDK.de vom 20.11.20)

Die Zurückhaltung des besagten Gutachtens hat bereits jetzt einen Glaubwürdigkeitsverlust verursacht, dass eine erstickende Atmosphäre der Unglaubwürdigkeit über die Kölner Bistumsgrenzen hinaus sich immer weiter ausbreitet: Das Gegenteil dessen, was mit dem vor einem Jahr in Deutschland auf den Weg gebrachten 'Synodalen Weg' intendiert war. Wie es um die Kirche steht, bringen nachdrücklich und bewegend die „Fragen an meine Kirche – Sorgen eines Landpfarrers im Rheinland“ zum Ausdruck, die ebenfalls Ende November veröffentlicht wurden. 

Ein authentisches und ebenso bedrückendes wie ermutigendes Hirtenwort zum Advent 2020 in Deutschland.