Vom
4. bis 25. Oktober 2015 trat die XIV. Ordentliche Generalversammlung
der Bischofssynode unter dem Thema "Die Berufung und Sendung der
Familie in Kirche und Welt von heute" zusammen. Sie führte die
nach einem über zweijährigen synodalen Prozess – mit den
Zwischenstationen zweier Umfragen und der vorausgegangenen
Außerordentlichen Bischofssynode des Jahres 2014 – den
theologischen Neuansatz der Wertschätzung familialer Lebensformen in
einer Vervollkommnungsperspektive göttlicher Pädagogik weiter. Sie
machte andererseits aber auch die Grundsatzfrage und Herausforderung
in diesem Zentralbereich menschlicher Lebenswirklichkeit deutlich,
wie man "angesichts der Vielfalt von Kulturen bei einem Thema
wie Ehe, Familie und Sexualität eine gemeinsame Sprache finden"
könne (Kardinal Marx am 19.10.2014). Papst Franziskus brachte es in
einem vielzitierten Absatz in seiner Abschlussansprache am 24. Oktober 2015 in folgender Weise auf den Punkt:
"Und – obwohl die dogmatischen Fragen durch das Lehramt der Kirche klar definiert schienen – sahen wir, dass das, was dem einen Bischof von einem Kontinent normal war, den anderen befremdete und fast wie ein Skandal vorkam [...]; was in einer Gesellschaft als ein Verstoß gegen das Gesetz gilt, kann ein unantastbares Gebot in einer anderen sein; was für manche Teil der Gewissensfreiheit ist, gilt anderen nur als Verwirrung. In der Tat sind Kulturen sehr unterschiedlich und jedes generelle Prinzip bedarf der Inkulturation, um beachtet und angewendet werden zu können."
Noch
bei der Abschlusspressekonferenz der Bischofssynode am 24. Oktober
2015 stand neben den mit deutlicher (oder knapperer)
Zweidrittelmehrheit verabschiedeten Beratungsergebnissen genau dieser
Zusammenhang im Mittelpunkt, als die "Diversität und Einheit in der Synodalität " als Kennzeichen der katholischen Kirche
mit weltweit 1,3 Milliarde Gläubigen bezeichnet wurde. Deutlich
wurde betont, dass sich die Kirche auf dem synodalen Weg an dem
Gleichgewicht, an der Balance zwischen Zentralisierung und
Dezentralisierung messen müsse, wenn sie die Herausforderung der
heutigen Zeit annehmen will. Neben dem Abschlussdokument der ‚Relatio Synodi‘ mit seinen vielen, z.T. sehr weiterführenden Einzelvoten
ist diese formale Feststellung tatsächlich aus meiner Sicht das
Hauptergebnis des zweijährigen synodalen Prozesses. Und es markiert
noch nicht einmal ein Ergebnis im eigentlichen Sinn, sondern einen
Zwischenstand, wie Papst Franziskus in einer als historisch
bezeichneten Rede am Ende der zweiten Synodenwoche – im Rahmen
eines Festaktes anlässlich des 50jährigen Jubiläums der
Bischofssynode – am 17. Oktober 2015 ausführte:
"Wir sind auf halbem Weg, auf einem Teil des Weges. Wie ich bereits gesagt habe, ist es in einer synodalen Kirche 'nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen. In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen 'Dezentralisierung' voranzuschreiten' (Evangelii gaudium 16)."
Das doppelte Paradox der Familiensynode
„Synodalität ist der Weg der Kirche im dritten Jahrtausend“, so die deutliche
Ansage von Papst Franziskus während der Versammlung der
Bischofssynode im vergangenen Oktober, die hohe Wellen geschlagen
hat. Sie ist in dreifacher Weise paradox. In Hinblick auf das noch
ausstehende Synodenergebnis, kommt es nämlich zunächst – Paradox
dieser Synode – auf das nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus
an, das für Ende des ersten Quartals dieses Jahres erwartet wird.
Dass nach der derzeitigen Kirchenverfassung nicht nur Fragen der
Lehrverkündigung und -entwicklung, sondern auch alle Veränderungen
in Hinblick auf eine Änderung der Kirchenverfassung – das bedeutet
eine ‚Dezentralisierung‘ –, nur ‚top down‘ erfolgen können,
ist das zweite, damit verbundene Paradox. Nicht minder paradox ist
aber, dass gerade die vermeintliche Ergebnislosigkeit der Synode mit
ihren teilweise konträren und zuweilen entgegengesetzten Positionen
im Abschlussdokument dafür eine Argumentationsbasis bietet. Schon in
seinem ersten apostolischen Schreiben Evangelii gaudium des Jahres
2013 hatte Papst Franziskus das päpstliche Dienstamt als zu einer
Umgestaltung herausgefordert beschrieben, in der Kollegialität und
Synodalität Wesensvollzüge einer sich erneuernden Kirche sind. In
dem Willen, in Richtung einer "heilsamen Dezentralisierung"
voranzuschreiten, spricht Papst Franziskus in dem o.g. Lehrschreiben
von einer "Bekehrung" des Papstamtes (vgl. EG 32). Er
bezieht sich dabei auf Papst Johannes Paul II., der schon 1995 in
seiner Ökumene-Enzyklika dieses Neuverständnis andeutet, dass es
notwendig sei "eine Form der Primatsausübung zu finden, die
zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich
aber einer neuen Situation öffnet" (Ut unum sint 95).
Wenn
Papst Franziskus im direkten Anschluss bereits seinen "Blick
auch auf die ganze Menschheit" richtet, ist das die weitere
Perspektive (die etwa auch schon in seinem Plädoyer in der Enzyklika
'Laudato si' für die Schöpfungsverantwortung und -sorge im
'gemeinsamen Haus' deutlich geworden ist), die sich zunächst an den
Herausforderungen innerhalb der katholischen Kirche zu bewähren hat:
in dem Abwägen gemeinsamer pastoraler Leitlinien angesichts der in
den Teilkirchen und Kulturen dieser Welt sehr unterschiedlichen
Herausforderungen im Bereich von Ehe und Familie. Das
Abschlussdokument der diesjährigen Synode vor Augen, das die
Synodalen dem Papst als Beratungsergebnis übergeben haben, wird es
das Amt des Papstes sein, seinem auf dem II. Vatikanischen Konzil
konkretisierten und von ihm selbst noch einmal in derselben
Jubiläumsansprache zitierten Selbstverständnis zu genügen, nämlich
"das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die
Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen" (Lumen gentium 23, vgl. 1. Vatikanisches Konzil, Pastor Aeternus) zu
repräsentieren.
Erwartungen
an das nachsynodale Schreiben
Die
erwartete Antwort von Papst Franziskus wird deshalb aus zwei Teilen
bestehen: Einerseits wird er sich zu dem Beratungsergebnis des
vorausgegangenen, zweijährigen synodalen Prozesses in einem
nachsynodalen Schreiben verhalten und inhaltlich die ausgezogene
Argumentation bündeln und orientieren. Dabei wird er sowohl
pastorale Leitlinien ausziehen, die hinsichtlich des Synodenthemas
"Berufung und Mission der Familie in der Kirche in der modernen
Welt" die Einheit in der Weltkirche beschreiben, als auch die
notwendige 'Symphonie der Verschiedenheit', die die Inkulturation der
Thematik weltweit erfordert, unterstreichen. Es ist dabei zu
erwarten, dass das Lehrschreiben den theologischen Grundgedanken der
‚barmherzigen Liebe Gottes’ aufnimmt und weiterführt und auch
viele umstrittene Einzelthemen in neuer Weise anspricht. In einem
"Fluss der barmherzigen Liebe", der aus der Erfahrung
gespeist ist, selbst zuerst von Gott geliebt zu sein, erscheinen
bereits im Abschlussdokument der Synode die zu Beginn angesprochenen
'heißen Eisen' in einem anderen Licht. Auch wenn Aussagen zu
gelebter Homosexualität fehlen, finden sich statt verurteilender
Einschätzungen in Hinblick auf vor- und nichteheliche Familienformen
nunmehr einfühlsame und wertschätzende Worte bis dahin, dass selbst
die Möglichkeit der Wiederherstellung der vollen
Sakramentsgemeinschaft für wiederverheiratet Geschiedene im Wortlaut
angesprochen wird.
Diese
Gedanken werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch
in dem nachsynodalen Schreiben aufgenommen sein. Nicht zuletzt wegen
der in diesen Themenstellungen sich dokumentierenden Pluralität wird
Papst Franziskus daneben – angesprochen in demselben Schreiben oder
einem darauf bezogenen Schreiben zur Kirchenverfassung – die
Voraussetzungen für die Übernahme von Lehrverantwortung auf der
Ebene der Teil- und Ortskirche schaffen müssen, indem er die
synodale Verfasstheit der katholischen Kirche als gestufte Teilhabe
an der Ausübung des kirchlichen Lehramtes erklärt, in Kraft setzt
und mit ebendiesem Auftrag versieht. Der vermeintlich revolutionäre
Neuansatz knüpft dabei an Gedanken an, die weit über das Erbe des
Zweiten Vatikanischen Konzils für heute hinausgehen. Dass
Synodalität der Kirche – gerade bezogen auf die Vergangenheit –
nicht fremd sei, sagte der emeritierte Dogmatiker Peter Hünermann im
Gespräch mit Radio Vatikan (s. Pressemeldung vom 17.12.2015)
anlässlich eines Kongresses zum 50jährigen Jubiläum des Endes des
II. Vatikanischen Konzils in Rom im November 2015:
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