Dienstag, 23. März 2021

Für einen neuen Anfang - oder: Notwendige Konsequenzen für die kirchliche Sexuallehre nach einem Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln 

(Ausschnitt aus der Pressekonferenz - s.u. ab Min 55 - vom 19.3.21)

Ausdrücklich wird im Gutachten über "Pflichtverletzungen von Diözesanverantwortlichen des Erzbistums Köln im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Schutzbefohlenen durch Kleriker des Erzbistums Köln im Zeitraum von 1975 bis 2018" die Mitursächlichkeit der Sexualmoral am Missbrauchsskandal herausgestellt:

- die Wertung jeglicher Sexualität außerhalb der Ehe als schwere Sünde gegen das 6. Gebot (vgl. KKK 2390). 
- die kirchenrechtliche Wahrnehmung des Missbrauchs durch Kleriker ausschließlich als Zölibatsverstoß gegen das 6. Gebot (Can. 1395 §2). 


Sie führten zu

- der Zahl und der Schwere der Straftaten sowie mangelndem Schuldbewusstsein der Täter
- und zum strukturellen Ausblenden der Opfer- bzw. Betroffenenperspektive bei Tätern, Personalverantwortlichen und Vertuschern (von individuellen 'Pflichtverletzungen' strafrechtlicher Art abgesehen, die ausdrücklicher Gegenstand des Kölner Gercke-Gutachtens sind).

 


Das hätte - weitergedacht - zur Konsequenz:

- eine Sexuelle Bildung als integraler Bestandteil der Ausbildungsordnung von Klerikern (die weit über das 6. Gebot "Du sollst nicht die Ehe brechen" hinausgehen muss).

- die Anerkennung sexueller Selbstbestimmung jedes Menschen (die es als Grundsatz ethischen Handelns und sexueller Bildung in kirchlichen Texten nicht gibt!) und der vielen zerstörerischen Konsequenzen im Falle ihrer Übertretung bei den Opfern/Betroffenen sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt - insbesondere bei Minderjährigen.

- ein grundsätzliches Denken von den Opfern und Betroffenen her, das die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und seiner systemischen Ursachen wie die Behandlung jedes neuen Falls Sexualisierter Gewalt kennzeichnen muss.

- das entschiedene Eintreten für eine Änderung des Wordings kirchlicher Verlautbarungen und der Lehrverkündigung (z.B. des Katechismus) und der Rechtsnormen des kirchlichen Gesetzbuches CIC entsprechend einem geänderten Denken und Handeln.  

 



Freitag, 19. März 2021

Fünf Jahre "Amoris laetitia" -  Ran an die heißen Eisen. Interview mit Fußnote* zum Beginn des Amoris laetitia-Aktionsjahres 2021-2022

 

Auf den Tag vor fünf Jahren unterzeichnete Papst Franziskus das Schreiben „Amoris laetitia“ zu Ehe und Familie, das am 8.4.2016 veröffentlicht wurde. Auch wenn er die offizielle Lehre der Kirche damals unangetastet ließ, hat das Papier Türen für aktuelle Debatten geöffnet: zum Beispiel zu wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexualität.

Das am heutigen 19.3.2021 beginnende Amoris laetitia-
Aktionsjahr endet mit dem Weltfamilientreffen in Rom.

„Amoris laetitia hat möglich gemacht, was wir jetzt auch auf dem Synodalen Weg versuchen: Liebe und Sexualität in gelingenden Partnerschaften nochmal neu auf unsere Gesellschaft hinzudenken“, sagt Holger Dörnemann. Er leitet die Abteilung „Familien und Generationen“ des Bistums Limburg und arbeitet als Experte im Forum zu Sexualität und Partnerschaft des Synodalen Wegs mit. Das Forum diskutiert unter anderem darüber, wie die Kirche in Zukunft mit homosexuellen Paaren oder wiederverheiratet Geschiedenen umgehen sollte. Ohne „Amoris laetitia“ wären viele dieser Diskussionen heute so nicht möglich, schätzt Dörnemann. „Der Papst hat viele heiße Eisen angefasst.“

Vor fünf Jahren, im Anschluss an zwei Bischofssynoden zu Ehe und Familie, veröffentlichte Franziskus das Papier, das viele als sein bis dato wichtigstes Lehrschreiben bezeichneten. Er wolle mehr Barmherzigkeit in der kirchlichen Morallehre zulassen, sagte er damals. Priester und Bischöfe sollten moralische Gesetze nicht anwenden „als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“.

 

In mehreren Paragraphen widmete er sich sogenannten „unvollkommenen Situationen“, also Lebensgemeinschaften, die nicht dem katholischen Ideal der Ehe entsprechen. „Er schaut auf alles, was in der persönlichen Geschichte der Menschen, der Paarbeziehung und der Familie an Wertvollem da ist – und nicht nur auf das, was zum Ideal noch fehlt“, fasst Dörnemann das Papier zusammen.

 

Zum Beispiel beim Thema Homosexualität. Zwar sei der große Schritt in Blick auf die Würdigung homosexueller Partnerschaften ausgeblieben, sagt Dörnemann. Aber das Papier sei auch revolutionär in dem, was nicht drinsteht. Denn obwohl im Katechismus steht, dass homosexuelle Partnerschaften „in sich nicht in Ordnung sind“, findet man das in Amoris laetitia nicht.

 

Das liegt auf der Linie des Papstes, der grundsätzlich findet, „dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen“, wie er in Amoris laetitia schreibt (AL 3, vgl. AL 37). Priester und Bischöfe forderte er dazu auf „die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden“. Zum Beispiel bei der Begleitung wiederverheirateter Geschiedener. In einer Fußnote (AL 351) eröffnete der Papst die Möglichkeit, diese in Einzelfällen wieder zu Sakramenten zuzulassen; die Entscheidung darüber überließ er den Ortskirchen. Als eine der ersten habe daraufhin die Deutsche Bischofskonferenz 2017 in einem Papier die Möglichkeiten des Einbezugs von Paaren aller Art am Gemeindeleben und an der Eucharistiefeier eröffnet, sagt Dörnemann.

 

Dass Ortskirchen eigenverantwortlich abwägen und entscheiden können, das fordern auch die Befürworter des Synodalen Wegs. „Ortskirche und Weltkirche müssen ineinander spielen“, sagt Holger Dörnemann und wünscht sich, pastorale Schritte in Bezug auf Liebe und Sexualmoral in Zukunft stärker in die Weltkirche eintragen zu können. Die Offenheit von Amoris laetitia ermutigt dazu. Und die nächste Bischofssynode im Herbst 2022 in Rom. Das Thema: Synodalität.


 

*Interview für https://www.bistumspresse.de/fuenf-jahre-amoris-laetitia, veröffentlicht am 18.3.2021. Es wurde am 12.3.21 geführt, drei Tage vor der Veröffentlichung der in Form, Inhalt und Diktion aus der Zeit gefallenen und noch nicht einmal persönlich vorgetragenen Note der Glaubenskongregation, die durch den unterzeichnenden Präfekten Kardinal Luís F. Ladaria am 15.3.21 erklärte, dass die Kirche "keine Vollmacht" habe, homosexuelle Partnerschaften zu segnen, weil Homosexualität "nicht der Schöpfungsordnung" entspräche und eine sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe als "Sünde" nicht segenswürdig sei. Die Stellungnahme des Dikasteriums für Laien, Familie und Leben vom 18.3.2021 schlägt hingegen wieder pastorale und an den Amoris laetitia-Wortlaut anknüpfende Töne an zum  „Thema Homosexualität - naturgemäß mit anderer Akzentsetzung als im jüngsten Dokument aus der Glaubenskongregation.“ (Vaticannews vom 18.3.2021)

 

Der für das Dikasterium für Laien, Familie und Leben und zugleich für das Amoris laetitia-Aktionsjahr verantwortliche Kardinal Kevin Farrel erklärte aus Anlass seiner Eröffnung:

"Wir sind offen dafür, alle Menschen zu begleiten… Ich habe viele Male mit Menschen zusammengearbeitet, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, und werde das auch weiterhin tun und sie weiterhin begleiten… Niemand, niemand darf jemals von der pastoralen Fürsorge und Liebe der Kirche ausgeschlossen werden!“ (Vaticannews vom 18.3.2021)

Es zeigt sich einmal mehr – wie in diesem Blog über die zurückliegenden sieben Jahre seit den Befragungen im Vorfeld und Verlauf der Familiensynoden und Jugendsynode festgehalten –, dass das Thema der pastoralen Begleitung aller Menschen in Anerkennung ihrer sexuellen Orientierung, Lebens- und Familienform weiter eine der zentralen Herausforderungen des Aktionsjahres Amoris laetitia 2021-2022 bis zur #Synod22 sein wird.


** "Andererseits hat diese jüngste Antwort keine große Autorität: Die übliche Formulierung, der Papst habe den Text "approbiert" wurde ersetzt durch: der Papst "wurde informiert". Die Absicht, das Dokument als weniger bedeutsam zu kennzeichnen, ist klar.“ (katholisch.de vom 28.3.2021)



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Samstag, 6. März 2021

"Wenn wir aber die Geschwisterlichkeit bewahren wollen, dürfen wir den Himmel nicht aus den Augen verlieren" - Gebet der Kinder Abrahams beim interreligiösen Gebet in Ur


(Screenshot Vatican Media: Interreligiöses Gebetstreffen vor dem Haus Abrahams, Ur)

"Wir sehen zum Himmel hinauf. Wenn wir nach tausenden Jahren den gleichen Himmel betrachten, erscheinen dieselben Sterne. Sie erhellen die dunkelsten Nächte, weil sie gemeinsam leuchten. Auf diese Weise gibt uns der Himmel eine Botschaft der Einheit: Der Allerhöchste über uns lädt uns ein, uns niemals von unserem Bruder, unserer Schwester neben uns zu trennen. Das „Über“ Gottes verweist uns auf das „Andere“ des Bruders, der Schwester. Wenn wir aber die Geschwisterlichkeit bewahren wollen, dürfen wir den Himmel nicht aus den Augen verlieren. Wir, Nachkommen Abrahams und Vertreter verschiedener Religionen, fühlen, vor allem diese Aufgabe zu haben: unseren Brüdern und Schwestern zu helfen, ihren Blick und ihr Gebet zum Himmel zu erheben. […] 


Und wir beten dafür, dass die Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit überall respektiert und anerkannt werden: Dies sind Grundrechte, denn sie machen den Menschen frei, den Himmel zu betrachten, für den er geschaffen wurde. […] 


Es liegt an uns, den Mut zu haben, den Blick zu erheben und die Sterne zu betrachten, die Sterne, die unser Vater Abraham gesehen hat, die Sterne der Verheißung." 


(
Aus der Ansprache von Papst Franziskus beim interreligiösen Gebetstreffen)

 

(Screenshot Vatican Media: Interreligiöses Gebetstreffen, Ur / Irak)


Gebet der Kinder Abrahams

Allmächtiger Gott, unser Schöpfer,  
du liebst die Menschheitsfamilie und auch sonst alles, was deine Hände vollbracht haben. Wir, die Söhne und Töchter Abrahams, die dem Judentum, dem Christentum und dem Islam angehören, danken dir zusammen mit anderen Gläubigen und allen Menschen guten Willens, dass du uns Abraham, einen berühmten Sohn dieses edlen und geschätzten Landes, als gemeinsamen Vater im Glauben geschenkt hast. 
Wir danken dir für das Beispiel dieses gläubigen Mannes, der dir bis zum Äußersten gehorchte und seine Familie, seinen Stamm und sein Land verließ, um in ein Land zu gehen, das er nicht kannte. 
Wir danken dir auch für das Beispiel an Mut, Durchhaltevermögen, Seelenstärke, Großzügigkeit und Gastfreundschaft, das uns unser gemeinsamer Vater im Glauben gegeben hat. 
Wir danken dir insbesondere für seinen heroischen Glauben, den er bewies, als er bereit war, seinen Sohn zu opfern, um deinem Befehl zu gehorchen. Wir wissen, dass dies eine äußerst schwierige Prüfung war, aus der er dennoch als Sieger hervorging, weil er dir ohne Vorbehalt traute, der du barmherzig bist und immer neue Wege für einen Neubeginn eröffnest. 
Wir danken dir, denn dadurch, dass du unseren Vater Abraham gesegnet hast, hast du ihn zu einem Segen für alle Völker gemacht. 
Wir bitten dich, du Gott unseres Vaters Abraham und unser Gott: Schenke uns einen starken Glauben, der sich für das Gute einsetzt, einen Glauben, der unsere Herzen für dich und für alle unsere Brüder und Schwestern öffnet, und eine Hoffnung, die sich nicht unterdrücken lässt und überall die Treue deiner Verheißungen zu erkennen vermag. 
Mache jeden von uns zu einem Zeugen deiner liebenden Sorge für alle, besonders für die Flüchtlinge und Vertriebenen, die Witwen und Waisen, die Armen und Kranken. 
Öffne unsere Herzen, schenke uns die Bereitschaft, einander zu vergeben und mache uns zu Werkzeugen der Versöhnung und des Friedens, zu Erbauern einer gerechteren und geschwisterlicheren Gesellschaft. 
Nimm alle Verstorbenen, besonders die Opfer von Gewalt und Krieg, auf in dein Reich des Lichtes und des Friedens. 
Steh den Verantwortlichen darin bei, die Entführten zu suchen und zu finden und vor allem Frauen und Kinder zu schützen. 
Hilf uns für den Planeten Sorge zu tragen, das gemeinsame Haus, das du uns allen in deiner Güte und Großzügigkeit gegeben hast. 
Komm uns beim Wiederaufbau dieses Landes zu Hilfe und gib uns die Kraft, die wir brauchen, um denen zu helfen, die ihre Heimat und ihr Land verlassen mussten, so dass sie sicher und in Würde zurückzukehren und ein neues Leben in Frieden und Wohlstand beginnen können. Amen. 
(Gebet der Kinder Abrahams von Papst Franziskus beim interreligiösen Gebetstreffen in Ur am 6.3.2021)