Sonntag, 19. April 2020

Die Zeit ist mehr wert als der Raum und was zu tun ist, wenn die Zeit stille zu  stehen scheint – oder: Mit Antikörpern der Solidarität“ wider das „Virus der Gleichgültigkeit“  „Un plan para resucitar
(Bild: Vatican News vom 17.4.2020)
Die Zeit ist mehr wert als der Raum.“ Für mich, der ich mich als Vorsitzender des ökumenischen Bundesverbandes Kirchenpädagogik und Lobbyist für die Bedeutung, Erhaltung und Erschließung von Kirchenräumen eigentlich immer wider die Raumvergessenheit in Theologie und Kirche einzusetzen versuche, war diese Prämisse des Pontifikates von Papst Franziskus, die er auch in seinem als Programmschrift geltenden Lehrschreiben Evangelii gaudium (EG 222-225) in mehreren Absätzen ausgeführt hat, zunächst gewöhnungsbedürftig, der ich aber jetzt – je länger, je mehr und weil sie gar nicht auf den Kirchenraum als solchen gemeint ist – über alle Maßen viel abgewinnen kann  und zumal sie auch die Offenbarungs- und Geschichtstheologie auf den Punkt bringt. In einem im selben Jahr 2013 veröffentlichten Interviewband erläutert Papst Franziskus diesen Gedanken in wenigen Sätzen:
"Gott zeigt sich in einer geschichtsgebundenen Offenbarung, in der Zeit. Die Zeit stößt Prozesse an, der Raum kristallisiert sie. Gott findet sich in der Zeit, in den laufenden Prozessen. Wir brauchen Räume der Machtausübung nicht zu bevorzugen gegenüber Zeiten der Prozesse, selbst wenn sie lange dauern. Wir müssen eher Prozesse in Gang bringen als Räume besetzten. Gott offenbart sich in der Zeit und ist gegenwärtig in den Prozessen der Geschichte.“ (Das Interview mit Papst Franziskus, hrsg. von A.R. Batlogg und A. Spadaro, Freiburg 2013, S. 59)
Aber was heißt dies in einer Zeit, in der die Zeit selbst stille zu stehen scheint, einer Zeit „mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere […],die alles im Vorbeigehen lähmt“? In einem Beitrag für die spanische Zeitschrift Vida Nueva vergleicht Papst Franziskus die Situation heute mit den Ostererfahrungen der Jüngerinnen(!): 
"‘Denn wie die ersten Jüngerinnen, die damals zum Grab Jesu gingen, leben wir derzeit in einer Atmosphäre des Schmerzes und der Unsicherheit.‘ Die Angst etwa der alten Menschen in einsamer Quarantäne oder der Familien, die nichts mehr zu essen hätten, laste wie ein Grabstein auf den Menschen.“  (Vatican News vom 17.4.2020) 
Un plan para resucitar
Die Osterzeit ist dieses Jahr – vielleicht mehr als je zuvor und in aller Welt zeitgleich erfahrbar – eine Erfahrung von Not, Beklemmung, Angst, wirtschaftlicher Ungewissheit und auch von Todeserfahrungen im allernächsten familiären Umfeld. Erfahrbar wurde dies am Karfreitag, aber auch etwa in der Andacht auf dem Petersplatz anlässlich der Pandemie am 27.3.2020. In der Klage, der Not und Ausweglosigkeit ist Leben in einer Dichte erfahrbar – ähnlich der Trauer und Verzweiflung der Jüngerinnen Jesu. Und hier setzt die Osterbotschaft, der „Plan wiederaufzuerstehen“ ("Un plan para resucitar") an:
"Doch die Jüngerinnen hätten sich damals trotz ihrer Angst in Bewegung gesetzt, und wie sie sollten auch wir es heute halten. Wie Jesus seien auch wir „nicht für den Tod, sondern für das Leben gesalbt“. […] Die Auferstehung des Herrn, „eine überschäumende Nachricht“, sei auch heute „die Quelle unserer Freude und Hoffnung, die unser Handeln verwandelt“. „Jedes Mal, wenn wir am Leiden des Herrn, am Leiden unserer Geschwister teilnehmen oder selbst Leid durchmachen, werden unsere Ohren die Nachricht von der Auferstehung hören“, so der Papst. „Wir sind nicht allein, der Herr geht uns auf unserem Weg voraus und räumt die Steine beiseite, die uns hindern.“ (Vatican News vom 17.4.2020)
Wenn sich aus der Corona-Krise etwas lernen lasse, dann dies: „'dass sich keiner alleine rettet. […] Die Grenzen werden durchlässig, und alle fundamentalistischen Reden lösen sich auf, wenn uns die fast unmerkliche Präsenz (des Virus) darauf hinweist, dass wir zerbrechlich sind.' Der Ernst der Stunde verlange, dass konkrete Konsequenzen aus der Krise gezogen würden. Dazu brauche es 'eine neue Vorstellungskraft' und nicht nur 'Realismus'. Es gehe letztlich 'um eine nachhaltige und integrale Entwicklung der ganzen Menschheitsfamilie'“. (Ebd.)

Mit Antikörpern der Solidarität wider das Virus der Gleichgültigkeit
Mit „Antikörpern der Solidarität“  solle sich jeder als „Handwerker und Protagonist einer gemeinsamen Geschichte“ fühlen und entsprechend agieren. 
"Wir können es uns nicht erlauben, die jetzige und künftige Geschichte zu schreiben, wenn wir gleichzeitig dem Leiden so vieler Menschen den Rücken zudrehen… Wenn wir wie ein einziges Volk handeln, können wir auch angesichts anderer Epidemien, die uns bedrohen, eine echte Durchschlagskraft entwickeln.“ (Ebd.)
In Zeiten der bevorstehenden Lockerung von Pandemie-Maßnahmen sei gerade auf die Schwächsten zu achten“, betonte Papst Franziskus heute, indem er vor dem nächsten „Virus des gleichgültigen Egoismus" warnte.
"Es ist an der Zeit, die Ungleichheit zu beseitigen, die Ungerechtigkeit zu heilen, die die Gesundheit der gesamten Menschheit bedroht!" (Vatican News vom 19.4.2020)
Die Zeit, Prozesse in Gang zu setzen
Einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ setzt er in dem Artikel in Vida Nueva einen Lebensstil der „Zivilisation der Liebe“ entgegen und macht sich damit eine berühmte Formulierung von Papst Paul VI. zu eigen. „Die Zivilisation der Liebe wird täglich, in unermüdlicher Arbeit, aufgebaut. Sie setzt das Engagement aller voraus.“
Es ist jetzt die Zeit, "Prozesse in Gang zu setzen […], die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und Menschen sowie Gruppen einbeziehen, welche diese vorantreiben, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringt.“ (EG 223)

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