Sonntag, 19. April 2015

Wie sich die Lehre verändert hat – und welche Anstöße sich aus den Rückmeldungen aus Deutschland für die Familiensynode 2015 ergeben

Ursprünglich war die XIV. Ordentliche Bischofssynode dieses Jahres zur Behandlung von anthropologischen, bioethischen Fragen vorgesehen gewesen. Und wir wissen heute, dass Papst Franziskus – genauso wie sein Vorvorgänger Papst Johannes Paul II. vor 35 Jahren – den Themenkomplex ‚Ehe und Familie‘ als ersten Synodenschwerpunkt seines Pontifikates (verteilt gleich auf zwei Bischofssynoden in den Jahren 2014 und 2015) vorgezogen hat, weil er die "Herausforderungen der Familien“ in der modernen Welt in den Blick nehmen will, um „über die entscheidende und wertvolle Realität der Familie nachzudenken“ (Relatio Synodi 3) und „an ihren Freuden, ihren Sorgen und ihren Hoffnungen teilzunehmen.“ (vgl. Einleitung  des I. Teils des Fragebogens) Die bleibend hohe Bedeutung von Ehe und Familie ist beinahe allen Pontifikaten in den vergangenen 100 Jahren abzulesen – zuweilen in Kontinuität, zuweilen in einer signifikanten Weiterführung und Vertiefung der bisherigen Lehrtradition.

Die Päpste Pius XI., Pius XII., Paul VI., Johannes Paul II. und  Papst Franziskus
Welche Akzentsetzung zu einer „vertieften Lehre über Ehe und Familie“ seit dem unter Papst Paul VI. zu Ende geführten II. Vatikanischen Konzil festzustellen sind, behandeln die Ziffern 17 – 19 des Synodendokumentes Relatio Synodi.
Greift man zeitlich etwas weiter aus, lassen sich neben dem Grundsatz der Kontinuität in der Lehrtradition auch größere Veränderungen ausmachen, die wichtig sind, um die Aussage im Vorwort des Instrumentum Laboris der III. Außerordentlichen Bischofssynode des Jahres 2014, dass „die apostolische Überlieferung in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt“ (DV 8), in rechter Weise einordnen zu können. Das kann anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden: Schloss Papst Pius XI. in seiner Enzyklika ‚Casti connubii‘ (1930) selbst die natürlichen Methoden der Empfängnisregelung noch aus, finden sich diese erstmals wertschätzend in der berühmten Rede Papst Pius XII. an die Hebammen (1951) ausdrücklich benannt – in welcher Argumentation bereits die Gedanken zur verantworteten Elternschaft des II. Vatikanischen Konzil angedeutet sind. Einen nicht minder großen Wechsel in der Lehrtradition gab es, als Papst Johannes Paul II. in einer Katechese des Jahres 1982 die Lehre daraufhin veränderte, dass die Ehe gegenüber der Ehelosigkeit nicht minderwertig sei, sondern ein der Ehelosigkeit ebenso hohes Gut im göttlichen Schöpfungsplan, wie er es dann in seiner Familienenzyklika weiter entfaltet (Vgl. FC 11). Dieser, die Lehre vertiefende Gedanke ist insofern spektakulär gewesen, als noch Papst Pius XII. in seiner Enzyklika “Sacra Virginitasvon 1954 erklärte, dass die Ehelosigkeit die Ehe „unermesslich übersteigt“ (DH 3911) – in Erinnerung an die Lehraussage des Trienter Konzils über das Sakrament der Ehe, das noch ausdrücklich sagte: "Wer sagt, […] es sei nicht besser und seliger, in der Jungfräulichkeit und dem Zölibat zu bleiben, als sich in der Ehe zu verbinden (vgl. Mt 19,11f; 1 Kor 7,25f 38 40): der sei mit dem Anathema belegt.“ (DH 1810)

Noch bekannter als diese beiden Beispiele ist die Vertiefung des Sakramentsverständnisses der Ehe als ‚Bund‘ (foedus; vgl. GS 48) und Freundschaft (amicitia; vgl. GS 49) in der Pastoralkonsitution "Gaudium et spes", mit der anknüpfend an biblische und theologische Vorlagen das davor mehr juridisch pointierende Vertragsdenken eine deutliche Vertiefung erfahren hat. Dass diese Veränderungen und deren vorherige Abwägung und Thematisierung keine bloße "Anpassung an den Zeitgeist" bedeuten – sondern als Verweisstellen einer im Nachhinein notwendigen und glücklichen Lehr- und Dogmenentwicklung gewertet werden dürfen, an der immer auch der
Sensus fidelium aller Gläubigen beteiligt ist –, muss auch dem derzeitigen synodalen Prozess zugesprochen werden, zu dem Papst Franziskus alle Teilkirchen in Freiheit und Parrhesia eingeladen hat. Dem Abschlussdokument der III. Außerordentlichen Bischofssynode des vergangenen Jahres wurde deshalb ein 46 Fragen umfassender Fragebogen beigelegt, der in einer gebündelten Zusammenfassung der Rückmeldungen von Seiten der Deutschen Bischofskonferenz zum 15.4.2015 mit den Eingaben aller Teilkirchen der Welt nach Rom zurückgesandt worden ist.

Einige Diözesen Deutschlands, das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken und einzelne Verbände und Vereine haben Ihre auf die einzelnen Ziffern der Relatio bezogenen,
detaillierten Rückmeldungen auch veröffentlicht, in der ein sehr engagiertes und konstruktives Mitdenken – entsprechend dem ausdrücklichen Wunsch des Papstes sich textbezogen an dem synodalen Prozess zu beteiligen – zum Ausdruck kommt. Trotz einer ebenso deutlichen Kritik an der sehr voraussetzungsreichen und z.T. als unverständlich bezeichneten Sprache des Fragebogens, sind viele bemerkenswerte Gedanken zusammengetragen worden, die über die Rückmeldung der Deutschen Bischofskonferenz ggf. in das vorbereitende Synodendokument ‚Instrumentum Laboris‘ des Jahres 2015 Eingang finden werden. Der bereits auf der letztjährigen Synode diskutierte (und auch in diesem Blog zuletzt am 19.1.2015 vorgestellte) Gedanke der ‚Gradualität‘ wird von Seiten des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken bei der Beantwortung der Fragen 20-22 zur Begründung der verschiedenen Stufen der Verwirklichung von Ehe und Partnerschaft in der heutigen Zeit favorisiert. In der Zusammenschau des Bistums Münster wird zur Frage 8 nach den Anknüpfungspunkten der Ehelehre in der Lebenswelt Jugendlicher der auch in diesem Blog vorgestellte Gedanke der Freundschaft ausgearbeitet – mit dem ihm eigenen Vorzug der Kennzeichnung des in der Gottesfreundschaft gründenden Ehegeheimnisses wie der Offenheit für die wertschätzenden Bezugnahme auf weitere Freundschaftsformen neben der Ehe. In der im Erzbistum Köln erarbeiteten Rückmeldung ist sicher der Hinweis wertvoll – ausgehend von der durchgängigen Frageperspektive des Fragenkataloges –, dass die römische Fragerichtung und Perspektive noch zu sehr vom Ehe- und Familienideal ausgehend die Wirklichkeit zu erfassen versucht hat – paradoxerweise darin nolens volens gegensätzlich zu der Sinnrichtung des eigentlich zu bearbeitenden Dokumentes der Relatio Synodi, die ja von den "existentiellen Peripherien" (vgl. Einleitung  des I. Teils des Fragebogens) ausgehend Ehe und Familie in den Blick nehmen möchte. Der Rückmeldung des Erzbistums München und Freising ist – im Verbund mit allen anderen veröffentlichten Rückmeldungen der deutschen Diözesen – in einer der mit am häufigsten beantworteten Frage Nummer 35 das Plädoyer für die vertiefte Erwägung von Möglichkeiten der Wiederzulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten zu entnehmen; der Rückmeldung der 'KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche!‘ u.a. die Hinweise auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem biblischen Verständnis der 'Unauflöslichkeit' und die – ebenfalls von den Diözesen Deutschlands in der übergroßen Mehrheit gewünschte – verstärkte Wertschätzung von Homosexualität, auch wenn sie in einer Partnerschaft gelebt wird, für deren Segnung im Bistum Essen ein eigener Ritus vorgeschlagen wird. Allen – auch den nur in Kurzstatements an die Öffentlichkeit getretenen – Diözesen und überdiözesanen Verbänden gemeinsam ist auch das Votum für eine neu ansetzende Sexualpädagogik und -moral gerade in Hinblick auf das Thema Empfängnisregelung und voreheliche Partnerschaften, da sich die Voraussetzungen für die theologische Argumentation und die Lebenswelt der Menschen von heute seit 1968 radikal gewandelt haben.
 
Die verbleibenden, knapp sechs Monate bis Synodenbeginn werden ausreichen müssen, aber auch nötig sein, die Einzelthemen in den Blick zu nehmen sowie die wirklich vertiefenden Schlüsselgedanken für die Synode dieses Jahres zu identifizieren. Vielleicht enthalten die Rückmeldungen aus Deutschland oder anderer Länder einige der zukunftsweisenden Ideen, die man rückblickend auch als eine Vertiefung der Lehre von Ehe und Familie wahrnehmen werden wird, die sich die gesamte Weltkirche von der diesjährigen Bischofssynode erhofft.

Die am 11.4.2015 veröffentlichte Bulle ‚Misercordiae vultus‘  zur Ankündigung des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit macht unbeschadet des bisherigen und des noch kommenden Synodenverlaufes schon eine unabweisbare Veränderung, ja Vertiefung der Lehre um Ehe und Familie auf die Mitte des Evangeliums hin deutlich. Papst Franziskus wünscht sich eine „Kirche, die aus sich herausgeht“ (vgl. Einleitung  des I. Teils des Fragebogens), und
„dass die kommenden Jahre durchdrängt sein mögen von der Barmherzigkeit und dass wir auf alle Menschen zugehen und ihren die Güte und Zärtlichkeit Gottes bringen! Alle, Glaubende und Fernstehende, mögen das Salböl der Barmherzigkeit erfahren, als Zeichen des Reiches Gottes, das schon unter uns gegenwärtig ist. […] Diese Quelle kann niemals versiegen, seien es auch noch so viele, die zu ihr kommen. Wann immer jemand das Bedürfnis verspürt, kann er sich ihr nähern, denn die Barmherzigkeit Gottes ist ohne Ende. So groß und so unergründlich ist die Tiefe des Geheimnisses, das sie umfängt, so groß und so unergründlich der Reichtum, der aus ihr hervorquillt.“ (Misericordiae Vultus 5; 25)
Das ist kein Chaos – allenfalls vergleichbar dem von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim so benannten ‚ganz normalen Chaos der Liebe' –, sondern die Annäherung an die Mitte unseres Evangeliums. Jesus Christus kann auch die langweiligen Schablonen durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn gefangen zu halten, und überrascht uns mit seiner beständigen göttlichen Kreativität“ (EG 11), indem er "über das Gesetz hinaus[geht]" (Misericordiae Vultus 20). Wer es fassen kann, der fasse  es:
"Christus ist das Ende des Gesetzes, und jeder, der an ihn glaubt, wird gerecht“ (Röm 10,3-4). Diese Gerechtigkeit Gottes ist die Barmherzigkeit, die allen als Gnade geschenkt wird kraft des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Das Kreuz ist also das Urteil Gottes über uns alle und die Welt, denn es schenkt uns die Gewissheit der Liebe und des neuen Lebens." (Misericordiae Vultus 21)


Der nächste Blog-Beitrag erscheint am 19. Mai 2015