Zwei Züge, die mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zurollen, war eines der Sprachbilder für konfrontative Lagerbildungen in den Teilkirchen und auf weltkirchlicher Ebene, das ich in den vergangenen Wochen öfters hörte, als wenn ein heftiger Zusammenstoß unversöhnlich gegensätzlicher Positionen auf der XIV. Ordentlichen Bischofssynode im Oktober dieses Jahres aufgrund der Sprengkraft einzelner Themen und Grundsatzfragen unvermeidlich wäre. Ein möglicher Eklat in der Größenordnung eines Schismas wurde bereits schon im vergangenen Jahr kurz nach der Außerordentlichen Bischofssynode im Jahr 2014 als Horrorszenario an die Wand gemalt, wie ein Schisma auch jetzt wieder in nicht wenig polemischer Weise skandalisiert wird. Und auch persönlich spürte ich eine über die vergangenen Monate zunehmende Beklemmung, dass die Zeit für eine die Tiefen der anstehenden Themen im Licht der Zeichen der Zeit auslotende Verheutigung vielleicht noch nicht reif und mit der ablaufenden Frist bis zur Synode auch zu Ende gehen könnte. Anzeichen für die innerkirchlich angespannte Lage sind sicher auch die erhitzten bzw. angeheizten Diskussionen über die Rückmeldungen auf den römischen Fragebogen in den deutschen Bistümern, derjenigen der Deutschen Bischofskonferenz vom 20.4.2015 wie die am 9.5.15 veröffentlichte 'Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken anlässlich der XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode'. Und mitten in diese gespannte Ausgangslage hinein konfrontiert Papst Franziskus alle auf die Synode starrenden Parteiungen, Akteure, Gläubige wie fernstehende Beobachter mit einer neuen Perspektive, indem er mit der Ausrufung eines ‚Jubeljahres der Barmherzigkeit‘ – beginnend am 50. Jahrestag der Beendigung des 2. Vatikanischen Konzils am 8.12.2015 – nicht nur zeitlich weit über die Synode und die Diskussion von Einzelthemen hinausgeht:
Weiterlesen...Das offizielle Logo des Heiligen Jahres zeigt Jesus mit dem verlorenen Menschen auf den Schultern / Bild: © 2015 KNA |
Allein 175 Mal kommen die Begriffe ‚Erbarmen‘ und ‚barmherzig‘ ohne Mitzählung synonymer Wortbedeutungen in der Verkündigungsbulle des Heiligen Jahres ‚Antlitz der Barmherzigkeit‘ (Misericordiae vultus) vor. In diesem nur ca. 20 gedruckte DIN A4-Seiten umfassenden Schreiben knüpft Papst Franziskus bewusst an die im vergangenen Blog-Beitrag angesprochene Lehrentwicklung an, die auf dem 2. Vatikanischen Konzil dazu führte, dass „Mauern, die die Kirche lange in einer privilegierten Festung eingeschlossen hatten, [...] eingerissen“ (MV 4) wurden. Die Worte Papst Pauls VI. zum Abschluss des Konzils, dass die uralte Erzählung vom barmherzigen Samariter [...] zum Paradigma dieses Konzils“ geworden sei, greift Papst Franziskus direkt im ersten Satz des Ankündigungsschreibens auf: „Jesus Christus ist das Antlitz der Barmherzigkeit“ (MV 1); ein Geheimnis , das „es stets neu zu betrachten“ gilt (MV 2).
„Barmherzigkeit – in diesem Wort offenbart sich das Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Barmherzigkeit ist der letzte Grund und endgültige Akt, mit dem Gott uns entgegentritt. Barmherzigkeit ist das grundlegende Gesetz, das im Herzen eines jeden Menschen ruht und den Blick bestimmt, wen er aufrichtig auf den Bruder und die Schwester schaut, die ihm auf dem Weg des Lebens begegnen. [...] Die Barmherzigkeit übersteigt stets das Maß der Sünde, und niemand kann der verzeihenden Liebe Gottes Grenzen setzen.“ (MV 2-3)In diesen, den im letzten Blog-Beitrag zitierten und vielen weiteren Wendungen ruft Papst Franziskus der eigenen Kirche zu:
„Wie sehr wünsche ich mir, dass die kommenden Jahre durchdrängt sein mögen von der Barmherzigkeit und dass wir auf alle Menschen zugehen und ihnen die Güte und Zärtlichkeit Gottes bringen! Alle, Glaubende und Fernstehende, mögen das Salböl der Barmherzigkeit erfahren, als Zeichen des Reiches Gottes, das schon unter uns gegenwärtig ist.“ (MV 5)Für Franziskus ist die Barmherzigkeit der „Tragebalken, der das Leben der Kirche stützt [...]. Ihr gesamtes Handeln sollte umgeben sein von der Zärtlichkeit mit der sie sich an die Gläubigen wendet“ (MV 10), um dann selbstkritisch anzufragen:
„Vielleicht haben wir es für lange Zeit vergessen, auf den Weg der Barmherzigkeit hinzuweisen und ihn zu gehen. Auf der einen Seite hat die Versuchung, stets und allein die Gerechtigkeit zu fordern, uns vergessen lassen, dass diese nur der erste Schritt ist. Dieser Schritt ist zwar notwendig und unerlässlich, aber die Kirche muss darüber hinausgehen um eines höheren und bedeutungsvolleren Zieles willen.“ (MV 10)Und wenn man diese Worte auf sich wirken lässt, findet man die zuweilen in plakativer Weise schlecht gemachte Eingabe der deutschen Bischöfe zu pastoral verantworteten Wegen der Begleitung von wiederverheiratet Geschiedenen von derselben Begründung getragen. Wie schon ausführlicher in meinem Blog-Beitrag vom 19.3.15. beschrieben, heißt es in dem von den deutschen Bischöfen mit über Zweidrittelmehrheit verabschiedeten Erklärung zur Vorbereitung der Bischofssynode, dass es
"in der gegenwärtigen Situation festzustellen [ist], dass die [...] geäußerte Sorge, dass die Zulassung zur Eucharistie von wiederverheiratet Geschiedenen bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung bewirkt, in eine umgekehrte Richtung gegangen ist: Die Nichtzulassung wird als Verdunkelung des Zeugnisses der Verkündigung der Barmherzigkeit gesehen." (Ebd. bzw. AH 273 , 60)Mit dem Fokus auf der Barmherzigkeit sind wir nicht irgendeiner Weise in einem Strudel oder Sog eines gefühlten Chaos – welcher Eindruck einem Philosophen in dem gerade erschienenen Herder-Korrespondenz-Spezial entstanden ist – und vielleicht auch entstehen muss, wenn die (theologische) Logik der Liebe Gottes jedes philosophische Denkmuster überschreitet, sondern am Kern des Evangeliums Jesu Christi. Und das ist zugleich das eigentlich Berührende, Herausragende und Beruhigende angesichts der diesjährigen Bischofssynode. Im Grunde ist es beinahe gar nicht so entscheidend, welche Argumentationslinie und theologische Denkform zur wertschätzenden Anerkennung familialer Wirklichkeit in der Welt von heute auf dieser Synode Gewicht erhält und rezipiert wird: die große theologische Denkform der ‚Analogie‘, der aus dem moraltheologischen Kontext entlehnte Gedanke der ‚Gradualität‘ oder die vorsichtigere Rede von Wachstumsstufen, von Samen und Spuren der Botschaft Gottes in der Welt´, die Weise der 'göttlichen Pädagogik'. Die Spannung zwischen der an die Grenzen und "existenziellen Peripherien" (MV 15) gehenden Liebe und Barmherzigkeit Gottes und dem sich auf dem Weg daraufhin bewegenden, wandernden Volk Gottes, welche die Verkündigungsbulle aufgezeigt hat, wird auch nach der Synode bestehen, ja vielleicht noch deutlicher hervortreten und angesprochen werden können.
Auch wenn ich persönlich vielleicht enttäuscht sein werde, dass die ebenfalls eingebrachte Denkform ‚Freundschaft‘ sich nicht in erhoffter Weise zur tieferen Erschließung des Ehesakramentes kommunizieren ließ oder aber ihre Zeit noch nicht gekommen ist, fühle ich selbst diese Enttäuschung gerade gewandelt in die Zuversicht, dass die Suche nach der Verheutigung des Geheimnisses des Evangeliums Jesu Christi in der modernen Welt auch ‚nachsynodal‘ weitergeht – und auch weitergehen muss. Der Weg, die Ausrichtung daraufhin ist das Ziel im Blick auf die nächsten Monate des synodalen Prozesses, auf die Zeit der Synode wie nach der Synode auch in dieser Hinsicht. Und das derzeit von mancher Seite als Problem empfundene (aber für die katholische Kirche einen Meilenstein bedeutende) Jahrhundertereignis der doppelten, viele Fragen auf die Wirklichkeit von Familienformen aufwerfenden Familiensynode die Lösung für eine nach der Synode noch einmal mehr auf den Weg gebrachte Kirche im Aufbruch. Wie bereits in einem kurz nach der Außerordentlichen Bischofssynode 2014 im Erzbistum Köln veröffentlichen Bericht in der 'AdventsZeit' gegen Ende beschrieben, erwarte ich von der Bischofssynode, dass sie in großer Einmütigkeit, getragen von einer breiten Mehrheit aller Synodalen, die Bedeutung, den Wert und die Herausforderungen der Familie in der gegenwärtigen Zeit ins Wort bringt, dabei die verschiedenen Grade der Verwirklichungsformen familialer Wirklichkeit ebenso anspricht, wie sie die Strahlkraft der barmherzigen Liebe Gottes unterstreicht und bekräftigt – so tief, umfassend und eindringlich wie unter den gegebenen Möglichkeiten auf Ebene der Weltkirche irgend möglich ist; dass sie andererseits aber auch den Auftrag neu ausspricht, vor dem Hintergrund der kulturell spezifischen Herausforderungen und Verwirklichungsformen von Familien weltweit in allen Bischofskonferenzen und Teilkirchen die Lehre zur Verheutigung der kirchlichen Botschaft auf Ehe und Familie vor Ort in den jeweiligen Kulturkreis hinein in neuer Weise übersetzen.
Ein Großteil der Arbeit, die z.Zt. allein auf die Bischofssynode hin projiziert wird, wird hier vor Ort geleistet werden müssen - im Zusammenspiel von Verbänden, Gemeinschaften und den Diözesen. Die deutschen Bischöfe haben
dazu ihrerseits einen Gutteil der Hausaufgaben mit einer brillanten und z.T. online in den Synodensprachen zugänglich gemachten theologischen Arbeitshilfe, mit
der in Kooperation mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken
gemeinsam organisierten Durchführung zweier Hearings zu familienpolitischen wie -pastoralen und theologischen Themen im Sinne der Vor- und
Nachbereitung der Synode wie in der Ankündigung eines nachsynodalen Bischofswortes bereits gemacht, vorbereitet oder sich
vorgenommen. Auch und gerade das Denken, Handeln und die kirchliche Wirksamkeit
der Teilkirchen wird gefordert sein, die Lebenswirklichkeit von Ehe und Familie in den verschiedenen Kulturen der Welt aufzugreifen - und ebenfalls Maß zu nehmen an dem darüber hinausgehenden Motto des Jubeljahres: „Barmherzig wie der Vater“.
Der nächste Blog-Beitrag erscheint am 18.6.2015!