"In
der Familie – und das können wir alle bezeugen – geschehen die
Wunder mit dem, was da ist, mit dem, was wir sind, mit dem, was einer
zur Hand hat […] oft ist es nicht das Ideal, nicht das, was wir
erträumen oder was ‚sein sollte‘“, sagte Papst Franziskus in
einer Predigt zu Beginn seiner Lateinamerikareise in der
ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil vor geschätzten 1 Millionen
Gläubigen.
"Der beste Wein kommt noch!" -
Papst Franziskus gegen Ende der Predigt am 7.7.15
in der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil
Papst Franziskus bezog sich in derselben Predigt ausdrücklich auf
die Familiensynode im Oktober dieses Jahres, dessen
Vorbereitungsdokument ('Instrumentum laboris') seit dem 1.7.2015 auch
in deutscher Sprache vorliegt. Auch dieses Arbeitspapier – eine
Mixture aus dem Abschlussdokument (‚Relatio Synodi‘) der
vorausgegangenen Synode und Ergänzungen in Folge der weltweiten Befragung aller Teilkirchen – weiß nun aufgrund der (gerade auch
aus den deutschsprachigen Diözesen eingebrachten) Rückmeldungen der
Weltkirche, dass die Familie vielfach „ein Lebensideal dar(stellt),
das die Empfindungen unserer Zeit und die tatsächlichen
Schwierigkeiten berücksichtigen muss“ (Instrumentum laboris, 42).
Und nahe am Wortlaut der Eingabe aus Deutschland heißt es nunmehr
nach einem Fragebogen, dem man vorgeworfen hat, die
Lebenswirklichkeit vornehmlich an einem überhöhten Eheideal zu
messen: die Ehe „muss als Geschenk verkündet werden, welches das
Ehe- und Familienleben stärkt, und nicht als schwer zu
verwirklichendes Ideal.“ (Ebd., 102) Und wenn es einen Gedanken
gibt, der seit der Relatio Synodi des letzten Jahres noch stärker
betont wird, als er vorher schon wahrnehmbar war, dann ist es der der
„schrittweisen Annäherung“ (Ebd., 57), der „schrittweisen
Entdeckung“ (Ebd., 99), der „schrittweisen Öffnung“ (Ebd.,103) und „schrittweisen Reifung“ (Ebd., 43) in Hinblick auf
„Menschen, die zusammenleben oder nur zivil verbunden sind, (und)
schrittweise ein(zu)beziehen“(Ebd., 63) sind. Möglich wird dies
durch einen wertschätzenden Einbezug einer „Symphonie der
Verschiedenheit“ (Ebd., 83), mithilfe der es gelingt „die
positiven Elemente hervorzuheben, denen man in den verschiedenen
religiösen und kulturellen Erfahrungen begegnet und die eine
‚praeparatio evangelica‘ darstellen. (Ebd.) Durch die bereits im
apostolischen Schreiben Evangelium gaudium (EG 169) beschriebene
„Kunst der Begleitung“ (Instrumentum laboris, 107; 109) soll ein
„Weg des Wachstums“ (Ebd., 102) „in einer Sprache verkündet
werden, die Hoffnung weckt“ (Ebd., 75) Aufgrund der „‘semina
Verbi‘ in den Kulturen“ (Ebd., 56), gelte es „die Samen des
Wortes zu begleiten, die darin verborgen sind“ (Ebd., 99), um in
jenen „dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe entsprechend der
fortschreitenden Hereinnahme der Gaben Gottes“ (Ebd., 39; vgl. FC 9) einzutreten.
...gemäß der göttlichen Pädagogik
In dieser Perspektive der ‚göttlichen Pädagogik“,
in der „die Erlösungsordnung die Schöpfungsordnung erleuchtet und
vollendet“ (Instrumentum laboris, 39), rücken beinahe wie von alleine alle
existentiellen Peripherien menschlicher Lebenswirklichkeiten in den
Blick. Weit weg von der noch im Vorwort des Fragebogens geäußerten
Befürchtung, dass die Rückmeldungen der Bischofskonferenzen
„ausgehend von solchen Schemata und Perspektiven gegeben werden,
die einer Pastoral eigen sind, welche lediglich die Lehre anwendet“
(Einführung zum I. Teil des Fragebogens), heißt es nunmehr:
„Es gilt einen Blick des Verständnisses für alle zu entwickeln,
und dabei zu bedenken, dass die tatsächliche Distanz vom kirchlichen
Leben nicht immer gewollt ist.“ (Instrumentum laboris, 36) Nicht von ungefähr wird das
während der ersten Synodenwoche der letztjährigen außerordentlichen Bischofssynode ins Wort
gebrachte, in der Zwischenrelatio (vgl. dt. Übersetzung in der AH 273 der DBK) dokumentierte, wenn auch im
Abschlussdokument ‚Relatio Synodi‘ zunächst ‚expressis verbis‘
wieder getilgte „Gesetz der Gradualität“ unter der Ziffer 121
des Instrumentum laboris explizit (und mit Verweis auf FC 34) wieder eingeführt, in der der
Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen angesprochen wird.
Mithilfe
dieser auch in den Blog-Beiträgen der vergangenen Monate immer wieder
aufgegriffenen Denkform (s. Funktionsfeld Blog-Suche rechts) und dem darüber möglichen Blick für die
Realitäten familialen Lebens rücken auch die vielfältigen Herausforderungen von Familien in Armut und
wirtschaftlicher Not und angesichts der vielfältigen kulturellen
Einflüsse und Widersprüche nahe, die viele Familien der Welt
betreffen.
„Traumatische Ereignisse wie bewaffnete Konflikte, der Rückgang der Ressourcen und die Migrationsbewegungen wirken sich in wachsendem Maße auf die affektive und geistliche Qualität des Familienlebens aus und stellen ein Risiko für die Beziehungen innerhalb der Familie dar. Ihre materiellen und geistlichen Kräfte werden sehr häufig an den Rand der Erschöpfung geführt.“ (Instrumentum laboris, 9)Derselbe zu Beginn und im vorangegangenen Blog-Beitrag vom 18.6.2015
angeklungene Leitgedanke, Familien nicht am Idealmaß eines
abstrakten Familienbegriffs zu messen, führt zu der Aufforderung,
sie auch „in ihrer Zerbrechlichkeit [zu] unterstützen“ (Ebd., 10) und
zuallererst wertschätzend anzuerkennen. Wie schon hinsichtlich
der graduellen Stufen gesagt, gilt im synodalen Vorbereitungsdokument bezogen auf das gesamte
aufgezogene Spektrum der angesprochenen Familienformen – unabhängig
von ihren Problemen, ihren Zerbrechlichkeiten und mancher
Unvollkommenheit –, dass die Familie „Eckpfeiler des sozialen Lebens“ (Ebd., 11) ,
„Ressource für die harmonische Entwicklung jeder menschlichen
Gesellschaft“ (Ebd.) und eine „Schule reich entfalteter Humanität“ (Ebd., vgl. GS 52)
ist.
...für eine neue Ausrichtung und pastorale Umkehr der Kirche
Diese
Wertschätzung muss deshalb nach Maßgabe des Instrumentum laboris mit einer
‚affektiven Teilnahme" (Ebd., 110) einhergehen, in der "sich die Kirche die Freuden und
Hoffnungen, die Schmerzen und die Ängste jeder Familie zu Eigen" (Ebd.) macht. Gemäß seinem bischöflichen Wappenspruch „Miserando atque eligendo“ hält Papst Franziskus seine Kirche zu einem
liebevollen Blick an, durch den die Wahrnehmung und Unterstützung
des konkreten Menschen erst möglich wird:
„Es braucht also eine Kirche, die fähig ist, den Mutterschoß der Barmherzigkeit wiederzuentdecken. Ohne Barmherzigkeit ist es heute kaum möglich, in eine Welt von 'Verletzten' einzudringen, die Verständnis, Vergebung und Liebe brauchen.“ (aus der Ansprache zu den Bischöfen Brasiliens am 27.7.2013 im Rahmen des Weltjugendtag 2013)
Das
Leitmotiv des Pontifikates von Papst Franziskus, die Barmherzigkeit,
grundiert und unterfasst die ‚göttliche Pädagogik‘ des Vorbereitungsdokumentes
von Beginn an, wie es in diesem Blog am 19.5.2015 bereits angeklungen ist. „Der große Fluss der Barmherzigkeit“ (Instrumentum, Überschrift vor 106) lässt „die unendliche Barmherzigkeit Gottes
erfahren“ (Ebd., 107), die unausschöpflich ist. Zweimal zitiert
das Vorbereitungspapier die Ankündigungsbulle des im Dezember dieses Jahres beginnenden Heiligen Jahres der Barmherzigkeit und davon einmal mit dem theologisch an die Grenzen gehenden Satz:
„Aus dem Herzen der Dreifaltigkeit, aus dem tiefsten Innern des göttlichen Geheimnisses entspringt und quillt ununterbrochen der große Strom der Barmherzigkeit. Diese Quelle kann niemals versiegen, seien es auch noch so viele, die zu ihr kommen. Wann immer jemand das Bedürfnis spürt, kann es sich ihr nähern, denn die Barmherzigkeit Gottes ist ohne Ende“ (Ebd., 108 bzw. MV, 25).Was bereits schon mit der Ankündigung des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit spürbar wurde, dass die Theologie der Barmherzigkeit auch die XIV. Ordentliche Bischofssynode kennzeichnen wird, findet sich wie ein roter Faden, als pädagogischer Ansatz, auch in dem Vorbereitungsdokument: die Pädagogik der Wertschätzung des Guten, was ist, und um es weiterzuführen, auf dass es sich entfalte und vollende. „Sehen, Mitleid haben und lehren“ sind für Papst Franziskus die Verben des „guten Hirten“, wie er es im Rückblick auf seine Lateinamerikareise im Anschluss an das Angelus-Gebet am 19.7.15 kurzfasste.
Und diese Einstellung und Wirklichkeitswahrnehmung vermag es den Familien in ihren Lebenswirklichkeiten zu begegnen: dort wo Liebe in Alltäglichkeit des Familienalltags gelebt wird. Genau in dieser Weise berührte Papst Franziskus in der zu Anfang dieses Blog-Beitrags erwähnten Messe in Guayaquil auf seiner Lateinamerikareise den Zusammenhang der Lebenswirklichkeit von Familien mit der Verheißung des Evangeliums Jesu Christi:
„Und in der Familie muss man die Liebe riskieren, muss man riskieren zu lieben. Und der Wein kommt, wenn auch alle Hochrechnungen und Statistiken das Gegenteil behaupten. Der beste Wein kommt zu denen, die heute alles zusammenbrechen sehen. Murmelt es, bis man es glaubt: der beste Wein kommt noch; flüstert es den Verzweifelten und Lieblosen ins Ohr. Gott nähert sich immer den Peripherien derer, die ohne Wein geblieben sind, die nur Mutlosigkeit zu trinken haben. Jesus hat eine Schwäche dafür, den besten Wein mit denen zu verschwenden, die aus dem einen oder anderen Grund schon spüren, dass sie alle Krüge zerbrochen haben.“Der nächste Blog-Beitrag erscheint am 19.8.2016!