Sonntag, 4. November 2018

SYNODALITÄT und KIRCHENREFORM – oder: „Kirche muss anders werden!“
Eine Woche nach Abschluss der Jugendsynode wirken die Eindrücke – mittlerweile konnotiert von ersten Kommentaren – nach und ‚setzen‘ sich in meiner Perspektive noch einmal mehr über die aufwändige Aktualisierung der Register für die Printfassung des Synodenblogs. Und ich merke, dass der nach der Veröffentlichung von Amoris laetitia im Rückblick auf den synodalen Prozess stimmige Titel der 3. Auflage des Synodentagebuches „Pädagogik der Liebe“ (AL 211) sich wieder verändern muss, weil in den Inhalten und der Art und Weise der Abstimmung und Annahme des Abschlussdokumentes sich ein neuer Notenschlüssel des zurückliegenden wie des vorausliegenden synodalen Weges zeigt:

Denn mit der im Absatz Nr. 3 einschließenden Aufnahme des Vorbereitungsdokumentes (Instrumentum laboris) – und damit der von den Jugendlichen aus aller Welt eingebrachten Fragen, Sicht- und Lebensweisen – und dem Auftrag, die Ergebnisse der Synode über das eigene Herz in die Welt zu tragen und in verschiedenster Weise wirksam werden zu lassen, zeigt sich die Jugendsynode weniger als Abschluss eines Prozesses, sondern als eine wichtige Wegmarke auf dem synodalen Weg, der nicht einfach nur durch ein weiteres Papier (das sagte Papst Franziskus sowohl in seiner Begrüßungsansprache als auch in der Abschlussansprache), sondern durch eine veränderte Haltung und Praxis des gemeinsam Kircheseins gekennzeichnet ist.

Synodalität

Im Gespräch mit Thomas Andonie heute – eine Woche nach dem letzten und jetzt wieder in Deutschland – ist es auch eine meiner ersten Fragen, wie er sich die überraschend vielen Gegenstimmen zu den die Synodalität betreffenden Abschnitten im Abschlussdokument (vgl. Blog-Beitrag vom 28.10.2018) erklären würde. Thomas Andonie vermutet Ängste bei manchen Bischöfen, dass das Lehramt verraten werde, das Lehramt nicht mehr die Bedeutung haben könne. Und ich denke mir im Anschluss, dass Papst Franziskus sein Papst- und Lehramt ja sehr bewusst in Kontinuität und Weiterführung zu einer auf dem II. Vatikanischen Konzil aufbauenden Tradition wahrnimmt, das in der synodalen Rückbindung allen seines Tuns, Handelns und Lehrens an die Bischofsversammlungen seinen Ausweis hat. Synodalität: das Wahrnehmen von Wirklichkeit, das Deuten der Zeichen der Zeit im Licht des Glaubens und das in der Unterscheidung neu mögliche Tun und Handeln in der Begegnung mit den konkreten Menschen ist der Weg der Kirche. Und mit dieser 'Maßgabe' verändert sich Kirche, relativieren sich alle Strukturen und wird deutlich: „Kirche muss anders werden!“

(Cover-Ausschnitt des Synodentagebuch in der 640 S.-Printversion;
erweiterte 4. Auflage vom 16.11.2018 ; s. https://bit.ly/2qQlkvJ)

Kirchenreform

Wie sehr das Zueinander von Papstamt und Ortskirchen gerade in Bewegung ist, macht eine Pressemeldung mit Aussagen des Synodenvaters Kardinal Oswald Gracias deutlich, der zugleich Mitglied des K9-Gremiums ist, das sich seit dem Jahr 2013 mit der zentralen Aufgabe der Kurienreform befasst. Und der Erzbischof von Bombay deutet nicht nur an, dass das geplante Dokument zur Kurienreform als neue Apostolische Konstitution mit dem Arbeitstitel "Praedicate Evangelium" (Verkündet das Evangelium) „im Dezember oder Februar veröffentlicht werden“ könnte (und damit die Konstitution "Pastor Bonus" zur Kurienreform Johannes Pauls II. aus dem Jahr 1988 ersetzen würde), sondern auch, dass sich in den zurückliegenden Monaten auch die Bedeutung der Redaktionsarbeit des K9-Rates entscheidend geändert habe.

„Ohne auf Details einzugehen deutete Kardinal Gracias als Stoßrichtung der Reform einen Dienst an den Ortskirchen, also der Kirche in den einzelnen Ländern, an. 'Die Anfangsidee war es, den Ortskirchen zu helfen, indem wir dem Heiligen Vater helfen', so Gracias. 'Jetzt ist die Idee, dem Heiligen Vater zu helfen, indem die Ortskirchen unterstützt werden.' Das sei 'eine entscheidende Änderung', so der Erzbischof von Mumbai (Bombay) und Vorsitzende der Indischen Bischofskonferenz.“ (KNA vom 31.10.2018)


Und diese Zuarbeit – das macht ja die Aussage von Kardinal Gracias gerade deutlich – beginnt vor Ort: in den Ortskirchen. Für Thomas Andonie und den BDKJ bedeutet dies die konkrete Zusammenarbeit mit den 27 Diözesanverbänden und den weiteren 16 Mitgliedsverbänden und Jugendorganisationen und in der kommenden Woche auch die Teilnahme an der Jahrestagung der Arbeitsstelle für Jugendpastoral (afj) der Deutschen Bischofskonferenz, bei der auch Jugendbischof Stefan Oster anwesend sein wird. Über alle Strukturen und Verbände, die für Thomas Andonie über das Zentralkomitee der Katholiken in Deutschland (ZDK) in bester Weise eingebunden sind, seien nun die Wege zu finden, Kirche in neuer Weise als Hörende, Begleitende und die Berufung jedes Menschen unterstützend, in unserer Kultur vor Ort zu entdecken. Dass dies in Lateinamerika mit den Herausforderungen des Drogenmissbrauchs, in Ortskirchen in Kriegsgebieten und überhaupt in jeder Teilkirche der Welt mit je unterschiedlichen Problemen und Herausforderungen andere Handlungsoptionen erfordere, sei für ihn eine der zentralen Schlussfolgerungen aus der Synode. Am Beispiel des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker festgemacht, kann es für ihn nicht sein, dass sich Jugendliche jede Woche für andere Jugendliche engagieren und ihre Arbeit durch das Fehlverhalten und den Machtmissbrauch von Klerikern unter Generalverdacht gestellt sehen. Ohne in einen Aktionismus zu verfallen, seien die auf der Synode angemahnten – und zumal von der Deutschen Sprachgruppe geforderten – konkreten Maßnahmen und Strukturveränderungen bis zu der ebenso deutlich artikulierten Forderung nach einer stärkeren administrativen Einbeziehung von Frauen in kirchlichen Leitungs- und Amtsstrukturen sukzessive umzusetzen oder die Prozesse daraufhin in Gang zu bringen.

Mit der Jugend, durch die Jugend

Dass und wie die Jugendlichen die wichtige Etappe des zurückliegenden synodalen Weges in Rom während der XV. Generalversammlung der Bischofssynode mitbestimmt haben, bringt das Synodenabschlussdokument ins Wort - und Thomas Andonie unterstreicht, wie die Jugend als eigener 'locus theologicus' bezeichnet wurde.  Das 'Hinhören' der Kirche auf die Jugend als „pädagogisches Konzept“ und „theologische Kategorie“ nimmt diesen Gedanken auf. Er wird aber noch einmal gesteigert, in der den Verlauf der Synode kennzeichnenden Änderung der Perspektive auf die Jugendlichen. Sie sind nicht mehr nur Objekte einer methodisch neu zu justierenden Jugendpastoral, sondern selbst Subjekte derselben. Als Protagonisten der Kirche sind sie Handlungsträger der Kirche und in jeder Hinsicht einzubeziehen in die Weise, wie Kirche auf Zukunft in dieser Gesellschaft lebendig sein will. Im Synodenabschlussdokument kann diese neue Perspektive auch stilistisch aufgemerkt werden: indem im II. Teil: 'Interpretieren‘ die Jugend selbst als Subjekt ins Wort kommen, während in den Teilen I: 'Erkennen' (oder besser: „Wahrnehmen“ – wie die Deutsche Sprachgruppe einstimmig als Übersetzungsvorschlag des italienischen „riconoscere“ forderte; vgl. Blog-Beitrag vom 9.10.2018) und III. 'Wählen' die Kirche als ganze Handlungsträger sei.

"Damit allerdings wechseln im Dreischritt des Gedankengangs die Akteure. Das Erkennen und Hören ist der Synode bzw. der Kirche aufgetragen, während es die jungen Menschen selbst sind, die ihrer Berufung in Unterscheidungsprozessen auf die Spur kommen müssen. Damit befindet sich der Gedankengang auf einer sachlich anderen Ebene als das vorausgehende Hören (und das nachfolgende Wählen). (…) Bei der zurückliegenden Synode fällt somit im Durchgang durch das Erkennen, Interpretieren und Wählen der zweite Schritt aus dem Rahmen." (Eva-Maria Faber, in: feinschwarz.net vom 3.11.2018)


Für Eva-Maria Faber „lassen die Bruchstellen des Textes positiv die Dynamik des Synodenprozesses erkennen.“ Diese Dynamik reicht weiter als das Thema der Jugendsynode eigentlich absteckt war und rückt auch noch einmal die grundsätzliche Perspektive in den Mittelpunkt. Oder noch einmal mit den Worten von Kardinal Marx  im ausführlichen Wortlaut gesagt:

„Es geht nicht so sehr darum, so ist mein Eindruck, dass wir immer neue Methoden suchen für die Jugendpastoral, sondern dass die Kirche sich ändert. Kirche muss anders werden! Die Jugendliche erwarten, so haben sie in der Vorsynode zum Ausdruck gebracht, eine authentische Kirche, eine Kirche, die bereit ist zum Gespräch, eine Kirche, die zuhören kann. All das taucht natürlich in allen Dokumenten wieder auf. Aber das dürfen auch nicht nur Worte bleiben, es muss sich ja auch zeigen in Strukturen, Institutionen, in konkreten Begegnungen. Und im Grunde ist das eine Botschaft, die für die ganze Kirche gilt. Nicht nur, wie begegnen Bischöfe Jugendlichen, sondern wie begegnen wir einander, im ganzen Volk Gottes.“   (eigene Übertragung der Pressekonferenz vom 24.10.2018)

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