"Es gibt systemische Ursachen, wir brauchen systemische Lösungen!“– oder: Warum der Synodale Weg „die Überprüfung seiner Beschlussvorlagen mit der Vereinbarkeit mit den Empfehlungen MHG-Studie“ vorsehen muss.
Als
„Chef der Täterorganisation“ bekannte sich der derzeitige Apostolische Administrator Weihbischof Rolf Steinhäuser für das Erzbistum Köln in einem Bußgottesdienst am
18.11.21 im Kölner Dom. Nur zwei Tage später beschrieb der Münsteraner
Historiker Thomas Großbölting auf der Herbstvollversammlung
des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in Berlin die systemischen
Ursachen, wie die Katholische Kirche zur „Täterinstitution“ wurde. Das zusammen
mit Klaus Große Kracht vorgestellte erste Resümee der Studie zur
Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster bestätigt die
bereits im Jahr 2018 ermittelten Ergebnisse der MHG-Studie.
"Insbesondere vier mögliche Risikofaktoren, die die in der Studie erfassten sexuellen Übergriffe begünstigt haben, werden in der Studie benannt: 1. Zölibat, 2. Sexualmoral / Haltung zu, Umgang mit Homosexualität, 3. Klerikalismus (Ausnutzung der Machtposition) sowie 4. unzureichende Voraussetzungen für emotionale und sexuelle Persönlichkeitsentwicklung in der Priesterausbildung / fehlende bzw. unzureichende Begleitung der Geistlichen im Hinblick auf zölibatäres Leben" (Dörnemann/Leimgruber 2022, 16-17).
Es
brauche nach Großböltings Ansicht keiner weiteren Studien, um dieses Ergebnis
noch weiter in Frage zu stellen oder zu bekräftigen. Man müsse auch vor dem Erscheinen seiner zweibändig ausfallenden Forschungsstudie für das Bistum Münster anfangen die Konsequenzen daraus zu
ziehen. Eine Buße jedenfalls, die die Augen vor den systemischen Ursachen des
Missbrauchsskandals verschließen würde, wäre leer, da ohne ohne wirkliche
Bußfertigkeit und wirkliche Umkehr. Und bevor die Ursachen nicht in
den Blick kommen und angegangen werden, kann es auch keine ernst gemeinte Aufarbeitung geben, ja wird die "tief katholische Prägung" des
Missbrauchsskandals fortgeschrieben, perpetuiert. Die juristische Aufarbeitung
stelle nur ein „ethisches Minimum“ (Großbölting/Große Kracht, s. Screenshot oben), ja aus
Sicht des ZDK- und Mitglieds des Deutschen Ethikrates Andreas Lob-Hüdepohl „nicht einmal ein ethisches Minimum“ dar.
Und der neu gewählte Vize-Präsident des ZDKs und Bochumer Neutestamentler Thomas
Söding brachte es auf die Kurzformel:
"Es gibt systemische Ursachen, wir brauchen systemische Lösungen!“ (ebd.)
Deshalb ist es so immens wichtig, ja für die katholische Kirche in Deutschland von geradezu existenzieller Bedeutung die systemischen Ursachen des Missbrauchsskandals in den Blick, ja in Angriff zu nehmen. Und von daher zielt der Beschluss der ZDK-Herbstvollversammlung, an der ich das erste Mal auch persönlich teilnehmen konnte, ins Zentrum des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland: dass „die Beschlüsse der Synodalversammlung auf Ihre Vereinbarkeit mit den Empfehlungen MHG-Studie zu prüfen“ sind.
"Das ZdK empfiehlt dem Erweiterten Synodalpräsidium darum, zusätzlich zu der obligatorischen Evaluationsphase (vgl. Satzung des Synodalen Wegs) über die Möglichkeit externer Expert*innen zu beraten, die beauftragt werden, die Beschlüsse der Synodalversammlung auf Ihre Vereinbarkeit mit den Empfehlungen MHG-Studie zu prüfen" (ebd.).
Eine Evaluation durch externe Fachexpertise würde ernst nehmen, was schon ein Autor der MHG-Studie im Jahr 2019 sagte:
"Die Täterorganisation kann keine Aufarbeitung machen. Das wissen wir als organisationssoziologischen Studien. Das müssen unabhängige Institute sein“ (Harald Dreßing im Interview mit Christiane Florin, Deutschlandfunk vom 1.7.2019).
Auf
jeden Fall ist es mit Bußgottesdiensten - so sehr sie eine Umkehr zum Ausdruck bringen - allein nicht getan, wenn man nicht wider
besseren Wissens auf Dauer „Chef der Täterorganisation“ auf bleiben will.
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