Synodalität und Kirchenreform auf Dauer gestellt – Zur Inkraftsetzung der Kirchenverfassung Praedicate evangelium und Spekulationen über einen Rücktritt
Papst Franziskus in seiner Predigt am heutigen Pfingstsonntag über das "Hier und Jetzt […] als Ort der Gnade" (Bild: Screenshot Vatican Media) |
Mit dem Inkrafttreten der Apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium zum diesjährigen Pfingstfest, das auch als „Geburtstag der Kirche“ bezeichnet wird, wird ein lange währender Weg der Reformen vollzogen, der fast ein Jahrzehnt gedauert hat und ebenso als Ziel- wie als neuer Ausgangspunkt einer Kirchenreform bezeichnet werden kann. Am 19.3.2022 – dem neunten Jahrestag seines Pontifikats – angekündigt hat die neue Kirchenverfassung Papst Franziskus und den ihn beratenden Kardinalsrat wie kein zweites Anliegen von Anfang an beschäftigt – auf einem Weg, der bereits in den Diskussionen des Konklaves im Jahr 2013 begonnen hatte.
Wie
in vorangegangenen Beiträgen erwähnt folgt die neue Kirchenverfassung auf die
von Johannes Paul II. (Pastor Bonus, 1988) eingeführte Reform, die wiederum die
von Paul VI. (Universi regimini Ecclesiae, 1967) verkündete modifizierte. In
der Priorität der Evangelisierung, der Dezentralisierung und der Rolle der
Laien liegen die Hauptmotive, die die neue Kirchenverfassung auch wieder näher
mit Motiven des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzil verbinden.
Evangelisierung
"Nach
dem Willen von Papst Franziskus tritt die Evangelisierung an die erste und
grundlegende Stelle der Zielsetzungen der Römischen Kurie. Die Leitung dieser
Super-Behörde übernimmt der Papst selbst. Das Dikasterium für Evangelisierung
entsteht aus der Zusammenlegung des Missionskongregation und des Rates für die
Neuevangelisierung. Bildungskongregation und Kulturrat verschmelzen zum
Dikasterium für Kultur und Bildung." (Vatican News vom 5.6.2022)
Dezentralisierung und Synodalität
Neben
der missionarischen Ausrichtung – und mit ihr eng verbunden - liegt der zweite
Akzent der Kurienreform in der Dezentralisierung. Dezentralisierung und Evangelisierung sind als zentrale Punkte bereits aus dem programmatischen Schreiben Evangelii Gaudium bekannt, in dem Papst Franziskus kurz nach Amtsantritt seine Vorstellungen
einer zeitgenössischen Kirche skizzierte.
"Leitmotivisch zieht sich das Gebot der Zusammenarbeit der einzelnen Kurieneinrichtungen mit den Bischöfen durch die 250 Paragrafen des gut 50 Seiten langen Dokuments. Die Reform ziele auf eine „gesunde Dezentralisierung" der Kirche, die Kurie solle mithin den Bischöfen „die Kompetenz überlassen", als Hirten, Lehrer und Seelsorger „jene Fragen zu lösen, die sie gut kennen", soweit sie „die Einheit der Lehre, der Disziplin und der Gemeinschaft der Kirche nicht beeinträchtigen". (Vatican News vom 5.6.2022)
In Bezug auf das erstmalig in einer Kirchenverfassung erwähnte „Sekretariat der Synode“ (s. Blogbeitrag vom 19.3.22) könnte man sagen, was in der Diskussion um die Einrichtung eines „Synodenrats“ nach
Beendigung des Synodalen Wegs auch in Deutschland angedacht wird: dass die
Synodalität in der neuen Kirchenverfassung gewissermaßen auch auf weltkirchlicher Ebene „auf Dauer
gestellt wird“.
Von den genannten Hauptmotiven des Reformwerkes wird in der Öffentlichkeit als größte Neuerung aufgenommen, dass der Vorsitz von Kurienämtern – und ebenso fast aller Dikasterien – nun Laien unabhängig vom Geschlecht offenstehen könnte. Zwar ist ein Pfingstsonntag als Feiertag noch kein Tag der Bekanntmachung von Leitungsämtern egal welcher Art. Doch man kann gespannt sein, wer Paolo Ruffini, dem seit dem Jahr 2018 ernannten Leiter des damals neu eingerichteten Dikasteriums für Kommunikation, als nächste Ernennungen folgen werden. Dass darunter weitere Laien und gewiss auch eine Frau sein könnten, ist seit heute keine bloße Wunschvorstellung mehr.
Evangelisierung,
Dezentralisierung und der neugeordnete Zugang zu Leitungsämtern in der
Römischen Kurie: Es sind Leitmotive einer Kirchenreform, die miteinander
zusammenhängen, einander bedingen und damit auch einen Ausgangspunkt für
neue Reformen bilden werden. Die heutige Inkraftsetzung einer erneuerten
Kirchenverfassung bildet eine wichtige Wegmarke des derzeitigen Synodalen Prozesses auf weltkirchlicher Ebene, die – ergänzt durch die Ergebnisse des
Synodalen Wegs in Deutschland – zur Synode über die Synodalität im September
2023 leiten wird.
Konsistorium und möglicher Papstrücktritt
Zuvor wird allerdings noch Ende August ein außerordentliches Konsistorium, eine Versammlung aller Kardinäle der Weltkirche mit gleich 21 neu ernannten Kardinälen stattfinden, um gemeinsam mit diesen über die neue Apostolische Konstitution über die Römische Kurie Praedicate Evangelium zu beraten.
"Das Konsistorium für die neuen Kardinäle am Samstag, den 27. August, geht somit dem für Montag, 29. und Dienstag, 30. August, geplanten Kardinals-Treffen knapp voraus, so dass auch die neuen Kardinäle bereits an den Beratungen teilnehmen können." (Vatican News vom 29.5.2022)
Nicht wenige Kommentatoren halten den 28. August 2022 – an diesem Tag wird Papst Franziskus aus Anlass der jährlichen auf diesen Tag fallenden Pilgerfahrt L'Aquila und die Grabstätte von Papst Coelestin V. (1294) besuchen, der wie Benedikt XVI. als einziger Papst zuvor zu Lebzeiten zurückgetreten ist – für einen möglichen Tag eines neuerlichen Papstrücktritts. Die Inkraftsetzung der neuen Kirchenverfassung lassen das Pontifikat von Papst Franziskus, der seit wenigen Wochen vermehrt Termine im Rollstuhl wahrnehmen muss, bereits heute rund und abgeschlossen erscheinen.
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