Mittwoch, 19. November 2014

Vielstimmiges Presseecho der Familiensynode und ihre eigentliche Botschaft

Vielstimmiger hätten die Reaktionen nach dem Ende der III. Außerordentlichen Bischofssynode zu den ‚Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung‘ kaum ausfallen können. Und sie verteilen sich gleichmäßig in den vier Feldern eines Koordinatensystems entlang der Achse, die den Grad der wahrgenommenen Veränderungen beschreibt, und diese nun entweder begrüßen oder beklagen.
                              Vielstimmiges Echo und konträre Bewertungen zum Abschluss der Familiensynode des Jahres 2014

Da waren diejenigen, die in einer bewussten oder unbewussten Perspektivverengung keine Veränderung in zentralen Fragestellungen wahrgenommen haben und von unterschiedlichen Warten aus scheinbar Unverrücktes oder Unverrückbares (Keine Einigung bei strittigen Themen erzielt) beklagten oder positiv bekräftigt sahen (Roma locuta – Die Synode sagt Nein!). Dergleichen Positionen standen und stehen diejenigen gegenüber, die eine ganze Reihe von Veränderungen wahrnahmen und je nach dem die ‚Anpassung an den Zeitgeist‘ wirksam werden sahen (Synode hat Tür zur Hölle geöffnet) oder aber den Stil- und Perspektivwandel und den Wechsel der Denk- und Diskussionsform als ‚Revolution‘ feierten.

Die Veränderungen auf der Familiensynode

Unabhängig davon, ob und welche Veränderung wahrgenommen wurde oder nicht, beabsichtigt waren einige Veränderungen in der Form der Bischofssynode von Anfang an. Die ‚Herausforderungen der Familie‘ sollten nach einer nach einer neuen Wahrnehmung geradezu schreienden, weltweiten Umfrage in den Blick kommen und ‚im Kontext der Evangelisierung‘ diskutiert werden. Und rein in der Form sollte nach Aussagen des Generalsekretärs der Synode Kardinal Baldisseri eine „müde gewordene“ Struktur der Bischofssynoden dynamisiert und transparenter gestaltet werden.
"Papst Franziskus wolle eine solche Belebung der Synode, sie solle Resonanzraum und Ort für echten Dialog sein, außerhalb der vatikanischen Kurie und nur dem Papst und den Bischöfen verantwortlich. Deswegen sei die Wiederentdeckung des Prozessgedankens einer Synode so wichtig gewesen, sie habe die gerade zu Ende gegangene Versammlung der Synode bestimmt. In der Synode gehe es nicht um Abstimmung über kirchliche Lehre, sondern darum, sich vom Herrn leiten zu lassen; sie sei ein geistlicher Prozess." (Radio Vatikan vom 30.10.2014
Und dieser geistliche Prozess war für jeden, der wollte, ein durchaus öffentlich mitvollziehbarer: Erlebt haben wir eine aus meiner Sicht geradezu beispiellose Transparenz während der Synodentage, die es jedem Außenstehenden möglich gemacht hätte – via Twitter, SoundCloud oder Youtube beinahe in Echtzeit – den Synodenverlauf mitzuerleben. Wenn man ein wenig vielsprachig veranlagt ist, kann man auch noch im Nachhinein, im Durchlesen, Nachhören und Anschauen der in diesem Blog verlinkten Dateiformate die Weltkirche im O-Ton vor Augen sehen und in den vier Synodensprachen auch beinahe mehr hören, als es in einer immer auch nur ungefähren deutschen Simultanübersetzung möglich gewesen wäre.

Papst Franziskus als Garant des offenen Wortes

Am meisten beeindruckt hat mich das Verhalten von Papst Franziskus, der durch seine Einladung zum offenen Wort, seine den Synodenverlauf bestimmende stete Anwesenheit, sein vielzitiertes, zuhörendes Schweigen (wie ein ‚Fels in der Brandung‘ ), durch die den Primat des Papstamtes über alle Positionen und Lagerbildungen hinweg unterstreichende Schlussansprache; schließlich durch die nach wie vor spektakuläre Entscheidung der unmittelbaren Veröffentlichung des Abschlussdokumentes der ‚Relatio Synodi‘ samt den Abstimmungsergebnissen. Damit wurde der Fortschritt und die Einigkeit in den allermeisten Fragen ebenso dokumentiert wie die – für Synoden gänzlich unüblich – noch bestehende Uneinigkeit zum Synodenende (obwohl gerade dies ja eigentlich auch ein von Anfang an erwartbares Ergebnis für eine von Anfang an als Zwischenetappe gekennzeichnete Synode war). Beinahe paradox mutet es an, dass Papst Franziskus das Pfund seines Primates dafür einsetzt, dass in Freiheit gesprochen werden konnte und auch in Zukunft um die Wahrheit und den weiteren Weg der Kirche in den zentralen Fragen – cum Petro et sub Petro - gerungen werden kann und soll. 
Wie gesagt: Zu Beginn der Synode, indem Franziskus sich in seinem Papstamt als Garant für die freie Rede erklärte, das offene Wort mit der Aufforderung dazu verband, nichts aus falschen Rücksichten zurückzuhalten, „was man sich im Herrn zu sagen gedrängt fühlt […]. Die Anwesenheit des Papstes ist eine Garantie für alle“ (Radio Vatikan vom 6.10.2014). Zum Ende, dass er in seiner Abschlussansprache seine Überparteilichkeit durch die Skizzierung der Versuchungen der verschiedenen Parteiungen unter Beweis stellte. Dort warnte er gleichermaßen vor der "Versuchung der feindlichen Erstarrung" der Traditionalisten wie vor falscher Barmherzigkeit eines "zerstörerischen Gutmenschentums". (Vgl. Radio Vatikan vom 18.10.2014) Und bekräftigt wurde dadurch die eigentliche Botschaft der Synode, die das Thema selbst ist, nämlich sich intensiv mit dem Thema und den Herausforderungen der Familie zu beschäftigen, „Antworten zu geben auf die vielen Entmutigungen, welche die Familien umgeben und einschnüren“ (ebd.), in der Zeit nach der Synode 2014 einen synodalen Weg fortzusetzen oder aufzunehmen.

Sprachfähigkeit - oder die "Umkehr in der Sprache"

Was ich im Rückblick auf meine Erfahrungen während der Synodenbeobachtung im täglichen Blogkommentar seit dem 2.10.2014 und in einigen Interviews für Radio, Fernsehen und Zeitungen bei mir selbst beobachtet habe, dass das Reden erst durch das Sprechen geschieht, dass Sprachfähigkeit erst möglich wird, wenn man sich der Sache annimmt, den Mut fasst, die Themen aufzunehmen und auszudrücken. Und hier sind es die vielen kleinen Schritte, die insgesamt einen synodalen Weg ergeben. Die Synodalen selbst drücken dies im Abschlussdokument in der Formulierung aus, dass es auch einer „Umkehr in der Sprache“ [bedarf], damit sie wirklich an Bedeutungskraft gewinnt.“ (Relatio Synodi, 33) Bei der Sprachfähigkeit handelt es sich nicht um ein Problem der Theorie sondern um ein ganz praktisches, tieferliegendes Problem: nämlich ein Wahrnehmungs- und darin auch dann auch Kommunikationsproblem. Was wir nicht wahrnehmen, dafür haben wir keine Worte und ist dann auch außerhalb unseres Handelns. Und umgekehrt: wofür wir keine (wertschätzende) Sprache haben, das nehmen wir nicht wahr und grenzen es aus unserem Handlungsumfeld (beinahe ohne es zu bemerken) aus. Wenn wir zu einem durch die Familiensynode aufgefordert sind, dann dazu, den Blick für das Wertvolle in den verschiedenen familiären Kontexten und Lebensbezügen der Menschen von heute zu richten und mit der kirchlichen Lehre von Ehe und Familie verbinden, eine wertschätzende Sprache zu lernen. Dieser Leitgedanke lässt sich in dem Zwischenbericht zu Beginn der zweiten Synodenwoche, aber nicht minder auch im Abschlussdokument – wie am vorletzten Synodentag in diesem Blog beschrieben – nachvollziehen. Den Blick zu lenken auf das Positive in den familialen Lebens- und Beziehungsformen der Menschen von heute, d.i. „der von Papst Franziskus nahegelegte ‚positive Blick auf das, was da ist‘ und nicht nur auf das, was fehlt“ (ORF.at vom 20.10.2014), wie Kardinal Schönborn es ausdrückt. 

"Kunst der Begleitung" – oder Schlüssel der Familiensynode
 
Damit werden weder alle Beziehungsformen für gleichwertig erklärt noch das Ideal von Ehe und Familie zur Disposition gestellt, sondern im Gegenteil von einer Warte aus – im Kontext der Evangelisierung – in den Blick genommen. Und das ist dann auch die Botschaft, die von der Familiensynode ausgeht und in den Ortskirchen aufgenommen und weiterbehandelt werden soll. Die "vom Papst gewollte Haltung der liebevollen Begleitung von Familien und von Menschen auf ihrem Weg zu einer christlichen Ehe" (Kathpress vom 7.11.2014) hat sich bei der jüngsten Familiensynode im Vatikan durchgesetzt. Diese Einschätzung wurde von den österreichischen Bischöfen zum Abschluss ihrer Herbstvollversammlung ins Wort gebracht. Und neben der Hinführung zur christlichen Ehe brauche es auch „neue Wege, um zu zeigen, dass Gott auch für jene seine Arme ausbreitet, die nicht dieses Ideal von Ehe und Familie leben.“ (Kathpress vom 1.11.2014)

Um diese Wege, um Erfahrungen, Austausch und eine neue Sprache, in der die Frohe Botschaft des Evangeliums ihre originäre Kraft in die Lebenswirklichkeit von heute entfalten kann – von den „Semina verbi“ der gültigen Elemente außerhalb der christlichen Ehe (Relatio Synodi, 22) bis zu den Idealen in Ehe und Familie – darum geht es auf dem synodalen Weg der nächsten Zeit. Das ist im Fadenkreuz des oben skizzierten Koordinatensystems eigentlich eine Besinnung auf die Mitte der christlichen Botschaft. Eine revolutionäre Neuansicht – gerade im Blick auf die vielen 'heißen Eisen', um die nach wie vor gestritten wird (und gerade in den nächsten Monaten ja auch gerungen werden soll!) – und doch eigentlich nicht minder die Rückbesinnung auf das Zentrum des Evangeliums. Dies zu entfalten, dazu bleiben uns jetzt noch knapp 11 Monate; und den Dreischritt des Abschlussberichtes vor Ort durchzubuchstabieren: Hören, Maß nehmen an der Botschaft Christi und auf Handlungsoptionen beziehen. Ganz konkret muss dabei die „Kunst der Begleitung“ eingeübt und vor Ort erprobt werden, „damit alle stets lernen, vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen“ (Relatio Synodi, 46 bzw. Evangelii Gaudium, 169): Der wahre "Schlüssel der Familienseelsorge [...] von Angesicht zu Angesicht" (vgl. Radio Vatikan vom 27.10.2014).



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