Freitag, 19. Dezember 2014

Adventliche Verheißung und Ermahnung: Die 'Lineamenta' und ihre dringende Aufforderung „sich von der pastoralen Wende leiten zu lassen“!
(Ein Auszug aus den 'Lineamenta' in offizieller deutscher Übersetzung)
Als habe man das diese Woche aus Rom in deutscher Sprache eingetroffene Vorbereitungsdokument zur Bischofssynode 2015 – die sogenannten ‚Lineamenta’ mit ‚Relatio Synodi’ und 46 vertiefenden Fragen – abwarten wollen, so zögerlich und verhalten nehmen sich die Reaktionen der deutschen Diözesen in der Rezeption der Synodenergebnisse und der Aufnahme eines synodalen Prozesses auf den ersten Blick aus. Tatsächlich ist aber an einigen Stellen schon viel passiert, in Bewegung und noch mehr auch in Vorbereitung.
Ohne Geheimnisse aus Gremien, Arbeitsgruppen und Gesprächsrunden zu verraten, an denen ich seit Ende Oktober teilnehmen konnte, hat etwa das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken auf seiner Vollversammlung vom 20.-21.11.2014 in Bonn zentrale Thesen zu Ehe und Familie offen zur Diskussion gestellt und darin auch den Verlauf der Weltbischofssynode diesen Jahres fortgesetzt. "Es ist von ganz besonderer Bedeutung, dass diese Offenheit in unserer Kirche Schule macht und zum Standard wird", so der ZDK-Vorsitzende Alois Glück in einer Pressemeldung vom 21.11.2014. Und er fügte hinzu und unterstrich damit den neuen Umgangsstil und die neue Haltung innerhalb der katholischen Kirche auch ganz formal als Synodenergebnis: "Es ist ein großer Fortschritt, ein Segen für unsere Kirche, wenn Meinungsverschiedenheiten nicht mehr verdrängt und verdeckt und auf nicht nachvollziehbaren Wegen geregelt werden, sondern offen zur Sprache kommen." (Ebd.) Für Papst Franziskus ist dies – so erklärte er am 10. Dezember im Rahmen einer Generalaudienz auch ein Zeichen dafür, dass ein 'normaler synodaler Weg' eingeschlagen ist. Denn:
 
Das ist die Freiheit, die es in der Kirche gibt.“  (Papst Franziskus, ebd.)

Und wenn man so will, kann man diese Offenheit, den Willen zur Unterscheidung der Geister und zur Transparenz, den ich selbst auch in Hinblick auf die sehr offene Diskussion Ende November innerhalb der Kommission Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz bestätigen kann, auch in der Entscheidung des Ständigen Rates der Deutschen Bischöfe manifestiert sehen, in einer in diesen Tage erschienenen Arbeitshilfe Nr. 273 unter dem Titel 'Texte und Dokumente der Bischofssynode 2014‘ die Veröffentlichung folgender zum Teil unveröffentlichter Beiträge vorzusehen: Neben den Predigten und Ansprachen von Papst Franziskus während und zum Abschluss der Synode, der ‚Relatio Synodi‘ und der Schlussbotschaft sollen auch die Zwischenrelatio, die Antworten der DBK auf den Fragebogen zur Vorbereitung der Synode und selbst die Positionsbestimmung der deutschen Bischöfe zum Thema ‚Theologisch verantwortbare und pastoral angemessene Wege der Begleitung wiederverheiratet Geschiedener‘ publiziert werden, wie Kardinal Marx am 18.12.2014 nochmals bekräftigte. Und das ist – erstmals veröffentlicht – eben jene Positionsbestimmung der Deutschen Bischöfe, von welcher Kardinal Marx bereits Ende September ankündigte, dass er sie in Rom vortragen werde (s. den Blog-Beitrag vom 4.10.2014), und in der ersten Synodenwoche dann auch vorgetragen hat.

Nach der Synode ist vor der Synode?!
 
Nach der Synode ist vor der Synode, heißt es in der letzten Zeit oft. Und mit einem weiteren Fragebogen stellt sich auch sofort ein ‚Déjà-vu’-Eindruck ein. Doch sosehr es nun auch wieder um eine synodale Befragung und weltweite Einbeziehung aller Ortskirchen zur Vorbereitung der nächsten Bischofssynode geht, ist die Situation nicht nur in der bereits erwähnten, offeneren Weise der Kommunikation verändert. Denn es wird deutlich, dass es nicht mehr darum geht wie vor der Außerordentlichen Bischofssynode des Jahres 2014 Einstellungen und Vorschläge zusammenzutragen, als wenn im nächsten Jahr eine Art Reinszenierung derselben Fragestellungen und -bearbeitung nur mit z.T. neuen Synodalen geplant wäre. Vielmehr geht es nächstes Jahr um die Ausarbeitung, Vertiefung und Begründung der Synodenergebnisse der Abschlussrelatio – entlang des bereits die Zwischenrelatio zur Synodenhalbzeit kennzeichnenden Dreischrittes: Wahrnehmen der konkreten Umstände und Herausforderungen, der Blick auf Christus und die Behandlung der pastoralen Perspektive, wie Papst Franziskus die Gliederung am 10.12.2014 kurzfasste.

...sich von der pastoralen Wende leiten zu lassen“

Diese auch das Abschlussdokument kennzeichnende Struktur soll nunmehr konturiert, vertieft und weiterentwickelt werden – ggf. auch wieder ergänzt, wenn etwa wichtige Themen hinunter gefallen sind. Und indem der Fragenkatalog mit den 46 Einzelfragen sich eng auf die ‚Relatio Synodi’ bezieht, soll zugleich verhindert werden, dass die Bischöfe – Zitat – „ihre eigenen Vorstellungen von einer Seelsorge als reiner Anwendung der Lehre“ äußerten, die nicht die Folgerungen der Außerordentlichen Bischofssynode berücksichtige. Der Fragenkatalog solle den „nötigen Realismus“ fördern und das nächste Bischofstreffen von dieser Grundlage aus weiterarbeiten. Man dürfe „nicht wieder bei Null anfangen“, heißt es ausdrücklich in den Leitlinien. Die Außerordentliche Synode vom Herbst 2014 müsse Ausgangpunkt für die künftigen Arbeiten sein und die von ihr begonnene „pastorale Wende“, die „im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) und dem Lehramt von Papst Franziskus“ wurzele, müsse fortgesetzt werden. Klarer und unmissverständlicher kann man den Auftrag zur Vorbereitung der nächsten Bischofssynode eigentlich nicht aussprechen. Und alle – wirklich alle – Beiträge, Pressemeldungen und Kommentare zur Synode dieser und der kommenden Tage, Wochen und Monate, werden sich daran messen lassen müssen, ob sie dieser Perspektive der Vorbereitung entsprechen – oder sich selbst diskreditieren.

Worin die 'pastorale Wende' besteht?

Aber worin besteht die ‚pastorale Wende’ genau? Die einleitenden Sätze des Fragenkataloges führen es überdeutlich aus – und werden vielleicht deshalb auch so schnell überlesen und durch andere Schlagzeilen vergessen gemacht –, dass ein neues Selbstverständnis „in dieser Stunde der ‚Kirche, die aus sich herausgeht’“, beschrieben und manifestiert wird.
Der erneuerte, von der außerordentlichen Synode vorgezeichnete Weg gliedert sich in einen weiteren kirchlichen Zusammenhang ein, wie er von Papst Franziskus im Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium dargelegt wurde, der nämlich von den ‚existentiellen Peripherien’ ausgeht, einer von der ‚Kultur der Begegnung’ gekennzeichneten Pastoral, welche in der Lage ist, das freie Handeln des Herrn auch außerhalb unserer gewohnten Schemata zu erkennen und, ohne Verlegenheit, jenen Charakter des „Feldlazaretts“ zu übernehmen, welche der Verkündigung der Barmherzigkeit Gottes so förderlich ist.“
Was das heißt, beschreibt Kardinal Schönborn in der Dezember-Ausgabe der Herder Korrespondenz als ein „ein noch offeneres Hinschauen auf die Lebenswirklichkeit sowie als einen „stärkeren Blick auf die Geschichtlichkeit von Ehe und Familie“. (Kathpress, 3.12.2014) „In der ersten Synode nämlich sei von Ehe und Familie oft so gesprochen worden, 'als handele es sich um etwas, das im interstellaren Raum stattfindet und nicht in einer bestimmten Geschichte, in einer bestimmten Gesellschaft, unter bestimmten Lebensbedingungen’“. (Ebd.) Wie dieser theologische Brückenschlag gelingen kann, welche Ansätze es gibt, welche Modelle und Begriffe, davon wird das nächste Jahr voll und eine breite Beteiligung in den Ortskirchen um der Sache selber willen nötig, ja um der Akzeptanz willen auch gefordert sein. Dass und wie diese Perspektive gehalten, geschärft und weiterentwickelt wird, werde ich in diesem Blog Monat für Monat gewissenhaft beobachten.

Im Grundsatz ist es ja mutatis mutandis dieselbe Frage, die schon vor der Außerordentlichen Bischofssynode an das Bischofstreffen herangetragen wurde – mit dem feinen und entscheidenden Unterschied, dass nun Rom 'uns' in einer wirklichen Weihnachtspost ebendiese Fragestellung in 46 Einzelziffern zurückgibt und zur gemeinsamen Exploration einlädt. Eine adventliche Verheißung und Ermutigung!
 
"Fürchtet Euch nicht..." (Lk 2,10)
 
 
Nachtrag am 23.12.2014: Wie im Erzbistum Köln der Umgang mit dem Fragenkatalog der 'Lineamenta' unter Einbezug der Kreis- und Stadtdekanate und Gremien und Verbände voranschreitet, können Sie hier nachlesen.