„An das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens“ richtet Papst Franziskus sein nachsynodales Schreiben Querida Amazonia (Geliebtes Amazonien) und damit zugleich an eine „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (QA 61). Darin stellt Papst Franziskus zugleich das bereits mit Synodenabschluss angenommene Schlussdokument der Amazoniensynode offiziell vor und bietet in seinem Schreiben dafür einen „groben Rahmen für die Reflexion“ […], „die eine Hilfe und Orientierung für eine harmonische, schöpferische und fruchtbare Rezeption des ganzen synodalen Weges sein kann.“ (QA 2)
Zwei
Dokumente: Das Nachsynodale Schreiben und das Schlussdokument
Entsprechend
der Apostolischen Konstitution
Episcopalis Communio (Art. 18 § 1) hat bereits das Schlussdokument der
Amazonassynode mit seiner Annahme durch Papst Franziskus am 26.10.2019 Teil am
ordentlichen Lehramt des Nachfolgers Petri. Beide Dokumente sind
deshalb heute zusammen offiziell vorgestellt worden. Ausdrücklich unterstreicht
Papst Franziskus diese Arbeit echter Synodalität:
"Es bietet uns die Folgerungen der Synode, an der viele Menschen mitgearbeitet haben, die die Problematik Amazoniens besser kennen als ich und die Römische Kurie, da sie dort leben, mit ihm leiden und es leidenschaftlich lieben. Ich habe es daher vorgezogen, das Schlussdokument in diesem Apostolischen Schreiben nicht zu zitieren, weil ich vielmehr dazu einlade, es ganz zu lesen.“ (QA 3)
Von
vier Arten der Bekehrung zu vier Visionen für eine Kirche mit einem amazonischem
Gesicht (QA 61)
Das
veröffentlichte Schlussdokument spricht von vier Arten der Bekehrung (pastoral,
ökologisch, kulturell und synodal), die Papst Franziskus als „vier große
Visionen“ weiterführt, in denen die „Verkündigung […] und die Strukturen der Kirche
[…] Fleisch und Blut“ annehmen. Sie gliedern zugleich das nachsynodalen
Schreibens Querida Amazonia:
"Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen (autochthonen) Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird." (QA 7)
Die
erste Vision beschreibt eine soziale Vision Amazoniens (QA 8-27), „das alle
seine Bewohner integriert und fördert, damit sie das ‚buen vivir‘ – das ‚Gute
Leben‘ – dauerhaft verwirklichen können […] Denn obschon Amazonien vor einer
ökologischen Katastrophe steht, muss darauf hingewiesen werden, dass »ein
wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt,
der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage
der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde«“. (QA 8; vgl. Laudato Si‘ 49)
Der Verurteilung sozialer Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Ungleichheit und das
Werben für Gemeinschaftssinn und sozialen Dialog sieht Papst Franziskus
unmittelbar verbunden mit einer kulturellen Vision (QA 28-40)
"Ich träume von einem Amazonien, dass seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt, wo auf so unterschiedliche Weise die Schönheit der Menschheit erstrahlt." (QA 7)In dieser Vision spricht Papst Franziskus vom „Polyeder Amazoniens“, das viele Völker und Nationalitäten und mehr als einhundertzehn indigene Völker umfasst. Wider eine „postmoderne Kolonialisierung" unterstreicht Papst Franziskus deren je „eigene kulturelle Identität und einen einzigartigen Reichtum in einem plurikulturellen Universum aufgrund der engen Beziehung, die die Bewohner zu ihrer Umwelt aufbauen". (QA 31) Da diese „Kulturen der ursprünglichen Völker im engen Kontakt mit der natürlichen Umwelt entstanden sind und sich entwickelt haben, so können sie schwer unversehrt bleiben, wenn diese Umwelt Schaden erleidet.“ Dies ist zugleich die Überleitung zu einer ökologischen Vision, in der eine „kosmische Dimension“ (QA 41) zum Tragen kommt.
"Ich träume von einem Amazonien, das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt." (QA 7)Anknüpfend an die vorausgegangenen Visionen unterstreicht Papst Franziskus in dieser ökologischen Vision (QA 41-60), wie die „Weisheit der ursprünglichen Völker Amazoniens dazu [inspiriert], sorgsam und respektvoll mit der Schöpfung zu leben, im klaren Bewusstsein ihrer Grenzen, das jeden Missbrauch verbietet. Die Natur missbrauchen bedeutet, die Vorfahren, die Brüder und Schwestern, die Schöpfung und den Schöpfer zu missbrauchen und dadurch die Zukunft aufs Spiel zu setzen.“ (QA 42) Dem „Schrei der Erde“ Amazoniens stellt Papst Franziskus die „Prophetie der Kontemplation“, „Erziehung und ökologische Haltungen“ zur Seite und plädiert für ein „erneuertes Bewusstsein über den Wert der Schöpfung“ (QA 60)
"Ich träume von christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken." (QA 7)In dieser vierten, explizit kirchlichen und die meisten Absätze umfassenden Vision (QA 61-110) träumt Papst Franziskus von einer „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (QA 61). Die "Verkündung" und "Wege der Inkulturation" werden bis zu "Ansatzpunkten für eine Heiligkeit amazonischer Prägung" weitergeführt. Eine besondere Aufmerksamkeit legt Papst Franziskus dabei – Evangelii gaudium 123 zitierend – auf „religiöse Ausdrucksformen, die sich spontan aus dem Leben der Völker ergeben, […] denn »in der Volksfrömmigkeit kann man die Art und Weise wahrnehmen, wie der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben wird.“ (QA 78; vgl. EG 123)
Die
Inkulturation der Liturgie
Unter
der Überschrift „Inkulturation der Liturgie“ (QA 81) findet sich eine sehr
schöne, schöpfungstheologische Herleitung der Sakramente, insofern „in ihnen
das Göttliche und das Kosmische, die Gnade und die Schöpfung vereint sind.“ Seine ebenfalls an alle Menschen guten Willens gerichtete Enzyklika Laudato Si‘ (LS 235) zitierend sind sie „eine bevorzugte Weise, in der die Natur von Gott
angenommen wird und sich in Vermittlung des übernatürlichen Lebens verwandelt.“
(QA 81) Es ist für Papst Franziskus zugleich die Einladung „in der Liturgie
viele Elemente der intensiven Naturerfahrung der Indigenen aufzugreifen und eigene Ausdrucksformen in den Liedern, Tänzen, Riten, Gesten und Symbolen anzuregen.“ (QA
82).
Inkulturation
der Dienste und Ämter
...und die offene Frage der viri probati
...und die offene Frage der viri probati
Unter
der Überschrift "Inkulturation der Dienste und Ämter" (QA 85-90) nimmt Papst Franziskus auch Bezug auf die Entwicklung der
„kirchlichen Organisationsformen und in den kirchlichen Ämtern“, wie sie auch
in Deutschland in zwei Foren des Synodalen Weges diskutiert werden. Ohne die im heute ja ebenfalls offiziell vorgestellten Abschlussdokument aufgeführte Möglichkeit „anerkannte Männer, die ein fruchtbares Ständiges Diakonat innehaben, zu
Priestern zu weihen“ (Abschlussdokument 111; vgl. Übersetzung von Vatican News vom 26.10.2019) zu zitieren, belässt es Papst
Franziskus auf den Hinweis hinsichtlich der Art und Weise, „wie
kirchliche Dienste strukturiert und gelebt werden, an Inkulturation zu denken.“
Ob und wie an dieser Stelle der Wunsch der Synodenmehrheit für die Kirche
Amazoniens Wirklichkeit werden kann, ist an dieser Stelle weder vorentschieden
noch abschlägig beschieden: vielmehr ein Verweis auf den Prozess, der zwar alles an der "Feier der Eucharistie" (QA 89) als "Quelle und Höhepunkt (QA 92) orientieren will und dennoch nicht der Versuchung verfällt, alles an der "Präsenz der geweihten Amtsträger" (QA 93) festzumachen. Der kirchenrechtlich
mögliche Einsatz von Gemeindeleiter*innen (QA 94) – auch in den deutschen
Ortkirchen bislang eher die Ausnahme – wird ebenso hervorgehoben wie der Einsatz
und Befähigung von Laien (QA 89) im Leben einer „Kirche mit amazonischen
Gesichtszügen“ (QA 94).
Frauen
in Diensten und Ämtern
Dabei
wird die Kraft und die Gabe der Frauen (99-103) zwar besonders hervorgehoben,
allerdings ihre Möglichkeit „zu den heiligen Weihen zugelassen“ zu werden
ausdrücklich in die Grenzen verwiesen: Ohne diese im nachsynodalen Schreiben ausdrücklich auszuschließen, stellt die Weihe von Frauen für Papst Franziskus „eine Begrenzung der
Perspektiven“ dar: „Sie würde uns auf eine Klerikalisierung der Frauen
hinlenken und den großen Wert dessen, was sie schon gegeben haben, schmälern
als auch auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags
führen.“ (QA 100) Umgekehrt sollten Frauen „in einer synodalen Kirche […] eine
zentrale Rolle in den Amazonasgemeinden spielen, Zugang zu Aufgaben und auch
kirchlichen Diensten […] einen echten und effektiven Einfluss in der
Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von
Gemeinschaften haben“. (QA 103)
Eine
Einschätzung zum Schluss
Auch
wenn viele Kommentare anlässlich des nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia
im Blick auf das Aussparen der Möglichkeiten der Weihe verheirateter Männer und
Frauen enttäuscht ausfallen werden, könnten sie ebenso im Blick auf das
zu gleicher Zeit „offiziell“ veröffentlichte – wenn auch nur in italienischer Sprache
vorliegende – Schlussdokument den Prozess weiter offen oder gerade erst geöffnet sehen. Die Ausgestaltung
der Möglichkeiten in der Pastoral vor Ort – in Amazonien, weltweit wie hier vor
Ort auf dem Synodalen Weg – ist dabei zusätzlich zusammen zu sehen mit der in Kürze erwarteten
Konstitution zur Kurienreform Praedicate evangelium und der Möglichkeit der
Teil- und Ortskirchen, ihre Verantwortung am ordentlichen Lehramt in neuer Weise wahrzunehmen. Das offizielle Abschussdokument mitsamt dem
nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia machen es möglich, sie rufen in der
Zusammenschau sogar dazu auf! (QA 2-4) Bis sich diese Lesart durchsetzt, wird der synodale Prozess weiter voranschreiten müssen.
Erstveröffentlicht am 12.2.20 auf https://bistumlimburg.de/beitrag/mehr-als-eine-fussnote-querida-amazonia/
Erstveröffentlicht am 12.2.20 auf https://bistumlimburg.de/beitrag/mehr-als-eine-fussnote-querida-amazonia/
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