Samstag, 27. Juni 2020

Synodaler Weg: Der Papst schätzt dieses Vorhaben, das er eng mit dem von ihm geprägten Begriff der ‚Synodalität‘ verbindet.“

 

© Deutsche Bischofskonferenz/Matthias Kopp

"Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, ist heute (27. Juni 2020) zu einem Antrittsbesuch von Papst Franziskus empfangen worden. Bei der Privataudienz im Vatikan konnte Bischof Bätzing den Papst über die Lage der Kirche in Deutschland, vor allem in den Auswirkungen der Corona-Krise, informieren. Ausführlich berichtete er Papst Franziskus über den bisherigen Verlauf des Synodalen Weges der Kirche in Deutschland und die weiteren Planungen. „Ich fühle mich durch den intensiven Austausch mit dem Heiligen Vater bestärkt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Der Papst schätzt dieses Vorhaben, das er eng mit dem von ihm geprägten Begriff der ‚Synodalität‘ verbindet. Mir war es ein Anliegen deutlich zu machen, dass die Kirche in Deutschland diesen Weg geht und sich stets an die Universalkirche gebunden weiß“, erklärte Bischof Bätzing nach der Audienz. „Auf dringende Herausforderungen der Kirche, die von der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen bis hin zu den dramatischen Kirchenaustrittszahlen reichen, müssen wir Antworten finden. Mit seinem Schreiben an das pilgernde Gottesvolk der Kirche inDeutschland im Juni 2019 hat er dazu ermutigt und Hinweise gegeben. Er wird uns auch weiterhin aufmerksam begleiten.“ Papst Franziskus habe daran erinnert, beim Synodalen Weg und dem Handeln der Kirche in Deutschland, die Armen und Alten, die Geflüchteten und Hilfsbedürftigen nicht aus dem Blick zu verlieren. „Ausdrücklich bat der Papst darum, die Auswirkungen und Erfahrungen angesichts der Corona-Pandemie auf dem weiteren Weg mit zu bedenken“, so Bischof Bätzing. Er fügte hinzu: „Ich hoffe, dass wir mit den Erfahrungen des Synodalen Weges einen Beitrag zur Weltbischofssynode im Oktober 2022 leisten können, die sichmit der Frage der Synodalität auseinandersetzt.“

 

Bei seinem zweitätigen Besuch traf Bischof Bätzing außerdem mit dem Generalsekretär der Bischofssynode, Kardinal Lorenzo Baldisseri und dessen designierten Nachfolger, Erzbischof Mario Grech, dem Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Louis Ladaria SJ, dem Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, und dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl, Botschafter Dr. Michael Koch, zusammen."


Quelle: Pressemeldung Nr. 107 der Deutschen Bischofskonferenz vom 27.06.2020



Sonntag, 31. Mai 2020

Pfingsten und der Synodale Weg in Corona-Zeiten – oder: als  „Kirche im Aufbruch… ein neues Kapitel des Christseins mitschreiben“

 

Screenshot: Pfingstpredigt von Bischof Georg Bätzing,
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und
der Synodalversammlung des Synodalen Weges

„Die Zeit ist mehr wert als der Raum.“ Auch heute klang dieser im vorausgegangenen Blogbeitrag hervorgehobene Grundgedanke in der Pfingstpredigt von Papst Franziskus an, indem er ihn auf die christliche Gottesvorstellung bezog. Es sei wichtig, dass „Gott ganz Gabe ist, dass er nicht nimmt, sondern gibt.“ Von dieser Gottesvorstellung hänge es ab, auf welche Weise wir unseren Glauben leben:

"Wenn wir einen Gott im Sinn haben, der sich alles nimmt und sich aufdrängt, möchten auch wir uns alles nehmen und uns aufdrängen: Räume besetzen, Bedeutung beanspruchen, nach Macht streben. Aber wenn wir Gott als Gabe in unseren Herzen spüren, ändert sich alles. Wenn uns bewusst wird, dass das, was wir sind, sein Geschenk ist, seine freie und unverdiente Gabe, dann werden auch wir aus unserem Leben ein Geschenk machen wollen." (dt. Übersetzung bei kath.net vom 31.5.20)

Pfingsten in Corona-Zeiten: Das bedeutet, sich dieser Botschaft, aber auch der Gefährdung dieser Botschaft aus dem vermeintlich inneren Bereich der Kirche bewusst zu sein. Leider hat kath.net einen selbstkritischen Satz hinsichtlich dieser Gefährdung im Blick auf Selbstbezüglichkeit und Abkapselung der Kirche aus der ansonsten um Vollständigkeit bemühten Predigtveröffentlichung getilgt, so dass ich aus der am Abend veröffentlichten deutschen Übersetzung der Predigt bei Vatican News zitiere:

"Der Geist will nicht, dass die Erinnerung an den Meister in geschlossenen Gruppen gepflegt wird, in Kreisen, in denen man sich gerne 'sein Nest baut'. Und das ist eine schlimme Krankheit, die die Kirche befallen kann, dass die Kirche nicht Gemeinschaft, nicht Familie, nicht Mutter, sondern ein Nest ist." (Vatican News vom 31.5.2020)

Die Gefahr der Abkapselung der Kirche wider das Wirken des Heiligen Geistes steht heute auch beim Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Georg Bätzing im Fokus seiner Pfingstpredigt:

"Offene Aggression und Zwietracht, drängelnde Ungeduld, selbstherrliche Ab- und Ausgrenzung, Bosheit und Verantwortungslosigkeit vertragen sich nicht damit. Wer als Christ hart, unduldsam und lieblos auftritt und damit meint, die Wahrheit des Glaubens verteidigen zu können, der ist auf dem Holzweg, auch wenn er äußerlich noch so fromm daherkommt. Der Geist Jesu Christi führt wohl in die Entscheidung, aber er wählt stets Wege, die Menschen aufrichten und zueinander führen." (DBK vom 31.5.2020)

Das weiterzugeben, „was wir empfangen und gesehen haben“ (vgl. 1 Joh 1,3) – der zweite fehlende Satz in der o.g. kath.net-Veröffentlichung der Predigt von Papst Franziskus – ist gleichfalls die Sinnspitze der Homilie von Bischof Bätzing, indem er auf eine kurze Ansprache des damaligen Kardinal Bergoglio aus dem Konklave Bezug (vgl. Blogbeitrag vom 29.9.2015) nimmt:

"Und da kommt für mich das Pfingstbild erneut ins Spiel. Manche haben an das Wort von Papst Franziskus am Vorabend seiner Wahl erinnert. Da sprach er von Christus, der höchst lebendig in seiner Kirche von innen her anklopft und uns aus dem Schlaf der Trägheit und Selbstgerechtigkeit herausrufen will. Er wartet aber nicht, bis wir seinen Auftrag beherzigen. Er öffnet beständig die verschlossenen Tore seiner Kirche und sucht an den Rändern und Grenzen die verwundeten Menschen auf. Wenn wir nicht bereit sind, gemeinsam mit ihm unsere kirchlichen Binnenräume zu verlassen, dann bestätigt sich die Kirche als fad und schal, als Salz ohne Geschmack, das den Menschen in Nöten und Abgründen keinen Trost und keine Hoffnung zu geben vermag. Und deshalb erinnert uns Papst Franziskus immer wieder daran, 'Kirche im Aufbruch' zu verwirklichen. Türen auf und hinaus zu den Menschen, so gibt er die Richtung vor." (Ebd.)

Ebendies ist die erklärte Ausrichtung des Corona-bedingt nunmehr um ein halbes Jahr, bis zum 2. Februar 2022 verlängerten Synodalen Weges mit seinen nunmehr ersatzweise im Herbst diesen Jahres eingeschobenen 5 Regionalforen (für die ursprünglich für den 4. September 2020 vorgesehene und nun auf den Zeitraum vom 4. bis 6. Februar 2021 verschobene zweite Synodalversammlung). Dies gibt auch den inhaltlich arbeitenden vier Arbeitsgruppen mehr Zeit. Denn erst

"[z]wei Arbeitsgruppen - zu Frauen und zur Sexualmoral - konnten vor den Corona-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens zusammenkommen und nach der Satzung ihre Vorsitzenden bestimmen. Seither läuft der Austausch vor allem auf virtuellem Weg. Die beiden Arbeitsgruppen zu Machtfragen und priesterlichem Leben wollen sich dem Vernehmen nach vor August treffen.“ (katholisch.de vom 29.5.20)

Bischof Georg Bätzing hat sich bereits für eine Thematisierung auf einer Bischofssynode in Rom ausgesprochen, die sich mit den zu fassenden Beschlüssen des Synodalen Wegs der Kirche in Deutschland beschäftigt.

"Er sei 'sehr dafür, die Erkenntnisse und Entschlüsse, die wir auf dem Synodalen Weg sammeln – auch hinsichtlich der Frau und des Amtes –, nach Rom zu transportieren'. […] 'Was synodal entsteht, muss auch synodal geklärt und beantwortet werden', so Bätzing. Dieses Prinzip sei durch Papst Franziskus gestärkt worden.“ (Ebd).

In dieser Überzeugung knüpft Bischof Bätzing an seinen Vorgängers im Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zum Beginn des Synodalen Weges an. Und er schließt in seiner Pfingstpredigt mit Worten, die die Richtung nach vorne angeben:

"Ja, diese Krisenzeit verschärft die Zeitansage an die Kirche. Wir müssen uns ihr stellen, sie durchdringen und miteinander darauf antworten. […] An Pfingsten wurde das erste Kapitel in der langen Geschichte der Kirche aufgeschlagen. Unsere Zeit und ihre Zeitansage legen nahe, dass wir ein neues Kapitel des Christseins mitschreiben. Jesus traut es uns zu. Türen auf und hinaus." (DBK vom 31.5.2020)
 
 

Sonntag, 19. April 2020

Die Zeit ist mehr wert als der Raum und was zu tun ist, wenn die Zeit stille zu  stehen scheint – oder: Mit Antikörpern der Solidarität“ wider das „Virus der Gleichgültigkeit“  „Un plan para resucitar
(Bild: Vatican News vom 17.4.2020)
Die Zeit ist mehr wert als der Raum.“ Für mich, der ich mich als Vorsitzender des ökumenischen Bundesverbandes Kirchenpädagogik und Lobbyist für die Bedeutung, Erhaltung und Erschließung von Kirchenräumen eigentlich immer wider die Raumvergessenheit in Theologie und Kirche einzusetzen versuche, war diese Prämisse des Pontifikates von Papst Franziskus, die er auch in seinem als Programmschrift geltenden Lehrschreiben Evangelii gaudium (EG 222-225) in mehreren Absätzen ausgeführt hat, zunächst gewöhnungsbedürftig, der ich aber jetzt – je länger, je mehr und weil sie gar nicht auf den Kirchenraum als solchen gemeint ist – über alle Maßen viel abgewinnen kann  und zumal sie auch die Offenbarungs- und Geschichtstheologie auf den Punkt bringt. In einem im selben Jahr 2013 veröffentlichten Interviewband erläutert Papst Franziskus diesen Gedanken in wenigen Sätzen:
"Gott zeigt sich in einer geschichtsgebundenen Offenbarung, in der Zeit. Die Zeit stößt Prozesse an, der Raum kristallisiert sie. Gott findet sich in der Zeit, in den laufenden Prozessen. Wir brauchen Räume der Machtausübung nicht zu bevorzugen gegenüber Zeiten der Prozesse, selbst wenn sie lange dauern. Wir müssen eher Prozesse in Gang bringen als Räume besetzten. Gott offenbart sich in der Zeit und ist gegenwärtig in den Prozessen der Geschichte.“ (Das Interview mit Papst Franziskus, hrsg. von A.R. Batlogg und A. Spadaro, Freiburg 2013, S. 59)
Aber was heißt dies in einer Zeit, in der die Zeit selbst stille zu stehen scheint, einer Zeit „mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere […],die alles im Vorbeigehen lähmt“? In einem Beitrag für die spanische Zeitschrift Vida Nueva vergleicht Papst Franziskus die Situation heute mit den Ostererfahrungen der Jüngerinnen(!): 
"‘Denn wie die ersten Jüngerinnen, die damals zum Grab Jesu gingen, leben wir derzeit in einer Atmosphäre des Schmerzes und der Unsicherheit.‘ Die Angst etwa der alten Menschen in einsamer Quarantäne oder der Familien, die nichts mehr zu essen hätten, laste wie ein Grabstein auf den Menschen.“  (Vatican News vom 17.4.2020) 
Un plan para resucitar
Die Osterzeit ist dieses Jahr – vielleicht mehr als je zuvor und in aller Welt zeitgleich erfahrbar – eine Erfahrung von Not, Beklemmung, Angst, wirtschaftlicher Ungewissheit und auch von Todeserfahrungen im allernächsten familiären Umfeld. Erfahrbar wurde dies am Karfreitag, aber auch etwa in der Andacht auf dem Petersplatz anlässlich der Pandemie am 27.3.2020. In der Klage, der Not und Ausweglosigkeit ist Leben in einer Dichte erfahrbar – ähnlich der Trauer und Verzweiflung der Jüngerinnen Jesu. Und hier setzt die Osterbotschaft, der „Plan wiederaufzuerstehen“ ("Un plan para resucitar") an:
"Doch die Jüngerinnen hätten sich damals trotz ihrer Angst in Bewegung gesetzt, und wie sie sollten auch wir es heute halten. Wie Jesus seien auch wir „nicht für den Tod, sondern für das Leben gesalbt“. […] Die Auferstehung des Herrn, „eine überschäumende Nachricht“, sei auch heute „die Quelle unserer Freude und Hoffnung, die unser Handeln verwandelt“. „Jedes Mal, wenn wir am Leiden des Herrn, am Leiden unserer Geschwister teilnehmen oder selbst Leid durchmachen, werden unsere Ohren die Nachricht von der Auferstehung hören“, so der Papst. „Wir sind nicht allein, der Herr geht uns auf unserem Weg voraus und räumt die Steine beiseite, die uns hindern.“ (Vatican News vom 17.4.2020)
Wenn sich aus der Corona-Krise etwas lernen lasse, dann dies: „'dass sich keiner alleine rettet. […] Die Grenzen werden durchlässig, und alle fundamentalistischen Reden lösen sich auf, wenn uns die fast unmerkliche Präsenz (des Virus) darauf hinweist, dass wir zerbrechlich sind.' Der Ernst der Stunde verlange, dass konkrete Konsequenzen aus der Krise gezogen würden. Dazu brauche es 'eine neue Vorstellungskraft' und nicht nur 'Realismus'. Es gehe letztlich 'um eine nachhaltige und integrale Entwicklung der ganzen Menschheitsfamilie'“. (Ebd.)

Mit Antikörpern der Solidarität wider das Virus der Gleichgültigkeit
Mit „Antikörpern der Solidarität“  solle sich jeder als „Handwerker und Protagonist einer gemeinsamen Geschichte“ fühlen und entsprechend agieren. 
"Wir können es uns nicht erlauben, die jetzige und künftige Geschichte zu schreiben, wenn wir gleichzeitig dem Leiden so vieler Menschen den Rücken zudrehen… Wenn wir wie ein einziges Volk handeln, können wir auch angesichts anderer Epidemien, die uns bedrohen, eine echte Durchschlagskraft entwickeln.“ (Ebd.)
In Zeiten der bevorstehenden Lockerung von Pandemie-Maßnahmen sei gerade auf die Schwächsten zu achten“, betonte Papst Franziskus heute, indem er vor dem nächsten „Virus des gleichgültigen Egoismus" warnte.
"Es ist an der Zeit, die Ungleichheit zu beseitigen, die Ungerechtigkeit zu heilen, die die Gesundheit der gesamten Menschheit bedroht!" (Vatican News vom 19.4.2020)
Die Zeit, Prozesse in Gang zu setzen
Einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ setzt er in dem Artikel in Vida Nueva einen Lebensstil der „Zivilisation der Liebe“ entgegen und macht sich damit eine berühmte Formulierung von Papst Paul VI. zu eigen. „Die Zivilisation der Liebe wird täglich, in unermüdlicher Arbeit, aufgebaut. Sie setzt das Engagement aller voraus.“
Es ist jetzt die Zeit, "Prozesse in Gang zu setzen […], die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und Menschen sowie Gruppen einbeziehen, welche diese vorantreiben, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringt.“ (EG 223)

Freitag, 27. März 2020

Urbi et Orbi  in 'ohrenbetäubender Stille' - 
oder:  Segenszuspruch in der Corona-Krise
(Tagesschau vom 27.3.2020)

"Tiefe Finsternis hat sich auf unsere Plätze, Straßen und Städte gelegt; sie hat sich unseres Lebens bemächtigt und alles mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere erfüllt, die alles im Vorbeigehen lähmt: Es liegt in der Luft, man bemerkt es an den Gesten, die Blicke sagen es. […]  
In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden. […]  
Es ist nicht die Zeit deines Urteils, sondern unseres Urteils: die Zeit zu entscheiden, was wirklich zählt und was vergänglich ist, die Zeit, das Notwendige von dem zu unterscheiden, was nicht notwendig ist. Es ist die Zeit, den Kurs des Lebens wieder neu auf dich, Herr, und auf die Mitmenschen auszurichten. […]
Der Herr fordert uns heraus, und inmitten des Sturms lädt er uns ein, Solidarität und Hoffnung zu wecken und zu aktivieren, die diesen Stunden, in denen alles unterzugehen scheint, Festigkeit, Halt und Sinn geben. "



(ZDF heute - Andacht vom 27.3.2020 in voller Länge)


Die Ansprache von Papst Franziskus: in voller Länge:


Samstag, 7. März 2020

„Für  eine synodale Kirche – Gemeinschaft, Teilhabe und Mission“ – oder: Über die heute veröffentlichte Themenstellung der XVI. Bischofssynode im Jahr 2022

Mit einer knappen Ankündigung des Sekretärs der Bischofssynode Kardinal Lorenzo Baldisseri wird heute das Thema der XVI. Bischofssynode für das Jahr 2022 von Seiten des Vatikanischen Presseamtes bekannt gegeben, das zuletzt im Blog-Beitrag vom 12.2.20 als Markenkern des Pontifikats von Papst Franziskus bezeichnet worden ist. 
Der Dreizeiler im italienischen Original birgt dabei alle Sprengkraft das Antlitz der Kirche mit ihren beinahe 1,3 Milliarden Gläubigen auf Zukunft hin zu verändern. Er ist eine Sensation und zugleich der deutlichste Hinweis darauf, wie Papst Franziskus als Reformpapst in die Geschichte der katholischen Kirche eingehen wird.  "Synodalität und Kirchenreform" – zugleich Buchtitel dieses Blogs – werden über die in Kürze erscheinende Konstitution zur Kurienreform Praedicate evangelium die Kirche nicht nur in Deutschland rund um den Synodalen Weg beschäftigen, sondern die katholische Kirche als ganze bestimmen… und weiter im Sinne ihrer Zukunftsfähigkeit verändern. 

Wie bereits im Blog-Beitrag vom 8. Februar 2016 und seitdem immer wieder als ‚ceterum censeo‘  hervorgehoben wird „sich die Kirche auf dem synodalen Weg an dem Gleichgewicht, an der Balance zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung messen müsse[n], wenn sie die Herausforderung der heutigen Zeit annehmen wolle. Diese formale Feststellung ist tatsächlich aus meiner Sicht das Hauptergebnis des […bisherigen] synodalen Prozesses. Und es markiert noch nicht einmal ein Ergebnis im eigentlichen Sinn, sondern einen Zwischenstand, wie Papst Franziskus in seiner als historisch bezeichneten Rede am Ende der zweiten Synodenwoche am 16. Oktober 2015 andeutete:
"Wir sind auf halbem Weg, auf einem Teil des Weges. Wie ich bereits gesagt habe, ist es in einer synodalen Kirche 'nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen. In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen 'Dezentralisierung' voranzuschreiten' (Evangelii gaudium 16)." (Ebd.)
Nach der Jugendsynode im Jahr 2018 und der Amazonassynode des Jahres 2019, in deren Vorlauf am 2. März 2018 auch eine in der öffentlichen Diskussion bislang völlig unbeachtete und in der deutschen Schriftfassung 100 Seiten umfassende Stellungnahme der Internationalen Theologischen Kommission über „Die Synodalität im Leben und Sendung der Kirche“ und die im selben Jahr am 15. September in Kraft getretene Apostolische Konstitution Episcopalis Communio  (nach der laut Art. 18 Synodenabschlussdokumente bereits mit der Annahme durch Papst Franziskus Teil des ordentlichen Lehramtes geworden sind) erschienen sind, wird nun die synodale Kirche, die Synodalität als solche im Jahr 2022 zum Thema der Generalversammlung der Bischofssynode. Im Blick auf das Pontifikat von Papst Franziskus wird es damit quasi die Aufgipfelung der Ausrichtung seines Pontifikates und die Manifestierung der „Bekehrung" des Papstamtes“ (vgl. EG 32), von der Papst Franziskus seit seinem ersten im Jahr 2013 veröffentlichten Lehrschreiben Evangelii gaudium gesprochen hat.

Und im Blick auf den Synodalen Weg der deutschen Ortskirche ist das Motto „Für eine synodale Kirche – Gemeinschaft, Teilhabe und Mission“ schon jetzt eine stärker nicht zu wünschende Bekräftigung und die beste Bestätigung auf dem Weg!
"Es ist dieser Weg der Synodalität, welcher der Weg ist, den Gott von der Kirche im dritten Jahrtausend erwartet." (Papst Franziskus am 17.10.2015)


 


Donnerstag, 5. März 2020

Sogar zwei Fußnoten! – oder: Was Querida Amazonia mit dem Synodalen Weg, seinen Arbeitsforen und dem neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zu tun hat
Da brauchte es schon einer Lesehilfe aus Rom, um zwei Fußnoten aufzumerken, die für das Verständnis des nachsynodalen Schreibens der Amazonassynode und den Synodalen Weg gerade auch aus deutscher Sicht von Bedeutung sind. Vielleicht ist es meiner Aufmerksamkeit entgangen, aber vor dem Grußwort des Apostolischen Nuntius in Deutschland Erzbischof Dr. Nikola Eterović zu Beginn der heute zu Ende gegangenen Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Mainz (2.-5. März 2020) habe ich in keinem Kommentar den Hinweis auf die doppelte Fußnote wahrgenommen. Zweimal zitiert Papst Franziskus im vierten Kapitel in Nummer 66 von Querida Amazonia sein Schreiben an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland vom 29. Juni 2019  und zwar an der Stelle, wo es um die Inkulturation geht. 
"[D]ie Kirche hat ein vielgestaltiges Gesicht »nicht nur aus einer räumlichen Perspektive [...], sondern auch aus ihrer zeitlichen Wirklichkeit heraus« […]. Die Jahrtausende alte Tradition bezeugt das Wirken Gottes in seinem Volk und hat die Aufgabe, »das Feuer am Leben zu erhalten, statt lediglich die Asche zu bewahren«.
Genau mit diesem letzten Zitat – Überschrift meines Blog-Beitrags zum Synodenende der Amazonassynode – hatte Papst Franziskus auch in seiner Abschlussansprache ganz zum Schluss pointiert das reformorientierte Anliegen seines Pontifikates unterstrichen. Und eben darum geht es auch beim Synodalen Weg. Der auf der Vollversammlung der DBK-Frühjahrsvollversammlung neu gewählte Bischof Dr. Georg Bätzing bezieht das Anliegen des Papstes um Evangelisierung deshalb auch auf den Synodalen Weg, dem er – in Personalunion ist er mit Prof. Thomas Sternberg Präsident des Synodalen Weges – seine volle Unterstützung zusagt: 
"Dafür stehe ich ganz und gar." Er habe nicht vor, die Ausrichtung des kirchlichen Reformprozesses zu verändern, da dessen "Akzente richtig gesetzt" seien. Als durch sein Amt künftiges Mitglied des Synodalpräsidiums wolle Bätzing "zurückhaltend in Einzelpositionen" sein. Er sei überzeugt davon, dass der Synodale Weg zu "einem neuen Miteinander von Laien und Bischöfen in der deutschen Kirche" führe, betonte der neue DBK-Vorsitzende. Der Synodale Weg diene letztendlich dem Ziel, das Evangelium in die Welt hinaus zu tragen und Menschen "in einer ganz und gar von Freiheit gezeichneten gesellschaftlichen Situation" Orientierung zu bieten." (katholisch.de vom 3.3.2020)
Das in ersten Reaktionen in Deutschland meist enttäuscht und kritisch wahrgenommene nachsynodale Schreiben Querida Amazonia liest er ähnlich der Einschätzung in diesem Blog vom 12.2.2020  gerade auch bezogen auf alle Themenstellungen des Synodalen Weges – in einem anderen Licht als ein ihn dazu befragender Journalist.
"Ich lese das ganz anders als Sie", antwortet er. Was der Papst zur Inkulturation des Glaubens in die jeweilige Gesellschaft geschrieben habe, ermutige ihn. Und dass er nichts über den Zölibat und die Diakoninnenweihe gesagt habe, heiße ja nicht, dass man darüber nicht reden dürfe." (SZ vom 4.3.2020)
Neben Zölibat und der "Thematik Frau in der Kirche" für Bischof Bätzing die "dringendste Zukunftsfrage" (Ebd.) seiner Amtszeit  stehen ebenso die anderen Themen von Macht und Gewalt, Klerikalismus und die Sexualmoral für ihn oben an. Und unter diesen drängenden Fragen insbesondere die Thematisierung und Neubewertung von Sexualität und Geschlechtergerechtigkeit, bei denen bei der Befragung im Zuge der Familiensynoden der Jahre 2014 und 2015 am deutlichsten wurde, wie groß die Kluft zwischen Lebenswelt und Lehre der Kirche ist. Als Leiter des Arbeitsforums 'Leben in gelingenden Beziehungen. Liebe und Sexualität' ist er gerade auch diesen Themen eng verbunden:
"In unserem Papier, das wir bei der Synodalversammlung vorgelegt haben, sehen wir durch die "Theologie des Leibes" von Johannes Paul II. bereits Veränderungen. Die Enzyklika "Amoris laetitia" hat dann die Tür noch einmal weit geöffnet. Das heißt für mich: Es gibt Spielraum und Öffnungen in der Lehre. Wir müssen nun schauen, wie wir diese Lehre in ihrer Substanz so formulieren können, dass sie wirklich noch einmal zu einem Orientierungswissen für Menschen und nicht als diese ewige Verbotsmoral wahrgenommen wird. Und das betrifft auch den Umgang mit Homosexuellen und ihre Lebensweise. Da muss sich etwas ändern." (katholisch.de vom 3.3.2020)
Vielversprechend! Und aus meiner Sicht ebenfalls ein positiver nach viel zu langem Zaudern, das als zermürbendes Hinhalten empfunden wurde –, lang erwarteter, erster Schritt: die Vereinbarung eines verbindlichen Procederes bei der Zuerkennung jetzt deutlich erhöhter finanzieller Mittel gegenüber Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker der katholischen Kirche  selbst wenn die infrage stehenden Beträge im Grundsatz nach den Beratungen im Plenum aller Diözesen geringer ausgefallen sind, als dies Betroffenen-Initiativen gefordert hatten. 
Dabei werde "ein unabhängiges Entscheidungsgremium eingesetzt, das die Leistungshöhe verbindlich festsetzt und für eine zentrale Auszahlung an die Betroffenen zuständig ist. Das sei eine "qualitative Verbesserung" zur Situation zuvor, so Ackermann. Außerdem würden die Zahlungen solidarisch unter den Bistümern finanziert. Ferner werde sichergestellt, dass die Leistungen steuerfrei seien und nicht mit anderen Sozialleistungen verrechnet würden. Jede Diözese müsse selbst bestimmen, aus welchen Mitteln die Zahlungen geleistet würden, heißt es in dem Grundsatzpapier." (katholisch.de vom 5.3.2020)
"Man möchte eigentlich weglaufen“, sagte der neu gewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in seinem allerersten Interview angesichts der vielen Aufgaben und Drucksituationen von innen – bezogen auch auf die offenkundigen Spannungen im deutschen Episkopat – und von außen mit den Aufgaben der Inkulturation und der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mitsamt allen seinen systemischen Faktoren. Auf der anderen Seite will man sich aber auch den Voten der Mitbrüder stellen“, fügt er im selben Atemzug an. Auch von deren Seite und damit beinahe von allen Seiten ist die Wahl des neuen Vorsitzenden auch eine Bestätigung der Ausrichtung für den Synodalen Weg eine Bekräftigung einer "Kirche im Aufbruch" (EG 20, 24, 46), die Kardinal Marx in seiner letzten Predigt in seinem Amt als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz - Papst Franziskus zitierend - für die deutsche Ortskirche einforderte. Die Synodalität ist ein inneres Moment des Reformprozesses. Mit den Worten Bischof Bätzings zum Synodalen Weg gesagt:
"Was sich nicht verändert, ist mein positiver Blick auf den Synodalen Weg. Ich halte ihn wirklich für eine große Chance des Zusammenwirkens und des miteinander Übens, wie man synodal auf dem Weg sein kann. Das will der Papst von uns." (katholisch.de vom 3.3.2020)


Mittwoch, 12. Februar 2020

Mehr als eine Fußnote!  Querida Amazonia - oder: Vier Visionen für eine Kirche mit einem amazonischen Gesicht
„An das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens“ richtet Papst Franziskus sein nachsynodales Schreiben Querida Amazonia (Geliebtes Amazonien) und damit zugleich an eine „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (QA 61). Darin stellt Papst Franziskus zugleich das bereits mit Synodenabschluss angenommene Schlussdokument der Amazoniensynode offiziell vor und bietet in seinem Schreiben dafür einen „groben Rahmen für die Reflexion“ […], „die eine Hilfe und Orientierung für eine harmonische, schöpferische und fruchtbare Rezeption des ganzen synodalen Weges sein kann.“ (QA 2)

Zwei Dokumente: Das Nachsynodale Schreiben und das Schlussdokument

Entsprechend der Apostolischen Konstitution Episcopalis Communio (Art. 18 § 1) hat bereits das Schlussdokument der Amazonassynode mit seiner Annahme durch Papst Franziskus am 26.10.2019 Teil am ordentlichen Lehramt des Nachfolgers Petri. Beide Dokumente sind deshalb heute zusammen offiziell vorgestellt worden. Ausdrücklich unterstreicht Papst Franziskus diese Arbeit echter Synodalität:
"Es bietet uns die Folgerungen der Synode, an der viele Menschen mitgearbeitet haben, die die Problematik Amazoniens besser kennen als ich und die Römische Kurie, da sie dort leben, mit ihm leiden und es leidenschaftlich lieben. Ich habe es daher vorgezogen, das Schlussdokument in diesem Apostolischen Schreiben nicht zu zitieren, weil ich vielmehr dazu einlade, es ganz zu lesen.“ (QA 3)

Von vier Arten der Bekehrung zu vier Visionen für eine Kirche mit einem amazonischem Gesicht (QA 61)

Das veröffentlichte Schlussdokument spricht von vier Arten der Bekehrung (pastoral, ökologisch, kulturell und synodal), die Papst Franziskus als „vier große Visionen“ weiterführt, in denen die „Verkündigung […] und die Strukturen der Kirche […] Fleisch und Blut“ annehmen. Sie gliedern zugleich das nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia:
"Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen (autochthonen) Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird." (QA 7)

Die erste Vision beschreibt eine soziale Vision Amazoniens (QA 8-27), „das alle seine Bewohner integriert und fördert, damit sie das ‚buen vivir‘ – das ‚Gute Leben‘ – dauerhaft verwirklichen können […] Denn obschon Amazonien vor einer ökologischen Katastrophe steht, muss darauf hingewiesen werden, dass »ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde«“. (QA 8; vgl. Laudato Si‘ 49) Der Verurteilung sozialer Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Ungleichheit und das Werben für Gemeinschaftssinn und sozialen Dialog sieht Papst Franziskus unmittelbar verbunden mit einer kulturellen Vision (QA 28-40)
"Ich träume von einem Amazonien, dass seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt, wo auf so unterschiedliche Weise die Schönheit der Menschheit erstrahlt." (QA 7)
In dieser Vision spricht Papst Franziskus vom „Polyeder Amazoniens“,  das viele Völker und Nationalitäten und mehr als einhundertzehn indigene Völker umfasst. Wider eine „postmoderne Kolonialisierung" unterstreicht Papst Franziskus deren je „eigene kulturelle Identität und einen einzigartigen Reichtum in einem plurikulturellen Universum aufgrund der engen Beziehung, die die Bewohner zu ihrer Umwelt aufbauen". (QA 31) Da diese „Kulturen der ursprünglichen Völker im engen Kontakt mit der natürlichen Umwelt entstanden sind und sich entwickelt haben, so können sie schwer unversehrt bleiben, wenn diese Umwelt Schaden erleidet.“ Dies ist zugleich die Überleitung zu einer ökologischen Vision, in der eine „kosmische Dimension“ (QA 41) zum Tragen kommt.
"Ich träume von einem Amazonien, das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt." (QA 7)
Anknüpfend an die vorausgegangenen Visionen unterstreicht Papst Franziskus in dieser ökologischen Vision (QA 41-60), wie die „Weisheit der ursprünglichen Völker Amazoniens dazu [inspiriert], sorgsam und respektvoll mit der Schöpfung zu leben, im klaren Bewusstsein ihrer Grenzen, das jeden Missbrauch verbietet. Die Natur missbrauchen bedeutet, die Vorfahren, die Brüder und Schwestern, die Schöpfung und den Schöpfer zu missbrauchen und dadurch die Zukunft aufs Spiel zu setzen.“ (QA 42) Dem „Schrei der Erde“ Amazoniens stellt Papst Franziskus die „Prophetie der Kontemplation“, „Erziehung und ökologische Haltungen“ zur Seite und plädiert für ein „erneuertes Bewusstsein über den Wert der Schöpfung“ (QA 60)

"Ich träume von christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken." (QA 7)
In dieser vierten, explizit kirchlichen und die meisten Absätze umfassenden Vision (QA 61-110) träumt Papst Franziskus von einer „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (QA 61). Die "Verkündung" und "Wege der Inkulturation" werden bis zu "Ansatzpunkten für eine Heiligkeit amazonischer Prägung" weitergeführt. Eine besondere Aufmerksamkeit legt Papst Franziskus dabei – Evangelii gaudium 123 zitierend auf „religiöse Ausdrucksformen, die sich spontan aus dem Leben der Völker ergeben, […] denn »in der Volksfrömmigkeit kann man die Art und Weise wahrnehmen, wie der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben wird.“ (QA 78; vgl. EG 123)


Die Inkulturation der Liturgie

Unter der Überschrift „Inkulturation der Liturgie“ (QA 81) findet sich eine sehr schöne, schöpfungstheologische Herleitung der Sakramente, insofern „in ihnen das Göttliche und das Kosmische, die Gnade und die Schöpfung vereint sind.“ Seine ebenfalls an alle Menschen guten Willens gerichtete Enzyklika Laudato Si‘ (LS 235) zitierend sind sie „eine bevorzugte Weise, in der die Natur von Gott angenommen wird und sich in Vermittlung des übernatürlichen Lebens verwandelt.“ (QA 81) Es ist für Papst Franziskus zugleich die Einladung „in der Liturgie viele Elemente der intensiven Naturerfahrung der Indigenen aufzugreifen und eigene Ausdrucksformen in den Liedern, Tänzen, Riten, Gesten und Symbolen anzuregen.“ (QA 82).

Inkulturation der Dienste und Ämter
...und die offene Frage der viri probati

Unter der Überschrift "Inkulturation der Dienste und Ämter" (QA 85-90) nimmt Papst Franziskus auch Bezug auf die Entwicklung der „kirchlichen Organisationsformen und in den kirchlichen Ämtern“, wie sie auch in Deutschland in zwei Foren des Synodalen Weges diskutiert werden. Ohne die im heute ja ebenfalls offiziell vorgestellten Abschlussdokument aufgeführte Möglichkeit „anerkannte Männer, die ein fruchtbares Ständiges Diakonat innehaben, zu Priestern zu weihen“ (Abschlussdokument 111; vgl. Übersetzung von Vatican News vom 26.10.2019) zu zitieren, belässt es Papst Franziskus auf den Hinweis hinsichtlich der Art und Weise, „wie kirchliche Dienste strukturiert und gelebt werden, an Inkulturation zu denken.“ Ob und wie an dieser Stelle der Wunsch der Synodenmehrheit für die Kirche Amazoniens Wirklichkeit werden kann, ist an dieser Stelle weder vorentschieden noch abschlägig beschieden: vielmehr ein Verweis auf den Prozess, der zwar alles an der "Feier der Eucharistie" (QA 89) als "Quelle und Höhepunkt (QA 92) orientieren will  und dennoch nicht der Versuchung verfällt, alles an der "Präsenz der geweihten Amtsträger" (QA 93) festzumachen. Der kirchenrechtlich mögliche Einsatz von Gemeindeleiter*innen (QA 94) – auch in den deutschen Ortkirchen bislang eher die Ausnahme – wird ebenso hervorgehoben wie der Einsatz und Befähigung von Laien (QA 89) im Leben einer „Kirche mit amazonischen Gesichtszügen“ (QA 94). 

Frauen in Diensten und Ämtern

Dabei wird die Kraft und die Gabe der Frauen (99-103) zwar besonders hervorgehoben, allerdings ihre Möglichkeit „zu den heiligen Weihen zugelassen“ zu werden ausdrücklich in die Grenzen verwiesen: Ohne diese im nachsynodalen Schreiben ausdrücklich auszuschließen, stellt die Weihe von Frauen für Papst Franziskus „eine Begrenzung der Perspektiven“ dar: „Sie würde uns auf eine Klerikalisierung der Frauen hinlenken und den großen Wert dessen, was sie schon gegeben haben, schmälern als auch auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags führen.“ (QA 100) Umgekehrt sollten Frauen „in einer synodalen Kirche […]  eine zentrale Rolle in den Amazonasgemeinden spielen, Zugang zu Aufgaben und auch kirchlichen Diensten […] einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben“. (QA 103)

Eine Einschätzung zum Schluss

Auch wenn viele Kommentare anlässlich des nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia im Blick auf das Aussparen der Möglichkeiten der Weihe verheirateter Männer und Frauen enttäuscht ausfallen werden, könnten sie ebenso im Blick auf das zu gleicher Zeit „offiziell“ veröffentlichte – wenn auch nur in italienischer Sprache vorliegende – Schlussdokument den Prozess weiter offen oder gerade erst geöffnet sehen. Die Ausgestaltung der Möglichkeiten in der Pastoral vor Ort – in Amazonien, weltweit wie hier vor Ort auf dem Synodalen Weg – ist dabei zusätzlich zusammen zu sehen mit der in Kürze erwarteten Konstitution zur Kurienreform Praedicate evangelium und der Möglichkeit der Teil- und Ortskirchen, ihre Verantwortung am ordentlichen Lehramt in neuer Weise wahrzunehmen. Das offizielle Abschussdokument mitsamt dem nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia machen es möglich, sie rufen in der Zusammenschau sogar dazu auf! (QA 2-4) Bis sich diese Lesart durchsetzt, wird der synodale Prozess weiter voranschreiten müssen.



Erstveröffentlicht am 12.2.20 auf https://bistumlimburg.de/beitrag/mehr-als-eine-fussnote-querida-amazonia/

Sonntag, 2. Februar 2020

Über die Zulassung von „viri probati“ und das „Zeugnis echter Katholizität“: Fazit der 1. Synodalversammlung des Synodalen Weges und zu den Erwartungen hinsichtlich des nachsynodalen Schreibens (Querida Amazonia*) der Amazonassynode
(Screenshot: Katholisch.de vom 02.2.20)
Nach dem Grünen Licht von Seiten der Vollversammlungen der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZDK) und dem Gottesdienst am 1. Dezember 2019 in der Münchener Frauenkirche zur Eröffnung hat an diesem Wochenende (Donnerstag, 30.1.20 bis Samstag, 1.2.20) mit der ersten Synodalversammlung der auf zwei Jahre angelegte Synodale Weg mit 230 Synodenteilnehmenden aus allen 27 deutschen Diözesen und weiteren Gästen und Beobachter*innen aus dem Bereich benachbarter Bischofskonferenzen richtig begonnen.

Dass das Treffen ein "Zeugnis echter Katholizität der Kirche in Deutschland" gewesen sei, wird der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck zitiert. Die Satzung und Geschäftsordnung  wurden zeitaufwändiger als nach Tagesordnung ursprünglich vorgesehen und paradoxer Weise mit Einwänden sowohl hinsichtlich mangelnder Berücksichtigung der hierarchischen wie der demokratischen Ordnung, mit dem Ziel den Synodalen Weg mit seiner Satzung noch im Ansatz zu stoppen – ebenso angenommen, wie die Listen der auf je 30 Personen angelegten Synodalforen bestimmt.

 "Wider die gewaltige Krise, in welcher die katholische Kirche nicht nur in Deutschland, sondern weltweit steckt", sind es die zwischen den Synodalversammlungen i.e.S. inhaltlich ausgerichteten Foren, die die Arbeitsergebnisse des Synodalen Weges beraten und vorbereiten werden. Zu den nach der Zäsur, die der Missbrauchsskandal für die Kirche in Deutschland bedeutete, als zentral identifizierten Themen der einmütig beschlossenen Foren „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“, „Priesterliche Existenz heute“, „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ und „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ werden Ergebnisse vorbereitet, die z.T. auch auf weltkirchlicher Ebene rückgebunden werden müssen.

Dass gerade heute auch die ersten inhaltlichen Akzentsetzungen des nachsynodalen Schreibens (Querida Amazonia*) kommuniziert werden, die das letztgenannte Forum „Priesterliche Lebensform“ auch im Rahmen der Synodalversammlung ansprechen wird – von einigen Teilnehmenden auch bereits in der Synodalversammlung ausdrücklich ins Wort gebracht –, ist eine Koinzidenz von Welt- und Ortskirche, die gleichwohl seit der Amazonassynode nicht anders zu erwarten gewesen ist. Papst Franziskus hat im Ernstnehmen der Synodalität, dem Markenkern seines Pontifikates, in seinem nachsynodalen Schreiben im Grunde wiederum nichts anderes als das Ergebnis der Amazonassynode aufgenommen – entgegen den Widerstand einer vor kurzem von Kardinal Robert Sarah in Umlauf gebrachten (und sogar dem emeritierten Papst untergeschobenen) Publikation, in welcher er die Kontinuität der Lehre der Katholischen Kirche als gefährdet ansah.

'Viri probati' als Priester und Frauen als Diakoninnen?!

Denn wie im Blog-Beitrag vom 27.10.2019 erwähnt, wurde mit einer Zweidrittelmehrheit im Oktober 2019 auf der Amazonassynode der Vorschlag im Absatz 111 (bei 41 Gegenstimmen) mit der bereits Mitte 2019 veröffentlichten Begründung des Vorbereitungsdokumentes angenommen:
"Rechtmäßige Unterschiede schädigten die Einheit der Kirche nicht, sondern dienten ihr, wie auch die Vielfalt der existierenden Riten und Disziplinen bezeuge. Deshalb schlage man angesichts des Priestermangels und der sakramentalen Notlage in Amazonien vor, Kriterien zu erstellen, „um geeignete und von der Gemeinde anerkannte Männer, die ein fruchtbares Ständiges Diakonat innehaben, zu Priestern zu weihen“. Diese Priester mit bereits bestehender Familie könnten „in den entlegensten Regionen des Amazonas das Wort verkünden und die Sakramente feiern“. (Vatican News vom 26.10.19)

Auch zur Prüfung der Frage nach dem Diakonat der Frau wird sich das nachsynodale Schreiben in dem Sinne äußern, dass Papst Franziskus von der Synode beauftragt wurde zu prüfen, welche Aufgaben den Diakoninnen der Urkirche historisch zukamen und was das für die Zukunft heiße. „Wir erwarten ihre Ergebnisse“, hieß es in Punkt 103" (Vatican News vom 26.10.19) des Abschlussdokumentes, der mit 30 Gegenstimmen der zweitumstrittenste, aber ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit angenommene Absatz der Amazonassynode war. Umgekehrt stimmten nur 11 Synodale gegen den Vorschlag, Frauen als "Gemeindeleiterinnen" – Punkt 102 des Abschlussdokumentes –  zuzulassen, der nach der Inkraftsetzung über das nachsynodale Schreiben sicher ebenso Anlass sein wird, ihn im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ hinsichtlich der Konsequenzen für die Diözesen Deutschlands weiterzudenken.

Es ist eine „Kirche im Aufbruch“ (EG 20) – in Deutschland wie in der Weltkirche. Sie ergreift damit die Chance ihre "Tradition für die Zukunft zu bewahren" – wider das "Behüten der Asche", wie Papst Franziskus es in der Abschlussansprache der Amazonassynode am 26.10.2019 auf den Punkt brachte.


* Nachtrag vom 7.2.2020