Donnerstag, 11. Oktober 2018

Es ist höchste Zeit!- oder: Die Statements der deutschen Bischöfe zur Freiheit, der Maieutik in der Wahrheitsfindung und die Einbeziehung von Frauen in Leitungsstrukturen

Während in Deutschland – sicher auch durch die verkürzte mediale Berichterstattung – das gestern in seinem inhaltlichen Kontext der Mittwochskatechese erläuterte Zitat des Papstes zur Abtreibung und ebenso wie der auch von dem als Experten zur Synode geladenen P. Clemens Blattert SJ mit Unverständnis und Enttäuschung zur Kenntnis genommene Entzug des ‚Nihil obstat‘ für den Rektor der katholischen Hochschule Sankt Georgen Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig SJ (in einem Solidaritätsbrief der Frankfurter Pfarrer und auch durch den Jesuiten P. Klaus Mertes SJ) diskutiert werden, sind es in Rom die Stimmen unserer deutschen Delegation, die mit Bischof Dr. Stefan Oster, Bischof Felix Genn und Kardinal Reinhard Marx und einem freien Statement von Thomas Andonie für Aufmerksamkeit sorgen.

(https://t.co/pj5QONjB4J)
Obwohl sich Bischof Stefan Oster (bereits gestern Nachmittag zu den Nr. 120 ff im 4. Kap.des II. Teiles des Instrumentum laboris) und Bischof Felix Genn (zu Nr. 115 im 3. Kap. des II. Teiles) sich in ihren Statements auf verschiedene Ziffern und Kapitel des Arbeitspapieres beziehen, zielen ihre Aussagen doch beide auf eine adäquate, die Freiheit des einzelnen Jugendlichen respektierende Begleitung. Während Bischof Oster „einen relationalen Begriff von Freiheit […vorschlägt], der die Jugendlichen in ihrer Sehnsucht nach Freiheit ernst nimmt und sie zugleich tiefer in eine existenzielle Dimension von Freiheit führt“, die für Bischof Oster in Jesus Christus ihren letzten Grund findet, sieht Bischof Genn ebendiese Freiheit in Gefahr, wo ich mich dazu verleiten lasse, in einer Begleitung, Beichte oder einem seelsorgerischen Gespräch, in einer Art “geistlichen Missbrauch, dem anderen meine Entscheidung, die ich bei ihm für richtig halte, aufzuzwingen, statt ihm die Freiheit zu lassen.“
"Ich möchte betonen, dass wir die Jugendlichen zu begleiten haben, indem wir durch intensives Zuhören geradezu maieutisch die Wahrheit hervorrufen, die bereits in ihnen lebt, um sie von dort zu einer inneren Umkehr weiterzuführen in die Nachfolge Christi." (Bischof Felix Genn)

Das Thema der Prävention sexueller Übergriffigkeit und Gewalt wird auch im Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit der vorgestern in diesem Blog angesprochenen Thematisierung der Einbeziehung von Frauen in Leitungsämter in der Katholischen Kirchen berührt.

"Frauen in kirchlichen Führungspositionen tragen entscheidend dazu bei, geschlossene klerikale Zirkel aufzubrechen." (Kardinal Reinhard Marx)


Die umfangreiche Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (2018) habe gezeigt, dass vor allem „klerikale Strukturen und eine klerikale Amtsführung in der katholischen Kirche“, [] zu solch massivem sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung in der Kirche beigetragen haben.“

Kardinal Marx fordert auch „eine Streitkultur [neu zu] lernen, um uns argumentativ und orientierend in die gesellschaftlichen Debatten zu zentralen Grundfragen des Menschseins, wie der Sexualität, der Rollen von Frauen und Männern und der menschlichen Beziehungsgestaltung“ einbringen zu können. Und er schließt suggestiv:

"Es ist höchste Zeit!"

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Für den Schwächsten, Ärmsten und Marginalisiertesten - oder: Die Unterscheidungsfindung in postmoderner Zeit und die notwendige Begleitung
"Papst vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord". Bereits seit den späten Vormittagsstunden kursierte diese Nachricht in Onlinemedien und schaffte es – anders als der Beginn der Versammlung der Bischofssynode oder sonst ein Ereignis der vergangenen Synodentage – bis in die Tagesschau (ab Min. 10) .... und mittags selbstredend dann auch in die Pressekonferenz der Synode.

Anlass seiner Äußerungen, die in dem zitierten Wortlaut eine freie Ergänzung im Vergleich zum Redemanuskript darstellen, war die wöchentliche Mittwochsaudienz auf dem Petersplatz, die entlang einer katechetischen Entfaltung der 10 Gebote in dieser Woche bei dem Gebot angelangt war, in dem es um die Beziehungen zum Nächsten geht. Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten! Der gestern Nachmittag in die Kommission der Endredaktion des Synodenabschlussdokumentes gewählte Kardinal Carlos Aguiar Retes, Erzbischof von Mexiko, nimmt die Frage einer Journalistin im Pressesaal auf und bringt sie mit der Charta der Menschenrechte in Verbindung. Die im Jahr 1948 mit universaler Gültigkeit proklamierten Menschenrechte gelten für jeden Menschen und würden durch Persönlichkeitsrechte der Kinder, Frauen, Alten ergänzt. Diese dürften aber – nicht nur aus kirchlicher Sicht – nicht in den Gegensatz zum Recht auf das Leben gebracht werden, das auch für Ungeborene gilt.

Leider verloren sich über die aufrüttelnde Wortwahl des Papstes die ja nicht minder ausgedrückten Gedanken der Ergründung der Ursachen und Hintergründe, die sich nun wiederum im Redemanuskript finden:

"Hinter der Gewalt und der Ablehnung des Lebens steht im Grunde die Angst, sich selbst zu verlieren. Aber das kranke, behinderte Kind, der alte Mensch, der Hilfe braucht, die vielen Armen, die alleine nicht zurechtkommen – sie alle sind ein Geschenk Gottes, das mich aus der selbstbezogenen Existenz herausziehen und mich in der Liebe wachsen lassen kann. In jedem kranken Kind, in jedem schwachen alten Menschen, in jedem verzweifelten Migranten, in jedem zerbrechlichen und bedrohten Leben sucht Christus uns (vgl. Mt 25,34-46), er sucht unser Herz, um uns die Freude der Liebe zu eröffnen. Gott liebt uns so sehr, dass er seinen eigenen Sohn für uns hingegeben hat (Joh 3,16). Gott liebt alles, was ist, wie wir es vorhin im Buch der Weisheit gehört haben (11,24). Was Gott geliebt hat, dürfen wir nicht verachten!"


Der Gedanke kommt in einer anderen Frage der Pressekonferenz, ob auch der Populismus und seine Bekämpfung Thema der Synodenbeiträge gewesen ist, durch den Vorsitzenden der europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) und Erzbischof von Luxemburg Jean-Claude Hollerich überraschender Weise erneut auf.
Die christliche Botschaft mit ihrem Fokus auf den Schwächsten, den Ärmsten und den Marginalisierten widerstehe jedem Populismus, indem der Einzelne als Person zähle. Die Gefahr, aus Angst und Überforderung für populistisches Gedankengut und einem Totalitarismus der Gleichgültigkeit gegenüber empfänglich zu werden, ist für Hollerich offenkundig und letztlich eine Frage der Begleitung, in der Kirche gefordert ist. In einer ‚Post-Thruth Era‘ ist die Orientierungslosigkeit groß und eine persönliche Begleitung bei der immer schwieriger gewordenen „Unterscheidung der Farben und Schatten unserer Zeit“ dringlicher als je zuvor. In der Unterscheidungsfindung sei es es möglich, die „Gegenwart Gottes in unserer Welt zu entdecken“.

Die Notwendigkeit der Begleitung - die Emmaus-Perikope sei auch in der Synodenaula oft angeklungen - unterstrich gestern Nachmittag bereits die slowakische Jugendliche Viktòria Žolnovà in einem auch heute noch einmal betonten Zeugnis:

"I also understand that young people need someone to accompany them and support them in their discernment process as they seek to know and follow God’s will."

Wie dringlich dieses Anliegen auch aus Sicht deutscher Jugendlicher und junger Erwachsener ist, hatte auch Thomas Andonie für den Bund Deutschen Katholischen Jugend am vergangenen Freitag im letzten Punkt seines Synodenstatements beschrieben:

"Zur Begleitung: In unseren Jugendverbänden unterstützen sich junge Menschen gegenseitig dabei, ihre Berufung zu finden. Dies entspricht unserem Grundsatz: Jugend leitet Jugend! Dazu brauchen sie allerdings eine gute Ausbildung und die Unterstützung guter Seelsorgerinnen und Seelsorger. Es bereitet uns große Sorge, dass in Deutschland immer weniger Menschen bereit sind, einen pastoralen Beruf zu ergreifen. Auch hier braucht es Veränderungen, um ein gutes personales Angebot für junge Menschen vorzuhalten! Berufungspastoral muss in ihrer Breite gedacht werden und selbstverständlicher Bestandteil einer vielfältigen Jugendpastoral sein.“


 

Dienstag, 9. Oktober 2018

Über die Anerkennung der Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche, die soziologische Analyse als theologischer Akt und die Relatio der Deutschen Sprachgruppe

Die im Arbeitspapier der Synode (Instrumentum Laboris, nr. 70) angesprochene „Anerkennung der Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche“ war bereits gestern in der Pressekonferenz von Weihbischof Gobilliard gefordert worden. Die neue Synodenordnung würde ihnen zwar schon eine größere Rolle einräumen, aber im Grundsatz sollten ihnen auch Positionen in den administrativen Strukturen der Kirche offenstehen, wie dies auf der Ebene vieler Ortskirchen schon zum Teil der Fall sei. Dies bekräftigte heute auch Kardinal Oswald Gracias, Erzbischof von Bombay: „Papst Franziskus wolle keine kosmetischen Veränderungen, sondern Verantwortung und Entscheidungspositionen in der Kirche für Frauen.“ Die als Expertin der französischen Bischofskonferenz an der Synode teilnehmende Sr. Nathalie Becquart betonte, wie sehr das ‚Thema Frauen‘ von jungen Menschen eingebracht wurde, die in einer Welt leben, in der sich die Beziehungen zwischen Männern und Frauen verändert haben.
Wie die Frauen das bisherige Synodenerleben aus seiner Sicht bereichern, unterstreicht auch der kanadische Erzbischof von Quebec, Kardinal Gérald Cyprien Lacroix. Beindruckt hat ihn, wie die weiblichem Synodenteilnehmenden in der Versammlung „frei und mit Autorität sprechen“:
"They aren't spectators, they're part of the parade."
Eine weitere, ganz neue Erfahrung sei für ihn wie die jungen Auditor*innen auf ihnen zusagende Beiträge zum Teil sehr emotional reagieren.

"They express themselves with explosive joy!"

Als Mitglied der an der Vorbereitung der Synode beteiligten Arbeitsgruppe ist es Kardinal Gracias, der auch bei den Familiensynoden 2014 und 2015 eine zentrale Rolle an entscheidenden Stellen des jeweiligen synodalen Prozesses gespielt hat, der betont, wie sehr bereits im Vorfeld der Synode auf die Beteiligung der Jugendlichen wert gelegt wurde, wie bereits am 3.10.2018 in diesem Blog beschrieben. Die Pressekonferenz heute markiert zugleich die Zäsur des Endes der Bearbeitung des I. Teils des Instrumentum laboris. Alle Arbeits- und Sprachgruppen haben nicht nur Überarbeitungsvorschläge zu den einzelnen Absätzen des Arbeitsdokumentes eingereicht, sondern auch jeweils eine zusammenfassende Relatio der jeweiligen Arbeitsgruppe veröffentlicht. Die deutsche Sprachgruppe schlägt vor, den I. Teil in der deutschen Übersetzung mit einem dem deutschen Sprachgefühl besser entsprechenden Wort zu überschreiben:

"Wir plädieren dafür, dass in der deutschen Übersetzung des Instrumentum laboris der Begriff „erkennen“ besser durch den Begriff „wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen „riconoscere“."

Auf die Frage in der Pressekonferenz, ob in den Beratungen zum I. Teil neben den soziologischen Analysen auch die wesentlichen Inhalte des Glaubens, die Sakramente usw. Angesprochen worden seien – für mich der wichtigste Moment dieser Pressekonferenz – ist es mit Sr. Nathalie Becquart eine Frau, die die Bedeutung des gerade abgeschlossenen Teils der Arbeit verteidigt und in seiner theologischen Qualität herausarbeitet. Das wahrnehmende Verstehen sei ein theologischer Akt und das Zuhören nicht einfach ‘nur’ soziologisch, sondern eine aufmerksame Weise des Nachvollziehens, wie Gott handelt. Die Erfahrungen der Menschen von heute sei es, wie Jesus mit den Emmaus-Jüngern zu gehen.

“Das Wahrnehmen ist bereits eine theologische Kategorie.”

Dieses eindrucksvolle Statement, das auch noch einmal die Bedeutung aller Phasen des Unterscheidungsfindungsprozesses, den diese Synode bedeutet unterstreicht, findet sich der Sache nach auch am Beginn der Relatio der deutschen Sprachgruppe:
„Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist aus konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten Teils des Instrumentum laboris ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die Jugendlichen und schauen auf sie – mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
 
Die Relatio der Deutschen Sprachgruppe (Relatio – Circulus Germanicus) in der vollständigen Länge (Moderator: Bischof Felix Genn, Münster; Relator: Bischof Stefan Oster, Passau)
Wir haben in unserer Gruppe alle gestaunt über die großen Unterschiede der konkreten Situationen junger Menschen in den vielen Ländern, aus denen die Bischöfe und die Jugendlichen in der Synode berichtet haben. Vor allem spüren wir, dass der europäische Kontext in den Hintergrund tritt zugunsten einer weltweiten, pluralen Perspektive. Wir haben aber gleichzeitig festgestellt, dass einige Themen und Probleme an den verschiedenen Orten dennoch sehr häufig wiederkehren: Die Herausforderungen der Sexualität, die Thematik des Missbrauchs, die Schwierigkeit den Glauben zu vermitteln, die Digitalisierung, die Frage nach einer attraktiven Liturgie und Predigt, die Flucht und Migration, der Wunsch der Jugendlichen in Freiheit und zugleich authentisch begleitet zu werden, die Frage nach der aktiven Beteiligung der Jugendlichen, die Frage nach der Gerechtigkeit für Frauen in der Kirche und anderes mehr.
Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist, aus konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten Teils des Instrumentum ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die Jugendlichen und schauen auf sie - mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
Wir plädieren dafür, dass in der deutschen Übersetzung des Instrumentum der Begriff „erkennen“ besser durch den Begriff „wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen „riconoscere“.
In der Wahrnehmung der Situation im ersten Teil des Instrumentum haben wir mehrfach gespürt, dass ein eigener Abschnitt eingefügt werden sollte, in dem der Druck thematisiert wird, dem Jugendliche in vielfacher Hinsicht ausgesetzt sind: z.B. der Druck durch die Schule und Ausbildung, durch die Kirche, durch die Erwartung der Eltern, der Familien, der Gesellschaft, der Druck durch die Selbstinszenierung in sozialen Medien, der Druck durch die Moden der Gesellschaft, durch die Moden und Meinungen der Peer-Group oder auch der Druck, der entsteht, wenn sich ein Jugendlicher als Katholik bekennt. Uns scheint, dass es Jugendlichen heute schwerer fällt, sie selbst zu werden – und nicht so zu werden, wie sie meinen unter dem Druck von außen sein zu müssen.
Wir sehen und betonen, dass im Pontifikat von Papst Franziskus zwei Begriffe immer wiederkehren: die Freude und die Unterscheidung – und wir spüren auch, wie kostbar und zugleich wie herausfordernd beide für unseren eigenen Umgang mit jungen Menschen sind.
Wir meinen auch zu verstehen, was mit dem Wort „die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ gemeint ist: Wir wollen mit den liebenden „Augen des Jüngers“ (Nr 2) auf die konkreten Menschen und ihre konkreten Situationen schauen und verstehen lernen, wie darin Gottes Gegenwart aufleuchtet – z.B. auch dann, wenn diese konkrete Wirklichkeit nicht oder noch nicht einem Ideal christlichen Lebens entspricht.
Wir glauben, dass die digitale Wirklichkeit in ihren positiven Möglichkeiten aber auch in ihren destruktiven Gefahren noch konkreter beschrieben werden soll (z.B. Einstiegsalter in das Betrachten harter Pornographie und Gewalt bei Jungen ist durchschnittlich 11 Jahre). Wir sind dankbar, dass viele Jugendliche Pluralismus und Multikulturalität positiv verstehen, wir glauben aber, dass es auch nicht wenige Jugendliche gibt, die sich dem verschließen aus Angst vor dem Verlust von Identität.
Wir würden gerne festhalten, dass die Distanzierung von jungen Menschen von Glauben und Kirche bei uns neben dem erwähnten generellen Misstrauen gegen Institutionen drei weitere Hauptursachen hat: erstens die für Jugendliche scheinbare Unvereinbarkeit zwischen einem modernen, wissenschaftlichen Weltbild und dem Glauben, zweitens die Themen, die direkt oder indirekt mit der Sexualität und dem Geschlechterverhältnis zu tun haben (etwa die Sexualmoral allgemein, die Bewertung von Scheidung und Wiederheirat, der Zölibat, Frauen und Weiheamt, die Missbrauchsskandale), drittens der scheinbare oder auch oft bestätigte Zusammenhang zwischen Religion einerseits und Gewalt oder Krieg andererseits.
Wir sehen, dass die Pfarrei oftmals kein Ort mehr für das Glaubensleben junger Menschen ist und sehen das als Herausforderung für die Suche nach anderen oder neuen Orten und Gemeinschaftsformen in und außerhalb von Pfarreien.
Im Kapitel IV des Instrumentum haben wir mehrere große Herausforderung für die Kirche identifiziert. Wir fragen uns, was genauer mit der „Metamorphose“ der conditio humana (Nr 51) gemeint ist. Ist es nicht nötig, tiefer zu verdeutlichen, was wir als Christen heute meinen, wenn wir vom Menschsein sprechen? Was meinen wir etwa, wenn wir vom Menschen als Person sprechen oder von gelingendem Menschsein? Was ist der Weg eines gläubigen Menschen heute, was ist sein Ziel? Was ist eigentlich Freiheit? Wie findet man Identität? Welches sind anthropologisch unsere größten Herausforderungen heute? Und wie verhalten wir uns dazu?
Die Frage nach Körperlichkeit und Sexualität, nach der digitalen Welt, nach der Unfähigkeit sich zu entscheiden, die Sehnsucht nach Spiritualität sind Phänomene, die eine anthropologische Vertiefung brauchen, wenn wir Jugendlichen den Glauben als Weg zu einem auch menschlich gelingenden Leben vorschlagen wollen. Einer unserer Synodenväter meinte: Wenn wir keine klare Diagnose der conditio humana haben, haben wir auch keine Therapie dafür. In jedem Fall sind wir der Meinung, dass angesichts der Bedeutung des Themas Sexualität für die Jugendlichen die bloße Beschreibung des Phänomens und einiger Probleme in den Abschnitten 52 und 53 für den Text nicht genügt. Wir plädieren für eine anthropologische Vertiefung und Orientierung für diese Dimension – mit dem Akzent auf die Qualität der menschlichen Beziehungen.
Wir sind auch der Meinung, dass in einem späteren Kapitel auch Positives zur Kirche als Institution gesagt werden soll, wenngleich junge Menschen das Recht haben die Institution kritisch zu sehen und nicht selten haben sie mit dieser Kritik auch Recht. Positiv aber ist zum Beispiel die Verlässlichkeit in einer sich wandelnden Welt, ihre Objektivität etwa in der Sakramentenspendung oder im Urteil des Glaubens und über charismatische Phänomene, oder die Möglichkeit innerhalb einer objektiven Rechtsprechung auch subjektiv erfahrenes Unrecht anzuzeigen und anderes mehr.
Der Abschnitt über die Digitalisierung erscheint uns insgesamt der Komplexität des Phänomens nicht gerecht zu werden. Selbstverständlich erkennen wir die ungeahnten positiven Möglichkeiten dieser Medienwelt für uns alle an – und auch die Fähigkeit junger Menschen, sich selbstverständlich darin zu bewegen. Das wollen wir ihnen auch nicht nehmen. Aber andererseits wissen wir zum Beispiel nicht, welche Auswirkungen langfristig der fortwährende Aufenthalt in digitalen Welten für junge Menschen hat (Vgl. die medizinische Rede von „digitaler Demenz“ oder von neuen Süchten oder von fehlender Konzentrationsfähigkeit, von schwindender Fähigkeit komplexere Texte zu lesen, von Mangel an Beziehungsfähigkeit oder ähnlichem); wir wissen noch nicht, ob und wie die digitale Welt Gesellschaften wirklich besser macht oder nicht eher zersetzt und radikalisiert. Wir wissen z.B. noch nicht, wie wir den totalitären Zügen von mächtigen Internetriesen etwas entgegensetzen können. Wir wissen noch nicht, was durch die immer stärker mögliche Verschmelzung von digitaler und realer Welt mit dem Menschen auf Dauer passiert. Hier spüren wir eine Überforderung, die womöglich nicht nur für die Kirche, sondern für die gesamte Menschheit besteht. Auch diese Überforderung müsste deutlicher benannt werden.


Montag, 8. Oktober 2018

Über den Dialog der Generationen, die Heiligkeit in der Schwachheit und das allgegenwärtige Thema Nr. 1
Während die Arbeitsgruppen am heutigen Montag der zweiten Synodenwoche sich am Nachmittag bereits an die Abstimmung von Eingaben und Überarbeitungsvorschlägen (Modi) zum ersten Teil des Instrumentum laboris machen, stehen bei der Pressekonferenz – in der Zusammenschau der Beiträge in den Statements der Gäste und der nachfolgenden Rückfragen der Journalisten – drei Themen im Vordergrund.
Rückblickend kennzeichnet für Erzbischof Charles J. Scicluna (Malta) die ersten Synodentage vor allem der Austausch, die Begegnung zwischen den Generationen. Ein Wort Papst Johannes’ XXIII. aufnehmend, müsse die Jugend realisieren, „dass die Welt schon vor ihnen war, und die Alten, dass die Welt auch nach ihnen bestehen werde.“ Und Erzbischof Scicluna verweist auf Papst Franziskus der bereits in seiner Eröffnungsrede in der Synodenaula die Voraussetzungen für den synodal anstehenden „Dialog und die Begegnung unter den Generationen“ benannte und als Voraussetzung für das „Rendezvous mit der Zukunft“ davor warnte,
  die Alten als ‚altes, vergangenes und langweiliges Zeug‘ zu betrachten und dabei zu vergessen, dass es töricht ist, immer bei Null beginnen zu wollen, als ob das Leben nur mit jedem von ihnen anfangen würde. In Wirklichkeit bleiben die Alten trotz ihrer körperlichen Gebrechlichkeit immer das Gedächtnis unserer Menschheit, die Wurzeln unserer Gesellschaft, der ‚Puls‘ unserer Zivilisation.“ (eigene Übersetzung)

Und der Erzbischof greift noch einmal die Bildsprache von Papst Franziskus, der auch auf dem Fest der Jugend die Alten als „die Wurzeln“ bezeichnete, aus denen heraus der Baum und die Blüten erwachsen. Und ebendieses Sprachbild der ‚Wurzeln‘ berichtet wenig später in seinem Statement und auf Nachfrage ein weiteres Mal Emmanuel Gobilliard, Weihbischof von Lyon, als er mit Leuchten in den Augen von einer selbstgemachten Videobotschaft für die Jugend von Lyon erzählt, in der Papst Franziskus die Bedeutung der älteren Generation für die Jugend in derselben Weise und mit weiteren guten Ratschlägen anspricht.

Für den italienischen Psychologie-Studenten und Auditor Thomas Leoncini – mit ihm würde ich den zweiten Themenschwerpunkt der Pressekonferenz und dieses Tages verbinden – ist der Einbezug der verschiedenen Lebensgeschichten junger Erwachsener das hervorstechende Kennzeichen der Synode und die Weise, wie er Papst Franziskus als beispielhaft für die Kirche ansehe: Wie die Lebensgeschichten Jugendlicher in ihren Schwierigkeiten, auf Abwegen, bar jeder Zukunft ohne Verurteilung wahrgenommen und darin auch wirklich angenommen seien. Das sei „der wichtigste Aspekt“. Und dann erzählt Thomas Leoncini wahrscheinlich die frei vorgetragene Eingabe von Papst Franziskus vom Freitagvormittag, die am Samstag noch Thomas Andonie beeindruckte, nach der ein junger Priester Papst Franzikus gefragt habe, wie er einen Atheisten überzeugen könne. Der Papst habe dem Priester damals gesagt, er soll nicht überzeugen, sondern das Leben mit ihm leben und ihm sein Leben zeigen. Das sei die Weise, wie dieser ihm folgen werde. „Imitati il Papa!“, waren die eindrücklichen letzten Worte von Thomas Leoncini zu den Journalisten.

‚Die unbedingte Annahme jedes Menschen‘ ist auch die Antwort, die der Lyoner Weihbischof Emmanuel Gobilliard kurzgefasst auf die nach Nachfrage nach dem Umgang mit homosexuellen Menschen gibt. Für Weihbischof Gobilliard bedeutet mit Menschen umzugehen, sie gerade nicht Kategorien einzuteilen.
"Wir müssen die Pastoral aus der Beziehung heraus gestalten, ohne jemanden von der Begegnung mit Jesus auszuschließen.“
Der Herr liebe uns in der Individualität und Identität und nicht als Teil einer namenlosen Menge. ‚Die Kunst der Begleitung‘, aus den Familiensynoden und den päpstlichen Schreiben Evangelium gaudium (EG 169) und Amoris laetitia gut bekannt, klingt hier an, selbst wenn die grundsätzliche Behandlung der Themen Homosexualität/Sexualität sicher auf dieser Synode noch weiter stattfinden wird.

Eine ähnliche Tiefe erreichte für mich später ein Zitat aus dem Apostolischen Schreiben Gaudete et Exsultate, nach der die Heiligkeit „die Begegnung deiner Schwäche mit der Kraft der Gnade“ sei (GeE 34). Erzbischof Charles J. Scicluna benannte dieses Zitat als er auf wiederholte Nachfrage aus dem Auditorium der Journalisten zu den Konsequenzen der Missbrauchsskandale in der Welt darauf zu sprechen kam: Ja, er habe auf seinen Reisen als päpstlicher Gesandter in einigen von Missbrauchsskandalen erschütterten Staaten Südamerikas – zu Recht –  gehört: „Shame on you“. Yes, shame on me.“ Es sei seine Weise gewesen mit den Opfern zu weinen, diese Scham zu empfinden, gedemütigt zu sein und darüber mit ihnen im Gespräch zu sein. Dies und nur dies sei der Weg, den Opfern zu begegnen. Und der nächste Schritt – nach der Übernahme von Verantwortung und Konsequenzen wurde ebenso gefragt – wäre die im Februar einberufene Versammlung der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen im Februar 2019 in Rom. Dass es hier strukturelle Konsequenzen geben müsse, könne im Rahmen der Jugendsynode nur zu einem bemessenen Teil adäquat beschrieben werden – auch wenn die Thematik im Abschlussdokument, so Erzbischof Charles J. Scicluna sicher einen breiteren Raum ausnehmen werde als im Vorbereitungspapier, dem Instrumentum laboris.

Sonntag, 7. Oktober 2018

Synodenruhetag- oder: das Revival der Familiensynoden als Vorhersage für die Jugendsynode

Der erste Sonntag während der Jugendsynode 2018 ist im Gegensatz zum folgenden, an dem die Feier der Heiligsprechung Oscar Romeros vorgesehen ist, ist ein Synodenruhetag, bei dem einzig die Texte des sonntäglichen Angelusgebetes als Verlautbarungen des vatikanischen Presseamtes bzw. im direkten Miterleben auf dem Petersplatz zu erwähnen wären. In seiner Ansprache nahm Papst Franziskus auf wichtige Themen der vorangegangenen Familiensynoden Bezug:
Die Liebe von Ehepartnern sei ein „gegenseitiges Geschenk, unterstützt von der Gnade Christi. Wenn aber in den Ehepartnern das Eigeninteresse überwiegt, die eigene Genugtuung, dann kann ihre Verbindung nicht bestehen.“ Was aber tun, wenn die Ehe scheitert? In solchen Fällen zeige Gottes Verhalten, dass „die verletzte Liebe von Gott durch Barmherzigkeit und Vergebung geheilt“ werden könne, fuhr Papst Franziskus fort. „Deshalb ist von der Kirche in diesen Situationen nicht sofort und nur Verurteilung gefragt. Im Gegenteil, angesichts so vieler schmerzhafter Fälle von Versagen in der Ehe fühlt sich die Kirche dazu gerufen, ihre Präsenz der Liebe, der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit zu leben, um die verletzten und verlorenen Herzen zu Gott zurückzuführen.“ (Vaticannews vom 7.10.2018)

Was sich zunächst wie ein Zitat, wie ein Revival der Familiensynoden der Jahre 2014 und 2015 anhört, schließt sich de facto unmittelbar an die zum Teil großartigen, verworrenen, z.T. verzweifelt und doch mit Hoffnung erfüllten Lebensgeschichten junger Erwachsener an, wie wir sie während der Synodenberatungen und zuletzt eindrucksvoll bei dem Fest mit den Jugendlichen gestern Abend erlebten. Dass ihre Lebenserfahrungen von der Kirche nicht nur gehört werden, sondern von ihr im wahrsten Sinn aufgenommen und weitergeführt werden, war das dabei mitgesagte Credo der Jugendlichen, das der Papst in seiner Ansprache ebenfalls zum Ausdruck brachte. Wie die Ergebnisse der Familiensynoden, die in den oben zitierten bzw. zu hörenden Ansprachetext des heutigen Angelusgebetes eingebunden sind, um die aber während der Familiensynoden zum Teil heftig gerungen wurden, mittlerweile Teil der weltweiten Lehrverkündigung geworden sind, kann zuversichtlich stimmen, dass auch der Verlauf dieser Jugendsynode der Verheutigung, zum Aggiornamento der Kirche beitragen wird.

Samstag, 6. Oktober 2018


Unici, solidali, creativi / Vereint, solidarisch und kreativ – oder: Wir sind der Frühling der Kirche!


„Vereint, solidarisch und kreativ“ unter diesem Motto bildete ein großes Fest für und mit den Jugendlichen und zugleich für und mit den Synodenteilnehmern den Höhepunkt dieses Samstages, auf der eine Reihe von Jugendlichen von ihren ,bei manchen bewegenden, bei anderen beeindruckenden Lebensgeschichten und ihrer Hoffnung berichteten – und zum Abschluss Papst Franziskus stellvertretend für die Synodenteilnehmenden Fragen mit auf den Weg der weiteren Beratung geben.

Stellvertretend für einige andere, zitiere ich aus dem Zeugnis von Daniel Zaccaro

"Aufgewachsen im Quarto Oggiaro, der ‚Mailänder Bronx‘, wo sich alles nur um Geld, Prestige und Macht drehte, geriet Daniel Zaccaro schon jung auf die schiefe Bahn: Diebstahl, Bankraub, waren nur einige der Missetaten, die er aus Perspektivlosigkeit begangen hatte. Seinen 18. Geburtstag verbrachte Daniel im Gefängnis. Er war aggressiv und rastete auch in der Haft aus. Von einer Strafanstalt wurde er in die nächste verlegt. Heute ist er 25 Jahre alt. Er erinnere sich genau an jenen Menschen, der seinem Leben eine andere Wendung gab, einer der Gefängnisseelsorger in der Strafanstalt Beccaria, erzählt er. Dieser leitete ein Haus für straffällig gewordene Jugendliche, in welches aufgenommen zu werden es Daniel nach langem Drängen gelang. Doch als er nach abgebüßter Strafe nach Quarto Oggiaro zurückkehrte, ging es wieder los mit der Kriminalität. Die einzige Lösung bestand darin, wieder in die Gemeinschaft des Seelsorgers von Beccaria zurückzukehren, wo er heute mit einem Senegalesen, einem Marokkaner und einem Russen zusammenlebt, das Abitur nachgeholt hat und Erziehungswissenschaften studiert. ‚Heute weiß ich, worauf es ankommt, wenn man junge Menschen zum Glauben erziehen will‘, sagte David vor der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula Paolo VI., ‚man muss sie vor allem die Fragen wiederentdecken lassen, die sie verloren haben.‘" (Vaticannews vom 6.10.2018)

"Tief berührt zeigt sich der Papst von den persönlichen Geschichten, die ihm die Jugendlichen erzählt haben, Geschichten voller Leidenschaft und Schmerz ebenso wie voller Wünsche und Sehnsüchte. Von Niederlagen und vom Wunsch, wieder aufzustehen, erzählten die Jugendlichen, die Franziskus aufforderte, in ihrem Leben dorthin zu eilen, wo die schönsten Ziele auf sie warten." (Ebd.)

Bewegende Statements, nach denen ich heute Mittag auch Gelegenheit hatte, Thomas Andonie persönlich zu fragen. Paolo Ruffini hatte in der Pressekonferenz am ersten Synodentag noch auf die Frage aus dem Presseauditorium, ob er etwas Neues, ihn in neuer Weise Anrührendes im Synodenplenum wahrgenommen habe, gesagt,  dass er bislang nichts gehört habe, was ihn habe aus dem Sessel habe springen lassen ("...non c’è niente che mi abbia sorpreso al punto da sobbalzare sulla sedia..."). Thomas Andonie – noch unter dem Eindruck des gestrigen Tages, als er noch am Abend aus den Reihen der Auditor*innen auf sein „starkes Statement“ angesprochen wurde – berichtet mir gegenüber von einer ganz anderen, in ihm nachhallenden Geschichte, die ein asiatischer Bischof erzählte:

"Dieser Bischof habe einmal auf einer Jugendfreizeit T-Shirts signiert und nach einem Jahr erfahren, dass ein Junge das Shirt unter sein Kissen gelegt habe. Für ihn – sein Vater war über vier Jahre im Ausland – war es ein persönlich-inniges Symbol einer Familie anzugehören."
Eine weitere Geschichte, die unterstreicht, wie Kirche – diese Frage nach ‚der Kirche“ wurde heute Mittag auf der Pressekonferenz auch dem für die Organisation des Festes verantwortlichen Kardinal Card. Giuseppe Versaldi, Präfekt der Kongregation für das katholische Bildungswesen, gestellt –, wie 'Kirche' ein Ort der Liebe, der Hoffnung und der Zukunft ist und sein kann. Dazu passend berichtet Kardinal Dieudonné Nzapalainga, Erzbischof von Bangui (Republik Zentralafrika), wie die Kirche in Afrika ein Ort der Beheimatung sei, gerade für diejenigen, die entweder an Migration denken oder aber sich von einer von einer als Kolonialistisch wahrgenommenen westlichen Welt in ihrer Identität und ihren Werten angegriffen fühlen, wohingegen auf weltkirchlicher Ebene eine Diversität als Reichtum wahrgenommen könne. Vielleicht sind es diese Erfahrungen des „Miteinander Kirchesein“, des „Aufeinander Hörens“ und „Miteinander Sprechens“, die den weiteren synodalen Verlauf am meisten bestimmen werden.

Dass in der deutschen Sprachgruppe gleich von Anfang an auch Clemens Blattert (als Experte) und Thomas Andonie (als Auditor) Rederecht eingeräumt wurde, kann als weiteres gutes Zeichen gewertet werden, dass die vertrauliche und gute Atmosphäre auch in dieser intensivsten Arbeitsform des synodalen Prozesses besser nicht sein könnten – auch wenn ein Bild der deutschen Sprachgruppe auf den ersten Blick verrät, dass die fraulich-weibliche Perspektive hier nun wirklich gänzlich fehlt.
Feststellen kann ich – wenn mich meine heute gesammelten Eindrücke nicht täuschen – und der italienische Originaltitel des Festes „Noi per. Unici, solidali, creativi“ mit dem „Wir“ am Anfang, dass die oft ins Wort gebrachte Zusage der Synodendokumente „Die Jugend ist die Zukunft der Kirche“ usw. in den Statements der jungen Erwachsenen kraftvoll in der 1. Person Plural ausgedrückt werden.

Mariano Germán García, der als Verantwortlicher in der Jugendpastoral Auditor von Seiten der Argentinischen Bischofskonferenz ist, betont in der Pressekonferenz heute, dass es diese Synode, dass jetzt eine besondere Zeit sei. Und dann sagt er, was ab heute ggf. auch häufiger zu hören sein wird:
 "Wir sind der Frühling der Kirche. Eine bessere Zukunft ist möglich."
„Der Papst traue den Träumen der Jugend“, das wird für Mariano Germán García spürbar und teilt auch Thomas Andonie, der mir – wenn nicht der Schweigepflicht der synodalen Beratung unterworfen – am liebsten von einem weiteren bewegenden und frei vorgetragenen Beitrag des Papstes am Donnerstagvormittag berichtet hätte. Dieses Vertrauen auf die Jugend wird auch in der kurzen Ansprache von Papst Franziskus beim abendlichen Fest nach der Übergabe der Fragen der Jugendlichen noch einmal in dichter Weise erfahrbar. Wer die Antworten auf die Fragen geben wird, verrät Papst Franziskus gleich zu Beginn:-)

Freitag, 5. Oktober 2018



Zuhören, Empathie und ausrangierte Steine - oder: Die ersten Statements deutscher Synodenteilnehmer in der Synodenaula


"Zuhören, Empathie und ausrangierte Steine": Das waren die am meisten ausgesprochenen Worte, mit denen Paolo Ruffini, Präfekt des Dikasteriums für Kommunikation und Präsident der Synodalen Kommission für Information die Beiträge der heutigen Gäste der Pressekonferenz einleitete, aber auch die gestern und heute eingebrachten Statements in der Synodenaula aus der deutschen Sprachgruppe gemeint haben könnte.
Die deutschen Synodenteilnehmer: Weihbischof Johannes Wübbe, Thomas Andonie, Kardinal
Reinhard Marx, Bischof Stephan Oster und Bischof Felix Genn (© Mazur/catholicnews.org.uk) 
Der Osnabrücker Weihbischof Johannes Wübbe sprach bereits gestern Nachmittag vor dem Synodenplenum und bezog sich in seinem Beitrag besonders auf den ersten Teil des Synodenpapieres und die benachteiligten Jugendlichen in der Welt:
„Benachteiligte Jugendliche gibt es momentan sowohl in Deutschland, als auch weltweit. Es ist das Anliegen des Heilligen Vaters, dass gerade auch diese Jugendlichen zu Protagonisten einer neuen Zukunft in Kirche werden. Das bedeutet, dass wir von ihnen lernen, mit ihnen reden und uns von ihnen sagen lassen, wie eine Kirche der Zukunft zu sein hat.“

Dies beziehe sich sowohl auf die Sprache als auch auf die Struktur, erklärte Weihbischof Wübbe weiter. Die Kirche müsse die Sprache der Jugend sprechen, heißt es heute auch in dem zusammenfassenden Bericht der Pressekonferenz. Die Kirche müsse die „digitale Sprache“ der „digital Natives“, aber auch die Sprache des Sports und der Musik verstehen und sprechen lernen.

Insgesamt 20 Synodale waren es, die am heutigen Vormittag zum ersten Teil des grundlegenden Arbeitspapiers ebenso wie acht Hörer*innen sowie als Sondergast Br. Alois Löser zu sprechen kamen. Der aus Deutschland stammende Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé bringt den „Dienst des Zuhörens“ ins Wort, indem er den Gründer der Gemeinschaft, Frère Roger, zitiert: „Wenn die Kirche zuhört, wird sie zu dem, was sie ist: eine Gemeinschaft der Liebe".


Unter den acht Auditoren kommt auch die Stimme des 660.000 Jugendliche in Deutschland vertretenden Vorsitzenden des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) zu Wort. Wie auf der Pressekonferenz – durch den von der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in Australien berichtenden Erzbischof von Sydney, Anthony Colin Fisher OP – stellt auch Thomas Andonie die Forderung nach Konsequenzen aus dem weltweiten Missbrauchsskandal an den Anfang seines Statements, von denen auch Kardinal Marx heute anlässlich einer Inauguration eines neuen Präventions-Studiengangs an der Päpstlichen Gregoriana-Universität überzeugt ist, dass sie mit einem „fundamentalen, systematischen Wandel“ verbunden sein müssen.

„Es braucht jetzt ein Hören auf und die Sorge um die Betroffenen, angemessene Entschädigungszahlungen, unabhängige Untersuchungen der Vertuschung, Übernahme der Verantwortung, Entfernung der Täter aus dem kirchlichen Dienst und standardisierte und strukturell abgesicherte Präventionsmaßnahmen. Aber: Das reicht nicht! Wir müssen klerikalistische Strukturen aufdecken. Es geht nicht um Einzelfälle, das Problem liegt im System! Keine Begründung für kirchenrechtliche Regelungen kann sich halten, wenn klar wird, dass durch sie sexualisierte Gewalt begünstigt wurde. Es gibt keinen Paragraphen im Kirchenrecht, der heiliger ist als die Würde eines Menschen! Jetzt zählen keine Worte mehr, es zählen nur noch Taten. Wenn die Kirche dieses Unrecht nicht entschlossen bekämpft und beendet, wird sie ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen – besonders der jungen Menschen – nicht wiedererlangen. Dann ist alles umsonst, was wir hier besprechen."

Mit zwei weiteren Themen bringt Thomas Andonie ebenfalls die Themen der Synodenaula ein, die auch in der Pressekonferenz eine zentrale Rolle spielen. Zunächst zur Rolle der Frau, deren neue veränderte Bedeutung für Bischof Manuel Ochogavía Barahona, Bischof von Colón-Kuna Yala (Panama) auch im Instrumentum laboris in neuer Weise anklingt:

"Wir können nicht weiterhin fünfzig Prozent der Bevölkerung von der Leitung der Kirche ausschließen. Viele junge Frauen finden aufgrund dieser Ungerechtigkeit in der Kirche keine Heimat mehr. Und mit der Frage der Leitung hängt auch die Frage der Weihe zusammen. In den Jugendverbänden arbeiten Frauen und Männer, Laien und Priester bereits gleichberechtigt und geschlechterparitätisch zusammen und zeigen, wie bereichernd es ist, so vielfältig Kirche zu sein."
Und ein weiteres heißes Eisen, das nach den Umfragen – etwa auch demjenigen Ergebnisbericht der Umfrage aus dem Erzbistum Köln, in dem die Themengebiete der Sexualität wie der Homosexualität am dringlichsten für wichtig für den innerkirchlichen Dialog gehalten wurden – bringt Andonie in folgendem Statement auf den Punkt:

"Ein Großteil der jungen Menschen lehnt die Sexualmoral der Kirche, vor allem ihre Haltung zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und zu vorehelichem Geschlechtsverkehr, ab. Sie verstehen sehr gut, was die Kirche von ihnen fordert, vertreten aber– als getaufte und gefirmte Christinnen und Christen – schlichtweg eine andere Auffassung. Dabei sind ihnen Werte wie Treue und Verantwortung füreinander übrigens besonders wichtig. Nur wenn die Kirche bereit ist, diese Lebenswirklichkeiten anzuerkennen, wird sie in diesen wichtigen Fragen mit jungen Menschen neu ins Gespräch kommen können."
Auch auf diese Positionsbestimmung gab es im Pressesaal eine Resonanz: einmal im Bericht von Paolo Ruffini, der die gegensätzlichen Positionen des entschiedenen Plädoyers für die Vermittlung der überkommenen kirchlichen Lehre – bis hin zur Vermeidung der Begriffe LGBT, wie sie ja tatsächlich im Instrumentum laboris (nr. 197) aufgenommen ist – und die Positionen, die die Realität ins Wort brachten, dass heute viele Paare eine Beziehung ohne Sex nicht leben könnten und wollten, vortrug. Die ebenso ironisierende wie polemische Nachfrage desjenigen Vatikanisten, der schon eine gefakte Version der Enzyklika ‚Laudato Si‘‘ im Jahr 2015 vorab leakte und dem auch während der Familiensynode des Jahres 2015 die unrühmliche Rolle zukam, einen ‚privaten Brief‘ von Synodenvätern an Papst Franziskus an die Öffentlichkeit durchzustechen, ob der Prozess der Unterscheidungsfindung am Ende der drei Synodenwochen eine Veränderung der Lehre der Kirche erwarten lasse, lässt ahnen, dass gerade dasjenige Thema, das bereits gestern als "zentral" apostrophiert wurde, nicht nur im Hintergrund schwelt…. aber nicht zuletzt angesichts der Missbrauchsskandals ohne Angst und mit Freimut angepackt werden muss.

Kardinal Marx teilte heute auf der erwähnten Veranstaltung in der Gregoriana diesbezüglich eine Erinnerung an die Diskussionen unter den Kardinälen, die vor dem Konklave 2013 in Rom abgehalten wurden, das Franziskus wählte, und sagte, dass ein Gefühl, das damals geteilt wurde, die Notwendigkeit einer "offenen Diskussion" in der Kirche sei, ohne Angst vor dem zu haben, was der Obere von jemandem erwartet oder hören wollen.



„Es ist eine ernste und herausfordernde Stunde für die Kirche. Bitte, habt keine Angst.“ (Vatican Insider vom 5.10.18; eigene Übersetzung)







Donnerstag, 4. Oktober 2018


Nel discernimento si deve parlare liberamente – oder: Der Beginn der Unterscheidungsfindung im Synodenplenum

Für die erste Pressekonferenz am Mittag des ersten Beratungstages haben der Pressesprecher Greg Burke und der Präfekt des Dikasteriums für Kommunikation und Präsident der Synodenkommission für Information Dr. Paolo Ruffini die Soziologie-Professorin Chiara Giaccardi aus Mailand, Carlos José Tissera, Bischof von Quilmes (Argentinien) und aus der Reihe der Jungen Erwachsenen Joseph Cao Huu Minh Tri aus Vietnam geladen. Sie berichten mit dem Hinweis auf den Festtag des Hl. Franziskus am heutigen 4.10. und von den Glückwünschen an Papst Franziskus, die heute am Anfang der synodalen Beratung standen. Papst Franziskus – berichtet Chiara Giaccardi – habe seinerseits die Versammlung gebeten, mit Freimut (Parrhesia) und Offenheit sich auf den mit dem heutigen Tag beginnenden synodalen Weg der Unterscheidungsfindung einzulassen.

Teilnehmende der Pressekonferenz vom 4.10.2018 (Bild: @vaticannews)
Ich erinnere, wie in etwa dieselben Worte auch bereits jeweils zu Beginn der beiden vorausgegangenen Familiensynoden am 6.10.2014 und am 5.10.2015 mit größter Eindringlichkeit vorgetragen und mit höchster Aufmerksamkeit aufgenommen wurden – damals für die Synodalen, von den früheren Synoden gewohnt, schriftliche Eingaben vorab einzureichen und vorzutragen, ein gänzlich neues Verfahren. Aber genau dieses Procedere der vorgefertigten Statements, die es zuletzt auf der XIII. Ordentlichen Bischofssynode im Jahr 2012 gegeben hat, wird heute in der Pressekonferenz von Seiten interessierter Journalisten gleich zweimal angefragt, mit der Bitte die Inhalte der Statements wie die mit ihnen verbundene Rednerliste für die journalistische Arbeit ausgehändigt zu bekommen. Es ist die Gelegenheit für P. Antonio Spadaro SJ, Sekretär der Kommission für Information, die Methode der Unterscheidungsfindung, die gestern bereits weite Teile der im gestrigen Blogbeitrag zitierten Redebeiträge in der Synodenaula ausmachten, gegenüber den Journalisten zu erläutern. Auf die Frage, warum die Statements der Synodalen nicht offengelegt werden, antwortet er, dass man im Zuge der Unterscheidungsfindung frei in der Versammlung sprechen müsse, ohne sich von der Tatsache konditioniert zu fühlen, dass die Worte preisgegeben werden. Umgekehrt stünde es jedem und jeder frei, über Interviews in eigener Verantwortung mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.


https://twitter.com/antoniospadaro/status/1047901842619940864
Ebenso wie die Thematisierung des prozeduralen Voranschreitens der Synode werden auch die bis zum Mittag vorgetragenen Inhalte von 25 Redebeiträgen zum ersten Teil des Instrumentum laboris sicher noch öfter wiederaufgenommen werden. Es waren darunter „5 bis 6“ Beiträge, die auf das Versagen der Kirche im Missbrauchsskandal, aber darüber hinaus auch das Fehlen hinsichtlich der pastoralen Begleitung junger Erwachsener ansprachen.  
„Es wurde von der Notwendigkeit gesprochen, den jungen Menschen in den konkreten Situationen zuzuhören, in denen Sie sich befinden, von den vielen jungen Menschen, die von der gegenwärtigen Gesellschaft "verworfen" werden, von der Fähigkeit der "Prophetie" junger Menschen, von der Schwierigkeit, die die Kirche registriert hat, den Glauben an die neue Generation weiterzugeben und einer Jugendpastoral, die die Kinder, Jugendlichen nicht einfach ‚domestizieren‘ darf.“ (Vatican Insider vom 4.10.2018; eigene Übersetzung)


Es ist der einzigen Frau auf dem Podium der Pressekonferenz, Prof. Chiara Giaccardi, vorbehalten, gleich zu Beginn als erste Berichterstatterin das "Thema Sexualität und Körperlichkeit" anzusprechen, dass auch "von vielen der Synodenväter in einer sehr offenen Weise“ ins Wort gebracht wurde. Einige Interventionen haben die "mangelnde Begleitung dieser Dimension" und die Notwendigkeit gesehen, "sie ganzheitlich zu überdenken, sie nicht nur einzudämmen, sondern ihr zu helfen, sich auf eine Art und Weise auszudrücken, die schön ist und Persönlichkeit entwickelt".
Auch und gerade dieses Thema ‚Sexualität‘ wird sicher von Tag zu Tag neu ins Gespräch der Synodenaula rücken. Es gehörte bereits während der Familiensynoden (vgl. den Blog-Beitrag vom 16.10.2015) zu den Top 5 – und es steht bei den jungen Erwachsenen sicher nicht minder oben an.

Bei vielen der genannten Themen geht es auch um Fragen des Glaubens und der Lehre, die immer wieder neu und generationsübergreifend ins Gespräch gebracht werden müssen. Mit dem deutschem Delegierten Clemens Blattert SJ (Leiter der Zukunftswerkstatt SJ in Frankfurt, der als Experte an der Synode teilnimmt und einen weiteren sehr persönlichen Synodenbericht aus erster Hand beisteuert) teile ich das Aufhorchen anlässlich eines gestern vom Generalrelator  Kardinal Sérgio da Rocha zitierten Wortes von Papst Franziskus, dass die Angewiesenheit eines lebendigen Glaubens auf die lebendige Auseinandersetzung in dichter Weise beschreibt und ebenfalls Teil des Arbeitsdokumentes der Synode geworden ist:
„Ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ist ein Glaube in der Krise; ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt, ist ein Glaube, der wachsen muss; ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen; ein Glaube, der uns nicht belebt, ist ein Glaube, der belebt werden muss; ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss.“ (Instrumentum Laboris 73, ein Zitat von Franziskus aus der Weihnachtsansprache vor der Kurie 2017)

Spätestens in der dritten Synodenwoche - das Zitat steht im dritten Teil des synodalen Arbeitspapiers  - werden wir dem Zitat erneut begegnen.