Dienstag, 9. Oktober 2018

Über die Anerkennung der Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche, die soziologische Analyse als theologischer Akt und die Relatio der Deutschen Sprachgruppe

Die im Arbeitspapier der Synode (Instrumentum Laboris, nr. 70) angesprochene „Anerkennung der Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche“ war bereits gestern in der Pressekonferenz von Weihbischof Gobilliard gefordert worden. Die neue Synodenordnung würde ihnen zwar schon eine größere Rolle einräumen, aber im Grundsatz sollten ihnen auch Positionen in den administrativen Strukturen der Kirche offenstehen, wie dies auf der Ebene vieler Ortskirchen schon zum Teil der Fall sei. Dies bekräftigte heute auch Kardinal Oswald Gracias, Erzbischof von Bombay: „Papst Franziskus wolle keine kosmetischen Veränderungen, sondern Verantwortung und Entscheidungspositionen in der Kirche für Frauen.“ Die als Expertin der französischen Bischofskonferenz an der Synode teilnehmende Sr. Nathalie Becquart betonte, wie sehr das ‚Thema Frauen‘ von jungen Menschen eingebracht wurde, die in einer Welt leben, in der sich die Beziehungen zwischen Männern und Frauen verändert haben.
Wie die Frauen das bisherige Synodenerleben aus seiner Sicht bereichern, unterstreicht auch der kanadische Erzbischof von Quebec, Kardinal Gérald Cyprien Lacroix. Beindruckt hat ihn, wie die weiblichem Synodenteilnehmenden in der Versammlung „frei und mit Autorität sprechen“:
"They aren't spectators, they're part of the parade."
Eine weitere, ganz neue Erfahrung sei für ihn wie die jungen Auditor*innen auf ihnen zusagende Beiträge zum Teil sehr emotional reagieren.

"They express themselves with explosive joy!"

Als Mitglied der an der Vorbereitung der Synode beteiligten Arbeitsgruppe ist es Kardinal Gracias, der auch bei den Familiensynoden 2014 und 2015 eine zentrale Rolle an entscheidenden Stellen des jeweiligen synodalen Prozesses gespielt hat, der betont, wie sehr bereits im Vorfeld der Synode auf die Beteiligung der Jugendlichen wert gelegt wurde, wie bereits am 3.10.2018 in diesem Blog beschrieben. Die Pressekonferenz heute markiert zugleich die Zäsur des Endes der Bearbeitung des I. Teils des Instrumentum laboris. Alle Arbeits- und Sprachgruppen haben nicht nur Überarbeitungsvorschläge zu den einzelnen Absätzen des Arbeitsdokumentes eingereicht, sondern auch jeweils eine zusammenfassende Relatio der jeweiligen Arbeitsgruppe veröffentlicht. Die deutsche Sprachgruppe schlägt vor, den I. Teil in der deutschen Übersetzung mit einem dem deutschen Sprachgefühl besser entsprechenden Wort zu überschreiben:

"Wir plädieren dafür, dass in der deutschen Übersetzung des Instrumentum laboris der Begriff „erkennen“ besser durch den Begriff „wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen „riconoscere“."

Auf die Frage in der Pressekonferenz, ob in den Beratungen zum I. Teil neben den soziologischen Analysen auch die wesentlichen Inhalte des Glaubens, die Sakramente usw. Angesprochen worden seien – für mich der wichtigste Moment dieser Pressekonferenz – ist es mit Sr. Nathalie Becquart eine Frau, die die Bedeutung des gerade abgeschlossenen Teils der Arbeit verteidigt und in seiner theologischen Qualität herausarbeitet. Das wahrnehmende Verstehen sei ein theologischer Akt und das Zuhören nicht einfach ‘nur’ soziologisch, sondern eine aufmerksame Weise des Nachvollziehens, wie Gott handelt. Die Erfahrungen der Menschen von heute sei es, wie Jesus mit den Emmaus-Jüngern zu gehen.

“Das Wahrnehmen ist bereits eine theologische Kategorie.”

Dieses eindrucksvolle Statement, das auch noch einmal die Bedeutung aller Phasen des Unterscheidungsfindungsprozesses, den diese Synode bedeutet unterstreicht, findet sich der Sache nach auch am Beginn der Relatio der deutschen Sprachgruppe:
„Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist aus konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten Teils des Instrumentum laboris ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die Jugendlichen und schauen auf sie – mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
 
Die Relatio der Deutschen Sprachgruppe (Relatio – Circulus Germanicus) in der vollständigen Länge (Moderator: Bischof Felix Genn, Münster; Relator: Bischof Stefan Oster, Passau)
Wir haben in unserer Gruppe alle gestaunt über die großen Unterschiede der konkreten Situationen junger Menschen in den vielen Ländern, aus denen die Bischöfe und die Jugendlichen in der Synode berichtet haben. Vor allem spüren wir, dass der europäische Kontext in den Hintergrund tritt zugunsten einer weltweiten, pluralen Perspektive. Wir haben aber gleichzeitig festgestellt, dass einige Themen und Probleme an den verschiedenen Orten dennoch sehr häufig wiederkehren: Die Herausforderungen der Sexualität, die Thematik des Missbrauchs, die Schwierigkeit den Glauben zu vermitteln, die Digitalisierung, die Frage nach einer attraktiven Liturgie und Predigt, die Flucht und Migration, der Wunsch der Jugendlichen in Freiheit und zugleich authentisch begleitet zu werden, die Frage nach der aktiven Beteiligung der Jugendlichen, die Frage nach der Gerechtigkeit für Frauen in der Kirche und anderes mehr.
Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist, aus konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten Teils des Instrumentum ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die Jugendlichen und schauen auf sie - mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
Wir plädieren dafür, dass in der deutschen Übersetzung des Instrumentum der Begriff „erkennen“ besser durch den Begriff „wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen „riconoscere“.
In der Wahrnehmung der Situation im ersten Teil des Instrumentum haben wir mehrfach gespürt, dass ein eigener Abschnitt eingefügt werden sollte, in dem der Druck thematisiert wird, dem Jugendliche in vielfacher Hinsicht ausgesetzt sind: z.B. der Druck durch die Schule und Ausbildung, durch die Kirche, durch die Erwartung der Eltern, der Familien, der Gesellschaft, der Druck durch die Selbstinszenierung in sozialen Medien, der Druck durch die Moden der Gesellschaft, durch die Moden und Meinungen der Peer-Group oder auch der Druck, der entsteht, wenn sich ein Jugendlicher als Katholik bekennt. Uns scheint, dass es Jugendlichen heute schwerer fällt, sie selbst zu werden – und nicht so zu werden, wie sie meinen unter dem Druck von außen sein zu müssen.
Wir sehen und betonen, dass im Pontifikat von Papst Franziskus zwei Begriffe immer wiederkehren: die Freude und die Unterscheidung – und wir spüren auch, wie kostbar und zugleich wie herausfordernd beide für unseren eigenen Umgang mit jungen Menschen sind.
Wir meinen auch zu verstehen, was mit dem Wort „die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ gemeint ist: Wir wollen mit den liebenden „Augen des Jüngers“ (Nr 2) auf die konkreten Menschen und ihre konkreten Situationen schauen und verstehen lernen, wie darin Gottes Gegenwart aufleuchtet – z.B. auch dann, wenn diese konkrete Wirklichkeit nicht oder noch nicht einem Ideal christlichen Lebens entspricht.
Wir glauben, dass die digitale Wirklichkeit in ihren positiven Möglichkeiten aber auch in ihren destruktiven Gefahren noch konkreter beschrieben werden soll (z.B. Einstiegsalter in das Betrachten harter Pornographie und Gewalt bei Jungen ist durchschnittlich 11 Jahre). Wir sind dankbar, dass viele Jugendliche Pluralismus und Multikulturalität positiv verstehen, wir glauben aber, dass es auch nicht wenige Jugendliche gibt, die sich dem verschließen aus Angst vor dem Verlust von Identität.
Wir würden gerne festhalten, dass die Distanzierung von jungen Menschen von Glauben und Kirche bei uns neben dem erwähnten generellen Misstrauen gegen Institutionen drei weitere Hauptursachen hat: erstens die für Jugendliche scheinbare Unvereinbarkeit zwischen einem modernen, wissenschaftlichen Weltbild und dem Glauben, zweitens die Themen, die direkt oder indirekt mit der Sexualität und dem Geschlechterverhältnis zu tun haben (etwa die Sexualmoral allgemein, die Bewertung von Scheidung und Wiederheirat, der Zölibat, Frauen und Weiheamt, die Missbrauchsskandale), drittens der scheinbare oder auch oft bestätigte Zusammenhang zwischen Religion einerseits und Gewalt oder Krieg andererseits.
Wir sehen, dass die Pfarrei oftmals kein Ort mehr für das Glaubensleben junger Menschen ist und sehen das als Herausforderung für die Suche nach anderen oder neuen Orten und Gemeinschaftsformen in und außerhalb von Pfarreien.
Im Kapitel IV des Instrumentum haben wir mehrere große Herausforderung für die Kirche identifiziert. Wir fragen uns, was genauer mit der „Metamorphose“ der conditio humana (Nr 51) gemeint ist. Ist es nicht nötig, tiefer zu verdeutlichen, was wir als Christen heute meinen, wenn wir vom Menschsein sprechen? Was meinen wir etwa, wenn wir vom Menschen als Person sprechen oder von gelingendem Menschsein? Was ist der Weg eines gläubigen Menschen heute, was ist sein Ziel? Was ist eigentlich Freiheit? Wie findet man Identität? Welches sind anthropologisch unsere größten Herausforderungen heute? Und wie verhalten wir uns dazu?
Die Frage nach Körperlichkeit und Sexualität, nach der digitalen Welt, nach der Unfähigkeit sich zu entscheiden, die Sehnsucht nach Spiritualität sind Phänomene, die eine anthropologische Vertiefung brauchen, wenn wir Jugendlichen den Glauben als Weg zu einem auch menschlich gelingenden Leben vorschlagen wollen. Einer unserer Synodenväter meinte: Wenn wir keine klare Diagnose der conditio humana haben, haben wir auch keine Therapie dafür. In jedem Fall sind wir der Meinung, dass angesichts der Bedeutung des Themas Sexualität für die Jugendlichen die bloße Beschreibung des Phänomens und einiger Probleme in den Abschnitten 52 und 53 für den Text nicht genügt. Wir plädieren für eine anthropologische Vertiefung und Orientierung für diese Dimension – mit dem Akzent auf die Qualität der menschlichen Beziehungen.
Wir sind auch der Meinung, dass in einem späteren Kapitel auch Positives zur Kirche als Institution gesagt werden soll, wenngleich junge Menschen das Recht haben die Institution kritisch zu sehen und nicht selten haben sie mit dieser Kritik auch Recht. Positiv aber ist zum Beispiel die Verlässlichkeit in einer sich wandelnden Welt, ihre Objektivität etwa in der Sakramentenspendung oder im Urteil des Glaubens und über charismatische Phänomene, oder die Möglichkeit innerhalb einer objektiven Rechtsprechung auch subjektiv erfahrenes Unrecht anzuzeigen und anderes mehr.
Der Abschnitt über die Digitalisierung erscheint uns insgesamt der Komplexität des Phänomens nicht gerecht zu werden. Selbstverständlich erkennen wir die ungeahnten positiven Möglichkeiten dieser Medienwelt für uns alle an – und auch die Fähigkeit junger Menschen, sich selbstverständlich darin zu bewegen. Das wollen wir ihnen auch nicht nehmen. Aber andererseits wissen wir zum Beispiel nicht, welche Auswirkungen langfristig der fortwährende Aufenthalt in digitalen Welten für junge Menschen hat (Vgl. die medizinische Rede von „digitaler Demenz“ oder von neuen Süchten oder von fehlender Konzentrationsfähigkeit, von schwindender Fähigkeit komplexere Texte zu lesen, von Mangel an Beziehungsfähigkeit oder ähnlichem); wir wissen noch nicht, ob und wie die digitale Welt Gesellschaften wirklich besser macht oder nicht eher zersetzt und radikalisiert. Wir wissen z.B. noch nicht, wie wir den totalitären Zügen von mächtigen Internetriesen etwas entgegensetzen können. Wir wissen noch nicht, was durch die immer stärker mögliche Verschmelzung von digitaler und realer Welt mit dem Menschen auf Dauer passiert. Hier spüren wir eine Überforderung, die womöglich nicht nur für die Kirche, sondern für die gesamte Menschheit besteht. Auch diese Überforderung müsste deutlicher benannt werden.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen