Mittwoch, 10. Oktober 2018

Für den Schwächsten, Ärmsten und Marginalisiertesten - oder: Die Unterscheidungsfindung in postmoderner Zeit und die notwendige Begleitung
"Papst vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord". Bereits seit den späten Vormittagsstunden kursierte diese Nachricht in Onlinemedien und schaffte es – anders als der Beginn der Versammlung der Bischofssynode oder sonst ein Ereignis der vergangenen Synodentage – bis in die Tagesschau (ab Min. 10) .... und mittags selbstredend dann auch in die Pressekonferenz der Synode.

Anlass seiner Äußerungen, die in dem zitierten Wortlaut eine freie Ergänzung im Vergleich zum Redemanuskript darstellen, war die wöchentliche Mittwochsaudienz auf dem Petersplatz, die entlang einer katechetischen Entfaltung der 10 Gebote in dieser Woche bei dem Gebot angelangt war, in dem es um die Beziehungen zum Nächsten geht. Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten! Der gestern Nachmittag in die Kommission der Endredaktion des Synodenabschlussdokumentes gewählte Kardinal Carlos Aguiar Retes, Erzbischof von Mexiko, nimmt die Frage einer Journalistin im Pressesaal auf und bringt sie mit der Charta der Menschenrechte in Verbindung. Die im Jahr 1948 mit universaler Gültigkeit proklamierten Menschenrechte gelten für jeden Menschen und würden durch Persönlichkeitsrechte der Kinder, Frauen, Alten ergänzt. Diese dürften aber – nicht nur aus kirchlicher Sicht – nicht in den Gegensatz zum Recht auf das Leben gebracht werden, das auch für Ungeborene gilt.

Leider verloren sich über die aufrüttelnde Wortwahl des Papstes die ja nicht minder ausgedrückten Gedanken der Ergründung der Ursachen und Hintergründe, die sich nun wiederum im Redemanuskript finden:

"Hinter der Gewalt und der Ablehnung des Lebens steht im Grunde die Angst, sich selbst zu verlieren. Aber das kranke, behinderte Kind, der alte Mensch, der Hilfe braucht, die vielen Armen, die alleine nicht zurechtkommen – sie alle sind ein Geschenk Gottes, das mich aus der selbstbezogenen Existenz herausziehen und mich in der Liebe wachsen lassen kann. In jedem kranken Kind, in jedem schwachen alten Menschen, in jedem verzweifelten Migranten, in jedem zerbrechlichen und bedrohten Leben sucht Christus uns (vgl. Mt 25,34-46), er sucht unser Herz, um uns die Freude der Liebe zu eröffnen. Gott liebt uns so sehr, dass er seinen eigenen Sohn für uns hingegeben hat (Joh 3,16). Gott liebt alles, was ist, wie wir es vorhin im Buch der Weisheit gehört haben (11,24). Was Gott geliebt hat, dürfen wir nicht verachten!"


Der Gedanke kommt in einer anderen Frage der Pressekonferenz, ob auch der Populismus und seine Bekämpfung Thema der Synodenbeiträge gewesen ist, durch den Vorsitzenden der europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) und Erzbischof von Luxemburg Jean-Claude Hollerich überraschender Weise erneut auf.
Die christliche Botschaft mit ihrem Fokus auf den Schwächsten, den Ärmsten und den Marginalisierten widerstehe jedem Populismus, indem der Einzelne als Person zähle. Die Gefahr, aus Angst und Überforderung für populistisches Gedankengut und einem Totalitarismus der Gleichgültigkeit gegenüber empfänglich zu werden, ist für Hollerich offenkundig und letztlich eine Frage der Begleitung, in der Kirche gefordert ist. In einer ‚Post-Thruth Era‘ ist die Orientierungslosigkeit groß und eine persönliche Begleitung bei der immer schwieriger gewordenen „Unterscheidung der Farben und Schatten unserer Zeit“ dringlicher als je zuvor. In der Unterscheidungsfindung sei es es möglich, die „Gegenwart Gottes in unserer Welt zu entdecken“.

Die Notwendigkeit der Begleitung - die Emmaus-Perikope sei auch in der Synodenaula oft angeklungen - unterstrich gestern Nachmittag bereits die slowakische Jugendliche Viktòria Žolnovà in einem auch heute noch einmal betonten Zeugnis:

"I also understand that young people need someone to accompany them and support them in their discernment process as they seek to know and follow God’s will."

Wie dringlich dieses Anliegen auch aus Sicht deutscher Jugendlicher und junger Erwachsener ist, hatte auch Thomas Andonie für den Bund Deutschen Katholischen Jugend am vergangenen Freitag im letzten Punkt seines Synodenstatements beschrieben:

"Zur Begleitung: In unseren Jugendverbänden unterstützen sich junge Menschen gegenseitig dabei, ihre Berufung zu finden. Dies entspricht unserem Grundsatz: Jugend leitet Jugend! Dazu brauchen sie allerdings eine gute Ausbildung und die Unterstützung guter Seelsorgerinnen und Seelsorger. Es bereitet uns große Sorge, dass in Deutschland immer weniger Menschen bereit sind, einen pastoralen Beruf zu ergreifen. Auch hier braucht es Veränderungen, um ein gutes personales Angebot für junge Menschen vorzuhalten! Berufungspastoral muss in ihrer Breite gedacht werden und selbstverständlicher Bestandteil einer vielfältigen Jugendpastoral sein.“


 

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