Sonntag, 4. November 2018

SYNODALITÄT und KIRCHENREFORM – oder: „Kirche muss anders werden!“
Eine Woche nach Abschluss der Jugendsynode wirken die Eindrücke – mittlerweile konnotiert von ersten Kommentaren – nach und ‚setzen‘ sich in meiner Perspektive noch einmal mehr über die aufwändige Aktualisierung der Register für die Printfassung des Synodenblogs. Und ich merke, dass der nach der Veröffentlichung von Amoris laetitia im Rückblick auf den synodalen Prozess stimmige Titel der 3. Auflage des Synodentagebuches „Pädagogik der Liebe“ (AL 211) sich wieder verändern muss, weil in den Inhalten und der Art und Weise der Abstimmung und Annahme des Abschlussdokumentes sich ein neuer Notenschlüssel des zurückliegenden wie des vorausliegenden synodalen Weges zeigt:

Denn mit der im Absatz Nr. 3 einschließenden Aufnahme des Vorbereitungsdokumentes (Instrumentum laboris) – und damit der von den Jugendlichen aus aller Welt eingebrachten Fragen, Sicht- und Lebensweisen – und dem Auftrag, die Ergebnisse der Synode über das eigene Herz in die Welt zu tragen und in verschiedenster Weise wirksam werden zu lassen, zeigt sich die Jugendsynode weniger als Abschluss eines Prozesses, sondern als eine wichtige Wegmarke auf dem synodalen Weg, der nicht einfach nur durch ein weiteres Papier (das sagte Papst Franziskus sowohl in seiner Begrüßungsansprache als auch in der Abschlussansprache), sondern durch eine veränderte Haltung und Praxis des gemeinsam Kircheseins gekennzeichnet ist.

Synodalität

Im Gespräch mit Thomas Andonie heute – eine Woche nach dem letzten und jetzt wieder in Deutschland – ist es auch eine meiner ersten Fragen, wie er sich die überraschend vielen Gegenstimmen zu den die Synodalität betreffenden Abschnitten im Abschlussdokument (vgl. Blog-Beitrag vom 28.10.2018) erklären würde. Thomas Andonie vermutet Ängste bei manchen Bischöfen, dass das Lehramt verraten werde, das Lehramt nicht mehr die Bedeutung haben könne. Und ich denke mir im Anschluss, dass Papst Franziskus sein Papst- und Lehramt ja sehr bewusst in Kontinuität und Weiterführung zu einer auf dem II. Vatikanischen Konzil aufbauenden Tradition wahrnimmt, das in der synodalen Rückbindung allen seines Tuns, Handelns und Lehrens an die Bischofsversammlungen seinen Ausweis hat. Synodalität: das Wahrnehmen von Wirklichkeit, das Deuten der Zeichen der Zeit im Licht des Glaubens und das in der Unterscheidung neu mögliche Tun und Handeln in der Begegnung mit den konkreten Menschen ist der Weg der Kirche. Und mit dieser 'Maßgabe' verändert sich Kirche, relativieren sich alle Strukturen und wird deutlich: „Kirche muss anders werden!“

(Cover-Ausschnitt des Synodentagebuch in der 640 S.-Printversion;
erweiterte 4. Auflage vom 16.11.2018 ; s. https://bit.ly/2qQlkvJ)

Kirchenreform

Wie sehr das Zueinander von Papstamt und Ortskirchen gerade in Bewegung ist, macht eine Pressemeldung mit Aussagen des Synodenvaters Kardinal Oswald Gracias deutlich, der zugleich Mitglied des K9-Gremiums ist, das sich seit dem Jahr 2013 mit der zentralen Aufgabe der Kurienreform befasst. Und der Erzbischof von Bombay deutet nicht nur an, dass das geplante Dokument zur Kurienreform als neue Apostolische Konstitution mit dem Arbeitstitel "Praedicate Evangelium" (Verkündet das Evangelium) „im Dezember oder Februar veröffentlicht werden“ könnte (und damit die Konstitution "Pastor Bonus" zur Kurienreform Johannes Pauls II. aus dem Jahr 1988 ersetzen würde), sondern auch, dass sich in den zurückliegenden Monaten auch die Bedeutung der Redaktionsarbeit des K9-Rates entscheidend geändert habe.

„Ohne auf Details einzugehen deutete Kardinal Gracias als Stoßrichtung der Reform einen Dienst an den Ortskirchen, also der Kirche in den einzelnen Ländern, an. 'Die Anfangsidee war es, den Ortskirchen zu helfen, indem wir dem Heiligen Vater helfen', so Gracias. 'Jetzt ist die Idee, dem Heiligen Vater zu helfen, indem die Ortskirchen unterstützt werden.' Das sei 'eine entscheidende Änderung', so der Erzbischof von Mumbai (Bombay) und Vorsitzende der Indischen Bischofskonferenz.“ (KNA vom 31.10.2018)


Und diese Zuarbeit – das macht ja die Aussage von Kardinal Gracias gerade deutlich – beginnt vor Ort: in den Ortskirchen. Für Thomas Andonie und den BDKJ bedeutet dies die konkrete Zusammenarbeit mit den 27 Diözesanverbänden und den weiteren 16 Mitgliedsverbänden und Jugendorganisationen und in der kommenden Woche auch die Teilnahme an der Jahrestagung der Arbeitsstelle für Jugendpastoral (afj) der Deutschen Bischofskonferenz, bei der auch Jugendbischof Stefan Oster anwesend sein wird. Über alle Strukturen und Verbände, die für Thomas Andonie über das Zentralkomitee der Katholiken in Deutschland (ZDK) in bester Weise eingebunden sind, seien nun die Wege zu finden, Kirche in neuer Weise als Hörende, Begleitende und die Berufung jedes Menschen unterstützend, in unserer Kultur vor Ort zu entdecken. Dass dies in Lateinamerika mit den Herausforderungen des Drogenmissbrauchs, in Ortskirchen in Kriegsgebieten und überhaupt in jeder Teilkirche der Welt mit je unterschiedlichen Problemen und Herausforderungen andere Handlungsoptionen erfordere, sei für ihn eine der zentralen Schlussfolgerungen aus der Synode. Am Beispiel des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker festgemacht, kann es für ihn nicht sein, dass sich Jugendliche jede Woche für andere Jugendliche engagieren und ihre Arbeit durch das Fehlverhalten und den Machtmissbrauch von Klerikern unter Generalverdacht gestellt sehen. Ohne in einen Aktionismus zu verfallen, seien die auf der Synode angemahnten – und zumal von der Deutschen Sprachgruppe geforderten – konkreten Maßnahmen und Strukturveränderungen bis zu der ebenso deutlich artikulierten Forderung nach einer stärkeren administrativen Einbeziehung von Frauen in kirchlichen Leitungs- und Amtsstrukturen sukzessive umzusetzen oder die Prozesse daraufhin in Gang zu bringen.

Mit der Jugend, durch die Jugend

Dass und wie die Jugendlichen die wichtige Etappe des zurückliegenden synodalen Weges in Rom während der XV. Generalversammlung der Bischofssynode mitbestimmt haben, bringt das Synodenabschlussdokument ins Wort - und Thomas Andonie unterstreicht, wie die Jugend als eigener 'locus theologicus' bezeichnet wurde.  Das 'Hinhören' der Kirche auf die Jugend als „pädagogisches Konzept“ und „theologische Kategorie“ nimmt diesen Gedanken auf. Er wird aber noch einmal gesteigert, in der den Verlauf der Synode kennzeichnenden Änderung der Perspektive auf die Jugendlichen. Sie sind nicht mehr nur Objekte einer methodisch neu zu justierenden Jugendpastoral, sondern selbst Subjekte derselben. Als Protagonisten der Kirche sind sie Handlungsträger der Kirche und in jeder Hinsicht einzubeziehen in die Weise, wie Kirche auf Zukunft in dieser Gesellschaft lebendig sein will. Im Synodenabschlussdokument kann diese neue Perspektive auch stilistisch aufgemerkt werden: indem im II. Teil: 'Interpretieren‘ die Jugend selbst als Subjekt ins Wort kommen, während in den Teilen I: 'Erkennen' (oder besser: „Wahrnehmen“ – wie die Deutsche Sprachgruppe einstimmig als Übersetzungsvorschlag des italienischen „riconoscere“ forderte; vgl. Blog-Beitrag vom 9.10.2018) und III. 'Wählen' die Kirche als ganze Handlungsträger sei.

"Damit allerdings wechseln im Dreischritt des Gedankengangs die Akteure. Das Erkennen und Hören ist der Synode bzw. der Kirche aufgetragen, während es die jungen Menschen selbst sind, die ihrer Berufung in Unterscheidungsprozessen auf die Spur kommen müssen. Damit befindet sich der Gedankengang auf einer sachlich anderen Ebene als das vorausgehende Hören (und das nachfolgende Wählen). (…) Bei der zurückliegenden Synode fällt somit im Durchgang durch das Erkennen, Interpretieren und Wählen der zweite Schritt aus dem Rahmen." (Eva-Maria Faber, in: feinschwarz.net vom 3.11.2018)


Für Eva-Maria Faber „lassen die Bruchstellen des Textes positiv die Dynamik des Synodenprozesses erkennen.“ Diese Dynamik reicht weiter als das Thema der Jugendsynode eigentlich absteckt war und rückt auch noch einmal die grundsätzliche Perspektive in den Mittelpunkt. Oder noch einmal mit den Worten von Kardinal Marx  im ausführlichen Wortlaut gesagt:

„Es geht nicht so sehr darum, so ist mein Eindruck, dass wir immer neue Methoden suchen für die Jugendpastoral, sondern dass die Kirche sich ändert. Kirche muss anders werden! Die Jugendliche erwarten, so haben sie in der Vorsynode zum Ausdruck gebracht, eine authentische Kirche, eine Kirche, die bereit ist zum Gespräch, eine Kirche, die zuhören kann. All das taucht natürlich in allen Dokumenten wieder auf. Aber das dürfen auch nicht nur Worte bleiben, es muss sich ja auch zeigen in Strukturen, Institutionen, in konkreten Begegnungen. Und im Grunde ist das eine Botschaft, die für die ganze Kirche gilt. Nicht nur, wie begegnen Bischöfe Jugendlichen, sondern wie begegnen wir einander, im ganzen Volk Gottes.“   (eigene Übertragung der Pressekonferenz vom 24.10.2018)

Sonntag, 28. Oktober 2018

Mit der Jugend vorangehen: Der synodale Weg und die Kultur der Begegnung - oder: Zum Abschluss der Jugendsynode im Oktober 2018 in Rom
Mit einem Gottesdienst im Petersdom ging heute die XV. Generalversammlung der Bischofssynode nach insgesamt 26 Tagen zu Ende. Mit dem im Verlauf der Eucharistiefeier vorgetragenen Botschaft der Synodalen an die Jugend‘ wurde auch das zweite Dokument dieser Bischofssynode eingebracht, nachdem gestern bereits das Synodale Abschlussdokument samt den Abstimmungsergebnissen veröffentlicht wurde. Beim Einzug sehe ich zuvorderst in der Prozession viele Gesichter der jungen Auditor*innen. Und sie rufen mir noch einmal einige ihrer Geschichten und Zeugnisse der vergangenen dreieinhalb Wochen in Erinnerung, die mir durch ihre eigenen Berichte oder Zitate der Bischöfe in den Pressekonferenzen und Interviews nahegekommen sind.


Papst Franziskus stellt noch einmal in seiner Predigt (im Video ab der 35.Min) und später dann im Verlauf seiner Ansprache zum Angelusgebet das ‚Zuhören‘ in den Fokus seines Synodenrückblickes:

„Mit dieser grundsätzlichen Haltung des Zuhörens haben wir versucht, die Realität zu lesen, die Zeichen unserer Zeit zu erfassen. Eine gemeinschaftliche Einsicht, die im Lichte des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes gemacht wurde.“ (Ebd.; eigene Übersetzung)


Und ähnlich wie bereits in seiner Abschlussansprache zur Familiensynode des Jahres 2015 die 'Diversität und Einheit in der Synodalität'  ('La diversità e la unità nella synodalità') als Besonderheit, ja Schatz der katholischen Kirche betont wurde, ist es auch gerade diese Erfahrung, die Papst Franziskus nun zum Ende der Jugendsynode mit weniger abstrakten Worten zum Ausdruck bringt: 

"Das ist eines der schönsten Geschenke, die der Herr an die katholische Kirche macht, nämlich Stimmen und Gesichter aus den unterschiedlichsten Realitäten zu sammeln und so eine Interpretation zu versuchen, die den Reichtum und die Komplexität der Phänomene berücksichtigt, immer im Lichte des Evangeliums. So wurden wir in diesen Tagen damit konfrontiert, wie wir gemeinsam durch viele Herausforderungen gehen, wie die digitale Welt, das Phänomen der Migration, den Sinn für Körper und Sexualität, das Drama von Kriegen und Gewalt." (eigene Übertragung)


Dass die jeweils zum Ende gefundenen Formulierungen zu einigen Absätzen des Abschlussdokumentes ‚Kompromisstexte‘ waren, um nicht trotz, sondern wegen der kulturellen Vielfalt und Besonderheiten der Ortskirchen einen gemeinsamen Abschlusstext formulieren zu können, darauf weisen die unterschiedlichen Abstimmungsergebnisse hin, aber auch die ein oder andere Stimme von Seiten der deutschen Delegation, die entweder die Schönheit und Kraft der ursprünglichen Abschlusstextvorlage in den letzten Tagen schwinden sahen oder aber sich an manchen Stellen auf Westeuropa bezogen deutlichere Aussagen gewünscht hätten, wie es Thomas Andonie gestern in diesem Blog und am heute Abend in einer umfangreichen Stellungnahme noch einmal zum Ausdruck brachte.


Und dennoch: Für mich, der ich mit Freude – und im Blick auf das nächste Zitat darf ich auch sagen: bei einem Glas Riesling-Weißwein – das Dokument wahrnehme, ist wahrlich einiges sehr ‚Fruchtbares‘ zusammengekommen, was gerade auch für die deutschsprachigen Orts- und Teilkirchen mehr als nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt, mit dem man vor Ort gar nichts mehr anfangen könnte. Ganz im Gegenteil – und wieder mit den Worten von Papst Franziskus gesagt:

"Die Früchte dieser Arbeit sind bereits ‚gärend‘, gleich dem Traubensaft in den Fässern nach der Ernte. Die Synode der Jugend war eine gute Ernte und verspricht guten Wein. Aber ich möchte sagen, dass die erste Frucht dieser synodalen Versammlung genau am Beispiel einer Methode abgelesen werden kann, die seit der Vorbereitungsphase der Synode leitend war. Ein synodaler Stil, der nicht das Hauptziel hat, ein Dokument zu verfassen, das auch wertvoll und nützlich ist. Mehr als das Dokument ist es jedoch wichtig, dass eine Art und Weise des Seins und der Zusammenarbeit sich ausbreitet: von Jung und Alt, beim Zuhören und Erkennen, um zu pastoralen Entscheidungen zu gelangen, die auf die Realität reagieren." (eigene Übersetzung)

Dieser synodale Prozess – wie das Abstimmungsergebnis zu den Absätzen 119 – 124 zeigt, auch noch nicht ganz zu 100% bei den Bischöfen angekommen – ist es, der nun in den Ortskirchen weitergeführt werden muss. Wie Papst Franziskus gestern noch in der Synodenaula sagte, muss der verabschiedete Text nun in den Herzen aller ankommen, gären, inkorporiert und inkulturiert werden, in eine erneuerte christliche Praxis fließen, eine Praxis der Begegnung, die Papst Franziskus in der Abschlussmesse in einem Dreischritt entfaltet:


(Screenshot: Papst Franziskus in seiner Predigt am 28.10.2018
über 'Zuhören, sich zum Nächsten machen und Zeugnis geben')

"Zuhören, sich zum Nächsten machen, Zeugnis geben. (…) Der Glaube ist eine Frage der Begegnung, nicht der Theorie. Jesus kommt durch die Begegnung und in der Begegnung schlägt das Herz der Kirche. Also werden nicht unsere Predigten, sondern das Zeugnis unseres Lebens wirksam sein." (Papst Franziskus in seiner Predigt

Was bei uns von dem synodalen Geschehen dieser Tage in Rom ankommt und wie es strukturell, inhaltlich aber auch in einer erneuerten Praxis wirksam wird, frage ich mich.... und denke gerade bei der Erwähnung des stärkeren Zusammengehens von Jugend- und Berufungspastoral durch Bischof Stefan Oster gestern in der Pressekonferenz an das bereits am 21.10.2018 kurz erwähnte neue Paarkonzeptes www.berufungscoaching-partnerschaft.de bereits am kommenden und übernächsten Wochenende im eigenen Arbeitsbereich.


Herzlich danke ich noch einmal auf diesem Weg Thomas Andonie, dem Vorsitzenden des BDKJ, der schon bei der Vorsynode im März und bei der Jugendsynode selbst als Auditor teilgenommen hat, für die Gespräche jeweils zum Ende der Synodenwochen, allen Freund*innen und Bekannten für das Verständnis, in den vergangenen Tagen abgetaucht zu sein und Ihnen für jetzt für die freundliche Aufmerksamkeit. Wer möchte, kann den gesamten synodalen Weg seit Beginn der Familiensynode des Jahres 2014 – so wie ich ihn erlebte und in jetzt 94 Blog-Beiträgen festgehalten habe – auf www.familiensynode.blogspot.de  (wenn auch in einem ‚älteren‘ Layout, dafür aber mit mehr 'Übersicht';-) nachverfolgen.


Ihr Holger Dörnemann

NB Eine sehr gute, kurzgefasste und deutsche Zusammenfassung des Abschlussdokumentes der Jugendsynode mit vielen erläuternden Hinweisen finden Sie von P. Bernd Hagenkord SJ – etwa auch zu der die Synode (wie in diesem Blog am 9.10., am 10.10. und 17.10.2018 zitiert) bestimmenden Emmaus-Perikope, die jetzt ja auch die Gliederung des Abschlusstextes bestimmt – auf https://www.vaticannews.va/de .

Samstag, 27. Oktober 2018


***BREAKING NEWS***The Synodal Document: Part of the ordinary Magisterium of the Successor of Peter - Letter of the Youth to Pope Francis ***BREAKING NEWS***
Diese Schlagzeile würde das heute in der Synodenversammlung, Absatz für Absatz einzeln abgestimmte und mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Bischöfe angenommene Enddokument der XV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode als Agenturmeldung verdienen. Und wahrscheinlich sind sich auch einige der stimmberechtigten Synodalen gar nicht wirklich bewusst, dass sie gerade (Kirchen-)Geschichte schreiben. 


(Generalsekretär Kardinal Lorenzo Baldisseri applaudiert Papst Franziskus nach der
Übergabe des Abschlussdokumentes.Screenshot VaticanMedia vom 27.10.2018)

Tatsächlich steht die Bedeutung der heutigen Abstimmung des über 21 Tage erarbeiteten Synodendokumentes (mit 4-Min.-Statements von 240 Bischöfen und 32 Auditor*innen und weiteren spontanen, freien Reden von 69 Bischöfen und 13 Auditor*innen) und des weiteren Procederes bereits in Art. 18 ‚Übergabe des Abschlussdokuments an den römischen Papst‘, in der am 15. September 2018 von Papst Franziskus erlassenen Apostolischen Konstitution 'Episcopalis communio' – wie  im Blog-Beitrag vom 3.10.2018 bereits hervorgehoben:

„Se approvato espressamente dal Romano Pontefice, il Documento finale partecipa del Magistero ordinario del Successore di Pietro.“ 

„If the final document is expressly approved by the Roman Pope, it participates in the ordinary Magisterium of the successor of Peter.“ 

„Wenn das Abschlussdokument vom römischen Papst ausdrücklich gebilligt wird, hat es Teil am ordentlichen Lehramt des Nachfolgers Petri.“


"Noi abbiamo fatto il documento, la commissione; noi l’abbiamo studiato, l’abbiamo approvato. Adesso lo Spirito dà a noi il documento perché lavori nel nostro cuore. (Papa Francesco, 27.10.18)

"Wir haben das Dokument gemacht (bzw. die Kommission), wir haben es studiert, wir haben das Dokument angenommen. Nun bringt uns der Geist das Dokument, um in unseren Herzen zu arbeiten." (eigene Übertragung) 
"We did the document (the Commission), we studied it, we approved the document. Now the spirit brings us the document to work in our hearts." (eigene Übersetzung)

Was das bedeutet, wird vielleicht erst auf den zweiten Blick deutlich und steht im direkten Zusammenhang mit der gestern von Kardinal Schönborn erklärten Entwicklung der Kirche im Sinne einer synodalen Kirche. Der synodale Prozess, den Papst Franziskus - wie in diesem Blog seit dem Jahr 2014 verfolgt - mit Beginn seines Pontifikates, seinem bereits im Jahr 2013 veröffentlichten Lehrschreiben ‚Evangelii gaudium‘, den Umfragen und der Beteiligung der Ortskirchen vor den Familiensynoden, der Veröffentlichung der jeweiligen Synodenergebnisse zu deren Abschluss und die Aufnahme derselben in seinem Lehrschreiben ‚Amoris laetitia‘ radikalisiert sich bei dieser Synode erstmals dahingehend, dass die Bischofsversammlung ‚cum et sub Petro‘ über das erarbeitete Schlussdokument an der Lehrentwicklung der katholischen Kirche in formeller Weise direkten Anteil hat. Papst Franziskus steht es selbstverständlich weiterhin frei, das Synodenenddokument auch darüber hinaus in einem Apostolischen Schreiben aufzugreifen, doch hat dieses schon als solches nach der Annahme durch die Synodenversammlung, der Übergabe und der Annahme durch den Papst Teil an dem vom ihm wahrgenommenen Lehramt.


Papst Franziskus will eine synodale Kirche: und das nicht nur in der Vorbereitung der Bischofssynode, sondern auch und gerade als Konsequenz. Die Internationale Theologenkommission der Glaubenskongregation hat bereits in einem bislang eher wenig beachteten Papier "Synodality in the Life and Mission of the Church' vom 2. März 2018 nicht nur die theologischen Grundlagen der Synodalität reflektiert, sondern auch konkrete Vorschläge formuliert. Und einige der nun auch im Enddokument der Jugendsynode von Seiten der Synodalen vorgeschlagenen Empfehlungen (Regionalsynoden, Versammlungen…) finden sich dort auch schon als Konkretionen benannt. Und was die Synodalen als weitere 'Takeaways' im Kopf haben und nach Hause nehmen, davon war bereits gestern die Rede.

(Thomas Andonie in der Synodenaula. Screenshot VaticanNews vom 27.10.2018)
Thomas Andonie – ich hatte heute Morgen wieder Gelegenheit, ihn auf dem Weg zur Synodenaula und damit kurz vor der Abstimmung des Enddokumentes zu sprechen – ist sich der Bedeutung der Abstimmung an diesem Samstag wohl bewusst. Gestern schon schrieben die jungen Auditor*innen (s.u.) an den Papst, dass sie dankbar seien, diesen "Teil der Geschichte der Kirche" miterleben zu können. Für Thomas Andonie sind das „Zuhören Können“ und das „Im Gespräch und Dialog Sein“ und auch eine Kultur des - im guten Sinne - „Sich Streiten Könnens“ am heutigen Morgen diejenigen Herausforderungen, die in einem neu aufgenommenen und dauerhaften Dialogprozess umgesetzt werden müssen. Die Botschaft dieser Synode, „dass wir die Menschen bereits so wahrnehmen, wie Gott sie liebt“, sei vor Ort so noch nicht spürbar. Dass einige der in Deutschland unter den Nägeln brennenden Themen, die er selbst am 5.10.2018 in seinem Synodenstatement eingebracht hat, wie die der Sexualmoral, in einem universalkirchlichen Dokument, das alle Kulturen von Asien, Afrika, Europa bis Amerika umfasst, zu allgemein formuliert sein könnten, empfindet er – wie es Kardinal Marx schon am 24.10.2018 ausdrückte – als ein Kennzeichen einer synodalen Arbeit auf der Ebene der Weltkirche, die vor Ort aber anders angepackt und konkretisiert werden können und müssen.

Thomas Andonie ist es auch, dessen Name als erster unter einem von allen jungen Auditor*innen unterzeichneten Brief steht, das ich in eigener Übertragung und Übersetzung an das Ende dieses Blog-Beitrages stellen möchte: Das persönliche Dankschreiben an Papst Franziskus– gespickt mit vielen Zitaten aus dem bereits oben erwähnten ersten päpstlichen Schreiben 'Evangelii gaudium' – gehört (auch wenn es bereits gestern im Rahmen einer Gesang-, Musik, Rezitations- und Tanzveranstaltung ‚Moments of Joy‘ übergeben wurde) aus meiner Sicht auch zu den ‚Breaking news‘ dieses Tages.



XV Assembla Generale Ordinaria del Sinodo dei Vescovi

LETTERA DEGLI UDITORI GIOVANI A PAPA FRANCESCO

Carissimo Papa Francesco,

noi giovani, presenti al Sinodo, vogliamo cogliere questa occasione per esprimerti la nostra gratitudine e la nostra gioia per averci dato lo spazio di fare insieme questo piccolo pezzo di storia. Le idee nuove necessitano die spazio e tu ce l'hai dato. Il mondo di oggi, che presenta a noi giovani opportunità inedite insieme a tante sofferenze, ha bisogno di nuove risposte e di nuove energie d'amore. Ha bisogno di ritrovare la speranza e di vivere la felicità che si prova nel dare più che nel ricevere, lavorando per un mondo migliore.

Noi vogliamo affermare che noi condividiamo il tuo sogno: una Chiesa in uscita, aperta a tutti sopratutto a più deboli, una Chiesa ospedale da campo. Siamo già parte attiva die questa Chiesa e vogliamo continuare a impegnarci concretamente per migliorare le nostre città e scuole, il mondo socio-politico e gli ambienti di lavoro, diffondendo una cultura della pace e della solidarietà e mettendo al centro i poveri, in cui si riconosce Gesù stesso.

Al termine di questo Sinodo desideramo dirti che siamo con te e con tutti i vescovi della nostra Chiesa, anche nei momenti di difficoltà. Ti preghiamo di continuare il cammino che hai intrapreso e ti promettiamo il nostro pieno sostegno e la nostra preghiera quotidiana.

Vaticana, 26.10.2018

 

Lieber Papst Franziskus,

wir jungen Menschen, die bei der Synode anwesend sind, möchten diese Gelegenheit nutzen, um unsere Dankbarkeit und unsere Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass Sie uns den Raum geben, diese kleine Stück Geschichte gemeinsam zu erleben. Neue Ideen brauchen Raum, und Sie haben ihn uns gegeben. Die Welt von heute, die uns jungen Menschen ungeahnte Chancen bietet, aber ebenso viele Leiden, braucht neue Antworten und neue Energien der Liebe. Sie muss die Hoffnung zurückgewinnen und das Glück leben, das darin besteht, mehr zu geben als zu empfangen, für eine bessere Welt zu arbeiten.

Wir wollen bekräftigen, dass wir Ihren Traum teilen: eine Kirche im Aufbruch, offen für alle, besonders für Schwächere, eine Kirche als Feldlazarett.

Wir sind bereits ein aktiver Teil dieser Kirche, und wir wollen uns auch weiterhin konkret dafür einsetzen, unsere Städte und Schulen, die gesellschaftspolitische Welt und das Arbeitsumfeld zu verbessern, für eine Kultur des Friedens und der Solidarität einzutreten und die Armen in den Mittelpunkt zu stellen, in denen Jesus selbst erkannt werden kann.

Am Ende dieser Synode möchten wir Ihnen sagen, dass wir mit Ihnen und mit allen Bischöfen unserer Kirche sind, auch in schwierigen Zeiten. Bitte setzen Sie den eingeschlagenen Weg fort und wir versprechen Ihnen unsere volle Unterstützung und unser tägliches Gebet.

Vatikan, am 26.10.2018


Freitag, 26. Oktober 2018

Three Takeaways of #Synod2018: "La Iglesia abierta" – "Youth as Agents of Evangelisation" – "Synodality as the Expression of the Church"

Die Takeaways, die zentralen Botschaften, die von der Synode mitgenommenen werden oder im Abschlussdokument stehen werden, waren heute in der Pressekonferenz gefragt. Und Antwort gaben Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien, Erzbischof Eamon Martin, Primas von Irland, der kenianische Erzbischof Anthony Muheria sowie P. Enrique Figaredo Alvargonzalez aus Kambodscha und Erduin Alberto Ortega Leal, Auditor der Gemeinschaft St. Egidio. An den Anfang stellen möchte ich aber mit einem Bild die Takeaway-Kurzfassung des Synodenergebnisses, wie sie aus dem Mund von José Luis Kardinal Lacunza Maestrojuán, Erzbischof von David (Panama), wohl nach meinem Empfinden auch morgen die Mitte des im Laufe des Samstages veröffentlichten Synodenabschlussdokumentes wie der Botschaft an die Jugend sein wird.


Luis Kardinal Lacunza Maestrojuán, Erzbischof von David (Panama): "#Synod2018 es un punto de no retorno" auf www.facebook.com/Synod2018 (26.10.2018)
Youth as Agents of Evangelisation

Für den Vorsitzenden der irischen Bischofskonferenz, Erzbischof Eamon Martin, der erst vor wenigen Monaten Gastgeber des Weltfamilientreffens in Irland war, ist die Zeit der zurückliegenden Synodenwochen „a graced moment“ – eine begnadete Zeit. Er „sei ohne große Erwartungen an die Synode nach Rom gekommen. Im vorbereitenden Dokument habe es ihm an Heiligem Geist gefehlt; der habe aber dann in der Synode gewirkt, und nun reise er bereichert und inspiriert wieder ab. Neuen Wein füllt man nicht in alte Schläuche, sonst zerreißen sie, und der Wein geht verloren: dieses Gleichnis Jesu sei ihm in den Sinn gekommen, sagte der irische Primas.“

„Persönlich gesprochen: Ich habe lange versucht, den Dienst an jungen Menschen hineinzupressen in eine alte Art zu denken, ein Instandhaltungsdenken. Wir haben unsere Strukturen in der Kirche und unsere Art, wie wir Dinge tun, und wir müssen irgendwie versuchen, unsere jungen Leute zu kriegen und sie hineinzudrängen in diese alte Art zu denken und in die alte Art, die Dinge zu tun.“ (Vatican News vom 26.10.2018)

Wie ein Schuldbekenntnis lesen sich diese Sätze, die rückblickend aus einer diese Wochen kennzeichnenden „Erfahrung der Gegenwart des Heiligen Geistes“ gesprochen sind. Er spüre ein „neues Pfingsten, einen neuen Frühling“ der aufbrechen wolle – und empfindet sich selbst „ein wenig aufgeregt“, wie er als „Botschafter“ diese Erfahrung in seine Diözese und Gemeinden hineintragen wird. Der Weg daraufhin, den er in dieser Synode erfahren habe, sei es, Junge Erwachsene selbst als Agenten der Evangelisierung („Youth as Agents of Evangelisation“) zu verstehen, einzubeziehen und zu ermutigen:

"The synod has encouraged me to think a little bit more ambitiously about engaging in new ways with young people: where they are add, to hear them, to walk with them, to encourage them an the to become the missionary disciples of their Peers."  (eigene Übertragung)

"Die Synode hat mich ermutigt, ein wenig ehrgeiziger darüber nachzudenken, neue Wege mit jungen Menschen zu gehen: wo Sie hinzukommen, Sie zu hören, mit Ihnen zu laufen, Sie zu ermutigen, die missionarischen jünger ihrer Altersgenossen zu werden. (eigene Übersetzung)

La chiesa: un luogo di accolto

Ähnlich wie der Primas von Irland ist auch Kardinal Schönborn vom Verlauf der Synode begeistert, die seine „Erwartungen mehr als übertroffen“ habe, nachdem er gestern auch eingestanden hatte, dass er neben vielen Hoffnungen „auch ein ungutes Bauchgefühl zuvor“ hatte. Und als Teilnehmer der für ihn sechsten Synode betont er die ausgezeichnete Atmosphäre, in der viel gelacht worden sei und die Erfahrung wirklicher Gemeinschaft gemacht wurde. Und auch wenn vielleicht nicht alle Antworten gefunden worden seien, wären doch die Fragen, Visionen und Träume der Jugendlichen gehört und von allen geteilt worden. Und ähnlich, was Kardinal Lacunza für eine alle Menschen willkommen heißende Kirche der Zukunft als Ergebnis der Synode nach vorne beschreibt, berichtet Kardinal Schönborn von der einer Aussage eines jungen Afrikaners ihm gegenüber während dieser Synodentage, dass es die Kirche in Afrika inmitten einem korrupten Staat und großer Armut für diesen Jugendlichen schon sei:

"La chiesa e nostra unica speranza, perche qui troviamo un luogo die accolto, di comprensione, dove possiamo essere noi, giovani, a casa." (eigene Übertragung)

"Die Kirche ist unsere einzige Hoffnung, denn hier finden wir einen Ort der Begrüßung, des Verständnisses, wo wir sein können, der jungen Leute, zu Hause." (eigene Übersetzung)



…und einmal mehr: Synodalität

Und erneut gefragt nach der Bedeutung des Begriffs Synodalität, holt er – jetzt in in englischer Sprache – in Erinnerung seiner Ansprache beim gestern bereits erwähnten 50jährigen Jubiläum der Bischofssynode – weiter aus, indem er die Bischofssynoden als solche – wie sie Papst Paul VI. eingesetzt hat – als „Ausdruck der Synodalität der Kirche“ („The assembly of the bishops as an expression of the synodality of the church“):

„That's exactly the meaning of synodality: to walk together and be together on the way of faith: and that concerning everybody. It doesn't take a away the difference of functions and ministries and roles within the synodal way of the church, but it's the way how the church functions.“  (eigene Übertragung)

"Das ist genau die Bedeutung der Synodalität: gemeinsam zu gehen und gemeinsam auf dem Weg des Glaubens zu sein: und das betrifft alle. Es hebt den Unterschied von Funktionen und Ämtern und Rollen innerhalb der Synodalen Art der Kirche nicht auf, aber es ist die Art und Weise, wie die Kirche funktioniert.“  (eigene Übersetzung)


Und sein Takeaway lautet zum Abschluss:
"Synodality ist to be lived in the diocese, the parish and the universal church!" 
"Die Synodalität ist in der Diözese, der Pfarrei und der universalen Kirche zu leben!"

Donnerstag, 25. Oktober 2018

Synodality is the keyword - oder: über Pilger, Protagonisten und die Pseudopresse
Die Idee einer Wallfahrt war erst im Rahmen der Jugendsynode entstanden und hätte dem Ambiente die Zueinanders der Synodalen, Expert*innen und der jungen Auditor*innen wahrscheinlich schon früher gut getan, schreibt Clemens Blattert SJ in seinem persönlichen Synodenblog: “So etwas hätte es eigentlich schon nach den ersten drei Sitzungstagen gebraucht, um uns auch abseits des Protokolls besser kennen zu lernen": Der 6 km lange Weg entlang der Via Francigena, der mit einem Gottesdienst mit einer beeindruckenden Predigt Kardinal Rino Fisichellas, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung, abgeschlossen wurde:
Die Auslegung der Evangeliums-Textstelle Johannes 21,15-22 über dem Petrusgrab war zugleich eine Predigt über eine über 30 Jahre währende Berufungsentwicklung von Petrus, den in Jugendjahren die Berufung Jesu ereilte, aber erst etwa 30 Jahre später den Ruf der Letzthingabe in der Liebe ganz gehen konnte. Ohne es direkt auszusprechen, war auf die jungen Erwachsenen wie die älteren Synodalen hin gesagt, dass die Berufungsentwicklung ein Weg ist, der in jungen Jahren beginnt und auch mit ergrauten Haaren noch nicht abgeschlossen ist. Der Glaube als ein Weg. Zeugnisse der Hingabe, davon waren die synodalen Tage voll – und zuweilen schienen die Jugendlichen die Bischöfe nicht nur durch Kreativität und einen „Wasserfall“ (so Kardinal Bassetti heute) an Lebensenergie, sondern auch mit ihren Lebenszeugnissen in der Synodenaula zu beeindrucken, ja mit ihrem Lebenszeugnis tief zu berühren. Kardinal Tagle erwähnte nach Momenten einer Tränenrührung die Beispiele des 23jährigen Safa aus dem Irak (s. Blog-Beitrag vom 23.10.2018) und des 26jährigen Daniel aus Pakistan, die allen Synodenteilnehmer*innen eindrucksvoll mit ihrer bezeugten Glaubenserfahrung in Erinnerung bleiben werden. In dieser Erfahrung des ‚Gemeinsam-auf-dem-Weg-Seins‘ stand am Ende das immer wieder zu hörende ‚Wir‘, das ‚Gemeinsam‘ und ‚Zusammen‘ von Jung und Alt, Bischöfen und Auditor*innen und Expert*innen und die Erfahrung des gemeinsam voranschreitenden Volkes Gottes – wie es Kardinal Marx gestern sagte, am Ende der dreieinhalb Wochen Jugendsynode: eine Erfahrung gelebter Synodalität.
Synodalität – von der Wortbedeutung meint es ebendieses ‚Miteinander Gehen und Unterwegssein‘ – ist auch heute der meistgebrauchte Begriff in der Pressekonferenz. Kardinal Gualtiero Bassetti, Erzbischof von Perugia und Präsident der Italienischen Bischofskonferenz (CEI), den ich persönlich auf einer CEI-Tagung zur Rezeption von Amoris laetitia Ende des Jahres 2017 und auf dem diesjährigen Weltfamilientreffen in seiner weisen und theologisch-dichten Denkart schätzen gelernt habe, berichtet in seinem ersten öffentlichen Statement überhaupt während der Synode von dem „Camminare insieme‘, das die intensiven Tage dieser Synode prägte:

"Il Sinodo è stato 'una policromia di colori e una polifonia di lingue', la presenza dei giovani ci ha fatto 'sperimentare il vento della Pentecoste'”.  
"Die Synode sei 'ein Polychrom von Farben und eine Polyphonie der Sprachen' gewesen, die Anwesenheit junger Menschen hat uns 'den Wind von Pfingsten' erleben lassen." (Vatican News vom 25.10.2018; eigene Übertragung)


Synodality is a Keyword
Für den heute ebenfalls zur Pressekonferenz erschienenen Kardinal Arlindo Gomes Furtado, Erzbischof von Santiago (Kap Verde), war diese Synode eine tiefe Erfahrung von “Gemeinschaft”, eines “Zusammen Gehens’, das auch für den jungen, brasilianischen Auditor der Schönstattbewegung Lucas Barboza Galhardo als Prozess weitergehen werde. Und gleichermaßen äußert sich auch Erzbischof Hector Miguel Cabrejos Vidarte OFM (Trujillo/ Peru), der von der Erfahrung einer außerordentlichen Zusammenarbeit spricht: Das Verständnis der Kirche von Synodalität habe sich entscheidend weiterentwickelt:

"He said that synodality is a keyword and that in these days it has been a true gift of the Holy Spirit. He said that he Church must work on this and practice it more so that it grows.”

"Er sagte, dass die Synodalität ein Schüsselwort und dass sie in diesen Tagen ein wahres Geschenk des Heiligen Geistes gewesen sei. Er sagte, dass die Kirche daran arbeiten und sie praktizieren müsse, damit Sie weiter wachse. "  (Vatican News vom 25.10.2018; eigene Übertragung)


Dass Synodalität aber nicht nur ein Thema der der reflektierenden Pressekonferenzen, sondern ein Herzthema in der Synodenaula selbst gewesen ist, davon gibt auch ein Retweet des jungen amerikanischen Auditors Jonathan Lewis Zeugnis, den ich heute mehr durch Zufall eingefangen habe und davon berichtet, dass in den zurückliegenden Wochen kein Statement eines Bischofs größeren Beifall in der Synodenaula erhalten habe, als ein Bekenntnis zur Synodalität, die dieser auch als Weg zur Demokratisierung der Kirche verstand.
Synodalität ist für Papst Franziskus der „Weg der Kirche (…), den Gott von seiner Kirche im 3. Jahrtausend erwartet.“ (Vgl. Blog-Beitrag vom 17.10.2015) Und wir haben es bereits auf den vergangenen Familiensynoden erlebt – und erleben es auf dieser Jugendsynode aufgrund der neuen Geschäftsordnung bzw. der Apostolischen Konstitution Episcopalis communio noch einmal mehr –, wie der synodale Weg von dem Einbezug des Gottesvolkes und einer breit angelegten Vorbereitung, über die Synode selbst bis zur Fertigstellung des Abschlusstextes und der Annahme durch den Papst ein Voranschreiten des gesamten Gottesvolkes ist, bei dem in der gewählten Methode bis zum synodal erarbeiteten Ergebnis deutlich wird, dass der Papst „das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ ist und zugleich die „Notwendigkeit, in einer heilsamen 'Dezentralisierung' voranzuschreiten" (EG 16) Berücksichtigung findet. (s. Blog-Beitrage vom 17.10.2015 und 18.10.2015; vgl. den Beitrag vom 8.07.2017)




Der synodale Weg der letzten Jahre hat nicht minder einzelne Gegner und Lobbygruppen, die sich vornehmlich an Fragen der Sexualität und insbesondere dem Umgang mit dem Thema der Homosexualität verbeißen, „als wäre es der Kern der Botschaft Jesu“ (wie dies Kardinal Marx gestern ausdrückte). An einem aktuellen Beispiel festgemacht, ist es derselbe von ultrakonservativen, selbsternannten katholischen Nachrichtenmagazinen immer wieder zitierte ‚Vatikanist‘ Sandro Magister, der in unseriöser Weise nicht nur – wie bereits in diesem Blog zuletzt vor ein paar Tagen am 5.10.2018 erwähnt – einen internen Brief von Kardinälen während der Familiensynode 2015 und einen Vorentwurf der Enzyklika ‚Laudato Si‘‘ wenig zuvor ‚durchgestochen‘ hat, sondern auch während der Pressekonferenzen dieser Jugendsynode vornehmlich nur durch Fragen im Blick auf eine Änderung von Lehrmeinungen zur Homosexualität, LGBT, homosexuelle Priesteranwärter, eine gelenkte Synodenführung und heute dann im Blick auf eine Einflussnahme des Papstes auf das synodale Dokument aufgefallen ist: eine Frage, die dem Präsidenten der Kommission für die Information, Dr. Paolo Ruffini, dann auch – schon weil der Hinweis darauf bereits am Dienstag gegeben wurde – für eine Beantwortung schlicht zu dumm war. Heute wird derselbe ‚Vatikanist‘ als ‚Doyen‘ auf dem unsäglichen Magazin ‚www.katholisches.info‘ zitiert, in dem er sich auch noch erdreistet, den von ihm selbst geleakten Brief aus dem Jahr 2015 noch einmal für die Unterstellung einer gelenkten Synode zu zitieren. Dass „der Papst zurückrudere“ im Blick auf das eigentliche Thema der Homosexualität, „für das die Jugendsynode einberufen sei“, heißt es angesichts der Aussagen von Kardinal Marx gestern und Kardinal Cupich vor bald einer Woche. So bescheiden lässt sich die katholische Schattenwelt punktieren, wie sie nicht minder auf den zuletzt gestern zitierten Seiten von kath.net nachzulesen ist, wo ebenfalls Homosexualität und die Aufnahme des LGBT-Akronyms zum Gradmesser der Jugendsynode erhoben wird. Und wenn die heutige Frage Sandro Magisters im Rahmen der Pressekonferenz nicht täuscht, wird seine nächste Schlagzeile in den benannten Magazinen und Medien ähnlicher Güte lauten, dass der Papst bei seinem Besuch der Redaktion am Montag, den 23.10.2018 Einfluss auf den Entwurf des Abschlussdokumentes der Jugendsynode genommen habe.


Und dennoch: Die Synodalität, welche „der Weg der Kirche ist“ und die damit einhergehende Synodalität vor Ort und die Dezentralisierung und Inkulturierung des Glaubens in den Ortskirchen wird mit der Jugendsynode weiter voranschreiten. Und angesichts der heutigen Messfeier der Synodenversammlung am Petrusgrab möchte ich hinzufügen: "...die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. (Mt 16,18)



Mittwoch, 24. Oktober 2018

Synodalität als Lernweg, Begleitung als Lernpunkt der Kirche - oder: Wie eine gemeinsame Sprache beim Thema Sexualität möglich geworden ist

Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von München-Freising, hatte heute neben dem jungen Bischof Andrew Nkea Fuanya (Mamfe/Kamerun) die größten Redeanteile in der Pressekonferenz an einem Tag, an dem nicht nur die am kommenden Sonntag in der Messe zur Verkündigung vorgesehene 'Botschaft für die Jugend' in einer ersten Lesung vorgestellt worden ist, sondern allein am Vormittag bereits 44 Wortmeldungen zu dem Entwurf des Enddokumentes in der Synodenaula eingebracht wurden. Was die Synodalen im Grundsatz voller Wertschätzung auf das über Wochen gemeinsam erarbeitete Dokument blicken lässt, wurde heute auch in der gemeinsamen Sprache deutlich, in der ein gemeinsamer Zugang auch zu kulturell sehr verschieden bewerteten Themen möglich ist.
Synodalität als Lernweg
Für Kardinal Marx hat dieser gemeinsame, synodale Lernweg auch mit der Themenstellung der Synode zu tun. Natürlich habe er sich nach Abschluss der Familiensynoden zunächst gefragt: „Warum lädt der Papst zu einer Synode über die Jugend ein und bereitet sie intensiv vor?“ und gibt selbst die Antwort: „Für ihn ist es Teil eines Gesamtweges. (...) Synodalität, das Vorangehen in Synoden ist für ihn ein ganz wichtiger Lernweg der Kirche.“ Die Jugendlichen weisen mit ihren Fragen und Anstößen einen Weg, den die Kirche als ganze gehen muss. Es geht nicht primär darum „immer neue Methoden (…) für die Jugendpastoral“ zu suchen, „sondern, dass die Kirche sich ändert. Kirche muss anders werden.“ 


"Die Jugendliche erwarten, so haben sie in der Vorsynode zum Ausdruck gebracht, eine authentische Kirche, eine Kirche die bereit ist zum Gespräch, eine Kirche die zuhören kann. (…) Und im Grunde ist das eine Botschaft, die für die ganze Kirche gilt. Nicht nur, wie begegnen Bischöfe Jugendlichen, sondern wie begegnen wir einander, im ganzen Volk Gottes." (eigene Übertragung)
Begleitung als Lernpunkt der Kirche
Neben dem authentischen Zuhören der Kirche nimmt Kardinal Marx auch das Wort der ‚Begleitung“ auf, die für ihn das Wort Seelsorge „ergänzt“ und „vertieft“; ein Wort, „das für Papst Franziskus von außerordentlicher Bedeutung ist“.

„Begleitung bedeutet aber nicht: Ich bestimme über Dich, sondern wir gehen gemeinsam auf Christus zu. Und das scheint mir nicht nur für die Jugend, sondern für die ganze Kirche ein sehr wichtiger Lernpunkt jetzt schon zu sein.“ (eigene Übertragung)
Über die Frage der Begleitung, die immer in der Gefahr eines geistlichen Missbrauchs steht (wie Bischof Felix Genn dies eingebracht hat), kommt Kardinal Marx auf strukturelle Veränderungen und die verstärkte Einbeziehung und Rolle der Frauen in der Kirche zu sprechen und bekräftigt wiederholt, dass es „allerhöchste Zeit“ sei, in diesem Punkt voranzukommen und mehr Frauen in verantwortliche, administrative Positionen in der Kirche zu bringen.“
“Die Beteiligung von Frauen in Führungsaufgaben ist eine dringliche Aufgabe für die ganze Kirche, sonst werden wir viele Frauen verlieren, die zu Recht sagen, ja wenn ich hier nicht mitwirken kann, was soll ich hier tun? Wir wären töricht in der Kirche, wir wären verrückt, wenn wir diese Potential an hochbegabten, engagierten, geistlich tief empfindenden Frauen beiseitelassen würden in der Verantwortung der Kirche.“

Eine gemeinsame Sprache beim Thema Sexualität
Beim Thema der Einbeziehung des Themas Homosexualität oder auch nur der Nennung des  LGBT-Kürzels im Abschlussdokument – eine Frage die nicht nur gestern an Kardinal Tagle, sondern heute an alle Bischöfe nacheinander gestellt wurde, reagiert Kardinal Marx – es war die allererste Frage überhaupt, die an ihn gestellt wurde - überrascht:

„Aber da bin ich immer erstaunt, dass wir immer nach den Themen gefragt werden, scheinbar ist das das Wichtigste überhaupt, als sei das Kern der Botschaft Jesu überhaupt?“
Dass darüber in der Aula und auch in den Kleingruppen gesprochen worden sei – wie in diesem Blog beinahe täglich rekapituliert, weil durch die Statements oder von Seiten des Presseauditoriums durch Fragen eingebracht –  und dass er annehme, dass das Thema auch in angemessener Weise im Schlussdokument aufgenommen sei, sagte gestern bereits Kardinal Tagle und könnte sich heute – wenn er sich ärgern wollte – in einem einschlägigen Magazin wiederfinden mit der Schlagzeile: Kardinal Tagle: LGTB-Thema im Schlussdokument. Gesagt hatte er, noch ohne das kurz zuvor im Entwurf ausgeteilte Schlussdokument in Gänze gelesen haben zu können:
"The interventions in the Aula and at least in the small groups, to which I belong, (...) the approach to the community to the people, so called LGBT (..) was present and many time raised, and the call to the church as a welcoming church, as a church that regards the humanity of everyone was always present, not only as a theme but also as a spirit, as an atmosphere. My hunch is that it will be there - in what form and how it will be approached I don't know. But I think, it will be part of the document." (eigene Übertragung)
Und mit einem Lächeln schlug Kardinal Tagle noch vor, die Frage am Folgetag – also heute – mit vertiefter Textkenntnis von Seiten der Synodalen doch noch einmal zu stellen.
Kardinal Marx, dem eben diese Frage dann heute direkt als erste gestellt wird, fordert auf die Frage im Grundsatz ein,

„dass das Thema Sexualität, das ein wichtiges Thema ist, nicht nur für Jugendliche, sondern für alle Menschen, nicht von allen Seiten benutzt wird für ideologische Schlachten  sei es so oder so und nicht reduziert wird auf die körperliche Sexualität. (…) Lobbygruppen gibt es von allen Seiten, das mochte ich klar unterstreichen, (...) die immer wieder versuchen, das reinzubringen, das zu verhindern." (eigene Übertragung)


Beim Thema LGBT sagt Bischof Fuanya aus Kamerun zwar einerseits, dass der Begriff LGBT von 99,9 % der Jugendlichen in seinem Bistum Mamfe nicht verstanden würde und deshalb aus seiner Sicht in einem universalkirchlichen Dokument in dieser Formulierung auch keinen Platz haben solle. Aber darin sind er und Kardinal Marx – wie mit ähnlichen Worten Kardinal Tagle gestern – andererseits sich auch einig: "In der Sprache der Kirche muss man einen Weg gehen, die für alle verständlich ist.“ Und Kardinal Marx stellt klar:

„Wir machen hier keine Synode, die lehramtlich etwas über Sexualität äußern will. Sondern wir sagen etwas, wie begleiten wir Jugendliche auf ihrem Weg, und wie wir auch einbringen, was natürlich Lehre der Kirche ist, indem wir aber auch hören auf ihre Suchbewegung, auf das, was sie betrifft. (…) Aber das gibt doch nicht die Lehre der Kirche auf. Und wir sind klug genug in der Benutzung der Worte nicht einfach irgendetwas zu übernehmen, was missverständlich ist.“ (eigene Übertragung)


Und dann verweist er auf die notwendige, kulturelle Übersetzung und Auseinandersetzung mit den auf universaler Ebene behandelten Themen auf der Ebene der Ortskirche:

"In unserer Kultur (…) ist das Thema Homosexualität von den Jugendlichen selbst gekommen, weil sie Freunde haben, Freundinnen, die fragen. Wie gehen wir damit um? In anderen Kulturen ist es anders. Deswegen, wenn wir über die ganze Kirche sprechen (...), müssen wir eine Sprache sprechen, die verständlich ist, aber es muss auch in den einzelnen Ortskirchen dann auch unterschiedliche Formen geben, wie wir mit Themen umgehen. Ich kann es doch nicht ändern, ich kann doch nicht sagen, das sei in allen Kulturen gleich möglich. Dass muss man eben miteinander versuchen - in der Gemeinschaft der einen Überzeugung, aber dass es auch unterschiedliche Wege gibt, über das Thema zu sprechen.“ (eigene Übertragung)

Dass mit derselben Haltung auch eine neue Möglichkeit eröffnet wird, auch die Frage des vor zwei Wochen aufgrund seiner Äußerungen zum Thema Homosexualität verweigerten ‚Nihil obstat‘ (vgl. Blog-Beiträge vom 11.10. und 18.10.2018) für den Rektor der Hochschule St. Georgen, Prof. Ansgar Wucherpfennig, – wie heute bekannt wurde – in einem Kompromiss zu lösen, ist auch Teil dieses weltkirchlichen, synodalen Lernweges.