Sonntag, 29. Oktober 2023

mit Weitsicht auf den Horizont blicken“ – Ermutigungen und Mahnungen der Abschlusspredigt der Weltsynode für den weiteren synodalen Prozess und in Deutschland

Screenshot Vaticannews 29.10.23

Mit einer Predigt zum Tagesevangelium Mt 22, 34–40 und der darin behandelten Frage nach dem wichtigsten Gebot setzt Papst Franziskus quasi einen Schlussakkord auf die zurückliegenden vierwöchigen Beratungen der XVI. Generalversammlung der Bischofssynode:

Auch wir, die wir in den lebendigen Strom der Tradition eingetaucht sind, fragen uns: Was ist das Wichtigste? Was ist die treibende Mitte? Worauf kommt es am meisten an, so sehr, dass es das allem zugrundeliegende Prinzip ist? (…) Am Ende dieses Wegabschnitts, den wir zurückgelegt haben, ist es wichtig, auf das „Prinzip und Fundament“ zu schauen, von dem aus alles beginnt und wieder neu beginnt: Gott mit dem ganzen Leben zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst.“ (press.vatican 29.10.2023)

Gottesliebe setzt Papst Franziskus ineins mit der „Bewegung des Herzens“ der Anbetung, die bedeutet „im Glauben anzuerkennen, dass nur Gott der Herr ist und dass unser Leben, der Weg der Kirche und die Wendungen der Geschichte von der Zärtlichkeit seiner Liebe abhängen.“ Mit der Aufnahme eines Zitats des verstorbenen Kardinals Carlo Maria Martini wendet sich Papst Franziskus gegen alle Versuche und Versuchungen, „‘Gott kontrollieren‘ und in seine Schemata“ zu zwängen,

„»der nicht so gemacht ist, wie ich ihn mir vorstelle, der nicht von dem abhängt, was ich von ihm erwarte, der also meine Erwartungen durchkreuzen kann, gerade weil er lebendig ist. Die Bestätigung dafür, dass wir nicht immer die richtige Vorstellung von Gott haben, ist, dass wir manchmal enttäuscht sind: Ich habe dies erwartet, ich habe mir vorgestellt, dass Gott sich so verhalten würde, aber ich habe mich geirrt. Auf diese Weise begeben wir uns wieder auf den Weg des Götzendienstes, wenn wir wollen, dass der Herr nach dem Bild handelt, das wir uns von ihm gemacht haben« (I grandi della Bibbia. Esercizi spirituali con l’Antico Testamento, Florenz 2022, 826-827). (Ebd.)

Gottes Handeln – so Franziskus weiter – „ist jedoch immer unvorhersehbar, geht darüber hinaus“. In Bezug auf die Synodenversammlung hebt Papst Franziskus das „Gespräch des Geistes“ hervor, indem die „liebevolle Gegenwart des Herrn erfahren“ werden konnte:

„Wir haben einander zugehört, und vor allem haben wir durch die reiche Vielfalt unserer Geschichten und Empfindungen hindurch auf den Heiligen Geist gehört. Heute sehen wir noch nicht die volle Frucht dieses Prozesses, aber wir können mit Weitsicht auf den Horizont blicken, der sich vor uns auftut“. (Ebd.)

Weitsicht auf den Horizont: Der Synoden-Synthesebericht

Eben dieser Horizont wird konkret auch in der Anlage des gestern als Abschlussbericht und zugleich als Vorbereitungsdokument für die nächste synodale Phase verabschiedeten Synthesepapiers der Synode sprachlich ausgeleuchtet und mit weiteren Raum- und Weg-Metaphern illustriert:

„In jedem der drei Teile werden in jedem Kapitel Konvergenzen, zu behandelnde Fragen und Vorschläge, die sich aus dem Dialog ergeben haben, zusammengetragen. Die Konvergenzen zeigen die Fixpunkte auf, an denen sich die Reflexion orientieren kann: Sie sind wie eine Landkarte, die es uns ermöglicht, uns auf dem Weg zu orientieren und uns nicht zu verirren. Die zu behandelnden Fragen sammeln die Punkte, bei denen wir erkannt haben, dass es notwendig ist, das theologische, pastorale und kanonische Studium fortzusetzen: Sie sind wie Kreuzungen, an denen wir innehalten müssen, um die Richtung besser zu verstehen, die wir einschlagen müssen. Die Vorschläge hingegen zeigen mögliche Wege auf, die zu beschreiten sind: einige werden vorgeschlagen, andere empfohlen und wieder andere mit mehr Nachdruck und Entschlossenheit gefordert.“ (Relazione di sintesi; eigene Übersetzung)

Änderung der Sexualmoral?

Bereits gestern und auch heute wird neben anderen Themen vor allem die „Änderung der Sexualmoral“, die die Synode mit breiter Mehrheit beschlossen habe, als wichtiges Ergebnis in den Titelzeilen deutschsprachiger Presseberichte herausgestellt. Allerdings kommt der Begriff "Sexualmoral" als solcher nur im Abschnitt 16g vor, in der Menschen angesprochen werden, die in ihrer Erfahrung von Einsamkeit die Treue zum Lehramt und der kirchlichen Sexualmoral leben. Tatsächlich beziehen sich die Presseberichte näherhin auch konkret auf die Abschnitte 15 b und 15g, in denen es aber zunächst weniger um moralische als um anthropologische Fragen der Sexuellen Identität und Orientierung geht und auch weitere Themen mit angesprochen werden, die das vertiefte Gespräch mit den Wissenschaften notwendig machen.

15g) Einige Themen wie die Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung, das Ende des Lebens, schwierige Ehesituationen und ethische Fragen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz sind nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche umstritten, weil sie neue Fragen aufwerfen. Manchmal reichen die anthropologischen Kategorien, die wir entwickelt haben, nicht aus, um die Komplexität der Elemente zu erfassen, die sich aus der Erfahrung oder dem Wissen der Wissenschaften ergeben, und erfordern eine Verfeinerung und weitere Untersuchungen. Es ist wichtig, sich die nötige Zeit für diese Überlegungen zu nehmen und unsere besten Kräfte darauf zu verwenden, ohne sich zu vereinfachenden Urteilen hinreißen zu lassen, die den Menschen und dem Leib der Kirche schaden. Das Lehramt hat bereits viele Hinweise gegeben, die darauf warten, in geeignete pastorale Initiativen umgesetzt zu werden. Selbst dort, wo weitere Klarstellungen erforderlich sind, zeigt uns das Verhalten Jesu, das wir im Gebet und in der Bekehrung des Herzens verinnerlicht haben, den Weg nach vorn.“ (Ebd.; eigene Übersetzung)

Notwendigkeit Sexueller Bildung 

Wenn ich darauf hinweise, ist das keine Spitzfindigkeit, sondern es hat zwei wichtige Gründe, die auch mit meiner eigenen Profession als Dogmatiker und Religions- und Sexualpädagoge zu tun haben. Zum einen sind die Fragen rund um Sexualität eben nicht einfach nur oder ausschließlich ein Thema der Moraltheologie und Ethik, sondern ebenso sehr der Anthropologie und Dogmatik, der Pastoraltheologie und (Religions)Pädagogik, der christlichen Sozialwissenschaften, der biblischen Theologie etc. und damit ein gemeinsames Thema bald aller theologischen Disziplinen im Gespräch mit ihren jeweiligen Bezugs-, Human- und Kulturwissenschaften. Und zum anderen führt das alleinige Stieren auf eine „Änderung der Sexualmoral“ dazu, dass Abschnitte des Syntheseberichtes, die auf eine Verstärkung der Anstrengungen in der Sexualerziehung zielen, im wahrsten Sinn unbeachtet bleiben. Dabei heißt es in 14g konkret auf die Sexuelle Bildung bezogen:

14g) „Wir empfehlen, das Thema der affektiven und sexuellen Erziehung zu vertiefen, um die Jugendlichen auf ihrem Wachstumsweg zu begleiten und die affektive Reifung derjenigen zu unterstützen, die zum Zölibat und zur gottgeweihten Keuschheit berufen sind; die Ausbildung in diesen Bereichen ist eine notwendige Hilfe in allen Lebensabschnitten.“ (Ebd.; eigene Übersetzung)

M.a.W.: „Es braucht ein Ja zur Sexualerziehung“, wie ein Titel eines kurz vor Weltsynodenbeginn veröffentlichten Beitrags in der Herder Korrespondenz lautet. Und es braucht in Deutschland als nächstes auch endlich statt eines weiteren Jahres des Zuwartens auf eine Änderung der Sexualmoral auf Ebene der Weltkirche einer Bearbeitung und Umsetzung des bereits im Rahmen des Synodalen Wegs erarbeiteten, vorliegenden, aber auf unbestimmte Zeit aufgeschobenen Handlungstextes „Sexualpädagogische Begleitung und Förderung sexualpädagogischer Konzepte in allen pädagogischen und pastoralen Einrichtungen“!

Eliminierung von Missbrauchsursachen

Dieser zur Eliminierung von Missbrauchsursachen in Deutschland grundlegende Text hat bisher noch nicht* den Status einer schriftlichen Dokumentation im Zuge der geplanten Print-Publikationen von ZDK und DBK erhalten. Von daher – um auf die heutige Predigt von Papst Franziskus zum Abschluss der zurückliegenden synodalen Etappe zurückzukommen – muss die Rezeption der Ergebnisse der Synode vor allem in einen Selbstauftrag und in ein erneuertes, vertieftes Engagement vor Ort münden, will man den anstehenden Aufgaben nicht ausweichen.

„Heute sehen wir noch nicht die volle Frucht dieses Prozesses, aber wir können mit Weitsicht auf den Horizont blicken, der sich vor uns auftut: Der Herr wird uns leiten und uns helfen, eine synodalere und missionarischere Kirche zu sein, die Gott anbetet und den Frauen und Männern unserer Zeit dient und hinausgeht, um allen die tröstliche Freude des Evangeliums zu bringen.“ (press.vatican 29.10.2023)

 


 * Nachtrag vom 18.11.23: Eine Veröffentlichung aller noch nicht beschlossenen Handlungstexte des Synodalen Wegs ist in Nachfolge einer Buchpublikation aller beschlossenen Texte jetzt ebenfalls angekündigt worden.

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