Mittwoch, 17. Oktober 2018

Weisheit, Web und universelle Werte - oder: Freundschaft als theologisches Konzept und Kirche als ‚Exzellenzort der Freundschaft‘
 

Auch heute waren es neben dem Synodengast und brüderlichen Legaten, Pastor Marco Fornerone von der Weltgemeinschaft Refomierter Kirchen, wieder drei Ordensleute nach den ‚Big Three‘ vorgestern, die auf der heutigen Pressekonferenz das Voranschreiten der synodalen Beratungen – jetzt bereits zum III. Teil des Instrumentum laboris – erläuterten.



Der isländische Kapuzinerpater und Erzbischof von Reykjavík, David Bartimej Tencer, nimmt eine Reihe von Statements des heutigen Vormittags auf, die die sozialen Medien und das Internet heute für die Glaubensweitergabe Jugendlicher bedeuten. Auf der anderen Seite betont Generalabt des Zisterzienser-Ordens, Mauro Giorgio Giuseppe Lepori, die Bedeutung der jahrhundertealten Weisheit, die etwa in der Tradition des Hl. Benedikt nichts von ihrer Aktualität für heute verloren habe. Und in diese Spannungseinheit von Modernität und Traditionsverbundenheit rekapituliert der Präsident der Synodenkommission für Information, Paolo Ruffini, die vielen anderen Beiträge des Vormittags:

"Ruffini: die jüngsten Interventionen haben sich mit der Kirche in der digitalen Welt befasst. Die Themen Migration, Umwelt wurden ebenfalls oft berührt. Der heilige Wert des Lebens wurde wiederholt angesprochen und dass die Pastoral der Kirche auch homosexuelle Personen einbeziehen müsse."

Die Breite der eingebrachten Themen sieht auch der persönlich von Papst Franziskus als Gast der Synode eingeladene Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, Frère Alois. Der gebürtige Deutsche und Nachfolger von Frère Roger spricht die große Diversität an, die in den Berichten zum Ausdruck kommt, insbesondere im Blick auf die Jugendlichen aus den ärmeren Staaten und Regionen der Welt, wie es auch viele Bischöfe wiederholt zum Ausdruck gebracht hätten: Armut, Zukunftslosigkeit und Migration seien Probleme, die weit entfernt sein von den Erfahrungen Jugendlicher in der westlichen Welt. Und dann sagt er einen Gedanken, der möglicherweise eine größere Tragweite in der weiteren Diskussion des III. Teils des Arbeitspapieres bzw. für die Erarbeitung des synodalen Abschlussdokumentes einnehmen könnte.

"Mais je vois qu'il ya de valeurs universelles, qui sont cherché vecu par tous. Et peut-etre cette exprime surtout par le mot, qui revient souvent dans le synod: de l'amitié. Mais je crois nous pouvons approfondir cette concept de l'amitié, vraiment comme concept théologique aussi. L'Èglise est le lieu d'amitié." (eigene Übertragung)
"Aber es gibt auch universelle Werte, die von allen gelebt werden. Und vielleicht drückt dies am meisten das Wort aus, das schon mehrfach während der Synode gebraucht worden ist: die Freundschaft. Ich glaube, wir können dieses Konzept der Freundschaft vertieft ergründen, selbstverständlich auch als ein theologisches Konzept: Die Kirche als ein Ort der Freundschaft." (eigene Übersetzung)

In Taizé bedeute, diese besondere Weise Begleitung zu leben (vgl. das Zitat Frère Rogers im Blog-Beitrag vom 5.10.2018), der Dienst des Zuhörens; “disponibel” zu sein für jede/n zu sein und in Liebe und Leidenschaft zu begleiten, wie es in der oft bereits zitierten Emmaus-Erzählung ausgedrückt sei. Und:

"Le Christ n'est pas au bout du chemin mais il est meme au debut de ce chemin, il est la! Prenez les jeunes où ils sont, pour comprendre que le Christ les accompagne." 
"Christus ist nicht erst am Ende des Weges, sondern bereits zu Beginn zugegen. Lasst uns die Jugend nehmen, wo sie ist, um zu verstehen, wie Christus sie begleitet."
Und wenig später sagt Frère Alois - auf Bitten einer Journalistin - auf Englisch:


"We believe, that God is present already; it's not how to bring God to the other Person. God is present; the Holy Spirit has his base. And I have to discover how God is present even in a Person who says, I didn't know if I believe."  
"Wir glauben, dass Gott bereits schon da ist. Es geht nicht darum, Gott erst zu einer anderen Person zu bringen. Gott ist präsent, der Heilige Geist hat in ihm seinen Ort. Und ich habe zu entdecken, wie Gott in einer anderen Person anwesend ist, auch wenn sie sagt, dass sie gar nicht wüsste, ob sie überhaupt glaubt."
Meine persönliche Freude, in der tieferen Entfaltung der 'Begleitung' den Gedanken der 'Freundschaft' (Thema meiner Dissertation und einiger Beiträge vor und während den Familiensynoden zur Ehe als ‘besonderer Form der Freundschaft’) heute im Rahmen der synodalen Beratung in neuer Weise zu hören, kann ich zum Ende dieses Synodentages kaum unterdrücken. Und der mehr beiläufig von Paolo Ruffini zitierte Gedanke der Kirche als möglicher “Exzellenzort der Freundschaft” der Zukunft lässt erwarten, dass diese Kategorie heute nicht das letzte Mal angesprochen wurde.

Dienstag, 16. Oktober 2018

„Manual of life“ – oder: Über die Berufung jedes Menschen, die Unterscheidung in einer pluralen Welt und die neue Relatio der Deutschen Sprachgruppe



In der Relatio der deutschen Sprachgruppe – parallel zu den Rückmeldungen der anderen 13 'Circoli minori' – zum II. Teil des Instrumentum laboris heißt es:




"Wir bekräftigen zunächst ein grundsätzliches Ja zur vorfindlichen, säkularer werdenden Welt - und zu allem, was diese Welt auch an Gutem und Herausforderndem für uns bereithält. Freilich schauen wir auf diese Welt auch mit einer differenzierenden Unterscheidung. Denn in ihr nehmen wir Phänomene wahr, die die Welt zwar im guten Sinn pluraler werden lassen, aber auch solche, die viele junge Menschen auch unsicherer machen oder Entfremdungserfahrungen verstärken - zum Beispiel im Blick auf die Findung der eigenen Identität. Daher sind wir der Meinung, dass es auch einen „unterscheidenden“, vertiefenden Blick benötigt auf die Phänomene, die die Jugendlichen am häufigsten nennen: etwa die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Sexualität und Partnerschaft, die Rolle der Frau, die Digitalisierung, der Wunsch nach authentischen Begleitern. Und wir fragen, was wir als Kirche heute lernen, wenn diese Fragen so drängend auf uns kommen?"

Kardinal Peter Turkson mit Erzbischof Jaime Spengler, O.F.M,
Erzbischof von Porto Alegre (Brasilien)
Kardinal Peter Turkson, Präfekt des Anfang 2017 neuerrichteten Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und einer von fünf gewählten bischöflichen Mitgliedern des synodalen Abschlussdokumentes, bringt die Gedanken des Circulus Germanicus mit der Formulierung auf den Punkt, dass die Synode ein „Manual für das Leben“ erstellen müsse, das jede/r Jugendliche/r heute brauche. Und er untermauert dieses Bedürfnis mit einem zu Beginn der Pressekonferenz von Paolo Ruffini angedeuteten Zitat von Kardinal John Henry Newman über die Berufung jedes einzelnen Menschen, das den Ergebnisbericht seiner eigenen Arbeitsgruppe, des ‚Circulus Angelicus A‘, einleitet:

"God has created me to do Him some definite service; He has committed some work to me which He has not committed to another. I have my mission... I have a part in this great work; I am a link in a chain, a bond of connection between persons. (Cardinal Henry Newman, Meditations on Christian Doctrine)” 

"Gott hat mich erschaffen, um ihm einen bestimmten Dienst zu tun. Er hat  mich auf einige Arbeit verpflichtet, die er für einen anderen nicht vorgesehen hat. Ich habe meine Mission... Ich habe an dieser großartigen Arbeit Anteil. Ich bin ein Glied in einer Kette, eine Verbindung zwischen Personen.“ (eigene Übersetzung)


Und noch wichtiger als ein wohlformuliertes, wohlfeiles Schlussdokument am Ende der synodalen Beratung zu haben, sei aber – so Kardinal Louis Raphaël I Sako, Patriarch der Chaldäisch-katholischen Kirche – der Dialog mit der Jugend und eine veränderte Praxis:

“Il dialogo con loro, come cambieremo la pastorale, conta ancora di più del documento finale.” 

„Der Dialog mit der Jugend, wie wir die Pastoral verändern, zählt noch mehr als das Abschlussdokument.“ (eigene Übersetzung)


Dass immer wieder in den Pressekonferenzen das genaue Procedere der Genese und der endgültigen Abstimmung des Schlussdokumentes von Paolo Ruffini wiederholt werden muss, zeigt bei aller unter Beweis gestellten Transparenz der synodalen Erarbeitung – mit der Wahl der mitarbeitenden Bischöfe in der Abschlussredaktion und der Veröffentlichung der Eingaben -, welche Zweifel von außen geschürt werden, ob ein Ergebnis der Synode schon feststehe, ein Abschlussdokument schon geschrieben sei etc. Dieselben Zweifel wurden bereits bei den Familiensynoden (vgl. den Blog-Beitrag vom 7.10.2015)  immer wieder genährt und haben mit dem Synodenverlauf und dem synodalen Prozess, wie ich ihn seit dem Jahr 2013 sehr intensiv verfolge, nicht viel zu tun – außer, dass man ihn eben nicht will.


Und dennoch zählt natürlich auch das verschriftlichte „Manual des Lebens“ , das als Manual – wie Kardinal Turkson ebenso wie schon gegen Ende der vorausgegangenen Familiensynode am 23.10.2015 sehr eindrücklich illustriert – jedem Menschen heute schon bei jedem noch so kleinen, technischen Gerät mitgegeben werde und umso mehr auch in einer heute verständlichen Sprache und Form unserer Jugend angeboten werden müsse:


Die Eingabe der deutschen Sprachgruppe – jetzt in vollständigem Zitat – kann bereits in dieser Weise gelesen werden:



Die Relatio der Deutschen Sprachgruppe (Relatio – Circulus Germanicus) in der vollständigen Länge (Moderator: Bischof Felix Genn, Münster; Relator: Bischof Stefan Oster, Passau)


1. Das Ja zu dieser Welt – aber mit Unterscheidung


Wir bekräftigen zunächst ein grundsätzliches Ja zur vorfindlichen, säkularer werdenden Welt - und zu allem, was diese Welt auch an Gutem und Herausforderndem für uns bereithält. Freilich schauen wir auf diese Welt auch mit einer differenzierenden Unterscheidung. Denn in ihr nehmen wir Phänomene wahr, die die Welt zwar im guten Sinn pluraler werden lassen, aber auch solche, die viele junge Menschen auch unsicherer machen oder Entfremdungserfahrungen verstärken - zum Beispiel im Blick auf die Findung der eigenen Identität. Daher sind wir der Meinung, dass es auch einen „unterscheidenden“, vertiefenden Blick benötigt auf die Phänomene, die die Jugendlichen am häufigsten nennen: etwa die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Sexualität und Partnerschaft, die Rolle der Frau, die Digitalisierung, der Wunsch nach authentischen Begleitern. Und wir fragen, was wir als Kirche heute lernen, wenn diese Fragen so drängend auf uns kommen?


2. Wir haben einen einzigartigen Glauben


Wir meinen, dass wir dann in einem zweiten Schritt das Unerhörte, aber Zentrale des christlichen Glaubens erneut bekräftigen sollten: Dass wir einem Gott begegnen dürfen, der in Jesus ein Gesicht und einen Namen hat; einen Gott, der sich uns und unserem Leben konkret zuwendet, der uns kennt und liebt und uns in die Freiheit führen will. Wir wollen dann deutlich machen, dass unser Glaube vor allem darin besteht, eine freie Antwort auf diese Zuwendung Gottes zu geben – und dass uns diese Antwort wiederum in die größere Freiheit und in die Fülle des Lebens führt. In der Art und Weise, wie wir diese Antwort auf Gottes immer bestehenden Anruf an uns geben, entfaltet sich die Berufung jedes Menschen auf je einzigartige Weise, freilich auch durch Höhen und Tiefen, durch Krisen und Gelingen hindurch.


3. Wir sind zuerst Hörende und nicht schon die Wissenden


Wir wollen weiterhin festhalten, dass es für jede Berufungserkenntnis und für jede Berufungsbegleitung darum geht, die Sehnsüchte, Pläne, Hoffnungen und Leidenschaften junger Menschen, aber auch ihre Unruhe, Ängste und Unsicherheiten immer wieder neu zu hören und verstehen zu lernen. Wir wollen als die Älteren der Versuchung widerstehen, dass wir schon alles wüssten darüber, wie das Leben der jungen Menschen sich entfalten soll und wie ihr gelingendes Leben auszusehen habe. Vielmehr wollen wir mit ihnen zusammen je neu Wahrnehmende, Hinschauende werden. Wir wollen miteinander sehen lernen, wo und wie sich im je einzelnen jungen Leben Spuren der Gegenwart Gottes zeigen können.


4. Wir lernen mit den Jugendlichen die Weise sie zu begleiten


Wir wollen ihren Herzschlag lernen und darin Mithörende sein für den leisen Impuls Gottes für ihr Leben; wir wollen unsere Deutungskompetenz je neu mit ihnen zusammen und auch von ihnen lernen, weil jeder als unersetzbar Einzelner, nicht Wiederholbarer von Gott gerufen wird. Wir wollen aber auch Begleiter sein, die schon aus eigener, längerer Lebenserfahrung unterscheiden helfen lernen, die auch in der Rückschau schon ein wenig mehr gelernt haben, wie sich die Kontexte, Erfahrungen, Entscheidungen und vermeintliche Zufälle in einem Leben ineinander fügen zur Gestalt eines einzigartigen Lebensweges. Wir wollen im Hören auf Gottes Geist, auf die jungen Menschen und im Hören auf unseren eigenen Herzschlag Hermeneuten (=Deutern) und Mäjeuten (= Geburtshelfer) des göttlichen Lebens für sie und mit ihnen sein. Wir wollen mit ihnen und von ihnen unterscheiden lernen, wo die guten Kräfte am Werk sind und wo die, die Angst machen oder die, die einschließen und destruktiv sind.


5. Gottes Geist ist verheißend und macht keine Angst


Wir glauben, dass Gott immer in die größere Freiheit, in die größere Freude und Liebe führen will – und dass sein Geist wohl manchmal beunruhigen kann, aber nie einfach Angst macht oder in die Ausweglosigkeit führt, sondern immer neu verheißend ist und den nächsten Schritt zeigt in ein größeres Leben. Wir glauben, dass Gott aus unvordenklicher Liebe für jeden von uns groß denkt. Wir glauben, dass er wie ein liebevoller Künstler an der Gestalt jedes Herzens so arbeitet, dass er selbst darin immer mehr Wohnung nehmen kann, auf dass jeder Mensch zu einem unverwechselbaren, unvertauschbaren und unersetzbaren Original seiner schenkenden Liebe heranreifen kann. Damit der Berufene dann seinerseits immer besser daran mitwirken kann, sein Zeuge zu sein und so immer neu am Aufbau einer besseren Welt und einer authentischeren Kirche mitwirken kann.


6. Die Berufung und ihre innere Unterscheidung


a. Unser Gespräch über die Frage nach der Berufung ergibt Folgendes – und wir würden auch vorschlagen, das gesamte Kapitel in dieser Hinsicht zu ordnen. Jeder Mensch ist als einzigartiges, unvertauschbares und nicht wiederholbares Geschöpf Gottes ins Leben gerufen. Das Gespür für diese Einzigartigkeit führt auch viele Nichtgläubige zur Erfahrung, dass sie auch auf einen Lebensweg gerufen sind, den nur sie selbst unvertretbar gehen können. Auch Menschen ohne Gottesglauben sprechen dann nicht selten von ihrem Leben und ihrem Beruf als Berufungsweg im Sinne einer Antwort, die sie auf die Herausforderungen ihres Lebens geben und die sie nicht selten in großer Hingabe an Menschen oder an eine bestimmte Aufgabe vollziehen.


b. Einig ist sich die Gruppe darin, dass die Sakramente der Initiation als Zugehörigkeit zu Christus tiefer und ausdrücklicher in die Berufung zum Christsein und zum Volk Gottes führt. Gott hat in Christus ein menschliches Antlitz bekommen und durch Tod und Auferstehung eine neue Dimension von Leben, von Sinn und vom Reich Gottes eröffnet. Viele Christen erfahren sich daher in die Nachfolge Christi oder in dieses neue Leben berufen. Sie lassen sich von Ihm im Glauben inspirieren, sie versuchen ihr Leben an seinem auszurichten – und sie tun dies in den verschiedenen Lebensformen: als Eheleute, als Single und in unterschiedlichen Berufen und Lebensweisen in Welt und Gesellschaft und bei einigen auch in einem spezifischen Dienst in der Kirche.


c. In einem engeren Sinn erfahren einige Menschen den Anruf Christi als Hineingezogensein in seine Lebensform, die sich in der Ehelosigkeit und den anderen evangelischen Räten ausdrückt. Sie spüren, dass sie von Christus persönlich bewegt und im biblischen Sinne erwählt werden, alles auf eine Karte zu setzen und sich Ihm als Person ganz zur Verfügung zu stellen zum Dienst am Volk Gottes. Aus dieser Verfügbarkeit und Entschiedenheit erwächst dann die konkrete Gestalt eines geweihten Lebens oder des priesterlichen Dienstes im Geist der evangelischen Räte.


7. Berufung ist ein analoger Begriff


In diesem Sinne verstehen wir Berufung als „analogen Begriff“. Wichtig ist uns auch die Einsicht, dass „Berufung“ nicht ein einmaliges und dann abgeschlossenes Ereignis ist, sondern sich durch einen ganzen Lebensweg hindurch entfaltet, nicht wie ein genau fixierter Plan Gottes, sondern wie ein Weg in die je größere Freiheit und Hingabe – freilich auch durch Höhen und Tiefen hindurch. Wir glauben auch, dass der Sinn für die Berufung in einem Menschen wachsen und sich vertiefen kann durch das je konkrete Sich-einlassen auf die Wirklichkeit, durch die Übernahme von Verantwortung, durch die Begegnung mit den Mitmenschen, durch die konkrete Begegnung mit Christus, im Gebet, in seinem Wort, in den Sakramenten und in der Gemeinschaftserfahrung der Kirche.


8. Das Fehlen der Erfahrung: Ich bin bedingungslos geliebt


Freilich spüren wir, dass die konkrete Erfahrung der Menschen, wirklich unbedingt und zuerst geliebt zu sein von Christus oft nicht sehr verbreitet oder nicht besonders tief in den Herzen der Menschen angekommen ist. Allzu häufig glauben wir, dass wir zuerst Leistung in welcher Form auch immer bringen müssten, damit Gott uns sieht und annimmt. Eine der wichtigsten und grundlegendsten Aufgaben von allen Gliedern der Kirche ist es daher, jungen Menschen zu zeigen, dass sie einfach deshalb geliebt sind, weil es sie gibt, weil sie da sind und weil sie sie selbst sind – und nicht, weil sie schon brav oder angepasst oder leistungsfähig sind oder sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen oder einem Gruppendruck folgen. Das tiefe Bewusstsein für eine christliche Berufung kann im Grunde nicht erwachen, wenn solche Erfahrungen des unbedingten Geliebt-seins fehlen.


9. Begleitung analog und die Gefahr des geistlichen Missbrauchs


Wir verstehen ebenso „Begleitung“ als analogen Begriff: Weit verstanden meint er die Verantwortung aller Menschen füreinander, besonders als Gemeinschaft der Kirche. Junge Menschen werden durch viele Menschen begleitet, insbesondere auch in der Familie, durch ihre eigenen Freunde oder durch ältere Jugendliche; weiterhin durch alle erfahreneren Menschen, die ihnen wohlgesonnen sind, etwa in Schule, Ausbildung, in Sportvereinen oder anderen Gemeinschaftsformen. Im engeren Sinn ist Begleitung dann die spezifische Lebensbegleitung mit dem Ziel, Gottes Wirken im Leben eines jungen Menschen zu erkennen oder sie bei anstehenden Entscheidungen zu unterstützen. Wir legen Wert darauf, dass psychologische oder psychotherapeutische Hilfen dabei sehr hilfreich sein können, dass sie aber unterschieden sind von geistlicher Begleitung und dass sie zudem fachliche Professionalität brauchen. Freilich ist auch ein gesunder Menschenverstand unerlässlich. Besonders wichtig ist es für uns, auch auf die Gefahr des Missbrauchs in der Begleitung hinzuweisen: dem Missbrauch der Macht, dem Missbrauch des Vertrauens, dem Missbrauch, der in der Schaffung eines unfreien Abhängigkeitsverhältnisses besteht oder in sexueller Gewalt. Unsere deutliche Empfehlung ist daher, dass der Begleiter sich selbst einer Begleitung unterzieht und eine Form der Supervision wählt.

Montag, 15. Oktober 2018



"Help us to be less fake!" Or: 'The Big Three' – SJ, OFM, OP – and the Protest of the Women of OSB
Als „The Big Three“ wurden die drei Repräsentanten des Jesuiten-, des Franziskaner- und des Dominikanerordens, P. Arturo Sosa Abascal, S.J., P. Marco Tasca, O.F.M. und P. Bruno Cadoré, O.P., süffisant vom Pressesprecher Greg Burke eingeführt und von Seiten des Presseauditoriums der Reihe nach befragt, wie sie zur Möglichkeit des Frauenstimmrechtes bei den Bischofssynoden stehen, das heute über ein im Netz tausendfach geteiltes Protestbild der Benediktinerinnen aus dem Schweizerischen Fahr eindrücklich eingefordert wird.
Mit der im September 2018 in Kraft gesetzten Apostolischen Konstitution „Episcopalis communio“ (s. Blog-Beitrag vom 3.10.2018) hat Papst Franziskus die Geschäftsordnung der Bischofssynode daraufhin geändert, dass prinzipiell auch Nicht-Bischöfe das Recht haben, während einer Synode abzustimmen. Während der letzten Bischofssynode im Jahr 2015 hatte der argentinische Papst erstmals das Votum eines nicht zum Priester geweihten Ordensmannes - es handelte sich um  Br. Hervé Janson, Generalprior der Kleinen Brüder Jesu (s. in diesem Blog den Beitrag vom 24.10.2015), für die Abstimmungen zugelassen. Dieses Mal sind zwei nicht geweihte Ordensleute mit Stimmrecht mit dabei, so dass die Frage, warum auch dieses Mal keine einzige Ordensfrau als stimmberechtigtes Mitglied zugelassen worden sei, einmal mehr verfängt – und die bereits in der vergangenen Woche immer wieder geäußerten Statements in den Pressekonferenzen, dass es sich doch schließlich um eine Bischofssynode handele und Jesus nun einmal keine Frauen zu Priestern bestellt habe, es Aufgabe der Ortskirchen sei hier voranzugehen etc. nicht wirklich zu überzeugen vermögen.

Umso mehr punkten die Ordensoberen bei anderen Fragen der Pressekonferenz, durch die deutlich wird, wie sehr die Orden, die Zukunftsthemen der Jugendlichen im Blick haben, ihre Diversität wertschätzen und ernst nehmen. Beispielhaft ihr Einsatz für die Armen und Benachteiligten und ihr diakonisches Zeugnis, auf das auch das heute veröffentlichte Papstvideo abhebt.
Im Blick auf die großen Linien dieser Jugendsynode wird der Generalobere des Jesuitenordens Arturo Sosa Abascal persönlich, indem er bekennt, dass es nach 50 Jahren und mehreren Schritten vorwärts und wieder zurück, endlich an der Zeit sei, das Volk Gottes, wie es das II. Vatikanische Konzil bereits formuliert habe, in die Mitte aller theologischen Reflexionen zu stellen. Die Jugendsynode beschreite diesen Weg. Und der Generalminister der Franziskaner-Minoriten erzählt eine weitere eindrucksvolle Geschichte aus seiner Biographie und der Begegnung mit Jugendlichen:
"Als er einmal eine Familie besucht habe und in einem Zusammenhang die Rede auf das notwendige Zusammengehen von Leben und Lehre gekommen sei, habe eine Jugendliche ihn angeblafft: „Bishop, you’re fake!“ Ohne eingeschnappt zu sein, habe er ihr darauf gesagt: "Help us to be less fake!" Wir Älteren seien wohl einerseits berufen junge Menschen zu begleiten, zuweilen zu korrigieren,  müssten aber ebenso offen sein für das, was sie uns zu sagen haben."
Genau diese Rolle übernimmt im Rahmen der Pressekonferenz die junge chilenische Auditorin Silvia Teresa Retamales Morales.

Diskriminierung wegen sexueller Orientierung sei ein Problem – und nicht nur in Lateinamerika – und da müsse die katholische Kirche den Betroffenen beistehen, sagte Retamales Morales. Die junge Frau wies darauf hin, dass die Jugendsynode ein „geeigneter Ort“ sei, um den Kirchenvertreter „offen und ehrlich“ all das zu sagen, was die Jugend in der Welt auf dem Herzen habe. Sie sei eine Laiin, nicht in einer kirchlichen Institution tätig und vertrete ein Land, in dem die Jugend auch negative Erfahrung mit der Kirche gemacht habe. Viele nichtkatholische Jugendliche aus Chile seien auf sie zugegangen, als sie erfuhren, dass sie zur Jugendsynode reisen werde. Viele hätten ihr mitgeteilt, dass die Kirche „offener sein sollte“. Sexuelle Orientierung und die Rolle der Frau in der Kirche und in der Gesellschaft seien zwei wichtige Elemente, die die Jugendsynode aufgreifen sollte, so der Wunsch der jungen Chilenin." (VaticanNews vom 15.10.2018)

Einmal mehr am Ende das Thema des Tages, an dem die "Circoli Minori", die Arbeitskreise in den Sprachgruppen an ihren Ergebnisberichten zum II. Teil des Vorbereitungspapieres (Instrumentum laboris) gearbeitet haben, um diese morgen vorzustellen: Aus dem Mund einer Frau aus den Reihen der jungen Erwachsenen, die die von ihr genannten Themen über alle Stationen der Vorbereitung der Jugendsynode – von den Umfrage bis zur Vorsynode – immer wieder herausgestellt hatten. Einmal mehr wurde heute in der Pressekonferenz das Statement von Kardinal Marx zur "Einbindung von Frauen in die administrativen Strukturen der Kirche“ erinnert. Die Zeit dafür - das machen die Pressekonferenzen beinahe täglich deutlich - ist mehr als reif!

Sonntag, 14. Oktober 2018

„Sie kommen zu spät, der Erzbischof ist schon heilig“-  oder: was die Heiligsprechungen mit der Jugendsynode zu tun haben


Dieses Zitat  - schon über 20 Jahre alt - trifft jetzt natürlich doppelt zu: Heute Morgen wurde der im Jahr 1980 während einer Messe erschossene Erzbischof von El Salvador, Oscar Romero zusammen mit Papst Paul VI., der Dernbacher Ordensschwester Maria Katharina Kasper und vier weiteren Seligen heiliggesprochen.


Ich fand das besagte Zitat wenige Tage zuvor in einer Facebook-Nachricht der Schweizer Dogmatikerin Eva-Maria Faber. Es stammt von dem Befreiungstheologien Jon Sobrino aus El Salvador:

„Für die meisten Leute ist Romero ein Heiliger, sei er nun kanonisiert oder nicht. Letzthin meinte jemand: ‚Sie kommen zu spät, der Erzbischof ist schon heilig!‘ In dieser unserer Welt aber ist auch das Institutionelle wichtig und es wäre gut, wenn er offiziell heiliggesprochen würde.“ (Jon Sobrino, 1996).

Ja, die formelle Heiligsprechung hat eine Bedeutung, die aber auch für Sobrino über das rein Institutionelle hinausgeht:

„Mir persönlich ist nicht wichtig, ob Erzbischof Romero kanonisiert wird oder nicht, aber seine Heiligsprechung könnte vielen Opfern ihre Würde zurückgeben und wäre Balsam auf die Wunden vieler Mütter, Ehefrauen und Töchter. Durch ihn würden sich Abertausende vertreten sehen.“ (Jon Sobrino, 2003).

In den Heiliggesprochenen drückt sich etwas aus, was das Christsein als solches ausmacht. Und gerade darauf fokussiert Papst Franziskus auch in seiner Predigt, in der er die Gefahr für die Kirche anspricht, wenn sie Jesus nicht mehr als "Verliebte" folgt, sich nur noch um einige Gebote kümmert und nicht mehr fähig ist, "aus Liebe zum Herrn loszulassen: den Reichtum, die Sehnsucht nach Status und Macht, nach Strukturen, die der Verkündigung des Evangeliums nicht mehr angemessen sind, einem Ballast, der unsere missionarische Sendung bremst, nach Bindungen an die Welt." 

"Ohne einen Fortschritt in der Liebe erkrankt unser Leben und unsere Kirche an »egozentrischer Selbstgefälligkeit« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 95): man sucht die Freude in kurzfristigen Vergnügungen, man verschließt sich in sterilem Geschwätz, man bettet sich in der Monotonie eines christlichen Lebens ohne Schwung, wo ein wenig Narzissmus die Tristesse des Unvollendet-Bleibens überdeckt."
Und Papst Franziskus geht in das Hier und Jetzt – mitten in den synodalen Beratungen über Zukunftsfragen der Kirche:

"Heute lädt uns Jesus ein, zu den Quellen der Freude zurückzukehren: zur Begegnung mit ihm, zu einer mutigen und risikofreudigen Entscheidung, um ihm nachzufolgen, zum Gefallen daran, etwas aufzugeben, um seinen Weg einzuschlagen.“
Die Heiligen seien diesen Weg gegangen.

"Paul VI. tat dies nach dem Beispiel des Apostels, dessen Namen er annahm. Wie dieser lebte er ganz für das Evangelium Christi, indem er Grenzen überwand und Neuland betrat sowie durch Verkündigung und Dialog sein Zeuge wurde, Prophet einer hinausgehenden Kirche, die Weitblick hat und sich um die Armen kümmert. Paul VI. hat, manchmal unter Mühen und von Unverständnis umgeben, ein leidenschaftliches Zeugnis von der Schönheit und Freude einer totalen Nachfolge Jesu abgelegt. Noch heute mahnt er uns, zusammen mit dem Konzil, dessen weiser Steuermann er war, unsere gemeinsame Berufung zu leben: die universale Berufung zur Heiligkeit. Nicht zum Mittelmaß, sondern zur Heiligkeit.  

Es ist schön, dass mit ihm unter den neuen Heiligen auch Erzbischof Romero ist, der auf weltliche Absicherungen, ja auf seine eigene Sicherheit verzichtete, um evangeliumsgemäß sein Leben hinzugeben. Er war den Armen und seinem Volk nahe. Sein Herz war hingezogen zu Jesus und seinen Brüdern und Schwestern.  

Dasselbe gilt für Francesco Spinelli, Vincenzo Romano, Maria Katharina Kasper, Nazaria Ignacia de Santa Teresa und Nunzio Sulprizio (...). Alle diese Heiligen haben in unterschiedlichen Situationen mit ihrem Leben das heutige Schriftwort deutlich gemacht, ohne Lauheit, ohne Berechnung, mit der Leidenschaft, etwas zu riskieren und loszulassen. Möge der Herr uns helfen, ihr Beispiel nachzuahmen.

 

Samstag, 13. Oktober 2018

Make noise! How young people react in the synod hall and about the humble mission of Pope Francis

Heute Morgen hatte ich wieder Gelegenheit, Thomas Andonie auf dem Weg zur Kleingruppenarbeit zu sprechen, die seit gestern wieder die Arbeitsform des intensiveren Austausches in den Sprachgruppen ermöglicht. Und er berichtet mir von dem lebhaften Mitgehen der Jugendlichen in der Synodenaula, die jeden Beitrag eines Synodenvaters, der eines ihrer Jugendthemen aufgreift und in ihrem Sinne trifft, mit entsprechendem Applaus und zustimmenden Rufen konnotieren. Bischof Barron berichtete gestern ebenfalls von diesem „Whooping“, und wie sehr es ihm gefällt. Und das tut es wohl ebenfalls Papst Franziskus, der die jungen Erwachsenen in den hinteren Rängen extra besuchte und auch darin bestärkte weiter ‚Lärm zu machen‘.
Pope Francis just walked up the stairs to our section in the Synod hall to meet the young people! He told us to keep making noise! We have introduced for the first time whooping/hollering into the synodal process for especially good Bishop interventions.(@jlewDistrict)

Diese Aufforderung gab Papst Franziskus auch der heute zur Pressekonferenz geladenen mexikanischen Auditorin Corina Fiore Mortola Rodríguez mit auf ihren Weg, die berichtet, wie Papst Franziskus einmal während einer Pause plötzlich hinter ihr und einem indischen Freund stand und sie nach einem kurzen Gespräch ebenfalls aufforderte das Synodengeschehen in ihrer Weise mit Aufmerksamkeit zu begleiten, zu applaudieren und sich einzubringen. Voller Temperament berichtet sie, dass sie froh sei hier zu erfahren und zu teilen, dass Kirche „nicht der Purpur der Synodenväter“, sondern in der hier erfahrbaren „Energie“ der Jugendlichen, die „wie ein Hurrikan, in einem guten Sinn“ wirke, anwesend sei.

Auch für Kardinal Wilfrid Fox Napier, Erzbischof von Durban (Südafrika), der bereits zum achten Mal an einer Bischofssynode teilnehme, ist diese Synode „einzig“:  In der Vorbereitung über alle Phasen und Zwischenstationen mit der Anwesenheit von Papst Franziskus, über die Beteiligung der jungen Erwachsenen (insbesondere in den Kleingruppen) und die immer auch durch das aufmerksame dreiminütige Schweigen, Innehalten und Reflektieren nach jeweils 5 hintereinander vorgetragenen und z.T. aufrüttelnden Statements der Synodenteilnehmenden. Im wahrsten Sinn „genervt“ ist er – und nicht erst seit der Familiensynode (s. Blog-Beitrag vom 14.10.2014) als ein im guten Sinn als konservativ bekannter Bischof des afrikanischen Kontinents – von der Attitude bestimmter Kräfte in der Kirche, jedes Handeln des Papstes immer auch mit einem kritischen Kommentar zu versehen.

"Yes, I find it quite enervating that every time something is reported about Pope Francis, a negative is added onto it."

Und Kardinal Napier redet weiter unumwunden Tacheles wider eine – von einem fragenden Journalisten als „bodenlos“ bezeichnete – kolportierte Papstkritik konservativer Medien, wie wir sie im deutschsprachigen Raum etwa über das Magazin www.kath.net beinahe täglich lesen müssen: Papst Franziskus sei im Konklave 2013 gewählt worden, weil die anwesenden Kardinäle sich bewusst waren, dass sie jemand wählen wollten, der die Kirche erneuern und wiederaufzubauen versteht. „Accountibility“, echte Verantwortlichkeit, selbst in Finanzfragen mit veröffentlichten Budgets (die dafür früher wie er aus aller Welt in den jeweiligen Fachgremien zusammengerufenen Bischöfe fanden sich  zuvor in vergleichsweise freundlichen Gesprächsrunden eingeladen) sei erst mit dem Beginn des Pontifikats von Franziskus nach und nach in die Dikasterien des Vatikans eingezogen. Aber über das Beispiel der Finanzen hinaus ist Kardinal Napier vor allem von der demütigen Haltung des Papstes fasziniert und erinnert dafür seine ersten Eindrücke nach der Wahl des neuen Pontifex.

"Nach der Wahl eines Papstes sei es üblich, dass der Neugewählte in seiner neuen weißen Gewandung die Glückwünsche der Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle entgegennimmt. Franziskus sei aber – nach einem kurzen Gebet – zunächst direkt zu denjenigen Kardinälen gegangen, die, gehbehindert, nicht mehr den Weg von sich aus hätten gehen können: für Kardinal Napier ein sprechendes Beispiel für viele andere, wie bei Franziskus Rede und Handeln eins seien."

Die Botschaft darin:

„The ministry oft the Church, of all of us, ist to reintroduce Jesus through our life. (...) That’s my dream“.

Ich schließe heute mit einem Eindruck an ein sehr persönlich vorgetragenes, aufrüttelndes Statements vorgestern Vormittag in der Synodenaula, auf das Thomas Andonie heute Morgen ebenfalls zu sprechen kommt, als er von den Beiträgen der jungen Zuhörer erzählt. Es steht im letzten auch für die „Konsistenz von Lehre und Leben“, von der Kardinal Napier, aber genau in dieser Formulierung auch der ebenfalls zur Pressekonferenz geladene Kardinal Juan José Omella Omella, Erzbischof von Barcelona, berichtet hatte.

"Safa hatte die Synodenaula in seinem frei vorgetragenen Synodenstatement bewegt, als er von den Erfahrungen berichtet, wie die einst stattliche, mehrere Millionen umfassenden Gläubigenzahl über das Kriegsgeschehen im Irak auf wenige Hundertausende dezimiert wurde und viele Jugendliche, die sich nach den Gottesdiensten immer auch für das nächste Mal hin verabschiedeten, nicht mehr wiederkamen, weil sie Scharfschützen zum Opfer gefallen waren."

Für Thomas Andonie ist diese Erfahrung auch ein Beispiel dafür, dass jenseits der Themen, die die Jugend hier in Deutschland und der westlichen Welt bewegen (wie die Sexualmoral, die auch die Perspektiven der Jugend einbezieht – auch für Safa ein Thema –, die Rolle der Frau etc.) auch die weltweite Solidarität mit den Armen und der Einsatz für den Frieden in der Welt als Thema dieser Synode obenauf liege und alle Synodenteilnehmenden untereinander verbinde.


Papst Franziskus verabschiedete heute Safa persönlich im Gästehaus St. Martha, dessen Mutter, an Krebs erkrankt, seine Anwesenheit noch mehr erfordert.
Safas Glaubenszeugnis, das mir in den letzten beiden Tagen an den verschiedensten Stellen immer wieder begegnete, verbindet wohl im Tiefsten alle am morgigen Sonntag, den 14. Oktober Heiliggesprochenen – wie insbesondere mit Oscar Romero.

Freitag, 12. Oktober 2018


Auf Augenhöhe! - oder: der Umbau der Strukturen und die „Sehnsucht nach dem Meer“ (A. de Saint-Exupéry)

Noch heute in der Pressekonferenz hallte das „very, very, strong statement“ gestern von Kardinal Marx in den Worten Everardus Johannes de Jongs, Weihbischof in Roermond (Niederlande), nach. Die Frage nach der stärkeren Einbeziehung von Frauen in den administrativen Strukturen der Kirche wurde abermals deutlich, als erneut auf das fehlende Stimmrecht von Frauen in der gerade erst novellierten Synodenordnung aus dem Presse-Auditorium hingewiesen wurde. Für Julia Braband, eine 25-jährige evangelische Theologie Studentin, die den lutherischen Weltbund als Gast bei der Synode vertritt, ist diese Möglichkeit bei Versammlungen des Lutherischen Weltbundes schon selbstverständlich.

Braband ist an ihrem vorletzten Synodentag vor ihrer Studien bedingten Abreise davon überzeugt, "dass der erste wichtige Schritt darin besteht, den Jugendlichen zuzuhören und ihre Vielfalt zur Kenntnis zu nehmen". Aber: "noch wichtiger ist es, die Anliegen der jungen Kirchenmitglieder ernst zu nehmen und Ihnen eine vollwertige Stimme in der Gemeinde zu geben, die sich auf Augenhöhe trifft. Nur so kann die Kirche eine Kirche für alle Generationen sein ", sagt sie in ihrer Ansprache:

"Today 20 percent of all members in the LWF decision-making bodies are youth and young adults under 30. This quota is now strongly defended – not only by us young people but also by many other members." 

"Heute sind 20 Prozent aller Mitglieder in den LWB-Entscheidungsgremien Jugendliche und junge Erwachsene unter 30. Diese Quote wird jetzt stark verteidigt – nicht nur von uns jungen Menschen, sondern auch von vielen anderen Delegierten." (eigene Übersetzung)

Die junge südkoreanische Ordensfrau Mina Kwon von der Katholischen Universität Daegu fordert im Pressesaal in ihrem in englischer Sprache verlesenen Statement, dass Ordensfrauen wie Laien in der Kirche noch stärker strukturell eingebunden sein müssten und auch mehr als bisher an der Begleitung junger Menschen zu beteiligen seien. Und auf Nachfrage weist sie – in italienischer Sprache mit einem Lächeln kurzgefasst – darauf hin, dass sich die Situation von Frauen in der Kirche langsam verbessere:

"La situazione sta megliorando!“

Die Frage, wie man junge Menschen heute erreichen könne, kennzeichnet auch die weiteren Statements an diesem Synodentag zum II. Teil des Instrumentum laboris, der unter der Überschrift ‚Interpretieren: Glaube und Berufungserkenntnis‘ steht. Paolo Ruffini erwähnt ein Saint-Exupéry-Zitat aus der Synodenaula:

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (Antoine de Saint-Exupery, Die Stadt in der Wüste)

Weihbischof Everardus Johannes de Jong kann gemäß seinem Bischofs-Motto („Damit sie das Leben in Fülle haben“, Joh 10,10) daran anknüpfen. Die Methode der Unterscheidung, wie er selbst sie als Student von Jesuiten erlebt und gelernt habe, sei selbst etwas für Ungläubige: die Gefühle von Trost und Untrost beim Abwägen und den unweigerlich kommenden Schritten ins Leben hinein einzubeziehen. Für den amerikanischen Weihbischof Robert Barron aus Los Angeles sind ebenfalls die 40 % der Jugendlichen in den USA, die sich selbst als 'nichtreligiös' bezeichnen, eine große Herausforderung. Viele von ihnen seien in den sozialen Netzwerken und virtuellen Welten zuhause und damit so etwas wie 'virtuelle Migranten', die sich von den kulturellen Werten verabschiedet hätten, denen aber umso beherzter entgegenzugehen sei. Ob und dass dies auch gleichermaßen gegenüber Menschen aus dem Bereich der LGBTIQ gelte, war die Frage die auch heute aus dem Pressebereich auf diese sehr weitgehende Perspektive nicht fehlte:
Ja, das Willkommen der Kirche gelte wirklich allen Jugendlichen!

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Es ist höchste Zeit!- oder: Die Statements der deutschen Bischöfe zur Freiheit, der Maieutik in der Wahrheitsfindung und die Einbeziehung von Frauen in Leitungsstrukturen

Während in Deutschland – sicher auch durch die verkürzte mediale Berichterstattung – das gestern in seinem inhaltlichen Kontext der Mittwochskatechese erläuterte Zitat des Papstes zur Abtreibung und ebenso wie der auch von dem als Experten zur Synode geladenen P. Clemens Blattert SJ mit Unverständnis und Enttäuschung zur Kenntnis genommene Entzug des ‚Nihil obstat‘ für den Rektor der katholischen Hochschule Sankt Georgen Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig SJ (in einem Solidaritätsbrief der Frankfurter Pfarrer und auch durch den Jesuiten P. Klaus Mertes SJ) diskutiert werden, sind es in Rom die Stimmen unserer deutschen Delegation, die mit Bischof Dr. Stefan Oster, Bischof Felix Genn und Kardinal Reinhard Marx und einem freien Statement von Thomas Andonie für Aufmerksamkeit sorgen.

(https://t.co/pj5QONjB4J)
Obwohl sich Bischof Stefan Oster (bereits gestern Nachmittag zu den Nr. 120 ff im 4. Kap.des II. Teiles des Instrumentum laboris) und Bischof Felix Genn (zu Nr. 115 im 3. Kap. des II. Teiles) sich in ihren Statements auf verschiedene Ziffern und Kapitel des Arbeitspapieres beziehen, zielen ihre Aussagen doch beide auf eine adäquate, die Freiheit des einzelnen Jugendlichen respektierende Begleitung. Während Bischof Oster „einen relationalen Begriff von Freiheit […vorschlägt], der die Jugendlichen in ihrer Sehnsucht nach Freiheit ernst nimmt und sie zugleich tiefer in eine existenzielle Dimension von Freiheit führt“, die für Bischof Oster in Jesus Christus ihren letzten Grund findet, sieht Bischof Genn ebendiese Freiheit in Gefahr, wo ich mich dazu verleiten lasse, in einer Begleitung, Beichte oder einem seelsorgerischen Gespräch, in einer Art “geistlichen Missbrauch, dem anderen meine Entscheidung, die ich bei ihm für richtig halte, aufzuzwingen, statt ihm die Freiheit zu lassen.“
"Ich möchte betonen, dass wir die Jugendlichen zu begleiten haben, indem wir durch intensives Zuhören geradezu maieutisch die Wahrheit hervorrufen, die bereits in ihnen lebt, um sie von dort zu einer inneren Umkehr weiterzuführen in die Nachfolge Christi." (Bischof Felix Genn)

Das Thema der Prävention sexueller Übergriffigkeit und Gewalt wird auch im Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit der vorgestern in diesem Blog angesprochenen Thematisierung der Einbeziehung von Frauen in Leitungsämter in der Katholischen Kirchen berührt.

"Frauen in kirchlichen Führungspositionen tragen entscheidend dazu bei, geschlossene klerikale Zirkel aufzubrechen." (Kardinal Reinhard Marx)


Die umfangreiche Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (2018) habe gezeigt, dass vor allem „klerikale Strukturen und eine klerikale Amtsführung in der katholischen Kirche“, [] zu solch massivem sexuellen Missbrauch und dessen Vertuschung in der Kirche beigetragen haben.“

Kardinal Marx fordert auch „eine Streitkultur [neu zu] lernen, um uns argumentativ und orientierend in die gesellschaftlichen Debatten zu zentralen Grundfragen des Menschseins, wie der Sexualität, der Rollen von Frauen und Männern und der menschlichen Beziehungsgestaltung“ einbringen zu können. Und er schließt suggestiv:

"Es ist höchste Zeit!"

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Für den Schwächsten, Ärmsten und Marginalisiertesten - oder: Die Unterscheidungsfindung in postmoderner Zeit und die notwendige Begleitung
"Papst vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord". Bereits seit den späten Vormittagsstunden kursierte diese Nachricht in Onlinemedien und schaffte es – anders als der Beginn der Versammlung der Bischofssynode oder sonst ein Ereignis der vergangenen Synodentage – bis in die Tagesschau (ab Min. 10) .... und mittags selbstredend dann auch in die Pressekonferenz der Synode.

Anlass seiner Äußerungen, die in dem zitierten Wortlaut eine freie Ergänzung im Vergleich zum Redemanuskript darstellen, war die wöchentliche Mittwochsaudienz auf dem Petersplatz, die entlang einer katechetischen Entfaltung der 10 Gebote in dieser Woche bei dem Gebot angelangt war, in dem es um die Beziehungen zum Nächsten geht. Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten! Der gestern Nachmittag in die Kommission der Endredaktion des Synodenabschlussdokumentes gewählte Kardinal Carlos Aguiar Retes, Erzbischof von Mexiko, nimmt die Frage einer Journalistin im Pressesaal auf und bringt sie mit der Charta der Menschenrechte in Verbindung. Die im Jahr 1948 mit universaler Gültigkeit proklamierten Menschenrechte gelten für jeden Menschen und würden durch Persönlichkeitsrechte der Kinder, Frauen, Alten ergänzt. Diese dürften aber – nicht nur aus kirchlicher Sicht – nicht in den Gegensatz zum Recht auf das Leben gebracht werden, das auch für Ungeborene gilt.

Leider verloren sich über die aufrüttelnde Wortwahl des Papstes die ja nicht minder ausgedrückten Gedanken der Ergründung der Ursachen und Hintergründe, die sich nun wiederum im Redemanuskript finden:

"Hinter der Gewalt und der Ablehnung des Lebens steht im Grunde die Angst, sich selbst zu verlieren. Aber das kranke, behinderte Kind, der alte Mensch, der Hilfe braucht, die vielen Armen, die alleine nicht zurechtkommen – sie alle sind ein Geschenk Gottes, das mich aus der selbstbezogenen Existenz herausziehen und mich in der Liebe wachsen lassen kann. In jedem kranken Kind, in jedem schwachen alten Menschen, in jedem verzweifelten Migranten, in jedem zerbrechlichen und bedrohten Leben sucht Christus uns (vgl. Mt 25,34-46), er sucht unser Herz, um uns die Freude der Liebe zu eröffnen. Gott liebt uns so sehr, dass er seinen eigenen Sohn für uns hingegeben hat (Joh 3,16). Gott liebt alles, was ist, wie wir es vorhin im Buch der Weisheit gehört haben (11,24). Was Gott geliebt hat, dürfen wir nicht verachten!"


Der Gedanke kommt in einer anderen Frage der Pressekonferenz, ob auch der Populismus und seine Bekämpfung Thema der Synodenbeiträge gewesen ist, durch den Vorsitzenden der europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) und Erzbischof von Luxemburg Jean-Claude Hollerich überraschender Weise erneut auf.
Die christliche Botschaft mit ihrem Fokus auf den Schwächsten, den Ärmsten und den Marginalisierten widerstehe jedem Populismus, indem der Einzelne als Person zähle. Die Gefahr, aus Angst und Überforderung für populistisches Gedankengut und einem Totalitarismus der Gleichgültigkeit gegenüber empfänglich zu werden, ist für Hollerich offenkundig und letztlich eine Frage der Begleitung, in der Kirche gefordert ist. In einer ‚Post-Thruth Era‘ ist die Orientierungslosigkeit groß und eine persönliche Begleitung bei der immer schwieriger gewordenen „Unterscheidung der Farben und Schatten unserer Zeit“ dringlicher als je zuvor. In der Unterscheidungsfindung sei es es möglich, die „Gegenwart Gottes in unserer Welt zu entdecken“.

Die Notwendigkeit der Begleitung - die Emmaus-Perikope sei auch in der Synodenaula oft angeklungen - unterstrich gestern Nachmittag bereits die slowakische Jugendliche Viktòria Žolnovà in einem auch heute noch einmal betonten Zeugnis:

"I also understand that young people need someone to accompany them and support them in their discernment process as they seek to know and follow God’s will."

Wie dringlich dieses Anliegen auch aus Sicht deutscher Jugendlicher und junger Erwachsener ist, hatte auch Thomas Andonie für den Bund Deutschen Katholischen Jugend am vergangenen Freitag im letzten Punkt seines Synodenstatements beschrieben:

"Zur Begleitung: In unseren Jugendverbänden unterstützen sich junge Menschen gegenseitig dabei, ihre Berufung zu finden. Dies entspricht unserem Grundsatz: Jugend leitet Jugend! Dazu brauchen sie allerdings eine gute Ausbildung und die Unterstützung guter Seelsorgerinnen und Seelsorger. Es bereitet uns große Sorge, dass in Deutschland immer weniger Menschen bereit sind, einen pastoralen Beruf zu ergreifen. Auch hier braucht es Veränderungen, um ein gutes personales Angebot für junge Menschen vorzuhalten! Berufungspastoral muss in ihrer Breite gedacht werden und selbstverständlicher Bestandteil einer vielfältigen Jugendpastoral sein.“


 

Dienstag, 9. Oktober 2018

Über die Anerkennung der Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche, die soziologische Analyse als theologischer Akt und die Relatio der Deutschen Sprachgruppe

Die im Arbeitspapier der Synode (Instrumentum Laboris, nr. 70) angesprochene „Anerkennung der Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche“ war bereits gestern in der Pressekonferenz von Weihbischof Gobilliard gefordert worden. Die neue Synodenordnung würde ihnen zwar schon eine größere Rolle einräumen, aber im Grundsatz sollten ihnen auch Positionen in den administrativen Strukturen der Kirche offenstehen, wie dies auf der Ebene vieler Ortskirchen schon zum Teil der Fall sei. Dies bekräftigte heute auch Kardinal Oswald Gracias, Erzbischof von Bombay: „Papst Franziskus wolle keine kosmetischen Veränderungen, sondern Verantwortung und Entscheidungspositionen in der Kirche für Frauen.“ Die als Expertin der französischen Bischofskonferenz an der Synode teilnehmende Sr. Nathalie Becquart betonte, wie sehr das ‚Thema Frauen‘ von jungen Menschen eingebracht wurde, die in einer Welt leben, in der sich die Beziehungen zwischen Männern und Frauen verändert haben.
Wie die Frauen das bisherige Synodenerleben aus seiner Sicht bereichern, unterstreicht auch der kanadische Erzbischof von Quebec, Kardinal Gérald Cyprien Lacroix. Beindruckt hat ihn, wie die weiblichem Synodenteilnehmenden in der Versammlung „frei und mit Autorität sprechen“:
"They aren't spectators, they're part of the parade."
Eine weitere, ganz neue Erfahrung sei für ihn wie die jungen Auditor*innen auf ihnen zusagende Beiträge zum Teil sehr emotional reagieren.

"They express themselves with explosive joy!"

Als Mitglied der an der Vorbereitung der Synode beteiligten Arbeitsgruppe ist es Kardinal Gracias, der auch bei den Familiensynoden 2014 und 2015 eine zentrale Rolle an entscheidenden Stellen des jeweiligen synodalen Prozesses gespielt hat, der betont, wie sehr bereits im Vorfeld der Synode auf die Beteiligung der Jugendlichen wert gelegt wurde, wie bereits am 3.10.2018 in diesem Blog beschrieben. Die Pressekonferenz heute markiert zugleich die Zäsur des Endes der Bearbeitung des I. Teils des Instrumentum laboris. Alle Arbeits- und Sprachgruppen haben nicht nur Überarbeitungsvorschläge zu den einzelnen Absätzen des Arbeitsdokumentes eingereicht, sondern auch jeweils eine zusammenfassende Relatio der jeweiligen Arbeitsgruppe veröffentlicht. Die deutsche Sprachgruppe schlägt vor, den I. Teil in der deutschen Übersetzung mit einem dem deutschen Sprachgefühl besser entsprechenden Wort zu überschreiben:

"Wir plädieren dafür, dass in der deutschen Übersetzung des Instrumentum laboris der Begriff „erkennen“ besser durch den Begriff „wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen „riconoscere“."

Auf die Frage in der Pressekonferenz, ob in den Beratungen zum I. Teil neben den soziologischen Analysen auch die wesentlichen Inhalte des Glaubens, die Sakramente usw. Angesprochen worden seien – für mich der wichtigste Moment dieser Pressekonferenz – ist es mit Sr. Nathalie Becquart eine Frau, die die Bedeutung des gerade abgeschlossenen Teils der Arbeit verteidigt und in seiner theologischen Qualität herausarbeitet. Das wahrnehmende Verstehen sei ein theologischer Akt und das Zuhören nicht einfach ‘nur’ soziologisch, sondern eine aufmerksame Weise des Nachvollziehens, wie Gott handelt. Die Erfahrungen der Menschen von heute sei es, wie Jesus mit den Emmaus-Jüngern zu gehen.

“Das Wahrnehmen ist bereits eine theologische Kategorie.”

Dieses eindrucksvolle Statement, das auch noch einmal die Bedeutung aller Phasen des Unterscheidungsfindungsprozesses, den diese Synode bedeutet unterstreicht, findet sich der Sache nach auch am Beginn der Relatio der deutschen Sprachgruppe:
„Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist aus konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten Teils des Instrumentum laboris ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die Jugendlichen und schauen auf sie – mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
 
Die Relatio der Deutschen Sprachgruppe (Relatio – Circulus Germanicus) in der vollständigen Länge (Moderator: Bischof Felix Genn, Münster; Relator: Bischof Stefan Oster, Passau)
Wir haben in unserer Gruppe alle gestaunt über die großen Unterschiede der konkreten Situationen junger Menschen in den vielen Ländern, aus denen die Bischöfe und die Jugendlichen in der Synode berichtet haben. Vor allem spüren wir, dass der europäische Kontext in den Hintergrund tritt zugunsten einer weltweiten, pluralen Perspektive. Wir haben aber gleichzeitig festgestellt, dass einige Themen und Probleme an den verschiedenen Orten dennoch sehr häufig wiederkehren: Die Herausforderungen der Sexualität, die Thematik des Missbrauchs, die Schwierigkeit den Glauben zu vermitteln, die Digitalisierung, die Frage nach einer attraktiven Liturgie und Predigt, die Flucht und Migration, der Wunsch der Jugendlichen in Freiheit und zugleich authentisch begleitet zu werden, die Frage nach der aktiven Beteiligung der Jugendlichen, die Frage nach der Gerechtigkeit für Frauen in der Kirche und anderes mehr.
Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist, aus konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten Teils des Instrumentum ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die Jugendlichen und schauen auf sie - mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
Wir plädieren dafür, dass in der deutschen Übersetzung des Instrumentum der Begriff „erkennen“ besser durch den Begriff „wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen „riconoscere“.
In der Wahrnehmung der Situation im ersten Teil des Instrumentum haben wir mehrfach gespürt, dass ein eigener Abschnitt eingefügt werden sollte, in dem der Druck thematisiert wird, dem Jugendliche in vielfacher Hinsicht ausgesetzt sind: z.B. der Druck durch die Schule und Ausbildung, durch die Kirche, durch die Erwartung der Eltern, der Familien, der Gesellschaft, der Druck durch die Selbstinszenierung in sozialen Medien, der Druck durch die Moden der Gesellschaft, durch die Moden und Meinungen der Peer-Group oder auch der Druck, der entsteht, wenn sich ein Jugendlicher als Katholik bekennt. Uns scheint, dass es Jugendlichen heute schwerer fällt, sie selbst zu werden – und nicht so zu werden, wie sie meinen unter dem Druck von außen sein zu müssen.
Wir sehen und betonen, dass im Pontifikat von Papst Franziskus zwei Begriffe immer wiederkehren: die Freude und die Unterscheidung – und wir spüren auch, wie kostbar und zugleich wie herausfordernd beide für unseren eigenen Umgang mit jungen Menschen sind.
Wir meinen auch zu verstehen, was mit dem Wort „die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ gemeint ist: Wir wollen mit den liebenden „Augen des Jüngers“ (Nr 2) auf die konkreten Menschen und ihre konkreten Situationen schauen und verstehen lernen, wie darin Gottes Gegenwart aufleuchtet – z.B. auch dann, wenn diese konkrete Wirklichkeit nicht oder noch nicht einem Ideal christlichen Lebens entspricht.
Wir glauben, dass die digitale Wirklichkeit in ihren positiven Möglichkeiten aber auch in ihren destruktiven Gefahren noch konkreter beschrieben werden soll (z.B. Einstiegsalter in das Betrachten harter Pornographie und Gewalt bei Jungen ist durchschnittlich 11 Jahre). Wir sind dankbar, dass viele Jugendliche Pluralismus und Multikulturalität positiv verstehen, wir glauben aber, dass es auch nicht wenige Jugendliche gibt, die sich dem verschließen aus Angst vor dem Verlust von Identität.
Wir würden gerne festhalten, dass die Distanzierung von jungen Menschen von Glauben und Kirche bei uns neben dem erwähnten generellen Misstrauen gegen Institutionen drei weitere Hauptursachen hat: erstens die für Jugendliche scheinbare Unvereinbarkeit zwischen einem modernen, wissenschaftlichen Weltbild und dem Glauben, zweitens die Themen, die direkt oder indirekt mit der Sexualität und dem Geschlechterverhältnis zu tun haben (etwa die Sexualmoral allgemein, die Bewertung von Scheidung und Wiederheirat, der Zölibat, Frauen und Weiheamt, die Missbrauchsskandale), drittens der scheinbare oder auch oft bestätigte Zusammenhang zwischen Religion einerseits und Gewalt oder Krieg andererseits.
Wir sehen, dass die Pfarrei oftmals kein Ort mehr für das Glaubensleben junger Menschen ist und sehen das als Herausforderung für die Suche nach anderen oder neuen Orten und Gemeinschaftsformen in und außerhalb von Pfarreien.
Im Kapitel IV des Instrumentum haben wir mehrere große Herausforderung für die Kirche identifiziert. Wir fragen uns, was genauer mit der „Metamorphose“ der conditio humana (Nr 51) gemeint ist. Ist es nicht nötig, tiefer zu verdeutlichen, was wir als Christen heute meinen, wenn wir vom Menschsein sprechen? Was meinen wir etwa, wenn wir vom Menschen als Person sprechen oder von gelingendem Menschsein? Was ist der Weg eines gläubigen Menschen heute, was ist sein Ziel? Was ist eigentlich Freiheit? Wie findet man Identität? Welches sind anthropologisch unsere größten Herausforderungen heute? Und wie verhalten wir uns dazu?
Die Frage nach Körperlichkeit und Sexualität, nach der digitalen Welt, nach der Unfähigkeit sich zu entscheiden, die Sehnsucht nach Spiritualität sind Phänomene, die eine anthropologische Vertiefung brauchen, wenn wir Jugendlichen den Glauben als Weg zu einem auch menschlich gelingenden Leben vorschlagen wollen. Einer unserer Synodenväter meinte: Wenn wir keine klare Diagnose der conditio humana haben, haben wir auch keine Therapie dafür. In jedem Fall sind wir der Meinung, dass angesichts der Bedeutung des Themas Sexualität für die Jugendlichen die bloße Beschreibung des Phänomens und einiger Probleme in den Abschnitten 52 und 53 für den Text nicht genügt. Wir plädieren für eine anthropologische Vertiefung und Orientierung für diese Dimension – mit dem Akzent auf die Qualität der menschlichen Beziehungen.
Wir sind auch der Meinung, dass in einem späteren Kapitel auch Positives zur Kirche als Institution gesagt werden soll, wenngleich junge Menschen das Recht haben die Institution kritisch zu sehen und nicht selten haben sie mit dieser Kritik auch Recht. Positiv aber ist zum Beispiel die Verlässlichkeit in einer sich wandelnden Welt, ihre Objektivität etwa in der Sakramentenspendung oder im Urteil des Glaubens und über charismatische Phänomene, oder die Möglichkeit innerhalb einer objektiven Rechtsprechung auch subjektiv erfahrenes Unrecht anzuzeigen und anderes mehr.
Der Abschnitt über die Digitalisierung erscheint uns insgesamt der Komplexität des Phänomens nicht gerecht zu werden. Selbstverständlich erkennen wir die ungeahnten positiven Möglichkeiten dieser Medienwelt für uns alle an – und auch die Fähigkeit junger Menschen, sich selbstverständlich darin zu bewegen. Das wollen wir ihnen auch nicht nehmen. Aber andererseits wissen wir zum Beispiel nicht, welche Auswirkungen langfristig der fortwährende Aufenthalt in digitalen Welten für junge Menschen hat (Vgl. die medizinische Rede von „digitaler Demenz“ oder von neuen Süchten oder von fehlender Konzentrationsfähigkeit, von schwindender Fähigkeit komplexere Texte zu lesen, von Mangel an Beziehungsfähigkeit oder ähnlichem); wir wissen noch nicht, ob und wie die digitale Welt Gesellschaften wirklich besser macht oder nicht eher zersetzt und radikalisiert. Wir wissen z.B. noch nicht, wie wir den totalitären Zügen von mächtigen Internetriesen etwas entgegensetzen können. Wir wissen noch nicht, was durch die immer stärker mögliche Verschmelzung von digitaler und realer Welt mit dem Menschen auf Dauer passiert. Hier spüren wir eine Überforderung, die womöglich nicht nur für die Kirche, sondern für die gesamte Menschheit besteht. Auch diese Überforderung müsste deutlicher benannt werden.