Sonntag, 18. Oktober 2015

Über den Primat des Papstes, die Mitte des Evangeliums „unendlicher Zärtlichkeit“ und warum deshalb das heute heiliggesprochene Ehepaar in der Predigt des Papstes kaum zu Wort kam

Noch nicht einmal zwei Sätze seiner Predigt widmete Papst Franziskus direkt dem heute heiliggesprochenen Ehepaar Louis Martin und Marie-Azélie Guérin, den Eltern der Hl. Thérèse von Lisieux. Aber ihr Lebenszeugnis stand dennoch im Mittelpunkt, als Papst Franziskus mit großem Ernst und beinahe als Verstärkung seiner gestrigen Ansprache auf die Mitte des Evangeliums zu sprechen kam.
 
Screenshot aus der Heiligsprechungsmesse am heutigen 18.10.2015 in Rom

Die Erzählung aus dem heutigen Tagesevangelium (Mk 10,35-45), so Papst Franziskus in seiner Predigt, „beschreibt die Szene, in der Jesus sich mit seinen Jüngern Jakobus und Johannes abmüht, die – unterstützt von ihrer Mutter – den Wunsch äußern, im Reich Gottes an seiner Rechten und seiner Linken zu sitzen (vgl. Mk 10,37), und damit Ehrenplätze beanspruchen, wie sie ihrer hierarchischen Vorstellung ebendieses Reiches entsprechen.“ Papst Franziskus geißelt deren Sicht, „die noch getrübt ist durch Träume von irdischer Verwirklichung“:
Angesichts der Menschen, die sich eifrig um Macht und Erfolg bemühen, sind die Jünger aufgerufen, das Gegenteil zu tun. Daher ermahnt Jesus sie: »Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein« (V. 42-44). Mit diesen Worten weist er darauf hin, dass in der christlichen Gemeinschaft der Stil der Autorität das Dienen ist. Wer den anderen dient und wirklich kein Ansehen genießt, übt in der Kirche die wahre Autorität aus.“
Wer diese Tage in Rom mit offenen Augen und Ohren mit verfolgt, dem wird es kaum als Zufall erscheinen können, dass Papst Franziskus beim Festakt aus Anlass des 50 jährigen Jubiläums der Bischofssynode die genaue Parallelstelle aus dem Matthäusevangelium zitierte, die auch Gegenstand der heutigen Predigt war. Schon gestern sagte er:
Vergessen wir das nie! Für die Jünger Jesu, gestern, heute und immer, ist die einzige Autorität die Autorität des Dienstes, die einzige Macht die Macht des Kreuzes, getreu den Worten des Meisters: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.“ (Mt 20,25.27) Unter euch soll es nicht so sein: in diesem Ausdruck kommen wir zum Kern des Dienstes der Kirche - „bei euch soll es nicht so sein“ - und wir erhalten die notwendige Einsicht´, um den hierarchischen Dienst zu verstehen.“
Und in dieses Verständnis des Dienens ist die ganze Kirche inbegriffen, „befindet sich der Gipfel wie bei einer umgekehrten Pyramide unterhalb der Basis. Deswegen heißen diejenigen, die Autorität ausüben, „Diener“: weil sie im Ursprungssinn des Wortes die Kleinsten von allen sind. Dem Volk Gottes dienend wird ein jeder Bischof für den ihm anvertrauten Teil der Herde, vicarius Christi (LG 27), Stellvertreter dieses Jesus, der sich beim letzten Abendmahl niedergekniet hat, um die Füße der Apostel zu waschen (Joh 13,1-15). In gleicher Sichtweise ist der Nachfolger Petri selbst nichts anderes als der Diener der Diener Gottes.“
 
Das Dienstamt des Papstes sieht Papst Franziskus in der jetzigen Zeit in besonderer Weise herausgefordert, ja zu einer Umgestaltung genötigt. Mit der Einsicht in die gestern bereits betonte Notwendigkeit, in Richtung einer heilsamen „Dezentralisierung“ voranzuschreiten, besteht Papst Franziskus zugleich auch auf die „Bekehrung“ des Papstamtes (vgl. EG 32) als Teil eines auf der Höhe der Zeit stehenden Neuverständnisses des päpstlichen Primats. Dabei bezieht sich Papst Franziskus auf seinen Vorvorgänger Papst Johannes Paul II. der schon 1995 in seiner Ökumene-Enzyklika ein Neuverständnis andeutete:
Als Bischof von Rom weiß ich sehr wohl, und habe das in der vorliegenden Enzyklika erneut bestätigt, dass die volle und sichtbare Gemeinschaft aller Gemeinschaften, in denen kraft der Treue Gottes sein Geist wohnt, der brennende Wunsch Christi ist. Ich bin überzeugt, diesbezüglich eine besondere Verantwortung zu haben, vor allem wenn ich die ökumenische Sehnsucht der meisten christlichen Gemeinschaften feststelle und die an mich gerichtete Bitte vernehme, eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“ (Ut unum sint, 95).
Wenn Papst Franziskus im direkten Anschluss gestern bereits seinen „Blick auch auf die ganze Menschheit“ richtet, ist das die weitere Perspektive, die in Bezug auf die nächsten Tage der Bischofssynode sich schon bewähren wird, wenn es um das Abwägen gemeinsamer pastoraler Leitlinien geht angesichts der in den Teilkirchen und Kulturen dieser Welt sehr unterschiedlichen Herausforderungen im Bereich von Ehe und Familie. Am Ende dieser letzten Synodenwoche wird es das Amt des Papstes sein, seinem auf dem II. Vatikanischen Konzil konkretisierten Selbstverständnis zu genügen:
Tatsächlich ist der Papst dank dem Willen des Herrn „das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ (LG 23, vgl. 1. Vat. Konzil Pastor Aeternus).“
 Aber bei allem Ausgleich und aller Sympathie für eine Symphonie der Verschiedenheit' ist Papst Franziskus schneidend scharf, wenn es um die Mitte des Evangeliums geht, dessen Entschiedenheit für ein adäquates Verständnis sich heute – analog etwa zur Geißelung der Krankheit der Eitelkeit und Ruhmsucht in der Ansprache an die Mitglieder der Kurie vor dem Weihnachtsfest des Jahres 2014 – einmal mehr an einem hierarchischen Standesdenken elektrisierte. Demgegenüber stellt Papst Franziskus die Botschaft der menschgewordenen Liebe Gottes:
Jesus übt im Wesentlichen ein Priestertum der Barmherzigkeit und des Mitleids aus. Er hat unsere Schwierigkeiten unmittelbar selbst erfahren und kennt unsere menschliche Lage von innen her; dass er nicht gesündigt hat, hindert ihn nicht daran, die Sünder zu verstehen. Seine Würde besteht nicht im Ehrgeiz oder in der Herrschsucht, sondern darin, die Menschen zu lieben, ihre Schwäche anzunehmen und zu teilen, ihnen die heilende Gnade zu schenken und ihren mühevollen Weg mit unendlicher Zärtlichkeit zu begleiten.“
Dieses Bekenntnis zur barmherzigen, überfließenden Liebe Gottes, der Revolution der Zärtlichkeit, wird die Botschaft sein, an der die bestehende und sich je neu entstehende Vielfalt in der katholischen Kirche unter dem Primat des Papstes zu messen sein wird – und sie wird auch den Fokus bilden, unter dem der Papst den Verlauf dieser Bischofssynode beobachtet. In dem Bekenntnis der barmherzigen Liebe Gottes ist aber auch jeder einzelne ‚berührt‘ und auch aufgefordert zum ‚Kanal‘ dieser Liebe und des Mitleids zu werden, wie Papst Franziskus im Anschluss forderte. Und nun – im Grunde an der richtigen Stelle – kommen ganz am Ende der Predigt auch diejenigen Personen zu Wort, deren Heiligsprechung heute Anlass für die gemeinsame Messfeier im Kreis aller Synodalen der Bischofssynode war:
Diejenigen, die heute heiliggesprochen wurden, haben in außergewöhnlicher Demut und Liebe unentwegt ihren Mitmenschen gedient und so ihren göttlichen Meister nachgeahmt. (...) Die heiligen Eheleute Louis Martin und Marie-Azélie Guérin haben den christlichen Dienst in der Familie gelebt, indem sie Tag für Tag eine Umgebung voller Glauben und Liebe aufbauten; und in diesem Klima sind die Berufungen ihrer Töchter aufgekeimt, darunter auch die der heiligen Thérèse vom Kinde Jesu."

Die dritte und entscheidende Synodenwoche könnte nicht besser beginnen!