Freitag, 11. Oktober 2024

„Sometimes the most important things happen in silence.“ – Oder: Wie sich über Schweigen und Stille ein „Überfließen“ (desborde) und eine Erneuerung der Kirche ereignen kann

Kardinal Joseph William Tobin, CSsR, Erzbischof von Newark/USA, betonte heute im Pressebriefing mit der Aussage, dass manchmal die meisten Dinge in der Stille passieren, den neuen Stil der Synode über die Synodalität, den gestern bereits von anglikanischer Seite Bischof Martin Warner von Chichester/UK als Brüderlicher Delegierter als beispielhaft für das synodale Arbeiten herausstellte. Kardinal Tobin bezog sich ebenfalls auf die diesen Aspekt des Schweigens und der Stille herausarbeitende Besinnung am gestrigen Nachmittag von P. Timothy Radcliffe, von dem am Anfang dieser Woche bekannt wurde, dass er im Konsistorium am 7. Dezember zu den neu erwählten Kardinälen gehören wird.

© Vatican Media
(P. Timothy Radcliffe OP am 10.10.2024)

P. Radcliffe, der bereits die zweitägigen Retreats zu Beginn der Weltsynode in beeindruckender Weise geprägt hatte, stellte die Geschichte von der Jesus bedrängenden kanaanäischen Frau (Mt, 15, 21-28) in den Mittelpunkt seiner Besinnung vor dem Übergang der Arbeit am 3. Modul der Generalkongregation, das mit „Wege“ überschrieben ist. Die Beharrlichkeit der Frau, ihr Drängen, das von den Jüngern abgewiegelt wurde und Jesus zunächst schweigen und dann abweisend antworten lässt, dass er nur zu den Kindern Israels gesandt sei, führt bei Jesus zu einem Prozess des Wandels, zu einer Anerkennung ihres großen Glaubens und der Heilung ihrer Tochter.

Für Radcliffe ist dies eine – bis in die heutige Pressekonferenz hinein zitierte – Analogie für das, was bei dieser Synode passiert und möglich ist:

"Im Mittelpunkt steht das Schweigen Jesu. „Er antwortete ihr nicht.“ Dieses Schweigen ist keine Abfuhr. (…) In dieser Stille hört unser Herr auf die Frau und hört auf seinen Vater. Die Kirche dringt immer tiefer in das Geheimnis der göttlichen Liebe ein, indem sie sich mit tiefen Fragen beschäftigt, auf die wir keine schnellen Antworten haben. Auf dem Konzil von Jerusalem: Wie können die Heiden in die Kirche aufgenommen werden? In Nizäa: Wie können wir bestätigen, dass Jesus wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch war? In Chalcedon: Wie kann Gott wahrhaftig drei und wahrhaftig einer sein? 
Unsere Aufgabe in der Synode ist es, mit schwierigen Fragen zu leben und sie nicht wie die Jünger loszuwerden. Was sind hier unsere? Die Frau kommt wegen ihrer gequälten Tochter. (…) Es gibt auch tiefe Fragen, die so vielen unserer Diskussionen zugrunde liegen. Wie können Männer und Frauen, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen sind, gleich und doch verschieden sein? Wir dürfen der Frage nicht ausweichen, wie die Jünger, indem wir entweder die Gleichheit oder den Unterschied leugnen. Und wie kann die Kirche die Gemeinschaft der Getauften sein, die alle gleich sind, und doch der Leib Christi, mit unterschiedlichen Rollen und Hierarchien? Dies sind tiefgreifende Fragen." (Vaticannews 11.10.24)

Im Schweigen und der Stille, die das Gespräch im Geiste in der im vergangenen Jahr neu eingeführten Methode bei der Weltsynode kennzeichnen, soll auch das Überfließen („desborde“) zur kreativen Neuerschließung neuer Wege des Christ- und Kircheseins ermöglichen, wie dies Sondersekretär Giacomo Costa am gestrigen Vormittag mit Zitat aus dem nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia (QA 105) auf den Punkt brachte.

Wie ich diese Gedanken der Besinnung von P. Radcliffe selbst verstehe, lese ich heute auch in einem Blog-Beitrag von Thomas Schwartz, Chef des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis Synodaler aus Deutschland:

Radcliffe (ging) in geradezu prophetischer Ausdeutung genau darauf ein und machte zur Diskussion um die Rolle der Frau in der Kirche und eine wirkliche Gleichberechtigung in allen Bereichen auf den Mut der kanaanitischen Frau aufmerksam. Sie habe sich weder von der Ablehnung der Jünger noch vom Schweigen Jesu von ihrem Ziel abbringen lassen, für ihr krankes Kind Heilung zu erbitten. Manchmal sei das Schweigen der Kirche die Weise, wie sie im Umgang mit einem Thema, das auf den Nägeln brenne, nach vorne gehe, weil im Schweigen auch der Raum zum Suchen und Hören des Willens Gottes gegeben sei, so Radcliffe“. (katholisch.de, 11.10.24)

Die Bedeutung des Schweigens und des Gesprächs im  Geiste betonte auch die Expertin Prof. Giuseppina De Simone aus Italien, dass es darum gehe, „die Fragen zu bewohnen“, die Spannung und die Fragestellungen auszukosten, um sie tiefer zu ergründen. Ein Wandel im Modus der Synodalität ist nur in dieser Weise möglich. Die Stille und das Schweigen, die die synodale Versammlung so sehr kennzeichnen, wird auch heute Abend bei der ökumenischen Gebetswache Ausdruck und Inhalt einer ökumenischen Feier auf der Piazza dei Protomartiri Romani sein, die darin bereits Einheit der Kirchen erlebbar werden lässt – wie die Rolle, wie sie Papst Franziskus in der Ökumene versteht: Ebenfalls ein zentrales Anliegen und Thema der Synode über die Synodalität sowohl im vorausgegangenen Modul über die „Beziehungen“ wie in dem jetzt kommenden Modul des Instrumentum laboris unter der Überschrift „Wege“.

„Sometimes the most important things happen in silence.“

 

 

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