Dienstag, 1. Dezember 2020

Verlorene Glaubwürdigkeit – oder: 1 Jahr Synodaler Weg


                                                (Screenshot: katholisch.de vom 1.12.19)
Vor einem Jahr wurde der katholische Reformprozess "Synodaler Weg" in Deutschland in der Münchener Frauenkirche mit einem Gottesdienst eröffnet. Die Kirche sei "kein geschlossenes System, keine Zitadelle, die sich einmauert" und bedürfe der "Offenheit" und eines synodalen Weges um der Zukunft der Kirche willen, sagten damals der Münchener Kardinal Reinhard Marx und die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Katholiken Karin Kortmann. Nur durch „unsere selbstkritische Arbeit“ könne man die durch den Missbrauchsskandal verlorene Glaubwürdigkeit wiedererlangen.

"Nach der schrecklichen Erfahrung, dass sexueller Missbrauch in der Kirche stattgefunden hat", gelte es nun, "Gefährdungen systemischer Natur" anzuschauen, etwa "falsche Herrschaftsorganisationen", ergänzte der Kardinal. Um wieder glaubwürdige Zeugen der Freude und der Hoffnung zu sein, "müssen wir manche Hindernisse beseitigen". (katholisch.de vom 1.12.19)

Vor diesem Hintergrund ist es unaushaltbar, dass ein Jahr nach dem Beginn des Synodalen Weges ein spätestens seit März 2020 vorliegendes Gutachten zu den Missbrauchsstrukturen und -taten im Erzbistum Köln wegen angeblicher methodischer Mängel bis auf weiteres endgültig unter Verschluss gehalten wird – von dem Eingeständnis der Instrumentalisierung Betroffener ganz zu schweigen, die sich in diesem Zusammenhang ein zweites Mal mit denselben Mechanismen der Macht missbraucht fühlen (selbst noch einmal darin, dass Einzelnen von ihnen unter Auflagen Inhalte im März nächsten Jahres zugänglich gemacht werden sollen, wie es seit dem ersten Adventswochenende heißt)


So geht es nicht weiter! Wenn die Voraussetzungen für den synodalen Weg – das vorbehaltlose Offenlegen der Gutachten von Missbrauchstaten und -strukturen – nicht gegeben sind, untergräbt das Verhalten auch nur einer Ortskirche die Glaubwürdigkeit aller  anderen Ortskirchen in Deutschland, der verschiedenen Synodalforen und des Synodalen Wegs insgesamt.


Dabei ist der Reformprozess an einigen Stellen gut unterwegs: zumindest für das Synodalforum „Liebe und Sexualität“ – wie es abgekürzt genannt wird , in dem ich mitarbeiten darf, kann ich sagen, dass der Arbeits- und Diskussionsstand trotz oder wegen Corona und den Möglichkeiten digitaler Kommunikation vorangeschrittenen ist auf einem Weg, den ich von den Plenar- und Regionenkonferenzen, der Arbeit im Forumsplenum wie in der Redaktionsgruppe als einen geistlichen Prozess erlebe: Nicht nur dass Gottesdienste am Anfang standen und den synodalen Weg begleiten, auch die Verantwortung für die kirchliche Gemeinschaft als ganze und ihre Lehre werden mit großer Ernsthaftigkeit in der Forumsarbeit verfolgt und vom Gebet begleitet. Genau in diesem Sinn, „in einer Gemeinschaft, in seinem Wort, in der Eucharistie und im Gebet zu sein“, bezeichnete Papst Franziskus in seiner Generalaudienz vor genau einer Woche die Kennzeichen von Synodalität und eines Cammino sinodale, die sich von denjenigen einer bloßen "strada sinodale" – ohne Wirken des Hl. Geistes und nur auf das Erzielen von Mehrheitsentscheidungen bedacht – unterscheiden.

Dass der Tiefpunkt der unsäglichen Missbrauchstaten und die zugrundeliegenden Strukturen dazu beigetragen haben, auch die kirchliche Lehre von der Wurzel her neu wahrzunehmen und zu durchdringen, ist dabei eine paradoxe und doch so wichtige Erfahrung gleich einem Wendepunkt: dass Lehrentwicklung durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit, also auch durch Offenlegung von Unrechtstaten und –strukturen geschehen kann. In Bezug auf den in diesem Blog schon oft zitierten kirchlichen Grundsatz, dass „die apostolische Überlieferung in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt“ (DV 8), hatte ich diesbezüglich im vorausgegangenen Blog-Beitrag bereits die „geschärfte und vertiefte Perspektive auf das Feld der Sexualität in der Arbeit des Synodalforums“ beschrieben.

"Die Bedeutung sexueller Selbstbestimmung und die Würde jedes Menschen in seiner sexuellen Identität bekommen einen Stellenwert, der auch die kirchliche Sexualmoral wieder anschlussfähig an heutige Grundsätze der Sexualwissenschaften machen könnte." (Blogbeitrag vom 19.11.20)

Aber jenseits aller Ansätze des Aufbruches wird das Wahrnehmen der Zeichen der Zeit und ihre Deutung im Licht des Evangeliums nur gelingen, wenn wirklich auch nur der Anschein von Vertuschung, von Institutions- und Täterschutz verflogen, Aufarbeitung von externer Seite angefragt und einbezogen ist und eingeholte Gutachten radikal offengelegt werden – auch und gerade das WSW-Gutachten im Erzbistum Köln, wie es auch die Vollversammlung des ZDKs am 20.11.20 fordert: 

"Aktuell sind wir Zeuginnen und Zeugen intransparenter Vorgänge im Erzbistum Köln. Wir fordern, diese vollständig offen zu legen und insbesondere die Ergebnisse aus dem Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zugänglich zu machen. Außerdem muss für weitere Untersuchungen eine unabhängige Kommission vergleichbare Prozesse und anzuwendende Methoden definieren und die Ergebnisse diözesanübergreifend evaluieren." (ZDK.de vom 20.11.20)

Die Zurückhaltung des besagten Gutachtens hat bereits jetzt einen Glaubwürdigkeitsverlust verursacht, dass eine erstickende Atmosphäre der Unglaubwürdigkeit über die Kölner Bistumsgrenzen hinaus sich immer weiter ausbreitet: Das Gegenteil dessen, was mit dem vor einem Jahr in Deutschland auf den Weg gebrachten 'Synodalen Weg' intendiert war. Wie es um die Kirche steht, bringen nachdrücklich und bewegend die „Fragen an meine Kirche – Sorgen eines Landpfarrers im Rheinland“ zum Ausdruck, die ebenfalls Ende November veröffentlicht wurden. 

Ein authentisches und ebenso bedrückendes wie ermutigendes Hirtenwort zum Advent 2020 in Deutschland.


Donnerstag, 19. November 2020

Coronabedingte Zwischenschritte - oder: Warum der ‚Synodale Weg‘ jetzt direkt in die Weltbischofssynode 2022 zur 'Synodalität' mündet


'Corona macht‘s möglich', was man im Zugehen auf das Jahr 2022 sicher auch als Koinzidenz der Ereignisse betrachten wird. Denn mehr Zeit auf dem Synodalen Weg bedeutet auch ein passgenaues Zugehen des Synodalen Weges in Deutschland auf eine Weltbischofssynode, in der der Reformprozess der katholischen Kirche zu einer synodalen Kirche – ein Kernanliegen des Pontifikates von Papst Franziskus - ebenfalls zu seinem Höhepunkt kommt.

Konkret bedeutet dieses „Mehr an Zeit“ aufgrund der Corona-Pandemie als nächster Schritt, dass statt der schon einmal verschobenen 2. Synodalversammlung jetzt am 4. und 5. Februar 2021 ein Online-Format stattfinden soll, in dem alle Mitglieder der Synodalversammlung "ohne Entscheidungsdruck vor allem die Arbeitsfortschritte der Synodalforen diskutieren werden". In einem Brief an die Mitglieder, Berater/-innen und Beobachter/-innen der Synodalversammlung des Synodalen Weges vom heutigen Tage heißt es weiter:

"Nach den guten Erfahrungen mit der intensiven Debatte in den Regionenkonferenzen sind wir sicher, dass dieser Corona-bedingte Zwischenschritt für eine substantielle Weiterarbeit in den thematischen Synodalforen produktiv genutzt werden kann, insbesondere in den Foren, die bei den Regionenkonferenzen im vergangenen September noch keine Zwischenergebnisse vorlegen konnten.“

Die Zeit – das empfinde ich selbst als Berater im Synodalforum Liebe und Sexualität – tut dem Beratungsprozess gut, der nach der Vorstellung der Voten des Forums auf den fünf Regionenkonferenzen in der nachfolgenden Redaktionsarbeit noch einmal mehr an Qualität und Intensität gewonnen hat. 

 

Überraschend ist dabei aus meiner Sicht, dass die in den deutschen Diözesen immer mehr als Aufgabe in den Vordergrund tretende Aufarbeitung der systemischen Ursachen sexueller Gewalt, die Übernahme von Verantwortung für die von Tag zu Tag deutlicher zutage tretenden Verfehlungen und Vertuschungen und eine konsequente Veränderung kirchlichen Handelns im Umgang mit Tätlichkeiten Sexueller Gewalt - gegenüber Täter*innen wie Betroffenen – Movens dafür sind, dass auch eine geschärfte und vertiefte Perspektive auf das Feld der Sexualität in der Arbeit des Synodalforums möglich wird. Die Bedeutung sexueller Selbstbestimmung und die Würde jedes Menschen in seiner sexuellen Identität bekommen einen Stellenwert, der auch die kirchliche Sexualmoral wieder anschlussfähig an heutige Grundsätze der Sexualwissenschaften machen könnte. Working in progress – im doppelten Sinn!


Die Arbeit der Synodalforen und ihre Zuarbeit zu der Synodalversammlung gleicht dabei dem Modus, den sich Papst Franziskus auch für die katholische Kirche insgesamt wünscht. Ein (synodales) Zusammengehen und Voranschreiten, um auf dem Weg und in einem geistlichen Prozess eine erneuerte Kirche zu werden, ja darin schon zu sein.

"Die Corona-Krise fordert von uns immer wieder Veränderungen in der Weg-Planung. Nicht nur in den Inhalten, sondern auch in den Formen tasten wir uns Schritt für Schritt voran. Dies mag zwar zunächst mühselig sein, es ist aber doch eine echte Chance, mit unterschiedlichen Formaten, Geschwindigkeiten und Prozessen neu Synodalität in unserer Kirche zu erlernen – eine Synodalität, die hoffentlich über den bisher geplanten Rahmen des Synodalen Weges hinaus Bestand hat." (SynodalerWeg.de vom 19.11.2020)

Und wenn Synodalität der Weg ist, ist sie auch das Zielbild der Kirche als ganzer. Das Jahr 2022 wird es deutlich machen. Wie zuletzt in diesem Blog am 20. März 2020 zitiert:

"Es ist dieser Weg der Synodalität, welcher der Weg ist, den Gott von der Kirche im dritten Jahrtausend erwartet." (Papst Franziskus am 17.10.2015)


Sonntag, 4. Oktober 2020

Fratelli tutti – oder: Wie Geschwisterlichkeit, Multilateralismus und die synodale Vision verbunden sind

"Die Zeichen der Zeit zeigen deutlich, dass die menschliche Geschwisterlichkeit und die Sorge um die Schöpfung den einzigen Weg zur ganzheitlichen Entwicklung und zum Frieden bilden." (Ansprache von Papst Franziskus nach dem Angelus-Gebet am 4.10.2020; eigene Übersetzung)

In der heute veröffentlichten Sozialenzyklika Fratelli tutti wendet sich Papst Franziskus wie schon in seiner vor fünf Jahren erschienenen Schöpfungsenzyklika Laudato Si‘ „an jeden Menschen“ (LS 3), „an alle Brüder und Schwestern“ (FT 1) und schreibt darin eine „Form der Primatsausübung“ fort, die „keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, aber sich einer neuen Situation öffnet“ (Ut unum sint 95), wie er sie bereits in der historischen Ansprache anlässlich des Festaktes 50 Jahren Bischofssynode am 17.10.2015 ausführte:

"Unser Blick weitet sich auch auf die ganze Menschheit. […] in einer Welt, die - obwohl sie zu Beteiligung, Solidarität und Transparenz in der öffentlichen Verwaltung einlädt - oft das Schicksal ganzer Völker in die gierigen Hände einer beschränkten Gruppe Mächtiger gibt. Als Kirche, die gemeinsam mit den Menschen unterwegs ist, die an den Mühen der Geschichte Anteil hat, pflegen wir den Traum, dass die Wiederentdeckung der unverletzlichen Würde der Völker und der Dienstcharakter der Autorität auch den Gesellschaften helfen kann, um sich auf Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit zu stützen, um eine bessere und würdigere Welt für die Menschheit zu bauen und für die Generationen, die nach uns kommen (EG 186-192, LS 156-162).“ (Ebd.) 

Interreligiöse Übereinkunft

Bezog sich Papst Franziskus in seiner Schöpfungsenzyklika insbesondere auf das Umweltengagement des orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I. von Istanbul, ist die Sozialenzyklika Fratelli tutti über die „Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft“ (Untertitel) inspiriert von der wichtigen interreligiösen Erklärung vom Februar vergangenen Jahres, die er u.a. zusammen mit dem zu Beginn der Enzyklika zitierten Großimam der al-Azhar-Universität von Kairo, Scheich Ahmad al-Tayyeb unterzeichnete. (vgl. FT 3)

"Dort haben wir daran erinnert, dass Gott »alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher Würde geschaffen und sie dazu berufen hat, als Brüder und Schwestern miteinander zusammenzuleben« (FT 3)

Diese Erklärung beschreibt darin auch den Anlass der Sozialenzyklika: „Jahrzehntelang schien es, dass die Welt aus so vielen Kriegen und Katastrophen gelernt hätte und sich langsam auf verschiedene Formen der Integration hinbewegen würde" (FT 10), formuliert der Papst. Doch nun sieht er mannigfache Anzeichen für Rückschritte und brandmarkt – ohne Namen von Regierenden zu nennen – populistische Tendenzen:

"Unzeitgemäße Konflikte brechen aus, die man überwunden glaubte. Verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen leben wieder auf. […] Was bis vor wenigen Jahren von niemandem gesagt werden konnte, ohne den Respekt der gesamten Welt ihm gegenüber aufs Spiel zu setzen, das kann heute in aller Grobheit auch von Politikern geäußert werden, ohne dafür belangt zu werden." (FT 11; 45)

 

Geschwisterlichkeit, Multilateralismus und die synodale Vision

Demgegenüber plädiert Papst Franziskus – so erläuterte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einer Konferenz anlässlich der Veröffentlichung am Nachmittag in der Synodenaula im Einklang mit seinen Vorgängern und der katholischen Soziallehre für einen "Multilateralismus" und darüber

"für die Notwendigkeit einer 'politischen Weltautorität, die sich dem Recht unterordnet', ohne dabei 'notwendigerweise an eine persönliche Autorität zu denken' (FT 172). Die Geschwisterlichkeit ersetzt die Zentralisierung der Mächte durch eine kollegiale Funktion – die der 'synodalen' Vision, die der Führung der Kirche, wie sie Papst Franziskus wahrnimmt, nicht unähnlich ist –, die 'die Schaffung von wirksameren Weltorganisationen vorsehen, die mit der Autorität ausgestattet sind, die Beseitigung von Hunger und Elend und die feste Verteidigung der grundlegenden Menschenrechte zu gewährleisten.' (FT 172) (Ebd. eigene Übersetzung)

Engagement in Welt und Kirche 

Aber "[d]ie Enzyklika „Fratelli tutti“ wirft nach Ansicht des Münchner Kardinals Reinhard Marx letztlich [auch] die Frage auf, wie die Kirche ihren eigenen Forderungen nachkommt. Denn alle Prinzipien der Menschenwürde und der Personalität, die in der Gesellschaft gelten, dürften von der Kirche im Niveau nicht unterlaufen werden, erklärte Marx am Montagabend in München bei einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie in Bayern." (Vaticannews vom 6.10.2020) *

"Es könne nicht sein, dass etwa in der Kirche hingenommen werde, dass von oben nach unten regiert werde, während zugleich von ihr der Appell komme, in der Gesellschaft müsse auf Dialog geachtet werden." (Ebd.) *

So wendet sich der Appell in die Welt sich auch an die Kirche selbst und ermutigt zum Engagement.* "Jeder Tag bietet uns eine neue Gelegenheit, ist eine neue Etappe. Wir dürfen nicht alles von denen erwarten, die uns regieren; das wäre infantil. Wir haben Möglichkeiten der Mitverantwortung, die es uns erlauben, neue Prozesse und Veränderungen einzuleiten und zu bewirken.“ (FT 72) geschwisterlich, geleitet von der Überzeugung, dass "Gottes Liebe […] für jeden Menschen gleich [ist], unabhängig von seiner Religion" (FT 281; Zitat aus dem Dokumentarfilm, den Wim Wenders über den Papst gedreht hatte) und in der "synodalen Vision".


*ergänzt am 6.10.2020

Samstag, 5. September 2020

Fratelli tutti – Fünf Regionenkonferenzen des Synodalen Wegs beraten in Zeiten von Corona in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Ludwigshafen und München 

 

(Bild: © privat)

"Fratelli tutti" der Titel der heute bekannt gewordenen dritten Enzyklika von Papst Franziskus könnte auch gut als pointierte Überschrift für die Arbeitsatmosphäre der Regionenkonferenzen des Synodalen Wegs stehen, die statt der Coronabedingt abgesagten Plenumskonferenz an diesem Wochenende mit jeweils ca. 50-70 Personen in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Ludwigshafen und München stattgefunden haben

"Bei allen spürbaren verschiedenen Sichtweisen, Perspektiven und Schwerpunkten lässt sich eine entspannte, aufmerksame Atmosphäre feststellen. Die Redner nehmen kritisch wie würdigend aufeinander Bezug, die Beiträge bleiben konstruktiv und um Austausch bemüht. Direkte Angriffe untereinander bleiben aus." (katholisch.de vom 4.9.2020)

Gemeinsam mit der Themenstellung der neuen Sozialenzyklika des Papstes im Blick auf die globalen Herausforderungen der Pandemie ist allen Regionalkonferenzen auch der Themenschwerpunkt am Vormittag: "Die Corona Pandemie – Herausforderungen für den Synodalen Weg". Ohnmachtserfahrungen angesichts des Lockdowns und Fragen zur kirchlichen Systemrelevanz in dieser Zeit, ihre ureigentliche Kompetenz in der Begleitung Alter, Kranker, sozial Benachteiligter wie in Fragen von Tod, Krankheit und Leid wurden ebenso angesprochen wie neue Weisen und Formen kirchlichen Lebens: in digitalen und Live-Streaming-Angeboten und Gottesdienstformaten wie in einer plötzlich in ihrer Bedeutung wieder neu in den Vordergrund rückenden Familienkatechese und –pastoral. Corona war und ist auch FamilienZeit und löst – Ironie und Paradoxie der letzten Monate – das Motto der diesjährigen Familiensonntags-Kampagne ‚Familie als Lernort des Glaubens‘ in einem Maße ein, wie das die Autor*innen der nur zum Download bereitstehenden 78 S.-Arbeitshilfe und ihre Auftraggeber in der Kommission 'Ehe und Familie' der Deutschen Bischofskonferenz wohl nicht für möglich gehalten hätten. Aber diese Entwicklungen helfen der Kirche in Deutschland in Zeiten von Corona nur bedingt:

"Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas - alle Probleme, die die Kirche sowieso schon hat, werden durch das Virus nur noch größer und drängender: der Priestermangel, die Glaubwürdigkeitskrise, die Kirchenaustritte, der Ausschluss von Frauen aus Ämtern." (SZ vom 5.0.2020)

"Fratelli tutti" – der Titel könnte auch für die Männerkirche stehen, die am Nachmittag der Regionalkonferenzen mit einem ersten Diskussionspapier aus dem Synodalforum ‚Frauen in Diensten und Ämtern‘ thematisiert wurde.

(Arbeitstext des Synodalforum III)
Obwohl die Textvorlage sich vornehmlich auf die Möglichkeiten beschränkt, die Frauen unter den derzeitigen Bedingungen schon offenstehen, standen doch die grundsätzlichen Anfragen nach Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche und Ämtern nicht nur mit Reformbewegungen u.a. von Maria 2.0 vor den Türen. Es handelt sich nach den Worten der Vorsitzenden des Präsidiums des Synodalen Wegs um die Zukunftsfrage der Kirche in Deutschland.


Karin Kortmann, die als Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) im Präsidum des Synodalen Weges ist, sagte: 

"Die Frauenfrage ist die existenzielle für die Kirche. Wenn wir diese Frage nicht substanziell geklärt wird, dann werden meiner Einschätzung nach noch viel mehr Menschen die Kirche verlassen." (katholisch.de vom 4.9.2020)

Nicht minder existentiell für die Relevanz der Kirche für das Leben der Menschen heute wird eine zeitgemäße Sexualmoral und Sexualpastoral am späteren Nachmittag eingeschätzt. Elf Voten hatte das Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“, in dem ich selber mitarbeiten darf, für die Regionalkonferenzen als Blitzlicht des derzeitigen Beratungsstandes eingebracht. 

(Die Voten des IV. Synodalforums im Überblick)

Die ‚Knackpunkte‘ der Wertschätzung nicht heterosexueller Paare, der Vielfalt und Individualität sexueller Orientierungen sowie die für die traditionelle Sexualmoral konstitutive Weitergabe des Lebens kamen ebenso zur Sprache wie Zeugnisse von Synodal*innen, die ihre von der heterosexuellen Norm abweichende sexuelle Orientierung in den Regionalkonferenzen, aber auch in den Synodalforen selbst in authentischer Weise einbrachten und bringen.

Zwei von insgesamt 4 Foren kamen in den Regionenkonferenzen zu einer ersten Präsentation, die ebenso wie die beiden weiteren zu 'Macht und Gewaltenteilung in der Kirche' und 'Priesterliche Existenz heute' auch und gerade mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche Deutschlands zusammenhängen. In der Frankfurter Regionalkonferenz wurde unterstrichen, dass Sexuelle Bildung im Sinne der vorgestellten Thesen auch zölibatär lebende Menschen in der Kirche ebenso betreffen und betreffen müssen wie die Achtung sexueller Selbstbestimmung als Ordnungsprinzip einer zukunftsfähigen Sexualethik: neue, auch an humanwissenschaftlichen Erkenntnissen orientierte Kategorien, die im Katechismus der Katholischen Kirche noch vergeblich gesucht werden und als Vertiefung der bisherigen Sexualmoral und Sexualpädagogik verstanden werden dürfen. 


Dass die Auseinandersetzung über alle genannten Zukunftsfragen hinweg weiterhin konstruktiv und brüder- bzw. besser geschwisterlich verlaufen mögen, lässt im Blick auf die auch in Deutschland mit hohen Erwartungen verbundene Enzyklika Fratelli tutti‘ auch das 'e sorelle' mitdenken. Gott möge geben, dass die Anliegen der Frauen – anders als in einer Instruktion der Kleruskongregation unlängstin ihr bereits mitgedacht werden,


Montag, 24. August 2020

„Synodale Kirche ist etwas anderes als das, was wir jetzt erlebt haben.“ - oder: Wie auf dem Synodalen Weg auf die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ der Kleruskongregation reagiert wird.
(Screenshot: Vaticannews vom 24.8.2020)
„Wenn man von der Behörde wegen unkonventioneller Seelsorgemethoden einen mahnenden Brief erhalte, sollte man den höflich beantworten, dann aber weitermachen wie bisher“, so lautete Papst Franziskus‘ Empfehlung bereits im Jahr 2015 auf Briefe seiner Behörden. Man könnte auch fünf Jahre danach über diese Äußerung von Papst Franziskus noch schmunzeln, wenn sie nicht auch die Entfernung vatikanischer Behörden – jetzt aktuell der Kleruskongregation – von den Ortskirchen der Welt spiegeln würde. Dass selbst Mitglieder der Kommission daselbst von der auf den Tag Peter und Paul, dem 29. Juni 2020 datierten, aber tatsächlich am 20. Juli 2020 veröffentlichten Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“  nichts wussten, lässt ihre Kommunikation zusätzlich erratisch erscheinen. Auf denselben Tag ‚Peter und Paul‘ vor einem Jahr war schon die neue Konstitution zur Vatikanverfassung ‚Praedicate evangelium‘ erwartet worden, die die alte Verfassung „Pastor bonus“ ablösen sollte und deren Erscheinen mit der Instruktion erst einmal in noch größere Fernen gerückt zu sein scheint, als von ersterer die subsidiäre Arbeit vatikanischer Behörden zugunsten der Ortskirche erwartet worden war. Was auch immer deren endgültige Abstimmung und Veröffentlichung verhindert: Die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde…“  scheint allein in der Weise der Kommunikation und des Gebarens eine Kultur des Zentralismus zu zementieren, der nur durch ein konsequentes Durchhalten auf dem Synodalen Weg und in seinem Ernstnehmen zu widerstehen ist. 
"Synodale Kirche ist etwas anderes als das, was wir jetzt erlebt haben."
So lautete mit den Worten von Kardinal Marx schon vor genau einem Monat nur eine der vielen kritischen Stimmen von Bischöfen und Laien in den deutschsprachigen Ortskirchen.
Eine paradoxe und beinahe schizophrene Situation auch fünf Jahre nach dem zu Beginn zitierten Bonmot des damals noch in den ersten Jahres seines Pontifikates amtierenden Reformpapstes: Gegen eine mindestens mit einer doppelten und auseinander gehenden Botschaft aus dem Hause des Papstes mit dem Papst und seinem Anliegen der Synodalität die Anliegen der Ortskirchen zugunsten der Weltkirche insgesamt einzubringen. Würde das Thema der auf das Jahr 2022 Corona-bedingt verschobenen Bischofssynode in Rom nicht Synodalität heißen, könnte man sich auf dem Synodalen Weg in Deutschland schon auf einem Weg ins Leere fühlen. 

Dass dieser Weg aber nicht ins Leere gehen kann, gehört zu einer inneren Glaubensgewissheit, dass die Kirche schon um ihrer selbst und der Verheutigung des Glaubens in die jeweilige Kultur und Zeit hinein weiter- und vorangehen muss. Und so ist auch heute die Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz zu werten, dass 
"[d]er Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, […] daher das vom Präfekten der Kongregation für den Klerus, Kardinal Beniamino Stella, übermittelte Gesprächsangebot annehmen [wird]. Er wird der Kongregation vorschlagen, das Gespräch mit dem Präsidium des Synodalen Weges zu führen, da Bischöfe, Priester, Diakone und Laien in der Instruktion gleichermaßen angesprochen werden. Die Instruktion kann nur der Anlass und Anfang eines Gesprächs sein, damit daraus eine echte Hilfe für die differenzierten Situationen in den Ortskirchen wird. Grundlage für die Ausrichtung der pastoralen Arbeit sind nach wie vor die beiden Grundlagendokumente der Deutschen Bischofskonferenz „Zeit zur Aussaat. Missionarisch Kirche sein“ (2000) und „Gemeinsam Kirche sein. Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral“ (2015).“ (Presseerklärung der DBK vom 24.8.2020)
Diesem offensichtlich mit dem Präsidium des Synodalen Weges abgestimmten Statement ist an Deutlichkeit nichts hinzuzufügen. Und es darf – analog zu dem oft bekundeten Reformanliegen – den Papst an seiner Seite fühlen. Papst Franziskus selbst wird ggf. nicht der Papst sein können, der die Umsetzung aller der von ihm angestoßenen Reformanliegen in seiner aktiven Amtszeit erleben wird – das Wirken von Franziskus sei eher als „ein Pontifikat der Aussaat, nicht der Ernte“ zu verstehen, wie der Jesuit und Papstvertraute Antonio Spadaro unlängst betonte: 
"Der Papst hat sehr viel gesät in den letzten Jahren. Sein Nachfolger kann das nicht ignorieren, er wird nicht zurückkönnen. Er wird weiter vorangehen." 
Die „pastorale Neuausrichtung“ seiner ‚Behörde‘ wird Papst Franziskus auch fünf Jahre nach dem Eingangs-Bonmot nicht müde zu betonen. Und wenn die Sache als solche nicht zu ernst wäre – und in Deutschland traditionsgemäß mit noch größerem Ernst wahrgenommen würde als irgendwo sonst in der Welt –, wäre es fast schon Anlass sich auf die nächste Weihnachtsansprache zu freuen, in der Papst Franziskus alle Jahre wieder seiner Kurie die Leviten lesen wird. Eine baldige Veröffentlichung einer neuen Kirchenverfassung wäre demgegenüber allerdings noch wünschenswerter.

Samstag, 27. Juni 2020

Synodaler Weg: Der Papst schätzt dieses Vorhaben, das er eng mit dem von ihm geprägten Begriff der ‚Synodalität‘ verbindet.“

 

© Deutsche Bischofskonferenz/Matthias Kopp

"Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, ist heute (27. Juni 2020) zu einem Antrittsbesuch von Papst Franziskus empfangen worden. Bei der Privataudienz im Vatikan konnte Bischof Bätzing den Papst über die Lage der Kirche in Deutschland, vor allem in den Auswirkungen der Corona-Krise, informieren. Ausführlich berichtete er Papst Franziskus über den bisherigen Verlauf des Synodalen Weges der Kirche in Deutschland und die weiteren Planungen. „Ich fühle mich durch den intensiven Austausch mit dem Heiligen Vater bestärkt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Der Papst schätzt dieses Vorhaben, das er eng mit dem von ihm geprägten Begriff der ‚Synodalität‘ verbindet. Mir war es ein Anliegen deutlich zu machen, dass die Kirche in Deutschland diesen Weg geht und sich stets an die Universalkirche gebunden weiß“, erklärte Bischof Bätzing nach der Audienz. „Auf dringende Herausforderungen der Kirche, die von der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen bis hin zu den dramatischen Kirchenaustrittszahlen reichen, müssen wir Antworten finden. Mit seinem Schreiben an das pilgernde Gottesvolk der Kirche inDeutschland im Juni 2019 hat er dazu ermutigt und Hinweise gegeben. Er wird uns auch weiterhin aufmerksam begleiten.“ Papst Franziskus habe daran erinnert, beim Synodalen Weg und dem Handeln der Kirche in Deutschland, die Armen und Alten, die Geflüchteten und Hilfsbedürftigen nicht aus dem Blick zu verlieren. „Ausdrücklich bat der Papst darum, die Auswirkungen und Erfahrungen angesichts der Corona-Pandemie auf dem weiteren Weg mit zu bedenken“, so Bischof Bätzing. Er fügte hinzu: „Ich hoffe, dass wir mit den Erfahrungen des Synodalen Weges einen Beitrag zur Weltbischofssynode im Oktober 2022 leisten können, die sichmit der Frage der Synodalität auseinandersetzt.“

 

Bei seinem zweitätigen Besuch traf Bischof Bätzing außerdem mit dem Generalsekretär der Bischofssynode, Kardinal Lorenzo Baldisseri und dessen designierten Nachfolger, Erzbischof Mario Grech, dem Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Louis Ladaria SJ, dem Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, und dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl, Botschafter Dr. Michael Koch, zusammen."


Quelle: Pressemeldung Nr. 107 der Deutschen Bischofskonferenz vom 27.06.2020



Sonntag, 31. Mai 2020

Pfingsten und der Synodale Weg in Corona-Zeiten – oder: als  „Kirche im Aufbruch… ein neues Kapitel des Christseins mitschreiben“

 

Screenshot: Pfingstpredigt von Bischof Georg Bätzing,
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und
der Synodalversammlung des Synodalen Weges

„Die Zeit ist mehr wert als der Raum.“ Auch heute klang dieser im vorausgegangenen Blogbeitrag hervorgehobene Grundgedanke in der Pfingstpredigt von Papst Franziskus an, indem er ihn auf die christliche Gottesvorstellung bezog. Es sei wichtig, dass „Gott ganz Gabe ist, dass er nicht nimmt, sondern gibt.“ Von dieser Gottesvorstellung hänge es ab, auf welche Weise wir unseren Glauben leben:

"Wenn wir einen Gott im Sinn haben, der sich alles nimmt und sich aufdrängt, möchten auch wir uns alles nehmen und uns aufdrängen: Räume besetzen, Bedeutung beanspruchen, nach Macht streben. Aber wenn wir Gott als Gabe in unseren Herzen spüren, ändert sich alles. Wenn uns bewusst wird, dass das, was wir sind, sein Geschenk ist, seine freie und unverdiente Gabe, dann werden auch wir aus unserem Leben ein Geschenk machen wollen." (dt. Übersetzung bei kath.net vom 31.5.20)

Pfingsten in Corona-Zeiten: Das bedeutet, sich dieser Botschaft, aber auch der Gefährdung dieser Botschaft aus dem vermeintlich inneren Bereich der Kirche bewusst zu sein. Leider hat kath.net einen selbstkritischen Satz hinsichtlich dieser Gefährdung im Blick auf Selbstbezüglichkeit und Abkapselung der Kirche aus der ansonsten um Vollständigkeit bemühten Predigtveröffentlichung getilgt, so dass ich aus der am Abend veröffentlichten deutschen Übersetzung der Predigt bei Vatican News zitiere:

"Der Geist will nicht, dass die Erinnerung an den Meister in geschlossenen Gruppen gepflegt wird, in Kreisen, in denen man sich gerne 'sein Nest baut'. Und das ist eine schlimme Krankheit, die die Kirche befallen kann, dass die Kirche nicht Gemeinschaft, nicht Familie, nicht Mutter, sondern ein Nest ist." (Vatican News vom 31.5.2020)

Die Gefahr der Abkapselung der Kirche wider das Wirken des Heiligen Geistes steht heute auch beim Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Georg Bätzing im Fokus seiner Pfingstpredigt:

"Offene Aggression und Zwietracht, drängelnde Ungeduld, selbstherrliche Ab- und Ausgrenzung, Bosheit und Verantwortungslosigkeit vertragen sich nicht damit. Wer als Christ hart, unduldsam und lieblos auftritt und damit meint, die Wahrheit des Glaubens verteidigen zu können, der ist auf dem Holzweg, auch wenn er äußerlich noch so fromm daherkommt. Der Geist Jesu Christi führt wohl in die Entscheidung, aber er wählt stets Wege, die Menschen aufrichten und zueinander führen." (DBK vom 31.5.2020)

Das weiterzugeben, „was wir empfangen und gesehen haben“ (vgl. 1 Joh 1,3) – der zweite fehlende Satz in der o.g. kath.net-Veröffentlichung der Predigt von Papst Franziskus – ist gleichfalls die Sinnspitze der Homilie von Bischof Bätzing, indem er auf eine kurze Ansprache des damaligen Kardinal Bergoglio aus dem Konklave Bezug (vgl. Blogbeitrag vom 29.9.2015) nimmt:

"Und da kommt für mich das Pfingstbild erneut ins Spiel. Manche haben an das Wort von Papst Franziskus am Vorabend seiner Wahl erinnert. Da sprach er von Christus, der höchst lebendig in seiner Kirche von innen her anklopft und uns aus dem Schlaf der Trägheit und Selbstgerechtigkeit herausrufen will. Er wartet aber nicht, bis wir seinen Auftrag beherzigen. Er öffnet beständig die verschlossenen Tore seiner Kirche und sucht an den Rändern und Grenzen die verwundeten Menschen auf. Wenn wir nicht bereit sind, gemeinsam mit ihm unsere kirchlichen Binnenräume zu verlassen, dann bestätigt sich die Kirche als fad und schal, als Salz ohne Geschmack, das den Menschen in Nöten und Abgründen keinen Trost und keine Hoffnung zu geben vermag. Und deshalb erinnert uns Papst Franziskus immer wieder daran, 'Kirche im Aufbruch' zu verwirklichen. Türen auf und hinaus zu den Menschen, so gibt er die Richtung vor." (Ebd.)

Ebendies ist die erklärte Ausrichtung des Corona-bedingt nunmehr um ein halbes Jahr, bis zum 2. Februar 2022 verlängerten Synodalen Weges mit seinen nunmehr ersatzweise im Herbst diesen Jahres eingeschobenen 5 Regionalforen (für die ursprünglich für den 4. September 2020 vorgesehene und nun auf den Zeitraum vom 4. bis 6. Februar 2021 verschobene zweite Synodalversammlung). Dies gibt auch den inhaltlich arbeitenden vier Arbeitsgruppen mehr Zeit. Denn erst

"[z]wei Arbeitsgruppen - zu Frauen und zur Sexualmoral - konnten vor den Corona-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens zusammenkommen und nach der Satzung ihre Vorsitzenden bestimmen. Seither läuft der Austausch vor allem auf virtuellem Weg. Die beiden Arbeitsgruppen zu Machtfragen und priesterlichem Leben wollen sich dem Vernehmen nach vor August treffen.“ (katholisch.de vom 29.5.20)

Bischof Georg Bätzing hat sich bereits für eine Thematisierung auf einer Bischofssynode in Rom ausgesprochen, die sich mit den zu fassenden Beschlüssen des Synodalen Wegs der Kirche in Deutschland beschäftigt.

"Er sei 'sehr dafür, die Erkenntnisse und Entschlüsse, die wir auf dem Synodalen Weg sammeln – auch hinsichtlich der Frau und des Amtes –, nach Rom zu transportieren'. […] 'Was synodal entsteht, muss auch synodal geklärt und beantwortet werden', so Bätzing. Dieses Prinzip sei durch Papst Franziskus gestärkt worden.“ (Ebd).

In dieser Überzeugung knüpft Bischof Bätzing an seinen Vorgängers im Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zum Beginn des Synodalen Weges an. Und er schließt in seiner Pfingstpredigt mit Worten, die die Richtung nach vorne angeben:

"Ja, diese Krisenzeit verschärft die Zeitansage an die Kirche. Wir müssen uns ihr stellen, sie durchdringen und miteinander darauf antworten. […] An Pfingsten wurde das erste Kapitel in der langen Geschichte der Kirche aufgeschlagen. Unsere Zeit und ihre Zeitansage legen nahe, dass wir ein neues Kapitel des Christseins mitschreiben. Jesus traut es uns zu. Türen auf und hinaus." (DBK vom 31.5.2020)
 
 

Sonntag, 19. April 2020

Die Zeit ist mehr wert als der Raum und was zu tun ist, wenn die Zeit stille zu  stehen scheint – oder: Mit Antikörpern der Solidarität“ wider das „Virus der Gleichgültigkeit“  „Un plan para resucitar
(Bild: Vatican News vom 17.4.2020)
Die Zeit ist mehr wert als der Raum.“ Für mich, der ich mich als Vorsitzender des ökumenischen Bundesverbandes Kirchenpädagogik und Lobbyist für die Bedeutung, Erhaltung und Erschließung von Kirchenräumen eigentlich immer wider die Raumvergessenheit in Theologie und Kirche einzusetzen versuche, war diese Prämisse des Pontifikates von Papst Franziskus, die er auch in seinem als Programmschrift geltenden Lehrschreiben Evangelii gaudium (EG 222-225) in mehreren Absätzen ausgeführt hat, zunächst gewöhnungsbedürftig, der ich aber jetzt – je länger, je mehr und weil sie gar nicht auf den Kirchenraum als solchen gemeint ist – über alle Maßen viel abgewinnen kann  und zumal sie auch die Offenbarungs- und Geschichtstheologie auf den Punkt bringt. In einem im selben Jahr 2013 veröffentlichten Interviewband erläutert Papst Franziskus diesen Gedanken in wenigen Sätzen:
"Gott zeigt sich in einer geschichtsgebundenen Offenbarung, in der Zeit. Die Zeit stößt Prozesse an, der Raum kristallisiert sie. Gott findet sich in der Zeit, in den laufenden Prozessen. Wir brauchen Räume der Machtausübung nicht zu bevorzugen gegenüber Zeiten der Prozesse, selbst wenn sie lange dauern. Wir müssen eher Prozesse in Gang bringen als Räume besetzten. Gott offenbart sich in der Zeit und ist gegenwärtig in den Prozessen der Geschichte.“ (Das Interview mit Papst Franziskus, hrsg. von A.R. Batlogg und A. Spadaro, Freiburg 2013, S. 59)
Aber was heißt dies in einer Zeit, in der die Zeit selbst stille zu stehen scheint, einer Zeit „mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere […],die alles im Vorbeigehen lähmt“? In einem Beitrag für die spanische Zeitschrift Vida Nueva vergleicht Papst Franziskus die Situation heute mit den Ostererfahrungen der Jüngerinnen(!): 
"‘Denn wie die ersten Jüngerinnen, die damals zum Grab Jesu gingen, leben wir derzeit in einer Atmosphäre des Schmerzes und der Unsicherheit.‘ Die Angst etwa der alten Menschen in einsamer Quarantäne oder der Familien, die nichts mehr zu essen hätten, laste wie ein Grabstein auf den Menschen.“  (Vatican News vom 17.4.2020) 
Un plan para resucitar
Die Osterzeit ist dieses Jahr – vielleicht mehr als je zuvor und in aller Welt zeitgleich erfahrbar – eine Erfahrung von Not, Beklemmung, Angst, wirtschaftlicher Ungewissheit und auch von Todeserfahrungen im allernächsten familiären Umfeld. Erfahrbar wurde dies am Karfreitag, aber auch etwa in der Andacht auf dem Petersplatz anlässlich der Pandemie am 27.3.2020. In der Klage, der Not und Ausweglosigkeit ist Leben in einer Dichte erfahrbar – ähnlich der Trauer und Verzweiflung der Jüngerinnen Jesu. Und hier setzt die Osterbotschaft, der „Plan wiederaufzuerstehen“ ("Un plan para resucitar") an:
"Doch die Jüngerinnen hätten sich damals trotz ihrer Angst in Bewegung gesetzt, und wie sie sollten auch wir es heute halten. Wie Jesus seien auch wir „nicht für den Tod, sondern für das Leben gesalbt“. […] Die Auferstehung des Herrn, „eine überschäumende Nachricht“, sei auch heute „die Quelle unserer Freude und Hoffnung, die unser Handeln verwandelt“. „Jedes Mal, wenn wir am Leiden des Herrn, am Leiden unserer Geschwister teilnehmen oder selbst Leid durchmachen, werden unsere Ohren die Nachricht von der Auferstehung hören“, so der Papst. „Wir sind nicht allein, der Herr geht uns auf unserem Weg voraus und räumt die Steine beiseite, die uns hindern.“ (Vatican News vom 17.4.2020)
Wenn sich aus der Corona-Krise etwas lernen lasse, dann dies: „'dass sich keiner alleine rettet. […] Die Grenzen werden durchlässig, und alle fundamentalistischen Reden lösen sich auf, wenn uns die fast unmerkliche Präsenz (des Virus) darauf hinweist, dass wir zerbrechlich sind.' Der Ernst der Stunde verlange, dass konkrete Konsequenzen aus der Krise gezogen würden. Dazu brauche es 'eine neue Vorstellungskraft' und nicht nur 'Realismus'. Es gehe letztlich 'um eine nachhaltige und integrale Entwicklung der ganzen Menschheitsfamilie'“. (Ebd.)

Mit Antikörpern der Solidarität wider das Virus der Gleichgültigkeit
Mit „Antikörpern der Solidarität“  solle sich jeder als „Handwerker und Protagonist einer gemeinsamen Geschichte“ fühlen und entsprechend agieren. 
"Wir können es uns nicht erlauben, die jetzige und künftige Geschichte zu schreiben, wenn wir gleichzeitig dem Leiden so vieler Menschen den Rücken zudrehen… Wenn wir wie ein einziges Volk handeln, können wir auch angesichts anderer Epidemien, die uns bedrohen, eine echte Durchschlagskraft entwickeln.“ (Ebd.)
In Zeiten der bevorstehenden Lockerung von Pandemie-Maßnahmen sei gerade auf die Schwächsten zu achten“, betonte Papst Franziskus heute, indem er vor dem nächsten „Virus des gleichgültigen Egoismus" warnte.
"Es ist an der Zeit, die Ungleichheit zu beseitigen, die Ungerechtigkeit zu heilen, die die Gesundheit der gesamten Menschheit bedroht!" (Vatican News vom 19.4.2020)
Die Zeit, Prozesse in Gang zu setzen
Einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ setzt er in dem Artikel in Vida Nueva einen Lebensstil der „Zivilisation der Liebe“ entgegen und macht sich damit eine berühmte Formulierung von Papst Paul VI. zu eigen. „Die Zivilisation der Liebe wird täglich, in unermüdlicher Arbeit, aufgebaut. Sie setzt das Engagement aller voraus.“
Es ist jetzt die Zeit, "Prozesse in Gang zu setzen […], die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und Menschen sowie Gruppen einbeziehen, welche diese vorantreiben, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringt.“ (EG 223)