Verlorene
Glaubwürdigkeit – oder: 1 Jahr Synodaler Weg
(Screenshot: katholisch.de vom 1.12.19) Vor einem Jahr wurde der katholische Reformprozess "Synodaler Weg" in Deutschland in der Münchener Frauenkirche mit einem Gottesdienst eröffnet. Die Kirche sei "kein geschlossenes System, keine Zitadelle, die sich einmauert" und bedürfe der "Offenheit" und eines synodalen Weges um der Zukunft der Kirche willen, sagten damals der Münchener Kardinal Reinhard Marx und die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Katholiken Karin Kortmann. Nur durch „unsere selbstkritische Arbeit“ könne man die durch den Missbrauchsskandal verlorene Glaubwürdigkeit wiedererlangen. |
"Nach der schrecklichen Erfahrung, dass sexueller Missbrauch in der Kirche stattgefunden hat", gelte es nun, "Gefährdungen systemischer Natur" anzuschauen, etwa "falsche Herrschaftsorganisationen", ergänzte der Kardinal. Um wieder glaubwürdige Zeugen der Freude und der Hoffnung zu sein, "müssen wir manche Hindernisse beseitigen". (katholisch.de vom 1.12.19)
Vor diesem Hintergrund ist es unaushaltbar, dass ein Jahr nach dem Beginn des Synodalen Weges ein spätestens seit März 2020 vorliegendes Gutachten zu den Missbrauchsstrukturen und -taten im Erzbistum Köln wegen angeblicher methodischer Mängel bis auf weiteres endgültig unter Verschluss gehalten wird – von dem Eingeständnis der Instrumentalisierung Betroffener ganz zu schweigen, die sich in diesem Zusammenhang ein zweites Mal mit denselben Mechanismen der Macht missbraucht fühlen (selbst noch einmal darin, dass Einzelnen von ihnen unter Auflagen Inhalte im März nächsten Jahres zugänglich gemacht werden sollen, wie es seit dem ersten Adventswochenende heißt).
So geht es nicht weiter! Wenn die Voraussetzungen für den synodalen Weg – das vorbehaltlose Offenlegen der Gutachten von Missbrauchstaten und -strukturen – nicht gegeben sind, untergräbt das Verhalten auch nur einer Ortskirche die Glaubwürdigkeit aller anderen Ortskirchen in Deutschland, der verschiedenen Synodalforen und des Synodalen Wegs insgesamt.
Dabei ist der Reformprozess an einigen Stellen gut unterwegs: zumindest für das Synodalforum „Liebe und Sexualität“ – wie es abgekürzt genannt wird –, in dem ich mitarbeiten darf, kann ich sagen, dass der Arbeits- und Diskussionsstand trotz oder wegen Corona und den Möglichkeiten digitaler Kommunikation vorangeschrittenen ist auf einem Weg, den ich von den Plenar- und Regionenkonferenzen, der Arbeit im Forumsplenum wie in der Redaktionsgruppe als einen geistlichen Prozess erlebe: Nicht nur dass Gottesdienste am Anfang standen und den synodalen Weg begleiten, auch die Verantwortung für die kirchliche Gemeinschaft als ganze und ihre Lehre werden mit großer Ernsthaftigkeit in der Forumsarbeit verfolgt und vom Gebet begleitet. Genau in diesem Sinn, „in einer Gemeinschaft, in seinem Wort, in der Eucharistie und im Gebet zu sein“, bezeichnete Papst Franziskus in seiner Generalaudienz vor genau einer Woche die Kennzeichen von Synodalität und eines Cammino sinodale, die sich von denjenigen einer bloßen "strada sinodale" – ohne Wirken des Hl. Geistes und nur auf das Erzielen von Mehrheitsentscheidungen bedacht – unterscheiden.
Dass der Tiefpunkt der unsäglichen Missbrauchstaten und die zugrundeliegenden Strukturen dazu beigetragen haben, auch die kirchliche Lehre von der Wurzel her neu wahrzunehmen und zu durchdringen, ist dabei eine paradoxe und doch so wichtige Erfahrung gleich einem Wendepunkt: dass Lehrentwicklung durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit, also auch durch Offenlegung von Unrechtstaten und –strukturen geschehen kann. In Bezug auf den in diesem Blog schon oft zitierten kirchlichen Grundsatz, dass „die apostolische Überlieferung in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt kennt“ (DV 8), hatte ich diesbezüglich im vorausgegangenen Blog-Beitrag bereits die „geschärfte und vertiefte Perspektive auf das Feld der Sexualität in der Arbeit des Synodalforums“ beschrieben.
"Die Bedeutung sexueller Selbstbestimmung und die Würde jedes Menschen in seiner sexuellen Identität bekommen einen Stellenwert, der auch die kirchliche Sexualmoral wieder anschlussfähig an heutige Grundsätze der Sexualwissenschaften machen könnte." (Blogbeitrag vom 19.11.20)
Aber jenseits aller Ansätze des Aufbruches wird das Wahrnehmen der Zeichen der Zeit und ihre Deutung im Licht des Evangeliums nur gelingen, wenn wirklich auch nur der Anschein von Vertuschung, von Institutions- und Täterschutz verflogen, Aufarbeitung von externer Seite angefragt und einbezogen ist und eingeholte Gutachten radikal offengelegt werden – auch und gerade das WSW-Gutachten im Erzbistum Köln, wie es auch die Vollversammlung des ZDKs am 20.11.20 fordert:
"Aktuell sind wir Zeuginnen und Zeugen intransparenter Vorgänge im Erzbistum Köln. Wir fordern, diese vollständig offen zu legen und insbesondere die Ergebnisse aus dem Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zugänglich zu machen. Außerdem muss für weitere Untersuchungen eine unabhängige Kommission vergleichbare Prozesse und anzuwendende Methoden definieren und die Ergebnisse diözesanübergreifend evaluieren." (ZDK.de vom 20.11.20)
Die Zurückhaltung des besagten Gutachtens hat bereits jetzt einen Glaubwürdigkeitsverlust verursacht, dass eine erstickende Atmosphäre der Unglaubwürdigkeit über die Kölner Bistumsgrenzen hinaus sich immer weiter ausbreitet: Das Gegenteil dessen, was mit dem vor einem Jahr in Deutschland auf den Weg gebrachten 'Synodalen Weg' intendiert war. Wie es um die Kirche steht, bringen nachdrücklich und bewegend die „Fragen an meine Kirche – Sorgen eines Landpfarrers im Rheinland“ zum Ausdruck, die ebenfalls Ende November veröffentlicht wurden.
Ein authentisches und ebenso bedrückendes wie ermutigendes Hirtenwort zum Advent 2020 in Deutschland.