Blog zur III. Außerordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode vom 5. bis 19. Oktober 2014 und der XIV. Ordentlichen Bischofssynode vom 4. bis 25. Oktober 2015 und der XV. Bischofssynode vom 3. bis 28. Oktober 2018 mit aktuellen Beiträgen zur Amazonassynode vom 6. bis 27.10.2019 und dem Synodalen Weg in Deutschland bis zur XVI. Bischofssynode über die Synodalität 2021 - 2024
Donnerstag, 4. Februar 2021
Transparenz und Verantwortung
- und warum wir das "Monitoring der Öffentlichkeit" auf dem Synodalen Weg brauchen
Am
heutigen 4.2.2021 hat etwas mehr als ein Jahr nach dem ersten Synodalforum eine zweitägige Online-Konferenz als weiterer Coronabedingter Zwischenschritt des Synodalen Wegs vor der regulären zweiten Synodalversammlung begonnen, die jetzt vom 30.9. bis 2.10.2021 geplant ist. Und anders als im letzten
Jahr, wo bereits Reformanliegen in Anbetracht der als systemisch identifizierten Ursachen schon an die Stelle
des Missbrauchsskandals getreten waren, rückte dieser selbst – insbesondere aufgrund
mangelhaften Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln – wieder in den Fokus. Bereits vorab
wurde eine Erklärung mit dem Titel "Transparenz und Verantwortung. Konsequent gegen
sexuellen Missbrauch und Gewalt in der Kirche" des Präsidiums des Synodalen
Weges veröffentlicht, die zu Beginn der Konferenz verlesen und den Erzbischof von Köln zu einem weiteren
Schuldbekenntnis bewegte, das jedoch abermals nicht konkret auf persönliches Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen einging.
Herausragend
war der Beginn der morgen mit den inhaltlichen Berichten fortsetzenden
Onlineversammlung insbesondere durch die Vorstellung und die bewegenden Statements des
neuen Betroffenenbeirates, die zwei Sprecher und eine Sprecherin in einer
Dichte ins Wort brachten, dass die Versammlung trotz der virtuellen Anlage eine Tiefe erhielt, die auch die Hoffnung wieder fühlbar werden ließ.
Dass
Missbrauchsaufarbeitung und eine Auseinandersetzung mit den Ursachen sexueller Gewalt eine
Weise der Evangelisierung sei, wie es Johanna Beck zum Ausdruck brachte, deckt sich
mit meinen Erfahrungen in dem Synodalforum, in dem ich als Berater mitarbeiten darf und dessen Arbeitsstand morgen eines von den vier thematischen Schwerpunkten sein
wird. Dass die vom sexuellen Missbrauch und von sexualisierter Gewalt Betroffenen
die Arbeit des Synodalen Weges bereichern können, lässt mich an deren Beteiligung
im Limburger Aufarbeitungsprozess denken, der mit seinen Ergebnissen und über 60 EinzelaufträgenAnfang dieses Jahres in die Implementierungsphase
übergangen ist. Die Beteiligung Betroffener stellt eine persönliche Weise eines sensiblen, kritischen und vor allem externen Monitorings dar, das heute abermals für die Aufarbeitung und ebenso im Sinne der Einführung einer Verwaltungsgerichtbarkeit angefragt und angemahnt
wurde.
Eine
zweite Weise ist die Rolle der Laien, deren "Stunde" jetzt gekommen sei, wie die Vizepräsidentin
des Präsidiums Karin Kortmann im Anschluss an die Worte des Betroffenenbeirates für alle Gläubigen der Kirche ergänzte. Sie seien jetzt in ihrer Verantwortung in die Pflicht genommen, müssten
jetzt fordern und einfordern und dürften vor allem nicht mehr schweigen,dass sich etwas in der Kirche ändere.
Eine
dritte Weise eines Monitorings brachte Bischof Stephan Ackermann ins Wort.
Ähnlich wie Bischof Bätzing vor gut anderthalb Monaten sagte, dass Medien dabei unterstützten „was wir unter Umständen nicht schaffen aufzuklären", sagte Bischof Stephan Ackermann auf die Frage wie es "ein diözesanübergreifendes Monitoring für das Gesamte" geben könne mit an Deutlichkeit nicht zu überbietender Nüchternheit:
"Solange es das strukturiert nicht gibt, geht das Monitoring wesentlich über die Öffentlichkeit. […] Die Öffentlichkeit hat die Wächterfunktion darüber und schaut dahin."*
Solange es kein diözesanübergreifendes Monitoring gibt und innerkirchlich auf einen einzelnen Klagefall die "vorgeschriebene Frist nicht eingehalten" bzw. in Rom erst dann reagiert wird, wenn etwas über eine "Studie" ans Licht der
Öffentlichkeit kommt, wie Erzbischof Stephan Heße in einem heute veröffentlichten Interview zum Ausdruck brachte,
ist es die Öffentlichkeit, die das Monitoring leisten muss, bis wirklich Transparenz und Verantwortung Einzug halten. Derzeit ist die Kirche angewiesen auf dasMonitoring
der Öffentlichkeit für das, was sie aus sich nicht schafft aufzuklären, bis endlich Verantwortung übernommen und darüber - in hoffentlich nicht zu weiter Zukunft -verlorene Glaubwürdigkeit wiederaufgebaut werden kann.
* Eigene Mitschrift der Online-Konferenz auf dem Synodalen Weg (4.2.2021) https://www.youtube.com/watch?v=gVJoTAmTEpk&feature=youtu.be
Sonntag, 3. Januar 2021
Synodaler
Weg 50 Jahre nach der Würzburger Synode- oder: „Letzte Chance“ wider die
Unglaubwürdigkeit, in der sich „eine Institution selbst zugrunde“ richtet.
"Die
Würzburger Synode war 100 Prozent notwendig und sie lebt bis heute fort. […]
Die Bewegung geht nach vorne und die Impulse von damals sind weiterhin sehr
stark präsent. Die große Mehrzahl der gläubigen Katholikinnen und Katholiken in
unserem Land wollen Veränderung, und darum ist auch der Synodale Weg so
notwendig“. (katholisch.de vom 2.1.21)
Mit
diesen Worten verweist der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bischof
Georg Bätzing auf die Notwendigkeit der Würzburger Synode, die auf den Tag
genau vor 50 Jahren in Würzburg begann, und ihre Bedeutung für den Synodalen
Weg der Kirche in Deutschland. Jüngere Theolog*innen könnten sich die Augen
reiben, dass ebendiese Synode im Schlussdokument in den Beschlüssen
‚Dienste und Ämter‘ und ‚Beteiligung der Laien‘ unter anderem die Zulassung von
Frauen zum Diakonat, Zugangswege für verheiratete Männer zum Priestertum und
Mitbestimmung der Laien in der Kirche geradeheraus ansprechen und fundiert mit Argumenten begründen, die auch heute wieder zitiert werden. Sie
stehen mit anderen wichtigen Themen auch im Rahmen des Synodalen Weges 50 Jahre
später weiterhin auf der Tagesordnung und sind für Bischof Bätzing Gradmesser für
die Glaubwürdigkeit der Kirche
"Wir
gehen diesen Weg mit allen Steinen und Wegweisern aus verschiedensten
Richtungen, aber es ist unsere Verantwortung, ihn jetzt zu gehen. Wenn wir uns
den drängenden Fragen nicht stellen, werden wir unglaubwürdig.“ (Ebd.)
Als
„letzte Chance“ bezeichnet dies auch das oben mit Cover bezeichnete neue Buch “Synodaler Weg“, indem es "Standpunkte zur Zukunft der Kirche" von beteiligten
Synodalen der ersten Plenarversammlung veröffentlicht. Dass die Themen und Forderungen –
anders als vor 50 Jahren – in Rom mehr Beachtung finden, soll über einen
Einbezug desjenigen Sekretariates möglich werden, das für
die Weltbischofssynode 2022 das Thema Synodalität insgesamt aufplant. Auch zur
Synodalität hatte die Würzburger Synode ein Beschlussvotum verabschiedet, das
seiner Zeit ebenfalls keine Beachtung in Rom (und selbstredend daraufhin auch
keinen Niederschlag im Codex Iuris Canonici von 1983) gefunden hat, das nun
auch für Rom in doppelter Weise interessant, ja zielführend werden könnte.
Die
Würzburger Synode bat 1975 in einem bist zum heutigen Tag nicht beantworteten
Votum im Beschluss "Räte und Verbände" den Papst:
"a)
den Bistümern[…] das Recht zu geben, in jedem Jahrzehnt eine gemeinsame
Synode durchzuführen; b)
ein entsprechendes Statut, das unter Wahrung aller im Statut der Gemeinsamen
Synode festgelegten Grundsätze die für weitere gemeinsame Synoden erforderlichen
Regelungen zu treffen und von der Deutschen Bischofskonferenz mit der Bitte um
Genehmigung vorgelegt wird, zu approbieren bzw. in Kraft zu setzen; c)
die Bischöfe unserer Diözesen rechtzeitig zu ermächtigen, die für die
Durchführung der nächsten gemeinsamen Synode erforderlichen Maßnahmen gemeinsam
vorzubereiten und für ihre Diözesen anzuordnen." (Beschluss: Räte und Verbände, Teil IV, 2)
Die Veröffentlichung des
seit dem Frühjahr 2019 erwarteten Dokuments Praedicate evangelium, das die
alte Konstitution zur Kirchenverfassung Pastor Bonus von 1988 ablösen wird,
ist nunmehr für einen Termin vor Ostern dieses Jahres angekündigt. Sie wird
nach den bisherigen Ankündigungen den subsidiären Auftrag der Kurie in Rom,
aber darüber auch die Anteilnahme der Teilkirchen an der Lehrautorität der
Kirche herausarbeiten. Zu ebendieser Verantwortung gehören auch
Partikularkonzilien, die heute eine andere Zusammensetzung erfordern, als sie
der CIC als kirchliches Rechtsbuch Anfang der 1980er Jahre für notwendig hielt.
Und als Paradebeispiel zeitgemäßer Synodalität ist der „Synodale Weg“ – auch
wenn für ihn keine Rechtsnorm im CIC existiert – über alle inhaltlichen Eingaben für die Zukunft der Kirche hinweg bestes Beispiel für das, was Ziel der Bischofssynode 2022 sein soll:
eine Synodale Kirche, deren Verwirklichung ihrerseits nicht nur dasjenige ist,
was "Gott von seiner Kirche im 3. Jahrtausend erwartet", sondern auch die
Erfüllung desjenigen Auftrags, den das Konklave Papst Franziskus im Jahr 2013
mit der Aufgabe der Kurien- und Kirchenreform mitgegeben hat.
Bis
dahin ist freilich noch ein langer Weg. Und jenseits allen Optimismus' im Blick
auf den vor Augen stehenden Zukunftsweg in Deutschland und der Weltkirche, muss
schnellstmöglich alles getan werden, dass nicht aufgrund eines mangelhaften
Umgangs mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, der den Synodalen Weg
überhaupt erst ausgelöst hat, die Kirche in Deutschland schon auf dem Weg alle
Glaubwürdigkeit verloren hat undsich “eine Institution selbst zugrunde“ richtet. Auch und gerade hier gilt:
Weihnachtsfest
in der Pandemie – oder: Die Chance in der Krise wider die verlorene
Glaubwürdigkeit
Als
wenn die diesjährige Weihnachtsansprache für die Römische Kurie auch und gerade
auf den Anlass des Synodalen Weges der Kirche in Deutschland und sein Stottern
angesichts von Pandemie und intransparenter Missbrauchsaufarbeitung –
wie derzeit im Erzbistum Köln* – gemünzt wäre, stellt Papst Franziskus die Krise
der Kirche in den Mittelpunkt seiner diesjährigen Weihnachtsansprache:
"Dieses
Weihnachtsfest ist das Weihnachtsfest in der Pandemie, der gesundheitlichen,
sozialökonomischen, aber auch kirchlichen Krise, die die ganze Welt
unterschiedslos getroffen hat. Die Krise ist nicht mehr nur ein Allgemeinplatz
des Diskurses und des intellektuellen Establishments, sie ist zu einer Realität
geworden, die alle betrifft." (Vaticannews vom 21.12.20)
"Diese
Geißel war eine beachtliche Bewährungsprobe und zugleich eine große Chance, uns
zu bekehren und wieder authentisch zu werden."
Verlorene
Authentizität und Glaubwürdigkeit
Allein:
die Authentizität wird der Katholischen Kirche in Deutschland gerade nicht mehr
abgenommen. Zu „notorischen Lügnern“ werden Bischöfe aus
dem Erzbistum Köln gerechnet, deren Missbrauchsaufarbeitungauch von
bischöflichen Kollegen als „unsäglich“, „verheerend“, „zutiefst verletzend“ und als „regelrechtes Desaster“ bezeichnet wird.
Nach
dem im März 2019 anlässlich des weltweite Ausmaße annehmenden
Missbrauchsskandals veröffentlichten Papstschreiben „Ihr seid das Licht der Welt“ (Vos estis lux mundi) kennzeichnet gerade Bischöfe
"eine ständige und
tiefe Umkehr der Herzen, die durch konkrete und wirksame Handlungen bezeugt
wird; diese beziehen alle in der Kirche mit ein, sodass die persönliche
Heiligkeit und der moralische Einsatz dazu beitragen können, die volle
Glaubwürdigkeit der Verkündigung des Evangeliums und die Wirksamkeit der
Sendung der Kirche zu fördern." (Ebd.)
Was
aber tun, wenn die Glaubwürdigkeit erschüttert ist und fehlt? Wie kann man glaubhaft Weihnachten
feiern, wenn die Hirten diese selbst vermissen lassen, man am „Umgang mit den
Verbrechen sexueller Gewalt in der Kirche ablesen kann: Die können und wollen
das Kind gar nicht schützen.“ (Kölnische Rundschau 13.12.20)
Die
aktuelle Situation mit den Worten der diesjährigen Weihnachtsanspracheeinfach nur als Krise zu verstehen, erscheint fast euphemistisch ausgedrückt, weil sie nicht durch Aussitzen oder Zuwarten gelöst werden kann – vielmehr dadurch nur verschlimmert wird –,
sondern nur durch ein Bekenntnis von Schuld und die Übernahme und das Tragen
von Verantwortung.
Darüber hinaus, nicht hinwegsehen
Und
dennoch ist auch - trotz oder angesichts aller Verzweiflung über einzelne
Verantwortungsträger - darüber hinaus zu sehen. Denn eine
„Reflexion über die Krise warnt uns davor, die Kirche vorschnell nach den
Krisen zu beurteilen, die durch die Skandale von gestern und heute verursacht
wurden“ (Ebd.) und darin die Kirche schon auf dem Weg „in eine Sekte“ abdriften zu
sehen, wie im Blick auf die Missbrauchsaufarbeitung in Köln gerade schon
geschrieben wird. Davon abstrahierend sagt Papst Franziskus in der aktuellen
Weihnachtsansprache:
"Wie
oft scheint auch unseren kirchlichen Analysen die Hoffnung zu fehlen. Ein
hoffnungsloser Blick auf die Wirklichkeit kann nicht als realistisch bezeichnet
werden. Die Hoffnung gibt unseren Analysen das, was unsere kurzsichtigen Augen
so oft nicht wahrnehmen können." (Ebd.)
Und
beim nächsten Absatz erinnert der Wortlaut von Papst Franziskus fast wieder an den schonungslos und beinahe sarkastischen Stilfrüherer Weihnachtsansprachen, der zu Beginn die eigentliche Chance in der Krise herausarbeitet:
"Wer
die Krise nicht im Licht des Evangeliums betrachtet, beschränkt sich darauf,
die Autopsie einer Leiche durchzuführen. Er schaut auf die Krise, aber ohne das
Licht des Evangeliums. Die Krise ist nicht nur deswegen so erschreckend für
uns, weil wir verlernt haben, sie so zu sehen, wie das Evangelium es uns
nahelegt, sondern weil wir vergessen haben, dass allem voran das Evangelium
selbst uns in eine Krise bringt. Es ist das Evangelium, das uns in eine
Krise bringt." (Ebd.)
Und
bei Licht betrachtet ist ja gerade das die Erfahrung des Synodalen Wegs, auch
wenn ich sie nur – wie geschrieben – für den Verlauf eines Synodalforums aus
eigener Perspektive bezeugen kann.
"Wenn
wir aber wieder den Mut und die Demut finden, laut auszusprechen, dass die Zeit
der Krise eine Zeit des Heiligen Geistes ist, dann werden wir uns auch
angesichts der Erfahrung von Dunkelheit, Schwäche, Zerbrechlichkeit,
Widersprüchen und Verwirrung nicht mehr niedergeschlagen fühlen, sondern immer
ein inniges Vertrauen darauf bewahren, dass die Dinge gerade eine neue Form
annehmen, die allein aus der Erfahrung einer im Dunklen verborgenen Gnade
entsprang. […]
Wenn
uns also ein gewisser Realismus unsere jüngste Geschichte nur als die Summe von
nicht immer geglückten Versuchen, Skandalen, Stürzen, Sünden, Widersprüchen und
Kurzschlüssen beim Zeugnisgeben darstellt, sollten wir weder erschrecken, noch
sollten wir die Evidenz all dessen leugnen, was in uns und in unseren
Gemeinschaften vom Tod betroffen ist und der Bekehrung bedarf. Alles, was böse,
widersprüchlich, schwach und zerbrechlich ist und sich offen zeigt, erinnert
uns noch stärker an die Notwendigkeit, alles Denken und Tun, das dem Evangelium
nicht entspricht, in uns absterben zu lassen. Nur wenn wir eine bestimmte
Mentalität absterben lassen, wird es uns auch gelingen, Platz für das Neue zu
schaffen, das der Geist ständig im Herzen der Kirche weckt. Die Kirchenväter
waren sich dessen bewusst, sie nannten es „Metanoia". (Ebd.)
Metanoia,
Aggiornamento und Synodalität – oder: Was in der Krise zu tun ist
"Was
ist in der Krise zu tun? Zunächst einmal sollte man sie als eine Zeit der Gnade
annehmen, die uns gegeben ist, um Gottes Willen für jeden von uns und für die
ganze Kirche zu verstehen." (Ebd.)
"In
jeder Krise gibt es immer ein begründetes Bedürfnis nach einem aggiornamento:
das ist ein Schritt vorwärts. Aber wenn wir wirklich eine solche Aktualisierung
wollen, müssen wir den Mut zu einer umfassenden Bereitschaft haben." (Ebd.)
Dieses
Aggionamento ist mehr als das „Flicken eines Kleides“. Wir sind vielmehr
„aufgerufen, denselben Leib mit einem neuen Gewand zu bekleiden“ (Ebd.).
"Ohne
die Gnade des Heiligen Geistes, selbst wenn man beginnt, die Kirche synodal zu
denken, wird sie sich, anstatt sich auf die Gemeinschaft mit der Präsenz des
Heiligen Geistes zu beziehen, als eine beliebige demokratische Versammlung
verstehen, die sich aus Mehrheiten und Minderheiten zusammensetzt. Wie ein
Parlament, beispielsweise: Das ist nicht Synodalität. Allein die Gegenwart des
Heiligen Geistes macht den Unterschied." (Ebd.)
Der
Synodale Weg im Heiligen Geist
Auch
in diesem Absatz scheint die Weihnachtsansprache indirekt auch aufdie Situation der Kirche in
Deutschland gemünzt zu sein, wie sie ähnlich schon inderAudienzansprache des Papstes am 25.11.20 anklang (vgl. Blog-Beitrag vom 1.12.2020). Aus
Sicht eines der Präsidenten des Synodalen Weges und Vorsitzenden des
Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK) Thomas Sternberg „sollten die
Synodalen auch daran arbeiten, ihre Kommunikation mit Rom zu verbessern. Er
habe den Eindruck, dass im Vatikan 'Fehlvorstellungen' über die Katholiken
in Deutschland kursierten, etwa dass in Deutschland zwei etwa gleich große
Gruppen von Konservativen und Progressiven 'aufeinanderprallen' würden. Dabei sei eine große Mehrheit bereit, neue Wege zu gehen." (katholisch.de vom 18.12.20)
Und
ich darf als Mitglied des Synodalforums "Liebe und Sexualität" anfügen: Sie sollten deutlich machen
– wie schon im vorausgegangenen Blog-Beitrag erwähnt – wie sehr der Synodale Weg
seinerseits eine Bewegung im Heiligen Geist ist. In diesem Sinn ist Weihnachten
im Jahr 2020 in und trotz aller Unsäglichkeiten in einigen Ortskirchen ein Zeitpunkt der Gnade heute, einer Zeit der "Neuheit, die aus dem Alten hervorgeht und es fortwährend fruchtbar macht" und in der wir "nicht geboren werden, um zu sterben, sondern im
Gegenteil, um etwas Neues anzufangen." [Hanna
Arendt] (Weihnachtsansprache vom 21.12.20)
* Link ergänzt am 23.12.2020
Dienstag, 1. Dezember 2020
Verlorene
Glaubwürdigkeit – oder: 1 Jahr Synodaler Weg
(Screenshot: katholisch.de vom 1.12.19) Vor
einem Jahr wurde der katholische Reformprozess "Synodaler Weg" in
Deutschland in der Münchener Frauenkirche mit einem Gottesdienst eröffnet. Die
Kirche sei "kein geschlossenes System, keine Zitadelle, die sich
einmauert" und bedürfe der "Offenheit" und eines synodalen Weges um der
Zukunft der Kirche willen, sagten damals der Münchener Kardinal Reinhard Marx und die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Katholiken Karin Kortmann. Nur
durch „unsere selbstkritische Arbeit“ könne man die durch den
Missbrauchsskandal verlorene Glaubwürdigkeit wiedererlangen.
"Nach
der schrecklichen Erfahrung, dass sexueller Missbrauch in der Kirche
stattgefunden hat", gelte es nun, "Gefährdungen systemischer
Natur" anzuschauen, etwa "falsche Herrschaftsorganisationen",
ergänzte der Kardinal. Um wieder glaubwürdige Zeugen der Freude und der
Hoffnung zu sein, "müssen wir manche Hindernisse beseitigen". (katholisch.de vom 1.12.19)
Vor
diesem Hintergrund ist es unaushaltbar, dass ein Jahr nach dem Beginn des
Synodalen Weges ein spätestens seit März 2020 vorliegendes Gutachtenzu den
Missbrauchsstrukturen und -taten im Erzbistum Köln wegen angeblicher
methodischer Mängel bis auf weiteres endgültigunter Verschluss gehalten wird – von dem Eingeständnis der
Instrumentalisierung Betroffener ganz zu schweigen, die sich in diesem
Zusammenhang ein zweites Mal mit denselben Mechanismen der Macht missbraucht
fühlen (selbst
noch einmal darin, dass Einzelnen von ihnen unter Auflagen Inhalte
im März nächsten Jahres zugänglich gemacht werden sollen, wie es seit dem ersten Adventswochenende heißt).
So
geht es nicht weiter! Wenn die Voraussetzungen für den synodalen Weg – das
vorbehaltlose Offenlegen der Gutachten von Missbrauchstaten und -strukturen –
nicht gegeben sind, untergräbt das Verhalten auch nur einer Ortskirche die
Glaubwürdigkeit alleranderen
Ortskirchen in Deutschland, der verschiedenen Synodalforen und des Synodalen
Wegs insgesamt.
Dabei
ist der Reformprozess an einigen Stellen gut unterwegs: zumindest für das Synodalforum „Liebe und
Sexualität“ – wie es abgekürzt genannt wird –, in dem ich mitarbeiten darf, kann ich sagen, dass der
Arbeits- und Diskussionsstand trotz oder wegen Corona und den Möglichkeiten
digitaler Kommunikation vorangeschrittenen ist auf einem Weg, den ich von den
Plenar- und Regionenkonferenzen, der Arbeit im Forumsplenumwie in der
Redaktionsgruppe als einen geistlichen Prozess erlebe: Nicht nur dass Gottesdienste
am Anfang standen und den synodalen Weg begleiten, auch die Verantwortung für die kirchliche Gemeinschaft als ganze und ihre Lehre werden mit großer
Ernsthaftigkeit in der Forumsarbeit verfolgt und vom Gebet begleitet. Genau in diesem Sinn, „in
einer Gemeinschaft, in seinem Wort, in der Eucharistie und im Gebet zu sein“, bezeichnete Papst Franziskus in seiner Generalaudienz vor genau einer Woche die Kennzeichen von Synodalität und eines Cammino sinodale, die sich von denjenigen einer bloßen "strada sinodale" – ohne Wirken des Hl. Geistes und nur auf das
Erzielen von Mehrheitsentscheidungen bedacht – unterscheiden.
Dass der Tiefpunkt der unsäglichen Missbrauchstaten und die zugrundeliegenden Strukturen dazu beigetragen haben,
auch die kirchliche Lehre von der Wurzel her neu wahrzunehmen und zu durchdringen, ist dabei
eine paradoxe und doch so wichtige Erfahrung gleich einem Wendepunkt: dass Lehrentwicklung durch die
Wahrnehmung der Wirklichkeit, also auch durch Offenlegung von Unrechtstaten und –strukturengeschehen
kann. In Bezug auf den in diesem Blog schonoft zitiertenkirchlichen Grundsatz, dass
„die apostolische Überlieferung in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen
Geistes einen Fortschritt kennt“ (DV 8),hatte ich diesbezüglich im vorausgegangenen
Blog-Beitrag bereits die „geschärfte und vertiefte Perspektive auf das Feld der
Sexualität in der Arbeit des Synodalforums“ beschrieben.
"Die
Bedeutung sexueller Selbstbestimmung und die Würde jedes Menschen in seiner
sexuellen Identität bekommen einen Stellenwert, der auch die kirchliche
Sexualmoral wieder anschlussfähig an heutige Grundsätze der
Sexualwissenschaften machen könnte." (Blogbeitrag vom 19.11.20)
Aber
jenseits aller Ansätze des Aufbruches wird das Wahrnehmen der Zeichen der Zeit
und ihre Deutung im Licht des Evangeliums nur gelingen, wenn wirklich auch nur
der Anschein von Vertuschung, von Institutions- und Täterschutz verflogen,
Aufarbeitung von externer Seite angefragt und einbezogen ist und eingeholte
Gutachten radikal offengelegt werden – auch und gerade das WSW-Gutachten im
Erzbistum Köln, wie es auch die Vollversammlung des ZDKs am 20.11.20 fordert:
"Aktuell sind wir Zeuginnen und
Zeugen intransparenter Vorgänge im Erzbistum Köln. Wir fordern, diese
vollständig offen zu legen und insbesondere die Ergebnisse aus dem Gutachten
der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zugänglich zu machen. Außerdem muss für
weitere Untersuchungen eine unabhängige Kommission vergleichbare Prozesse und
anzuwendende Methoden definieren und die Ergebnisse diözesanübergreifend
evaluieren." (ZDK.de vom 20.11.20)
Die Zurückhaltung des besagten Gutachtens hat bereits jetzt einen
Glaubwürdigkeitsverlust verursacht, dass eine erstickende Atmosphäre der Unglaubwürdigkeit über die
Kölner Bistumsgrenzen hinaus sich immer weiter ausbreitet: Das Gegenteil dessen, was mit dem vor einem Jahr in Deutschland auf den Weg gebrachten 'Synodalen Weg' intendiert war. Wie es um die Kirche steht, bringen nachdrücklich und bewegend die
„Fragen an meine Kirche – Sorgen eines Landpfarrers im Rheinland“ zum Ausdruck,
die ebenfalls Ende November veröffentlicht wurden.
Ein
authentisches und ebenso bedrückendes wie ermutigendes Hirtenwort zum Advent 2020 in Deutschland.
Donnerstag, 19. November 2020
Coronabedingte
Zwischenschritte - oder: Warum der ‚Synodale Weg‘ jetzt direkt in die Weltbischofssynode 2022 zur 'Synodalität' mündet
'Corona
macht‘s möglich', was man im Zugehen auf das Jahr 2022 sicher auch als
Koinzidenz der Ereignisse betrachten wird. Denn mehr Zeit auf dem Synodalen Weg bedeutet auch ein passgenaues Zugehen des Synodalen Weges in
Deutschland auf eine Weltbischofssynode, in der der Reformprozess der
katholischen Kirche zu einer synodalen Kirche – ein Kernanliegen des
Pontifikates von Papst Franziskus - ebenfalls zu seinem Höhepunkt kommt.
Konkret
bedeutet dieses „Mehr an Zeit“ aufgrund der Corona-Pandemie als nächster Schritt, dass statt der
schon einmal verschobenen 2. Synodalversammlung jetzt am 4. und 5. Februar 2021
ein Online-Format stattfinden soll, in dem alle Mitglieder der
Synodalversammlung "ohne Entscheidungsdruck vor allem die
Arbeitsfortschritte der Synodalforen diskutieren werden". In einemBriefan die Mitglieder, Berater/-innen und Beobachter/-innen der Synodalversammlung
des Synodalen Weges vom heutigen Tage heißt es weiter:
"Nach
den guten Erfahrungen mit der intensiven Debatte in den Regionenkonferenzensind wir sicher, dass dieser Corona-bedingte Zwischenschritt für eine
substantielle Weiterarbeit in den thematischen Synodalforen produktiv genutzt
werden kann, insbesondere in den Foren, die bei den Regionenkonferenzen im
vergangenen September noch keine Zwischenergebnisse vorlegen konnten.“
Die
Zeit – das empfinde ich selbst als Berater im Synodalforum Liebe und Sexualität
– tut dem Beratungsprozess gut, der nach der Vorstellung der Voten des Forums auf den fünf Regionenkonferenzenin der nachfolgenden
Redaktionsarbeit noch einmal mehr an Qualität und Intensität gewonnen hat.
Überraschend
ist dabei aus meiner Sicht, dass die in den deutschen Diözesen immer mehr als
Aufgabe in den Vordergrund tretende Aufarbeitung der systemischen Ursachen
sexueller Gewalt, die Übernahme von Verantwortung für die von Tag zu Tag
deutlicher zutage tretenden Verfehlungen und Vertuschungen und eine konsequente
Veränderung kirchlichen Handelns im Umgang mit Tätlichkeiten Sexueller Gewalt -
gegenüber Täter*innen wie Betroffenen – Movens dafür sind, dass auch eine geschärfte
und vertiefte Perspektive auf das Feld der Sexualität in der Arbeit des Synodalforums möglich wird. Die
Bedeutung sexueller Selbstbestimmung und die Würde jedes Menschen in seiner
sexuellen Identität bekommen einen Stellenwert, der auch die kirchliche
Sexualmoral wieder anschlussfähig an heutige Grundsätze der
Sexualwissenschaften machen könnte. Working in progress – im doppelten Sinn!
Die
Arbeit der Synodalforen und ihre Zuarbeit zu der Synodalversammlung gleicht
dabei dem Modus, den sich Papst Franziskus auch für die katholische Kirche
insgesamt wünscht. Ein (synodales) Zusammengehen und Voranschreiten, um auf dem
Weg und in einem geistlichen Prozess eine erneuerte Kirche zu werden, ja darin schon zu sein.
"Die
Corona-Krise fordert von uns immer wieder Veränderungen in der Weg-Planung.
Nicht nur in den Inhalten, sondern auch in den Formen tasten wir uns Schritt
für Schritt voran. Dies mag zwar zunächst mühselig sein, es ist aber doch eine
echte Chance, mit unterschiedlichen Formaten, Geschwindigkeiten und Prozessen
neu Synodalität in unserer Kirche zu erlernen – eine Synodalität, die
hoffentlich über den bisher geplanten Rahmen des Synodalen Weges hinaus Bestand
hat." (SynodalerWeg.de vom 19.11.2020)
Und wenn
Synodalität der Weg ist, ist sie auch das Zielbild der Kirche als ganzer. Das Jahr 2022
wird es deutlich machen. Wie zuletzt in diesem Blog am 20. März 2020 zitiert:
"Es
ist dieser Weg der Synodalität, welcher der Weg ist, den Gott von der Kirche im
dritten Jahrtausend erwartet." (Papst Franziskus am 17.10.2015)
Sonntag, 4. Oktober 2020
Fratelli
tutti – oder: Wie Geschwisterlichkeit, Multilateralismus und die synodale Vision verbunden sind
"Die Zeichen der Zeit zeigen deutlich, dass die menschliche Geschwisterlichkeit und die Sorge um die Schöpfung den einzigen Weg zur ganzheitlichen Entwicklung und zum Frieden bilden." (Ansprache von Papst Franziskus nach dem Angelus-Gebet am 4.10.2020; eigene Übersetzung)
In der heute
veröffentlichten Sozialenzyklika Fratelli tuttiwendet sich Papst Franziskus wie schon in
seiner vor fünf Jahren erschienenen Schöpfungsenzyklika Laudato Si‘ „an jeden
Menschen“(LS 3), „an alle Brüder und
Schwestern“ (FT 1) und schreibt darin eine „Form der Primatsausübung“ fort, die
„keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, aber sich einer neuen
Situation öffnet“ (Ut unum sint 95), wie er sie bereits in der historischen Ansprache
anlässlich des Festaktes 50 Jahren Bischofssynode am 17.10.2015 ausführte:
"Unser Blick
weitet sich auch auf die ganze Menschheit. […] in einer Welt, die - obwohl sie zu
Beteiligung, Solidarität und Transparenz in der öffentlichen Verwaltung einlädt
- oft das Schicksal ganzer Völker in die gierigen Hände einer beschränkten
Gruppe Mächtiger gibt. Als Kirche, die gemeinsam mit den Menschen unterwegs
ist, die an den Mühen der Geschichte Anteil hat, pflegen wir den Traum, dass
die Wiederentdeckung der unverletzlichen Würde der Völker und der
Dienstcharakter der Autorität auch den Gesellschaften helfen kann, um sich auf
Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit zu stützen, um eine bessere und würdigere
Welt für die Menschheit zu bauen und für die Generationen, die nach uns kommen
(EG 186-192, LS 156-162).“ (Ebd.)
Interreligiöse
Übereinkunft
Bezog sich
Papst Franziskus in seiner Schöpfungsenzyklika insbesondere auf das
Umweltengagement des orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I. von Istanbul, ist
die Sozialenzyklika Fratelli tutti über die „Geschwisterlichkeit und soziale
Freundschaft“ (Untertitel) inspiriert von der wichtigen interreligiösen Erklärung vom Februar vergangenen Jahres, die er u.a. zusammen mit dem zu
Beginn der Enzyklika zitierten Großimam der al-Azhar-Universität von Kairo,
Scheich Ahmad al-Tayyeb unterzeichnete. (vgl. FT 3)
"Dort haben
wir daran erinnert, dass Gott »alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen
Pflichten und gleicher Würde geschaffen und sie dazu berufen hat, als Brüder
und Schwestern miteinander zusammenzuleben« (FT 3)
Diese
Erklärung beschreibt darin auch den Anlass der Sozialenzyklika: „Jahrzehntelang
schien es, dass die Welt aus so vielen Kriegen und Katastrophen gelernt hätte
und sich langsam auf verschiedene Formen der Integration hinbewegen
würde" (FT 10), formuliert der Papst. Doch nun sieht er mannigfache Anzeichen für
Rückschritte und brandmarkt – ohne Namen von Regierenden zu nennen –
populistische Tendenzen:
"Unzeitgemäße
Konflikte brechen aus, die man überwunden glaubte. Verbohrte, übertriebene,
wütende und aggressive Nationalismen leben wieder auf. […] Was bis vor
wenigen Jahren von niemandem gesagt werden konnte, ohne den Respekt der
gesamten Welt ihm gegenüber aufs Spiel zu setzen, das kann heute in aller
Grobheit auch von Politikern geäußert werden, ohne dafür belangt zu
werden." (FT 11; 45)
Geschwisterlichkeit,
Multilateralismus und die synodale Vision
Demgegenüber
plädiert Papst Franziskus – so erläuterte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einer Konferenz anlässlich der Veröffentlichung am Nachmittag
in der Synodenaula – im Einklang mit seinen Vorgängern und der katholischen
Soziallehre für einen "Multilateralismus" und darüber
"für die
Notwendigkeit einer 'politischen Weltautorität, die sich dem Recht
unterordnet', ohne dabei 'notwendigerweise an eine persönliche Autorität zu denken' (FT
172).Die Geschwisterlichkeit ersetzt
die Zentralisierung der Mächte durch eine kollegiale Funktion – die der 'synodalen' Vision, die der Führung der Kirche, wie sie Papst
Franziskus wahrnimmt, nicht unähnlich ist –, die 'die Schaffung von wirksameren
Weltorganisationen vorsehen, die mit der Autorität ausgestattet sind, die
Beseitigung von Hunger und Elend und die feste Verteidigung der grundlegenden
Menschenrechte zu gewährleisten.' (FT 172) (Ebd. eigene Übersetzung)
Engagement in Welt und Kirche
Aber "[d]ie
Enzyklika „Fratelli tutti“ wirft nach Ansicht des Münchner Kardinals Reinhard
Marx letztlich [auch] die Frage auf, wie die Kirche ihren eigenen Forderungen
nachkommt. Denn alle Prinzipien der Menschenwürde und der Personalität, die in
der Gesellschaft gelten, dürften von der Kirche im Niveau nicht unterlaufen
werden, erklärte Marx am Montagabend in München bei einer Veranstaltung in der
Katholischen Akademie in Bayern." (Vaticannews vom 6.10.2020) *
"Es könne
nicht sein, dass etwa in der Kirche hingenommen werde, dass von oben nach unten
regiert werde, während zugleich von ihr der Appell komme, in der Gesellschaft
müsse auf Dialog geachtet werden." (Ebd.) *
So wendet sich der Appell in die Welt sich auch an die Kirche selbst und ermutigt zum Engagement.* "Jeder Tag
bietet uns eine neue Gelegenheit, ist eine neue Etappe. Wir dürfen nicht alles
von denen erwarten, die uns regieren; das wäre infantil. Wir haben
Möglichkeiten der Mitverantwortung, die es uns erlauben, neue Prozesse und
Veränderungen einzuleiten und zu bewirken.“ (FT 72) – geschwisterlich, geleitet
von der Überzeugung, dass "Gottes Liebe[…]für jeden Menschen gleich [ist],
unabhängig von seiner Religion" (FT 281; Zitat aus dem Dokumentarfilm, den Wim
Wenders über den Papst gedreht hatte) und in der "synodalen Vision".
*ergänzt am 6.10.2020
Samstag, 5. September 2020
Fratelli tutti – Fünf Regionenkonferenzen des Synodalen Wegs beraten in Zeiten von
Corona in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Ludwigshafen und München
"Fratelli tutti" – der Titel der heute bekannt gewordenen dritten Enzyklika von Papst Franziskus– könnte auch gut als pointierte Überschrift für die Arbeitsatmosphäre der Regionenkonferenzen
des Synodalen Wegs stehen, die statt der Coronabedingt abgesagten
Plenumskonferenz an diesem Wochenende mit jeweils ca. 50-70 Personen in Berlin,
Dortmund, Frankfurt, Ludwigshafen und München stattgefunden haben
"Bei
allen spürbaren verschiedenen Sichtweisen, Perspektiven und Schwerpunkten lässt
sich eine entspannte, aufmerksame Atmosphäre feststellen. Die Redner nehmen
kritisch wie würdigend aufeinander Bezug, die Beiträge bleiben konstruktiv und
um Austausch bemüht. Direkte Angriffe untereinander bleiben aus." (katholisch.de vom 4.9.2020)
Gemeinsam
mit der Themenstellung der neuen Sozialenzyklika des Papstes im Blick auf die globalen Herausforderungen der Pandemie ist allen
Regionalkonferenzen auch der Themenschwerpunkt am Vormittag: "Die Corona
Pandemie – Herausforderungen für den Synodalen Weg". Ohnmachtserfahrungen
angesichts des Lockdowns und Fragen zur kirchlichen Systemrelevanz in dieser
Zeit, ihre ureigentliche Kompetenz in der Begleitung Alter, Kranker, sozial
Benachteiligter wie in Fragen von Tod, Krankheit und Leid wurden ebenso
angesprochen wie neue Weisen und Formen kirchlichen Lebens: in digitalen und
Live-Streaming-Angeboten und Gottesdienstformaten wie in einer plötzlich in ihrer Bedeutung wieder neu
in den Vordergrund rückenden Familienkatechese und –pastoral. Corona war und
ist auch FamilienZeit und löst – Ironie und Paradoxie der letzten Monate – das
Motto der diesjährigen Familiensonntags-Kampagne ‚Familie als Lernort des Glaubens‘ in einem Maße ein, wie das die Autor*innen der nur zum
Download bereitstehenden 78 S.-Arbeitshilfe und ihre Auftraggeber in der Kommission 'Ehe und Familie' der Deutschen Bischofskonferenz wohl nicht für möglich gehalten hätten.
Aber diese Entwicklungen helfen der Kirche in Deutschland in Zeiten von Corona
nur bedingt:
"Die
Pandemie wirkt wie ein Brennglas - alle Probleme, die die Kirche sowieso schon
hat, werden durch das Virus nur noch größer und drängender: der Priestermangel,
die Glaubwürdigkeitskrise, die Kirchenaustritte, der Ausschluss von Frauen aus
Ämtern." (SZ vom 5.0.2020)
"Fratelli tutti" – der Titel könnte auch für die Männerkirche stehen, die am Nachmittag
der Regionalkonferenzen mit einem ersten Diskussionspapier aus dem Synodalforum
‚Frauen in Diensten und Ämtern‘ thematisiert wurde.
Obwohl die Textvorlage sich
vornehmlich auf die Möglichkeiten beschränkt, die Frauen unter den derzeitigen
Bedingungen schon offenstehen, standen doch die grundsätzlichen Anfragen nach
Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche und Ämtern nicht nur mit Reformbewegungen u.a. von Maria 2.0 vor den Türen. Es handelt sich nach den
Worten der Vorsitzenden des Präsidiums
des Synodalen Wegs um die Zukunftsfrage der Kirche in Deutschland.
Karin
Kortmann, die als Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
(ZdK) im Präsidum des Synodalen Weges ist, sagte:
"Die
Frauenfrage ist die existenzielle für die Kirche. Wenn wir diese Frage nicht
substanziell geklärt wird, dann werden meiner Einschätzung nach noch viel mehr
Menschen die Kirche verlassen." (katholisch.de vom 4.9.2020)
Nicht
minder existentiell für die Relevanz der Kirche für das Leben der Menschen
heute wird eine zeitgemäße Sexualmoral und Sexualpastoral am späteren
Nachmittag eingeschätzt. Elf Voten hatte das Synodalforum „Leben in gelingenden
Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“, in dem ich selber
mitarbeiten darf, für die Regionalkonferenzen als Blitzlicht des derzeitigen
Beratungsstandes eingebracht.
Die ‚Knackpunkte‘ der Wertschätzung
nicht heterosexueller Paare, der Vielfalt und Individualität sexueller Orientierungen sowie die für die traditionelle Sexualmoral konstitutive Weitergabe des Lebens kamen ebenso zur Sprache wie Zeugnisse von Synodal*innen, die
ihre von der heterosexuellen Norm abweichende sexuelle Orientierung in den Regionalkonferenzen, aber auch in den Synodalforen selbst in authentischer Weise
einbrachten und bringen.
Zwei
von insgesamt 4 Foren kamen in den Regionenkonferenzen zu einer ersten Präsentation, die ebenso wie die beiden
weiteren zu 'Macht und Gewaltenteilung in der Kirche' und 'Priesterliche Existenz
heute' auch und gerade mit derAufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche Deutschlandszusammenhängen. In der Frankfurter Regionalkonferenz wurde
unterstrichen, dass Sexuelle Bildung im Sinne der vorgestellten Thesen auch
zölibatär lebende Menschen in der Kirche ebenso betreffen und betreffen müssen wie die Achtung
sexueller Selbstbestimmung als Ordnungsprinzip einer zukunftsfähigen Sexualethik: neue, auch an humanwissenschaftlichen
Erkenntnissen orientierte Kategorien, die im Katechismus der Katholischen
Kirche noch vergeblich gesucht werden und als Vertiefung der bisherigen
Sexualmoral und Sexualpädagogik verstanden werden dürfen.
Dass die
Auseinandersetzung über alle genannten Zukunftsfragen hinweg weiterhin konstruktiv und
brüder- bzw. besser geschwisterlich verlaufen mögen, lässt im Blick auf die auch in Deutschland mit hohen Erwartungen verbundene Enzyklika ‚Fratelli tutti‘ auch das 'e sorelle' mitdenken. Gott möge geben, dass die Anliegen der Frauen – anders als in einer Instruktion der Kleruskongregation unlängst – in ihr bereits mitgedacht werden,