(Anschreiben von Papst Franziskus zum nachsynodalen Schreiben 'Amoris laetitia') |
"Zeichen
und Wunder werden geschehen“, so lautete der Titel eines ersten Interviews im Zuge meiner über zweieinhalbjährigen Beobachtung und
Öffentlichkeitsarbeit zu den beiden Familiensynoden der Jahre 2014
und 2015. Die Überschrift nahm eine Formulierung des Wiener
Erzbischofs Christoph Kardinal Schönborn auf, der als Mitglied des Synodenrates schon
kurz vor der ersten Familiensynode, der III. Außerordentlichen
Bischofssynode, im Jahr 2014 optimistisch war in Hinblick auf
Veränderungen in der Lehre bezüglich vieler ‚heißer Eisen‘,
die nach den Rückmeldungen und Befragung aller Orts- und
Teilkirchen beinahe weltweit unter den Nägeln brannten. In meinem
Blog-Beitrag vom 4.10.2014 zu Beginn dieser Synode habe ich die bis zum heutigen Tag geltenden und in einschlägigen Dokumenten nachzulesende Lehrmeinung
zusammengestellt, die durch das heute veröffentlichte Apostolische Lehrschreiben 'Amoris laetitia', insbesondere durch eine erneuerte, ja eine 'wirkliche Bekehrung' der Sprache – wie es in einem begleitenden Schreiben des Synodensekretärs Kardinal Lorenzo Baldisseris an die Bischöfe heißt –
modifiziert wurden.
Die
theologische Ausgangslage vor der Synode
„Nichteheliche Verhältnisse verstoßen gegen das moralische Gesetz, sind schwere Sünde und die in ihnen lebenden Menschen ebenso vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen (vgl. KKK 2390) wie in homosexueller Partnerschaft lebende Menschen, die gegen das natürliche Gesetz verstoßen, wenn sie wider die ihnen auferlegte Keuschheit miteinander verkehren (vgl. KKK 2357). Und auch wiederverheiratet Geschiedene sind ihr Leben lang vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen, insofern sie dauerhaft in einer Todsünde verharren (vgl. CIC Can. 915)." (s. ebd.)
Dass diese und andere
schwierige Themen – wie der Umgang mit Methoden der
Empfängnisregelung – zur Diskussion gestellt werden könnten, war
von der reinen Sachlage eigentlich so gut wie ausgeschlossen. Und die
Frage war von Anfang an diejenige, die in dem zu
Beginn angesprochenen Interview der Kölner Kirchenzeitung vom
3.10.2014 in Bezug auf die genannten ‚heißen Eisen‘ in folgender Weise
angesprochen wurde:
„Mit dem Thema der wiederverheirateten Geschiedenen ist das Thema von nichtehelichen Lebensgemeinschaften angesprochen und dort die Frage, ob wir den Menschen in irgendeiner Weise eine Anerkennung zusprechen können, ohne zu sagen, was sie jeweils nicht sind. Einige Überlegungen gehen sogar dahin, dass gegebenenfalls eine sakramentale Kongruenz, eine beschreibbare Form sakramentaler Entsprechung, bestehen kann, um wiederverheiratete Geschiedene auch zu den Sakramenten zuzulassen. Die anderen Fragen sind ganz ähnlich: Ob wir wertschätzend etwas zu neuen Familienformen, zu homosexuellen Partnerschaften und anderen Lebensgemeinschaften sagen können und wie wir das Thema Sexualität, verantwortete Elternschaft und die Bedeutung des Gewissens neu ansprechen." (Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln Nr. 40-41/14 vom 3.10.14)
Nach zwei, alle Orts-
und Teilkirchen weltweit einbeziehenden Umfragen zur Rückbindung der
kirchlichen Lehre an die gelebte Wirklichkeit der Gläubigen und
einem über zwei Jahre währenden synodalen Prozess, deren wichtigste
Wegmarken die III. Außerordentliche Bischofssynode
(5.10.-19.10.2014) und die XIV. Ordentliche Bischofssynode
(4.10.-25.10.2015) darstellten, markiert das heute veröffentlichte
nachsynodale Schreiben 'Amoris laetitia' mit seinen neun Kapiteln und 325 Ziffern einen vorläufigen Schluss- und Höhepunkt. Ganz zu Beginn unterstreicht Papst Franziskus, dass durch "die Vielschichtigkeit der angesprochenen Themen die Notwendigkeit deutlich [wurde], einige doktrinelle, moralische, spirituelle und pastorale Fragen unbefangen weiter zu vertiefen." (AL 2). Mit dem Sekretär des Synodensekretariates stellten Kardinal Schönborn und das Ehepaar Prof. Francesco Miano und Prof. Giuseppina De Simone in Miano das neue Apostolische Schreiben von Papst Franziskus am 8.4.2016 in einer Pressekonferenz vor. Kardinal Schönborn übertreibt gewiss nicht, wenn er in seinen erklärenden Ausführungen herausstellt, dass die Kirche im Sinne einer "Inklusion" niemanden ausschließt und als "irregulär" oder als "in Todsünde lebend" verurteilt. Und tatsächlich: Alle in den vorangegangenen Absätzen
zitierten ‚heißen Eisen‘ sind nicht nur angefasst worden, sondern haben sich über den über zweijährigen synodalen Prozess in der Sprache und darüber auch in der Sache verändert.
Die Lehrentwicklung
im nachsynodalen Schreiben 'Amoris Laetitia'
Voreheliche Beziehungen
werden nicht mehr im Defizitmodus als ‚Konkubinate‘, ‚sündige
Verhältnisse‘ oder ‚irreguläre Beziehungen‘ apostrophiert,
sondern in ihrem Eigenwert gegenseitiger Liebe und Verantwortung
umschrieben, ohne dabei das – im Grundsatz von den allermeisten
Menschen angestrebte, wie die weltweiten Umfragen zeigten – Ideal
des ehelichen Treue- und Liebesverhältnis tiefer zu hängen oder gar
das Versprechen der Unauflöslichkeit infrage zu stellen. Im
Gegenteil widmet sich das Apostolische Schreiben 'Amoris laetitia' auf beinahe 60 Seiten in den von Papst Franziskus als die "zentralen Kapitel" (AL 6) hervorgehobenen Abschnitten der Beschreibung und theologischen Durchdringung der Ehe als der "größten Freundschaft" (AL 123; vgl. Thomas von Aquin, ScG 123, 6), ihrer Berufung zum Leben und zur Entfaltung in der Familie (Kap. 5). Mit Überraschung, aber auch Stolz freue ich mich, dass dieser auch von mir bereits im o.g. Interview angedeutete, in Buchpublikationen wie in mehrsprachig aufbereiteten Blog-Beiträgen empfohlene "Freundschaftsgedanke" einen solchen Stellenwert erhält, dass er allein 15 x zur tieferen Beschreibung der ehelichen Partnerschaft aufgenommen wird (in der Relatio Synodi wie im gesamten Verlauf der beiden Synoden fehlte dieser Schlüsselbegriff noch). Aber diese in der Liebe gründende, "besondere Freundschaft" (AL 125, 207) wird doch auch in ihrer Brechung in der je persönlich
gelebten Lebenswirklichkeit gesehen, die nur in analoger Weise die göttliche Liebe repräsentieren (AL 73, 122), und nicht minder in Verbindung zu
anderen Lebensformen beschrieben werden kann, auf die hin viele Wesenselemente
der ehelichen Freundschaft auszustrahlen vermögen. Fern davon, Zivilehen oder
vermeintlich losere Partnerschaftsformen als ‚irreguläre
Beziehungen‘ zu titulieren, werden Umstände benannt, die diese oft
nicht immer frei gewählten Partnerschaftsformen bedingen (vgl. AL 294), und die in
ihnen verwirklichte Güte beschrieben. Und auf der Linie dieser
Wahrnehmung liegt die noch in der Enzyklika 'Familiaris consortio'
(FC 84) im Grundsatz ausgeschlossene Zulassung von wiederverheiratet
Geschiedenen zu den Sakramenten: Im Gespräch und 'Forum Internum' mit einem Seelsorger und Beichtvater sollen – bezogen auf den je konkreten Einzelfall – Wege gesucht werden, die eine vollständige Teilnahme an den Sakramenten ermöglichen können (AL 300).
Schließlich: Selbst wenn im nachsynodalen Schreiben Aussagen zu gelebter Homosexualität und homosexuellen Partnerschaften in den Ziffern 250 und 251 fehlen – weder in ausdrücklich positiver Beschreibung, aber auch nicht in verurteilender Sprache –, bedeutet der grundlegende Perspektivwechsel doch auch einen Auftrag zu einer neuen Annäherung im Verantwortungsbereich der jeweiligen Ortskirche und Kulturkreis, der auf Ebene der Weltkirche – wie die synodalen Beratungen auf den beiden Familiensynoden der Jahre 2014 und 2015 gezeigt haben – noch keinen gemeinsamen Nenner abzeichnen ließ. U.a. auf diese Frage wird der Hinweis zu Beginn von 'Amoris laetitia' zu lesen sein, dass unbeschadet der notwendigen Einheit der Lehre "verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen" (AL 3) können, zu denen sich die deutschen Bischöfe während der Synoden zum Teil deutlich weitergehend geäußert haben: vgl. den Blog-Beitrag vom 10.10.2015.
Dafür wird auf weltkirchlicher Ebene in der seit der Enzyklika 'Humanae vitae' ausschließlich in naturrechtlicher Weise akzentuierten und beantworteten Frage der Verantwortung für das Leben und den Umgang mit der eigenen Fruchtbarkeit in neuer Weise auf die Bedeutung des Gewissens hin geöffnet (vgl. AL 222) und darin wieder an über einige Jahrzehnte an den Rand gedrängte, große Traditionen insbesondere der mittelalterlichen philosophischen Ethik wie des II. Vatikanischen Konzils angeknüpft. Gerade diese Passage und die Ziffern 280-286, die mit einem deutlichen "Ja zur Sexualerziehung" überschrieben sind, laden dazu ein sich des Themenkomplexes ‚Liebe-Freundschaft-Partnerschaft-Ehe-Sexualität-Fruchtbarkeit‘ in der Erziehung und Bildung in einer neuen Sprache anzunehmen, dem sich die Kirche - wie im vorausgegangenen Blog-Beitrag vom 1.3.2016 ausgeführt - in neuer Weise stellen muss.
Schließlich: Selbst wenn im nachsynodalen Schreiben Aussagen zu gelebter Homosexualität und homosexuellen Partnerschaften in den Ziffern 250 und 251 fehlen – weder in ausdrücklich positiver Beschreibung, aber auch nicht in verurteilender Sprache –, bedeutet der grundlegende Perspektivwechsel doch auch einen Auftrag zu einer neuen Annäherung im Verantwortungsbereich der jeweiligen Ortskirche und Kulturkreis, der auf Ebene der Weltkirche – wie die synodalen Beratungen auf den beiden Familiensynoden der Jahre 2014 und 2015 gezeigt haben – noch keinen gemeinsamen Nenner abzeichnen ließ. U.a. auf diese Frage wird der Hinweis zu Beginn von 'Amoris laetitia' zu lesen sein, dass unbeschadet der notwendigen Einheit der Lehre "verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen" (AL 3) können, zu denen sich die deutschen Bischöfe während der Synoden zum Teil deutlich weitergehend geäußert haben: vgl. den Blog-Beitrag vom 10.10.2015.
Dafür wird auf weltkirchlicher Ebene in der seit der Enzyklika 'Humanae vitae' ausschließlich in naturrechtlicher Weise akzentuierten und beantworteten Frage der Verantwortung für das Leben und den Umgang mit der eigenen Fruchtbarkeit in neuer Weise auf die Bedeutung des Gewissens hin geöffnet (vgl. AL 222) und darin wieder an über einige Jahrzehnte an den Rand gedrängte, große Traditionen insbesondere der mittelalterlichen philosophischen Ethik wie des II. Vatikanischen Konzils angeknüpft. Gerade diese Passage und die Ziffern 280-286, die mit einem deutlichen "Ja zur Sexualerziehung" überschrieben sind, laden dazu ein sich des Themenkomplexes ‚Liebe-Freundschaft-Partnerschaft-Ehe-Sexualität-Fruchtbarkeit‘ in der Erziehung und Bildung in einer neuen Sprache anzunehmen, dem sich die Kirche - wie im vorausgegangenen Blog-Beitrag vom 1.3.2016 ausgeführt - in neuer Weise stellen muss.
Die theologischen Schlüssel:
Der schöpfungstheologische Ansatz, der Freundschafts- und Gradualitäts-Begriff und die Theologie der Barmherzigkeit
All diese
Reform-Schritte wurden möglich durch den von Papst Franziskus
eingeschlagenen, synodalen Weg des Einbezugs des gesamten Volkes
Gottes und des oft hervorgehobenen synodalen Dreischrittes:
Wahrnehmen – und Gewinnung von "Bodenhaftung" (AL 6) –, Rückbindung an die Botschaft Christi und das
Unterscheiden und Beziehen auf Handlungsoptionen: der Dreischritt,
der auch die Struktur der Abschlussdokumente der beiden
Familiensynoden und damit auch das nachsynodale Schreiben kennzeichnet.
Synodalität – für Papst Franziskus das große Thema der Katholischen Kirche zu Beginn des 3. Jahrtausends – ist ja das formale Ergebnis, das im
Hintergrund all der bislang angesprochenen Reformschritte das
dahinterliegende Strukturprinzip wirklicher Katholizität ist, wie im
vorletzten Blogbeitrag am 8. Februar beschrieben. Damit verbunden ist
eine – im letzten unumkehrbare – Wertschätzung und
Rehabilitierung eines bereits das II. Vatikanische Konzil prägenden, schöpfungstheologischen Ansatzes, der Gottes Wirken und seine Güte in allen Kreaturen sieht
(und darin weder die Personwürde des Nächsten noch die eigene Subjektivität überspringt), wie es Papst
Franziskus in seiner Schöpfungsenzyklika 'Laudato Si'' ausgedrückt hat. Und schließlich wird erst
vor dem Hintergrund dieses theologischen Ansatzes auch der Gedanke der "Gradualität" deutlich, in der der Mensch sich in einem "dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe entsprechend der fortschreitenden Hereinnahme der Gaben Gottes" entfalten kann (vgl. AL 122, 295) bis zur eheliche Liebe als der „größten Freundschaft“ (AL 123; s. auch Anhang unten). Die Durchlässigkeit menschlichen Lebens
auf allen seinen Entfaltungs- und Vervollkommnungsstufen für die
göttliche Liebe prägt die revolutionäre, alle blickverengende
Erstarrung aufbrechende Perspektive des nachsynodalen Schreibens.
'Revolution der zärtlichen Liebe' und 'Reformation im Geist der Synodalität'
Es wird den Versuch
geben – und sie waren schon vor der Veröffentlichung des Apostolischen Schreibens 'Amoris laetitia' wahrzunehmen in immer denselben
einschlägigen Kreisen, Foren und Zirkeln –, das nachsynodale Schreiben
als ‚pastoral orientiert‘ in seiner Lehrverbindlichkeit
kleinzureden und die bleibende Gültigkeit der zuoberst zitierten
Paragraphen zu betonen, so als habe es nicht schon immer eine Lehr- und Dogmenentwicklung zu den Fragen von Ehe und Familie in der katholischen Kirche gegeben. Aber gerade das zeichnet das nachsynodale Schreiben
aus, dass im Licht einer an die Lebenswirklichkeit anknüpfenden
Lehre, des barmherzigen Blickes Jesu auf die Liebesempfänglichkeit
und Liebenswürdigkeit jedes Menschen und einer schöpfungstheologischen
Wertschätzung und Sichtung des bereits verwirklichten Guten eine neue ‚Wahr-nehmung‘ und Verkündigung der
frohen Botschaft im Licht der Zeichen der Zeit möglich ist. In
Fortsetzung des II. Vatikanischen Konzils führt es
eine Lehrentwicklung weiter, die an den ‚Spitzen‘ der zuoberst zitierten
‚heißen Eisen‘ am deutlichsten wird, aber durch die neu
aufgenommene schöpfungstheologische Perspektive einer ‚Revolution
der zärtlichen Liebe‘ gleichkommt, aber mehr noch für die Katholische Kirche
darüber hinaus eine wirkliche „Reformation im Geist der Synodalität“ bedeutet.
Zeichen
und Wunder sind uns geschehen!
Nachwort des Verfassers