Dienstag, 26. Juli 2022

Weder "Ohrfeige“  noch „Stoppschild aus Rom" - oder: Über die Chancen der Erklärung des Heiligen Stuhls zum Synodalen Weg vom 21.07.2022

Dichiarazione della Santa Sede, 21.07.2022

Als „
Ohrfeige“ und „Stoppschild aus Rom“ für den Synodalen Weg ist die E
rklärung des Heiligen Stuhls gewertet worden, die die Grenzen und Reichweite der Beschlüsse des Synodalen Wegs in der deutschen Ortskirche „zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten" anmahnt.

Aus meiner Sicht übersieht eine solche Deutung den vergleichsweise wichtigeren Appell, den die Erklärung im zweiten Absatz enthält, 
„dass die Vorschläge des Weges der Teilkirchen in Deutschland in den synodalen Prozess, auf dem die Universalkirche unterwegs ist, einfließen mögen, um zur gegenseitigen Bereicherung beizutragen“. 

Die ebenso irritierte wie pflichtschuldige Antwort der Präsidenten des Synodalen Wegs, Dr. Irme Stetter-Karp und Bischof Dr. Georg Bätzing, fordert zu Recht die direkte Kommunikation zwischen römischen Stellen und dem Präsidium des Synodalen Wegs: ein und beklagt das bisherige Ausbleiben direkter Gespräche. Aber sie verdeckt zugleich auch eine noch offene Stelle der Kommunikation in der deutschen Ortskirche, wie wenig aufeinander abgestimmt die beiden Prozesse - der Synodale Weg in Deutschland  - der  Synodale Prozess auf weltkirchlicher Ebene - derzeit erscheinen müssen. 

Von außen wird nicht ersichtlich, wie beide Prozesse ineinander greifen. Eine veröffentlichte Rückmeldung – anders als in den benachbarten deutschsprachigen Ländern der Schweiz  und Österreich – auf die Umfragen der Diözesen in Deutschland zur Vorbereitung der Weltsynode steht bislang noch aus. Auch wenn sie sicher bald zu erwarten ist, muss sie jetzt noch einmal mehr daraufhin ausgerichtet werden, die Schnittstellen beider synodaler Prozesse auszuweisen. 

Das Pfund, das die deutsche Ortskirche mit ihren Erfahrungen von Synodalität im Zuge des Synodalen Wegs – entstanden aus der Zäsur, den der Missbrauchsskandal für die Kirche in Deutschland bedeutete – in der Hand hat, darf bei aller Kritik an der  namentlich nicht zuordenbaren Erklärung des Heiligen Stuhls nicht verspielt werden und kann auf weltkirchlicher Ebene gerade zum jetzigen Zeitpunkt (der Vorbereitung der Synode zur Synodalität des Jahres 2021-2023 und der Umsetzung der mit Praedicate evangelium auf den Weg gebrachten Kurienreform) zugunsten des weltkirchlichen Prozesses eingebracht werden. Daraufhin ist die Erklärung des Heiligen Stuhls vom 21.07.2022 aufzugreifen und aus meiner Sicht als Chance zu nutzen.




Sonntag, 5. Juni 2022

Synodalität und Kirchenreform auf Dauer gestellt – Zur Inkraftsetzung der Kirchenverfassung Praedicate evangelium und Spekulationen über einen Rücktritt

Papst Franziskus in seiner Predigt am heutigen Pfingstsonntag über das
"Hier und Jetzt […] als Ort der Gnade" (Bild: Screenshot Vatican Media)

Mit dem Inkrafttreten der Apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium zum diesjährigen Pfingstfest, das auch als „Geburtstag der Kirche“ bezeichnet wird, wird ein lange währender Weg der Reformen vollzogen, der fast ein Jahrzehnt gedauert hat und ebenso als Ziel- wie als neuer Ausgangspunkt einer Kirchenreform bezeichnet werden kann. Am 19.3.2022 – dem neunten Jahrestag seines Pontifikats – angekündigt hat die neue Kirchenverfassung Papst Franziskus und den ihn beratenden Kardinalsrat wie kein zweites Anliegen von Anfang an beschäftigt – auf einem Weg, der bereits in den Diskussionen des Konklaves im Jahr 2013 begonnen hatte.

Wie in vorangegangenen Beiträgen erwähnt folgt die neue Kirchenverfassung auf die von Johannes Paul II. (Pastor Bonus, 1988) eingeführte Reform, die wiederum die von Paul VI. (Universi regimini Ecclesiae, 1967) verkündete modifizierte. In der Priorität der Evangelisierung, der Dezentralisierung und der Rolle der Laien liegen die Hauptmotive, die die neue Kirchenverfassung auch wieder näher mit Motiven des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzil verbinden.

Evangelisierung

"Nach dem Willen von Papst Franziskus tritt die Evangelisierung an die erste und grundlegende Stelle der Zielsetzungen der Römischen Kurie. Die Leitung dieser Super-Behörde übernimmt der Papst selbst. Das Dikasterium für Evangelisierung entsteht aus der Zusammenlegung des Missionskongregation und des Rates für die Neuevangelisierung. Bildungskongregation und Kulturrat verschmelzen zum Dikasterium für Kultur und Bildung." (Vatican News vom 5.6.2022)

Dezentralisierung und Synodalität

Neben der missionarischen Ausrichtung – und mit ihr eng verbunden - liegt der zweite Akzent der Kurienreform in der Dezentralisierung. Dezentralisierung und Evangelisierung sind als zentrale Punkte bereits aus dem programmatischen Schreiben Evangelii Gaudium bekannt, in dem Papst Franziskus kurz nach Amtsantritt seine Vorstellungen einer zeitgenössischen Kirche skizzierte.

"Leitmotivisch zieht sich das Gebot der Zusammenarbeit der einzelnen Kurieneinrichtungen mit den Bischöfen durch die 250 Paragrafen des gut 50 Seiten langen Dokuments. Die Reform ziele auf eine „gesunde Dezentralisierung" der Kirche, die Kurie solle mithin den Bischöfen „die Kompetenz überlassen", als Hirten, Lehrer und Seelsorger „jene Fragen zu lösen, die sie gut kennen", soweit sie „die Einheit der Lehre, der Disziplin und der Gemeinschaft der Kirche nicht beeinträchtigen"(Vatican News vom 5.6.2022)

In Bezug auf das erstmalig in einer Kirchenverfassung erwähnte „Sekretariat der Synode“ (s. Blogbeitrag vom 19.3.22) könnte man sagen, was in der Diskussion um die Einrichtung eines „Synodenrats“ nach Beendigung des Synodalen Wegs auch in Deutschland angedacht wird: dass die Synodalität in der neuen Kirchenverfassung gewissermaßen auch auf weltkirchlicher Ebene „auf Dauer gestellt wird“.

Leitungsämter für Laien unabhängig vom Geschlecht

Von den genannten Hauptmotiven des Reformwerkes wird in der Öffentlichkeit als größte Neuerung aufgenommen, dass der Vorsitz von Kurienämtern – und ebenso fast aller Dikasterien  – nun Laien unabhängig vom Geschlecht offenstehen könnte. Zwar ist ein Pfingstsonntag als Feiertag noch kein Tag der Bekanntmachung von Leitungsämtern egal welcher Art. Doch man kann gespannt sein, wer Paolo Ruffini, dem seit dem Jahr 2018 ernannten Leiter des damals neu eingerichteten Dikasteriums für Kommunikation, als nächste Ernennungen folgen werden. Dass darunter weitere Laien und gewiss auch eine Frau sein könnten, ist seit heute keine bloße Wunschvorstellung mehr.

Evangelisierung, Dezentralisierung und der neugeordnete Zugang zu Leitungsämtern in der Römischen Kurie: Es sind Leitmotive einer Kirchenreform, die miteinander zusammenhängen, einander bedingen und damit auch einen Ausgangspunkt für neue Reformen bilden werden. Die heutige Inkraftsetzung einer erneuerten Kirchenverfassung bildet eine wichtige Wegmarke des derzeitigen Synodalen Prozesses auf weltkirchlicher Ebene, die – ergänzt durch die Ergebnisse des Synodalen Wegs in Deutschland – zur Synode über die Synodalität im September 2023 leiten wird.

Konsistorium und möglicher Papstrücktritt

Zuvor wird allerdings noch Ende August ein außerordentliches Konsistorium, eine Versammlung aller Kardinäle der Weltkirche mit gleich 21 neu ernannten Kardinälen stattfinden, um gemeinsam mit diesen über die neue Apostolische Konstitution über die Römische Kurie Praedicate Evangelium zu beraten.

"Das Konsistorium für die neuen Kardinäle am Samstag, den 27. August, geht somit dem für Montag, 29. und Dienstag, 30. August, geplanten Kardinals-Treffen knapp voraus, so dass auch die neuen Kardinäle bereits an den Beratungen teilnehmen können." (Vatican News vom 29.5.2022)

Nicht wenige Kommentatoren halten den 28. August 2022 – an diesem Tag wird Papst Franziskus aus Anlass der jährlichen auf diesen Tag fallenden Pilgerfahrt  L'Aquila  und die Grabstätte von Papst Coelestin V. (1294) besuchen, der wie Benedikt XVI. als einziger Papst zuvor zu Lebzeiten zurückgetreten ist – für einen möglichen Tag eines neuerlichen Papstrücktritts. Die Inkraftsetzung der neuen Kirchenverfassung lassen das Pontifikat von Papst Franziskus, der seit wenigen Wochen vermehrt Termine im Rollstuhl wahrnehmen muss, bereits heute rund und abgeschlossen erscheinen.


Samstag, 19. März 2022

Praedicate Evangelium! - Papst Franziskus unterschreibt das Herzstück der Kirchenreform und zur Synodalität der Kirche 

Screenshot: Papst Franziskus' historische Ansprache am 17.10.15 über "Synodalität,
welcher der Weg ist, den Gott von seiner Kirche im 3. Jahrtausend erwartet.

Der 19. März ist im Jahr 2022 einmal mehr ein symbolisches Datum im Pontifikat von Papst Franziskus. Vor sechs Jahren unterschrieb er an ebendiesem Tag das epochale nachsynodale Schreiben Amoris laetitia, mit dem sich eine "Reform der Kirche" bahnbrach. Und heute an eben demselben Tag promulgiert Papst Franziskus dasjenige Schreiben zur Kurienverfassung, das er mit dem von ihm einberufenen K-9 Kardinalsrat seit Beginn seines Pontifikats im Jahr 2013 gewissermaßen an der Kurie vorbei beraten hatte. Es kann als das "Herzstück der Reformen" von Papst Franziskus bezeichnet werden, das ihm als Hauptaufgabe seines Pontifikats mit seiner Wahl im Jahr 2013 auferlegt worden war.

Bereits kurz nach der Jugendsynode des Jahres 2018 deutete bereits ein Mitglied des Kardinalsrates am 31.10.2018 an, dass eine neue Konstitution mit dem Titel Praedicate evangelium (Verkündet das Evangelium) im folgenden Jahr das derzeit noch geltende und in vielfacher Weise in die Jahre gekommene kirchliche Grundgesetz Pastor Bonus aus dem Jahr 1988 ablösen werde. Nach der 29. Sitzung des Kardinalsrates im April 2019 wurde demgegenüber bekannt, dass das Dokument zur Kurienreform seinerseits noch auf den synodalen Weg gehen müsse, indem es an die Bischofskonferenzen, die Synoden der unierten Ostkirchen, die Ordensoberen und Chefs der Kurienbehörden zur Beratung versendet werde. Dabei ging es

"auch um die Verpflichtung, den Prozess der Synodalität in der Kirche auf allen Ebenen zu stärken, hieß es in der Vatikannote. Besonders hervorgehoben wurde die Notwendigkeit einer stärkeren Präsenz der Frauen in Führungsfunktionen in Gremien des Heiligen Stuhls. Es wurde auch wiederholt, dass der Kardinalsrat ein Organ der Kirche sei, das die Aufgabe habe, den Papst „bei der Leitung der Universalkirche zu unterstützen“, und daher ende seine Funktion nicht mit der Veröffentlichung der neuen Apostolischen Verfassung." (Vatican News vom 10.4.2019

Auch in der Weihnachtsansprache des Jahres 2019 wurde der Neuentwurf des kirchlichen Grundgesetzes in Aussicht gestellt, in der weitere Grundzüge der "pastoralen Neuausrichtung" der Kurie, ja der Kirche insgesamt, bereits deutlicher werden: Die Glaubenskongregation wie auch die Kongregation für die Evangelisierung der Völker seien „zu einer Zeit gegründet, in der es einfacher war, zwischen zwei ziemlich klar abgegrenzten Bereichen zu unterscheiden: einer christlichen Welt auf der einen Seite und einer noch zu evangelisierenden Welt auf der anderen." Diese Situation gehöre jedoch der Vergangenheit an: Sie seien entsprechend dem programmatischen Schreiben Evangelii gaudium aus dem Jahr 2013 neu auszurichten.

 "Die Reform der Strukturen, die für eine pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinne verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden«" (EG 27).

Zwei Jahre später wurde dann am 8. Mai 2021 gemutmaßt, dass das Fest der Heiligen Peter und Paul am 29. Juni 2021 der Tag sein werde, an dem die neue Kirchenverfassung in Kraft treten solle. Nun ist sie knapp ein halbes Jahr danach am heutigen, für das Pontifikat von Papst Franziskus emblematischen 19.3.2022 - dem Tag seiner Amtseinführung -  promulgiert worden - mit der Ankündigung, dass sie am Pfingstsonntag, den 5. Juni 2022 in Kraft treten werde.

Praedicate Evangelium und die Kirchenreform

Tatsächlich löst die heute in italienischer Sprache veröffentlichte Konstitution ein, was seit dem Jahr 2018 mit der Reform der Kirchenverfassung verbunden wurde. Wie bereits von Anfang an von ihr gesagt wurde, dass sie den subsidiären Auftrag der Kurie in Rom stärker herausarbeiten und unterstreichen werde, wird nun die Synodalität der Kirche selbst zum zentralen Thema der Kirchenverfassung:

Die Gemeinschaft der Kirche präge das Antlitz einer Kirche der Synodalität: einer Kirche des gegenseitigen Zuhörens, "in der jeder etwas zu lernen hat: Gläubige, Bischofskollegium, wie der Bischof von Rom." (Präambel 4)

Konkret heißt das für das Zueinander von römischer Kurie und den Teil- und  Ortskirchen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die insbesondere die römische Kurie nach Art. 36 zur verbindlichen Transparenz und Zusammenarbeit verpflichtet:

§1. Die Kurieninstitutionen müssen in den wichtigsten Fragen mit den Teilkirchen, den Bischofskonferenzen, ihren regionalen und kontinentalen Unionen und den östlichen hierarchischen Strukturen zusammenarbeiten.

§ 2. Wenn die Frage dies erfordert, sind Dokumente allgemeiner Art von erheblicher Bedeutung oder solche, die bestimmte Teilkirchen in besonderer Weise betreffen, unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Bischofskonferenzen, der regionalen und kontinentalen Union und der beteiligten östlichen hierarchischen Strukturen zu erstellen.

§ 3. Die Kurieneinrichtungen sollen unverzüglich den Eingang der ihnen von den Teilkirchen unterbreiteten Ersuchen bestätigen, sie mit Sorgfalt und Sorgfalt prüfen und so bald wie möglich angemessen antworten. (eigene Übersetzung)

Ebenso sollen die Kurieninstitutionen nach  Art. 37 den Papst bwz. seine Vertreter konsultieren

„in Angelegenheiten, die die Teilkirchen betreffen, (…) die dort ihre Funktion ausüben, und es nicht versäumen, sie sowie die Bischofskonferenzen und die östlichen hierarchischen Strukturen über die getroffenen Entscheidungen zu unterrichten.“ (eigene Übersetzung)

Vor allem aber wird die Synodalität nach Art. 33 unter Einbezug der Ortskirchen Teil der Kirchenverfassung – insbesondere in der Zusammenarbeit mit der Bischofssynode und ihrem Sekretariat:

Die Kurieninstitutionen arbeiten entsprechend ihrer jeweiligen spezifischen Zuständigkeiten an der Tätigkeit des Generalsekretariats der Synode mit, angesichts dessen, was in den der Synode selbst eigenen Normen festgelegt ist, die dem römischen Papst eine wirksame Zusammenarbeit ermöglichen, gemäß den Wegen, die von ihm festgelegt wurden oder in Angelegenheiten von größerer Bedeutung für das Wohl der ganzen Kirche festgelegt werden sollen. (eigene Übersetzung)

Synodalität ist das Thema der nächsten XVI. ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, an deren Vorbereitung nunmehr die gesamte römische Kurie einbezogen bzw. in Dienst genommen ist.

Ebenso bedeutsam wie die Betonung der Dienstfunktion der römischen Kurie ist ihre flächendeckende und einheitliche Neustrukturierung in Dikasterien - nurmehr 16 und untereinander gleichrangige Dikasterien. Dabei wird nicht nur ein neues Dikasterium Evangelisierung unter der Leitung des Papstes geschaffen, das die Missionskongregation und den Rat für die Neuevangelisierung in sich vereinen wird und als erstgenanntes Dikasterium auch den missionarischen Charakter der neuen Kirchenverfassung unterstreicht. Zu den wichtigsten Punkten und großen Neuerungen gehört auch, dass Laien - und damit auch Frauen - im Grundsatz die Möglichkeit eingeräumt, wird die Leitung von zentralen Behörden bis hin zu Dikasterien zu übernehmen – möglicherweise auch das Dikasterium für Glaubensfragen (dass die traditionsreiche Glaubenskongregation nominell ablösen wird.)

Praedicate evangelium ist als neue Kirchenverfassung eine Kurienreform, die diesen Namen verdient. Am 21. März 2022 soll sie in einer Pressekonferenz vorgestellt werden und am 5. Juni in Kraft treten. Warum es nicht das Fest Peter und Paul - wie dies für die vorausgegangenen Jahre vorhergesagt wurde - am 29.6.2022 sein wird, hängt voraussichtlich mit dem Weltfamilientreffen (22.6.-26.6.2022) zusammen, bei dessen Vorbereitung und Durchführung sich die neue Kurienstruktur bereits schon bewähren soll. Angesichts des lähmenden Reformstaus - Papst Franziskus zitierte in der oben erwähnten Weihnachtsansprache des Jahres 2019 Kardinal Martini, dass die Kirche "zweihundert Jahre lang stehen geblieben" sei - kann es nach neun Jahren Vorbereitung der Kurienreform im Kreis des Kardinalsrates nur heißen: Je früher, desto besser.




Samstag, 5. Februar 2022

"Der Geist von Frankfurt […] Die dritte Synodalversammlung war erfolgreich!"– Resümee der 3. Synodalversammlung des Synodalen Wegs (3.-5.02.2022) 

Nachdem die katholische Kirche in Deutschland noch vor einer Woche – mit der Offenlegung der „Bilanz des Schreckens“ des Münchener Missbrauchsgutachtens und dem fehlenden Schuldeingeständnis des emeritierten Papstes Joseph Ratzinger – wie „im freien Fall“ schien, hat sie auf der dritten Synodalversammlung - anknüpfend an die bereits Hoffnungen weckende zweite Versammlung - wieder „Boden“ gewonnen und gutgemacht. Die Vorsitzende der Zentralkomitees der deutschen Katholiken Irme Stetter-Karp resümiert: 

„Die dritte Synodalversammlung war erfolgreich. Die Versammlung hat geliefert. Der Synodale Weg hat überfällige Entwicklungen auf die Tagesordnung gesetzt.“ (Verschriftlichung der Pressekonferenz am 5.2.2022)

Man will sich fast die Augen reiben:

Screenshot Tagesschau vom 5.2.2022
"Was die dritte Synodalversammlung in Frankfurt auf die Beine gestellt hat, lässt selbst ernüchterte Kirchenreformträumer die Augen reiben: Öffnung des Zölibats? Sicher! Weihe für Frauen? Natürlich! Laienbeteiligung bei Bischofswahlen? Klar! Wertschätzung für queere Menschen und Paare? Logisch! Zivile Eheschließung für geschiedene und queere Kirchenleute ohne Kündigungsangst? Selbstverständlich!" (Kirche + Leben, 5.2.2022)

Dies bestätigt auch Bischof Georg Bätzing, der als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz zusammen mit Irme Stetter-Karp Präsident der Synodalversammlung ist: 

„Frankfurt war ein großer Erfolg und Zwischenschritt. Es gibt die Hoffnung, dass sich Kirche verändern kann. […] Die Vorlagen wurden von einer großen Mehrheit bestätigt: Drei Vorlagen endgültig, elf in erster Lesung angereichert zur Weiterarbeit empfohlen.“ (Verschriftlichung der Pressekonferenz am 5.2.2022)

Dabei ist Bischof Bätzing auch nach der Synodalversammlung wichtig mit denselben Worten zu resümieren, was er schon zu Beginn der Synodalversammlung vor der Presse zum Ziel der Synodalversammlung erwähnt hatte.

https://twitter.com/BrFranziskus/status/1489258506628714502?s=20&t=A-p0zJLPQSAYakORxXP2RA
"Wir machen nicht vor allem Texte, sondern verändern das konkrete Handeln der Kirche. […] Und ich habe die große Hoffnung: uns gelingt der Durchbruch in eine veränderte Kultur: deutlich partizipativer, gerechter, in geteilter Verantwortung aller, die durch Taufe und Firmung zum Gottesvolk gehören." (Verschriftlichung der Pressekonferenz am 5.2.2022)

Dieselbe Zuversicht teilt auch der ehemalige Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Thomas Sternberg in einem Interview: 

"Es ist eine Erleichterung, denn es gab viel Grundsatzkritik am Synodalen Weg und das nicht nur aus einer konservativen Ecke, sondern auch von anderen. Äußerungen wie, der Synodale Weg sei ein "kirchenrechtliches Nullum" oder eine "Täuschung der Gläubigen", das waren sehr große Kanonen mit denen geschossen wurde. Ich glaube, was der Synodale Weg vor allem zeigt – auch der Weltkirche mit Blick auf die Weltbischofssynode 2023: Synodalität ist möglich, sie funktioniert.“ (Katholisch.de 5.2.2022)

Genau das ist auch der Plan – aber auch die Überraschung – mit der Bischof Bätzing  gleich zu Beginn der Synodalversammlung aufwartete und in der Pressekonferenz am Ende wiederholte:  Dass der Synodale Weg in Deutschland eingebunden ist in den Synodalen Prozess auf weltkirchlicher Ebene, der im vergangenen Oktober in Rom und den Ortskirchen begonnen hat.

"Wir suchen und gestalten eine hilfreiche Kommunikation mit römischen Verantwortlichen. […] Das hat große Zustimmung und Freude ausgelöst: Dass wir eine gemischte Gesprächsgruppe zwischen Verantwortlichen im römischen Sekretariat und uns als Präsidium des Synodalen Wegs in unserem Land einrichten werden. Nach der Zustimmung in der Synodalversammlung gehen wir umgehend daran und wollen wir sehr bald miteinander ins Gespräch kommen.“ (Eigene Verschriftlichung der Pressekonferenz am 5.2.2022)

Der Synodale Weg in Deutschland und der synodale Prozess auf weltkirchlicher Ebene – mit dem Sekretär des Synodensekretariates Kardinal Mario Grech und dem Generalrelator und Luxemburger Erzbischof Kardinal Jean-Claude Hollerich– sind verzahnt, greifen ineinander. Sie sind keine Gegensätze, sondern eng verbunden:

"Jerome Vignon, der die französische Partnerorganisation des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) vertritt, betonte vor den rund 200 Teilnehmenden des Reformdialogs, Misstrauen und Befürchtungen, "die der deutsche Wagemut durchaus hervorrufen kann", zerstreuten sich inzwischen. Erst der Schock über die "fortwährenden Enthüllungen" sexuellen Missbrauchs ließen den Prozess verstehen. Auch die französischen Bischöfe sähen systemische Dimension. Ursachen seien "herrschsüchtige Machtpraktiken, unangemessene kirchenrechtliche Regeln und bestimmte fragwürdige theologische Auffassungen". Die Synodalversammlung erlebe er als "Raum der Hoffnung". (katholisch.de.5.02.2022)


 

Freitag, 21. Januar 2022

"Bilanz des Schreckens" über sexuellen Missbrauch und seine Vertuschung - oder: Die Notwendigkeit eines Synodalen Wegs der Reformen

Als eine "Bilanz des Schreckens" bezeichnet die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl das am 20. Januar 2022 vorgestellte Gutachten „Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtlich Bediensteter im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 – 2019“. Auf 1900 Seiten werden „Verantwortlichkeiten, systemische Ursachen, Konsequenzen und Empfehlungen“ und mindestens 497 Opfer - überwiegend männliche Kinder und Jugendliche – und ebenfalls mindestens 235 mutmaßliche Täter – darunter 173 Priester und neun Diakone - aufgeführt.

Marion Westpfahl berichtet bei der Vorstellung des Gutachtens, dass ihre Kanzlei bereits vor über zehn Jahren eine damals nicht veröffentlichte Studie zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising erarbeitet hatte. Die Auswertung musste sich zu dieser Zeit im Wesentlichen auf die Informationen der zur Verfügung stehenden Personalakten beschränken. Auch wenn die Kernaussagen dieser Studie - insbesondere auch zu den systemischen Ursachen - nach wie vor Bestand haben, ergaben „die zunehmende Bereitschaft Betroffener sich zu offenbaren, somit die Ausschöpfung im Jahre 2010 noch nicht zur Verfügung stehender Erkenntnisquellen“ bei dem aktuellen Gutachten eine neue Sicht auf viele Missbrauchsfälle.

Heraus sticht bei dem aktuellen Gutachten vor diesem Hintergrund ein Joseph Ratzinger als damaligem Erzbischof von München und Freising im Jahr 1980 angelasteter Fall, nach dem er den verurteilten Essener Missbrauchstäter Peter H. in seine Diözese übernahm und in der Seelsorge weiter als Priester einsetzte. Bislang hatte der spätere Papst Benedikt XVI. eine Verantwortung dafür – und damit auch für die durch diesen Priester begangenen weiteren Missbrauchstaten - und ein Mitwissen immer bestritten - ebenso wie in Bezug auf drei weitere Missbrauchsfälle in seiner Münchener Amtszeit.

Die Münchner Anwaltskanzlei zweifelt nun Ratzingers Angaben zu dem Fall Peter H. stark an, indem es „die Kopie eines Protokolls vorlegt, wonach Ratzinger - anders als von ihm behauptet - durchaus an der Sitzung teilgenommen hatte [in der die Aufnahme von Peter H. verhandelt wurde; H.D.]. Seine Teilnahme daran sei belegt, «weil das Protokoll Dinge referiert, die nur er wissen kann aus einem Gespräch mit Papst Johannes Paul II.» betont [der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas] Schüller. Dass es bei diesem Gespräch ausgerechnet um die Entziehung der Lehrerlaubnis für Ratzingers langjährigen liberalen Widersacher, den Theologen Hans Küng, ging, nannte Schüller einen «Treppenwitz der Geschichte»." (Zeit online vom 20.1.2022

Auch wenn das Überführen eines ehemaligen Papstes bei einer offensichtlichen Unwahrheit den "Verantwortungsverdunstungsbetrieb" katholische Kirche (Christiane Florin) quasi auf oberster Ebene bloßstellt - eine moralische Bankrotterklärung des ehemals höchsten Kirchenrepräsentanten sondergleichen und weiterer Tiefpunkt der Krise der katholischen Kirche in Deutschland -, ist gerade das die Intention der Studie auch über alle anderen aufgeführten Missbrauchs- und Vertuschungstaten hinweg:

"Wesentlicher Auftrag ist Feststellung von Verantwortlichkeiten und Verantwortlichen und deren Benennung. […] Ausschließlich über die Benennung der Individualschuld hinaus wird durch die kritisch analytische Betrachtung des Verhaltens der katholischen Kirche als Institution die Chance eröffnet, den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und einen Prozess der Selbstreinigung in Angriff zu nehmen." (Marion Westpfahl am 20.1.2022)

Welche nächsten Schritte sowohl im Erzbistum München und Freising – erwartet in einer angekündigten Pressekonferenz in einer Woche - als auch im Vatikan nach einer "eingehenden Prüfung" der Studie gegangen werden, bleibt abzuwarten. Unzweifelhaft ist, dass Verantwortung übernommen werden und Konsequenzen gezogen werden müssen. Kardinal Marx - dem selbst in zwei Fällen Fehlverhalten in Form von Untätigkeit vorgeworfen wird - verweist in einer ersten Reaktion am selben Tag – wie bereits im Juni des vergangenen Jahres – auf die Notwendigkeit eines grundlegende Reformen einschließenden Synodalen Wegs.

"Aber es geht um mehr, es geht um die Erneuerung der Kirche, es geht um das, was wir auch im Synodalen Weg in Deutschland versuchen und vorantreiben. Denn dieser Synodale Weg ist ja ausgegangen von der MHG-Studie und ihren Analysen. Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs kann nicht getrennt werden vom Weg der Veränderung, der Erneuerung und der Reform der Kirche." (Pressestatement am 20.1.2022)

Es gibt keine Alternative. Oder noch einmal mit den Worten Marion Westpfahls gesagt:

"...etwas mehr als 10 Jahre später [nach dem ersten Gutachten] sogar, geht es nicht mehr darum Grunderkenntnisse zu gewinnen, sondern darum unerlässliche Konsequenzen zu ziehen, die ohne die Barriere von Tabuzonen zu definieren sein werden."


Donnerstag, 23. Dezember 2021

"Wie wollt ihr in der Kirche eigentlich Weihnachten feiern?" – Zukunftsfrage des Synodalen Wegs in Deutschland und die Weihnachtsansprache 2021 von Papst Franziskus

Screenshot Vatican News 23.12.2021
"Wie wollt ihr in der Kirche eigentlich Weihnachten feiern und ein Kind in die Krippe legen, wenn auf der anderen Seite klar ist: Angesichts eures Umgangs mit den Verbrechen sexualisierter Gewalt könnt und wollt ihr das Kind gar nicht schützen?"

Über ein Jahr ist es her, seit der Kölner Pastoralreferent Peter Otten diese an ihn gerichtete Frage in seinem Blog auf die katholische Kirche und ihren Missbrauchsskandal bezog. Ein Jahr später scheint sie an Aktualität nichts verloren zu haben. Gerade einmal vier Tage wird es an diesem Heiligabend her sein, dass in einem internen Hearing für die Synodenmitglieder der Orientierungstext – das ist derjenige Text, der alle Grundtexte der Synodalforen des Synodalen Wegs präludiert – und sein seit der ersten Lesung auf letzten Synodalversammlung unverändert gebliebener Absatz Nr. 43 an den Anfang und den Mittelpunkt der aktuellen Diskussion gestellt wurde:

(43) Der Aufschrei der Opfer sexualisierter Gewalt ist ein wahres Zeichen der Zeit. Der Aufschrei lenkt die Aufmerksamkeit auf furchtbares Unheil – nämlich auf jahrzehntelange Gewaltverhältnisse, in denen Priester, Ordensleute und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre geistliche wie administrative Macht über Kinder und Jugendliche missbrauchten. Der Aufschrei der Opfer ist aber auch ein Zeichen des Heils: das Aufbegehren der Überlebenden widersagt dem System sexualisierter Gewalt. Es drängt die Kirche in die heilsame Krise einer Läuterung. Es drängt sie als Ganze zur Umkehr (Lumen gentium 9). Diesen Aufschrei zu hören und ihm durch die beherzte Erneuerung kirchlichen Lebens Taten folgen zu lassen, kann selbst zum Zeichen der Zeit werden. 

Der Aufschrei der Opfer sexualisierter Gewalt 

Der Bezug auf diese Zeichen und den Anlass des Synodalen Wegs darf nicht auf halbem Weg des Synodalen Wegs vergessen werden. Das ist besonders jetzt wichtig sich zu vergegenwärtigen, weil der Synodale Weg ansonsten in einer Flut von Handlungstexten in der Gefahr steht, viele über lange Zeit in der Kirche zurückgehaltene Reformanliegen  höher zu priorisieren als die Themen, die am Anfang des Synodalen Wegs standen. In der Tat erscheint es so:

"In seinem Kern ist der Synodale Weg ein Prozess „nachholender Entwicklung“. Er will die kognitiven und lebensweltlichen Dissonanzen, die sich zwischen einigen neueren institutionellen und lehramtlichen Spezifica der römisch-katholischen Kirche und den Plausibilitäten eines bürgerlichen Lebens in einer freiheitlichen Demokratie aufgebaut haben, auflösen oder wenigstens mildern"

Der Synodale Weg in Deutschland und der Weltkirche

Aber jenseits aller nachholenden Entwicklung, auf die Rainer Bucher in einem Beitrag auf feinschwarz.net hinwies, ist gerade die Zäsur des Missbrauchsskandals und die Erkenntnis der darin zu Tage tretenden systemischen Ursachen aus meiner Sicht die Stelle, die der Synodale Weg der Kirche in Deutschland als ein zentrales "Zeichen der Zeit" und damit Ressource erster Ordnung in den „vielgestaltigen Reichtum des Volkes Gottes“ und den Synodalen Weg der Weltkirche eintragen kann. Papst Franziskus bezog sich heute mit diesen Worten der Weihnachtsansprache an die römische Kurie explizit auch auf den seit dem 17. Oktober 2021 gestarteten Synodalen Prozess auf Ebene der Weltkirche: auf die die Gemeinschaft konstituierenden Teile der Weltkirche - und wie die Kurie in Rom ihr in Demut zu dienen habe und sie in „die Lage versetzen (könne), uns zu begegnen und zuzuhören, Dialog zu führen und zu unterscheiden“ (Ebd.).

Gebe Gott zu Weihnachten 2021, dass der Synodale Weg der Kirche in Deutschland den Ausgangspunkt seines Weges nicht aus dem Blick verliert, wie ZDK auf seiner Vollversammlung am 20.11.21 anmahnte; dass man nicht weiter „am ‚Umgang mit den Verbrechen sexueller Gewalt in der Kirche ablesen kann: Die können und wollen das Kind gar nicht schützen‘ (Kölnische Rundschau 13.12.20).“ – wie bereits vor genau einem Jahr in diesem Blog zitiert.




Sonntag, 21. November 2021

"Es gibt systemische Ursachen, wir brauchen systemische Lösungen!“– oder: Warum der Synodale Weg „die Überprüfung seiner Beschlussvorlagen mit der Vereinbarkeit mit den Empfehlungen MHG-Studie“ vorsehen muss.

Als „Chef der Täterorganisation“ bekannte sich der derzeitige Apostolische Administrator Weihbischof Rolf Steinhäuser für das Erzbistum Köln in einem Bußgottesdienst am 18.11.21 im Kölner Dom. Nur zwei Tage später beschrieb der Münsteraner Historiker Thomas Großbölting auf der Herbstvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in Berlin die systemischen Ursachen, wie die Katholische Kirche zur „Täterinstitution“ wurde. Das zusammen mit Klaus Große Kracht vorgestellte erste Resümee der Studie zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster bestätigt die bereits im Jahr 2018 ermittelten Ergebnisse der MHG-Studie.

Screenshot Live-Präsentation ZDK-Herbstvollversammlung am 20.11.21

"Insbesondere vier mögliche Risikofaktoren, die die in der Studie erfassten sexuellen Übergriffe begünstigt haben, werden in der Studie benannt: 1. Zölibat, 2. Sexualmoral / Haltung zu, Umgang mit Homosexualität, 3. Klerikalismus (Ausnutzung der Machtposition) sowie 4. unzureichende Voraussetzungen für emotionale und sexuelle  Persönlichkeitsentwicklung in der Priesterausbildung / fehlende bzw. unzureichende Begleitung der Geistlichen im Hinblick auf zölibatäres Leben" (Dörnemann/Leimgruber 2022, 16-17).

Es brauche nach Großböltings Ansicht keiner weiteren Studien, um dieses Ergebnis noch weiter in Frage zu stellen oder zu bekräftigen. Man müsse auch vor dem Erscheinen seiner zweibändig ausfallenden Forschungsstudie für das Bistum Münster anfangen die Konsequenzen daraus zu ziehen. Eine Buße jedenfalls, die die Augen vor den systemischen Ursachen des Missbrauchsskandals verschließen würde, wäre leer, da ohne ohne wirkliche Bußfertigkeit und wirkliche Umkehr. Und bevor die Ursachen nicht in den Blick kommen und angegangen werden, kann es auch keine ernst gemeinte Aufarbeitung geben, ja wird die "tief katholische Prägung" des Missbrauchsskandals fortgeschrieben, perpetuiert. Die juristische Aufarbeitung stelle nur ein „ethisches Minimum“ (Großbölting/Große Kracht, s. Screenshot oben), ja aus Sicht des ZDK- und Mitglieds des Deutschen Ethikrates Andreas Lob-Hüdepohl  „nicht einmal ein ethisches Minimum“ dar. Und der neu gewählte Vize-Präsident des ZDKs und Bochumer Neutestamentler Thomas Söding brachte es auf die Kurzformel:

 "Es gibt systemische Ursachen, wir brauchen systemische Lösungen!“ (ebd.)

Deshalb ist es so immens wichtig, ja für die katholische Kirche in Deutschland von geradezu existenzieller Bedeutung die systemischen Ursachen des Missbrauchsskandals in den Blick, ja in Angriff zu nehmen. Und von daher zielt der Beschluss der ZDK-Herbstvollversammlung, an der ich das erste Mal auch persönlich teilnehmen konnte, ins Zentrum des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland: dass „die Beschlüsse der Synodalversammlung auf Ihre Vereinbarkeit mit den Empfehlungen MHG-Studie zu prüfen“ sind.

"Das ZdK empfiehlt dem Erweiterten Synodalpräsidium darum, zusätzlich zu der obligatorischen Evaluationsphase (vgl. Satzung des Synodalen Wegs) über die Möglichkeit externer Expert*innen zu beraten, die beauftragt werden, die Beschlüsse der Synodalversammlung auf Ihre Vereinbarkeit mit den Empfehlungen MHG-Studie zu prüfen" (ebd.).

Eine Evaluation durch externe Fachexpertise würde ernst nehmen, was schon ein Autor der MHG-Studie im Jahr 2019 sagte:

"Die Täterorganisation kann keine Aufarbeitung machen. Das wissen wir als organisationssoziologischen Studien. Das müssen unabhängige Institute sein“ (Harald Dreßing im Interview mit Christiane Florin, Deutschlandfunk vom 1.7.2019).

Auf jeden Fall ist es mit Bußgottesdiensten - so sehr sie eine Umkehr zum Ausdruck bringen - allein nicht getan, wenn man nicht wider besseren Wissens auf Dauer „Chef der Täterorganisation“ auf bleiben will.



Sonntag, 17. Oktober 2021

Für eine synodale Kirche! Zum Start der ersten Phase des Synodalen Weges 2021 - 2023 in den Ortskirchen zur XVI. Bischofssynode 

Der dreijährige, als weltweiter Prozess über die Jahre 2021, 2022 und 2023 geplante synodale Weg zur XVI. Bischofssynode, der am vergangenen Wochenende (9./10. Oktober 2021) in Rom eröffnet wurde, startet ab dem heutigen Tag in den Ortskirchen rund um den Globus.

"Erneuerungs- und Reformprozesse in mehreren Ländern der Erde – so auch der Synodale Weg in Deutschland   haben deutlich gemacht, dass es einen gestiegenen Gesprächsbedarf zu Gegenwart und Zukunft der Kirche gibt, der keinen Aufschub mehr erlaubt." (Erzbistum Köln)

In einer ersten Etappe zwischen Oktober 2021 und März 2022 sollen Gläubige, aber auch Ausgetretene weltweit ihre Stimme in den Bistümern einbringen können, damit vor Ort das Bewusstsein für ihre Anliegen geschärft wird und ihre Fragen und Eingaben über die jeweiligen Bischofskonferenzen auch gebündelt nach Rom getragen werden. Dabei geht es im Grundsatz um die Einübung des als Zielvorgabe bereits vor sechs Jahren ausgerufenen Selbstverständnis der katholischen Kirche als einer synodalen Kirche und die damit verbundenen Fragen:

„Die grundlegende Fragestellung“…

"Eine synodale Kirche, die das Evangelium verkündet, „geht gemeinsam“: wie verwirklicht sich dieses „gemeinsame Gehen“ heute in Ihren Teilkirchen? Welche Schritte lädt der Geist uns ein, zu gehen, um in unserem „gemeinsam Gehen“ zu wachsen?" (Vorbereitungsdokument 26)

…in 10 Themenfeldern

„Um dabei zu helfen, dass Erfahrungen ans Licht kommen und um in reicherer Weise zur Konsultation beizutragen, werden […] zehn Themenfelder benannt, in denen verschiedene Facetten der 'gelebten Synodalität' zum Ausdruck kommen“, wobei diese „an die unterschiedlichen Kontexte vor Ort angepasst und nach und nach ergänzt, erklärt, vereinfacht und vertieft werden“ (Ebd., 30) müssen:

I. DIE WEGGEFÄHRTEN

"In der Kirche und in der Gesellschaft gehen wir Seite an Seite auf der gleichen Straße. Wer sind in Ihrer Teilkirche diejenigen, die „gemeinsam gehen“? Wenn gesagt wird „unsere Kirche” – wer gehört dazu? Wer bittet darum, gemeinsam zu gehen? Wer sind die Reisegefährten, auch außerhalb des kirchlichen Sprengels? Welche Personen oder Gruppen werden absichtlich oder tatsächlich außen vorgelassen?

II. ZUHÖREN

Das Zuhören ist der erste Schritt. Es erfordert aber, ohne Vorurteile, offenen Geistes und Herzens zu sein. Wem gegenüber hat Ihre Teilkirche eine „Bringschuld des Zuhörens“? Wie wird den Laien, besonders den Jugendlichen und den Frauen, zugehört? Wie wird der Beitrag der gottgeweihten Frauen und Männer integriert? Welchen Raum hat die Stimme der Minderheiten, der Ausgestoßenen und der Ausgeschlossenen? […]

III. DAS WORT ERGREIFEN

Alle sind eingeladen, mit Mut und Freimut [Parrhesie] zu sprechen, d.h. Freiheit, Wahrheit und Liebe zu integrieren. Wie wird innerhalb der Gemeinschaft und ihrer Organe ein freier und authentischer kommunikativer Stil gefördert, ohne Doppeldeutigkeit und Opportunismus? Wie sieht es im Hinblick auf die Gesellschaft aus, deren Teil wir sind? Wann und wie gelingt es, das zu sagen, was Ihnen am Herzen liegt? Wie funktioniert die Beziehung zu den Medien (nicht nur der katholischen)? […]

IV. FEIERN

Ein „gemeinsames Gehen” ist nur möglich, wenn es im gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes und in der Feier der Eucharistie gründet. Auf welche Weise inspirieren und orientieren tatsächlich das Gebet und die Feier der Liturgie das „gemeinsame Gehen“? Wie wird die aktive Teilnahme aller Gläubigen an der Liturgie und am Heiligungsdienst gefördert? […]

V. MITVERANTWORTUNG IN DER SENDUNG

Die Synodalität steht im Dienst der Sendung der Kirche, an der teilzuhaben alle Glieder berufen sind. Alle sind missionarische Jünger. Auf welche Weise wird jeder Getaufte aufgerufen, Protagonist der Sendung zu sein? Wie unterstützt die Gemeinschaft die eigenen Mitglieder, die in einem Dienst in der Gesellschaft engagiert sind […]?

VI. IN DER KIRCHE UND IN DER GESELLSCHAFT DIALOG FÜHREN

Der Dialog ist ein Weg der Beständigkeit, der auch Schweigen und Leiden umfasst, aber in der Lage ist, die Erfahrungen der Menschen und der Völker aufzugreifen. Welches sind die Orte und die Modalitäten des Dialoges im Inneren unserer Teilkirche? Wie wird mit den unterschiedlichen Sichtweisen, mit Konflikten und Schwierigkeiten umgegangen? […]

VII. MIT DEN ANDEREN CHRISTLICHEN KONFESSIONEN

Der Dialog unter Christen verschiedener Konfessionen, vereint in der einen Taufe, hat im synodalen Weg einen besonderen Rang. Welche Beziehungen werden mit den Schwestern und Brüdern der anderen christlichen Konfessionen unterhalten? Welche Bereiche sind umfasst? Welche Früchte sind durch dieses „gemeinsame Gehen“ gereift? Welche Schwierigkeiten sind entstanden?

VIII. AUTORITÄT UND TEILNAHME

Eine synodale Kirche ist eine Kirche der Teilhabe und der Mitverantwortung. Wie werden die zu verfolgenden Ziele, die einzuschlagenden Wege und die zu erfolgenden Schritte festgelegt? Wie wird innerhalb unserer Teilkirche die Autorität ausgeübt? Wie sieht die Praxis der Teamarbeit und der Mitverantwortung aus? Wie werden die laikalen Dienste und die Übernahme von Verantwortung durch die Gläubigen gefördert? […]

IX. UNTERSCHEIDEN UND ENTSCHEIDEN

In einem synodalen Stil wird durch Unterscheidung auf der Basis eines Konsenses entschieden, der aus dem gemeinsamen Gehorsam gegenüber dem Geist hervorgeht. Durch welche Prozeduren und mit welchen Methoden wird unterschieden und wo werden Entscheidungen getroffen? Wie kann das verbessert werden? Wie wird die Teilnahme an Entscheidungen innerhalb hierarchisch strukturierter Gemeinschaften gefördert? […]

X. SICH IN DER SYNODALITÄT BILDEN

Die Spiritualität des „gemeinsamen Gehens“ ist dazu berufen, Bildungsprinzip der menschlichen und christlichen Person, der Familien und der Gemeinschaften, zu werden. Wie werden die Menschen ausgebildet, besonders diejenigen, die innerhalb der christlichen Gemeinschaft verantwortliche Stellen einnehmen, um sie zu befähigen, „gemeinsam zu gehen“, sich gegenseitig zuzuhören und miteinander in Dialog zu treten? […] (Ebd.)

Ziel der ersten Phase des weltkirchlichen synodalen Weges bis März 2022 ist es, „einen umfassenden Prozess der Konsultation zu fördern, um den Reichtum der gelebten Erfahrung von Synodalität in ihren verschiedenen Ausdrucksformen und Facetten zusammenzutragen.“ (Ebd., 31)

Eine Zusammenfassung, welche jede Teilkirche am Ende dieser ersten Phase als Ergebnissicherung zu synthetisieren hat, soll „maximal zehn Seiten“ umfassen und gleichwohl mehr sein als weitere „Dokumente zu produzieren“. Sie soll vielmehr Ausdruck des Zuhörens einer synodal verfassten Kirche sein und – wie schon zu Beginn der Jugendsynode am 6.10.2019 gesagt – dabei helfen:

Träume aufkeimen zu lassen, Prophetien und Visionen zu wecken, Hoffnungen erblühen zu lassen, Vertrauen zu wecken, Wunden zu verbinden, Beziehungen zu knüpfen, eine Morgenröte der Hoffnung aufleben zu lassen, voneinander zu lernen und eine positive Vorstellungswelt zu schaffen, die den Verstand erleuchtet, das Herz erwärmt, neue Kraft zum Anpacken gibt“. (Ebd.)

Samstag, 9. Oktober 2021

 „...bisogna fare una Chiesa diversa“ – Offizieller Start des Synodalen Wegs „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Partizipation und Mission“ der XI. Versammlung der Bischofssynode (2021-2023)

Mit einer Eröffnungsfeier in der vatikanischen Synodenaula hat heute bereits der am 10. Oktober 2021 mit einer Messe auf weltkirchlicher Ebene startende, zweijährige und mehrstufige Synodale Prozess der XI. Versammlung der Bischofssynode begonnen.

Screenshot Vaticanmedia 9.10.21

Nach einführenden Beiträgen des burkinischen Jesuiten Paul Béré und der spanischen Theologin Cristina Inogés Sanz zur Synodalität fokussiert Papst Franziskus die Zielsetzung des ebenfalls als „Synodaler Weg“ bezeichneten Prozesses, indem er die Schlüsselworte im Titel auf das Zweite Vatikanische Konzil zurückführt. Schon Papst Paul VI.  hatte „die vom Konzil verkündeten Hauptlinien in eben diesen beiden Worten – Gemeinschaft und Mission“  zusammengefasst. (vgl. Angelus,11. Oktober 1970). Drei Risiken auf dem Weg stellt er dabei drei Chancen gegenüber:

Wider die Risiken eines Formalismus, des Intellektualismus und der Immobilität

Wider einen rein äußerlichen Formalismus geht es Franziskus bei dem nun ansetzenden Synodalen Prozess um einen „Weg echter geistlicher Unterscheidung“. Dabei schade ein Intellektualismus, „die Synode zu einer Art Studiengruppe werden zu lassen […] und sich dabei von der Wirklichkeit […] zu lösen“ und insbesondere die "Versuchung der Immobilität" (Vatican News, 9.10.21):

"Da »es immer so gemacht wurde« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 33), dieses Wort ist Gift für das Leben der Kirche, wenn man sagt: „Das wurde schon immer so gemacht“, und man ändert besser nichts. Wer sich in diesem Horizont bewegt, gerät, auch ohne es zu bemerken, in den Irrtum, die Zeit nicht ernst zu nehmen, in der wir leben. Das Risiko besteht, dass am Ende alte Lösungen für neue Probleme angewendet werden: ein Zusammenflicken mit neuem Stoff, woraus am Ende ein noch schlimmerer Riss entsteht (vgl. Mt 9,16). Daher ist es wichtig, dass der Synodale Weg wirklich ein solcher ist, dass er ein Prozess im Entstehen ist; er möge von unten ausgehen und in verschiedenen Phasen die Ortskirchen in eine leidenschaftliche und konkrete Arbeit einbeziehen, die einen Stil der Gemeinschaft und der Partizipation prägt, der auf die Mission ausgerichtet ist." (Ebd.)


...und mit den Chancen der Offenheit, des Zuhörens und der Nähe

Mit der Vision eines "offenen Ortes", wo sich alle zu Hause fühlen und teilhaben können, beschreibt Papst Franziskus eine von drei Chancen der nächsten drei Jahre. Die Synode biete „die Chance, eine hörende Kirche zu werden […]:  Schließlich haben wir die Chance, eine Kirche der Nähe zu werden […]: eine Kirche, die sich nicht vom Leben trennt, sondern sich der Zerbrechlichkeit und Armut unserer Zeit annimmt, um die Wunden zu behandeln und die niedergeschlagenen Herzen mit dem Balsam Gottes wiederherzustellen. Vergessen wir nicht, wie Gott uns hilft: mit Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit.“ (Ebd.)

...hin zu einer Kirche, die divers ist.

Das Zukunftsbild einer synodalen Kirche beschreibt Papst Franziskus mit den als „heilige Erinnerung“ bezeichneten Worten französischen Konzilstheologen Yves Congar, OP:

«Non bisogna fare un’altra Chiesa, bisogna fare una Chiesa diversa» (Vraie et fausse réforme dans l'Eglise, Milan, 1994, 1939).

«Il ne faut pas construire une autre Église, il faut construire une Église différente» (Vraie et fausse réforme dans l'Eglise, Milan, 1994, 1939). 

»Man muss nicht eine andere Kirche machen, man muss eine Kirche machen, die verschieden ist« (Ebd.)

Diese "heilige Erinnerung" an den Wert der Unterschiedenheit, Vielfältigkeit und Diversität, eine "Chiesa diversa", ist für Papst Franziskus „die Herausforderung“ (Ebd.)

"Rufen wir inständiger und häufiger den Geist um eine Kirche an, »die verschieden ist«, die für die Neuheit offen ist, die Gott ihr eingeben will, und hören wir ihm demütig zu, gehen wir zusammen folgsam und mutig, wie er, der Schöpfer der Gemeinschaft und der Mission, es wünscht.“ (Ebd.)

Zu hören ist dabei – das macht der Erzbischof von Luxemburg und Generalrelator der Bischofssynode Kardinal Jean-Claude Hollerich im Anschluss an Papst Franziskus deutlich – ebenso auf diejenigen, die nicht oder nicht mehr Teil der Kirche sind, um auch von Ihnen zu lernen, wie sich Kirche auf Zukunft hin ausrichten muss.


Papst Franziskus schließt zum weltkirchlichen synodalen Auftakt mit einer ebenso hoffnungsvollen wie – angesichts der benannten Risiken - auch besorgten Anrufung des Heiligen Geistes:

"Bewahre uns davor, eine museale Kirche zu werden, die schön, aber stumm ist, die viel Vergangenheit, aber wenig Zukunft besitzt. Komm unter uns, auf dass wir uns in der synodalen Erfahrung nicht von Ernüchterung überwältigen lassen, die Prophetie nicht verwässern, nicht darin enden, alles auf unfruchtbare Diskussionen zu reduzieren. Komm, Geist der Liebe, öffne unsere Herzen für das Hören." (Ebd.)