Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von München-Freising, hatte heute neben dem jungen Bischof Andrew Nkea Fuanya (Mamfe/Kamerun) die größten Redeanteile in der Pressekonferenz an einem Tag, an dem nicht nur die am kommenden Sonntag in der Messe zur Verkündigung vorgesehene 'Botschaft für die Jugend' in einer ersten Lesung vorgestellt worden ist, sondern allein am Vormittag bereits 44 Wortmeldungen zu dem Entwurf des Enddokumentes in der Synodenaula eingebracht wurden. Was die Synodalen im Grundsatz voller Wertschätzung auf das über Wochen gemeinsam erarbeitete Dokument blicken lässt, wurde heute auch in der gemeinsamen Sprache deutlich, in der ein gemeinsamer Zugang auch zu kulturell sehr verschieden bewerteten Themen möglich ist.
Synodalität als Lernweg
Für Kardinal Marx hat dieser gemeinsame, synodale Lernweg auch mit der Themenstellung der Synode zu tun. Natürlich habe er sich nach Abschluss der Familiensynoden zunächst gefragt: „Warum lädt der Papst zu einer Synode über die Jugend ein und bereitet sie intensiv vor?“ und gibt selbst die Antwort: „Für ihn ist es Teil eines Gesamtweges. (...) Synodalität, das Vorangehen in Synoden ist für ihn ein ganz wichtiger Lernweg der Kirche.“ Die Jugendlichen weisen mit ihren Fragen und Anstößen einen Weg, den die Kirche als ganze gehen muss. Es geht nicht primär darum „immer neue Methoden (…) für die Jugendpastoral“ zu suchen, „sondern, dass die Kirche sich ändert. Kirche muss anders werden.“
"Die Jugendliche erwarten, so haben sie in der Vorsynode zum Ausdruck gebracht, eine authentische Kirche, eine Kirche die bereit ist zum Gespräch, eine Kirche die zuhören kann. (…) Und im Grunde ist das eine Botschaft, die für die ganze Kirche gilt. Nicht nur, wie begegnen Bischöfe Jugendlichen, sondern wie begegnen wir einander, im ganzen Volk Gottes." (eigene Übertragung)
Begleitung als Lernpunkt der Kirche
Neben dem authentischen Zuhören der Kirche nimmt Kardinal Marx auch das Wort der ‚Begleitung“ auf, die für ihn das Wort Seelsorge „ergänzt“ und „vertieft“; ein Wort, „das für Papst Franziskus von außerordentlicher Bedeutung ist“.
„Begleitung bedeutet aber nicht: Ich bestimme über Dich, sondern wir gehen gemeinsam auf Christus zu. Und das scheint mir nicht nur für die Jugend, sondern für die ganze Kirche ein sehr wichtiger Lernpunkt jetzt schon zu sein.“ (eigene Übertragung)Über die Frage der Begleitung, die immer in der Gefahr eines geistlichen Missbrauchs steht (wie Bischof Felix Genn dies eingebracht hat), kommt Kardinal Marx auf strukturelle Veränderungen und die verstärkte Einbeziehung und Rolle der Frauen in der Kirche zu sprechen und bekräftigt wiederholt, dass es „allerhöchste Zeit“ sei, in diesem Punkt voranzukommen und mehr Frauen in verantwortliche, administrative Positionen in der Kirche zu bringen.“
“Die Beteiligung von Frauen in Führungsaufgaben ist eine dringliche Aufgabe für die ganze Kirche, sonst werden wir viele Frauen verlieren, die zu Recht sagen, ja wenn ich hier nicht mitwirken kann, was soll ich hier tun? Wir wären töricht in der Kirche, wir wären verrückt, wenn wir diese Potential an hochbegabten, engagierten, geistlich tief empfindenden Frauen beiseitelassen würden in der Verantwortung der Kirche.“
Eine gemeinsame Sprache beim Thema Sexualität
Beim Thema der Einbeziehung des Themas Homosexualität oder auch nur der Nennung des LGBT-Kürzels im Abschlussdokument – eine Frage die nicht nur gestern an Kardinal Tagle, sondern heute an alle Bischöfe nacheinander gestellt wurde, reagiert Kardinal Marx – es war die allererste Frage überhaupt, die an ihn gestellt wurde - überrascht:
„Aber da bin ich immer erstaunt, dass wir immer nach den Themen gefragt werden, scheinbar ist das das Wichtigste überhaupt, als sei das Kern der Botschaft Jesu überhaupt?“Dass darüber in der Aula und auch in den Kleingruppen gesprochen worden sei – wie in diesem Blog beinahe täglich rekapituliert, weil durch die Statements oder von Seiten des Presseauditoriums durch Fragen eingebracht – und dass er annehme, dass das Thema auch in angemessener Weise im Schlussdokument aufgenommen sei, sagte gestern bereits Kardinal Tagle und könnte sich heute – wenn er sich ärgern wollte – in einem einschlägigen Magazin wiederfinden mit der Schlagzeile: Kardinal Tagle: LGTB-Thema im Schlussdokument. Gesagt hatte er, noch ohne das kurz zuvor im Entwurf ausgeteilte Schlussdokument in Gänze gelesen haben zu können:
"The interventions in the Aula and at least in the small groups, to which I belong, (...) the approach to the community to the people, so called LGBT (..) was present and many time raised, and the call to the church as a welcoming church, as a church that regards the humanity of everyone was always present, not only as a theme but also as a spirit, as an atmosphere. My hunch is that it will be there - in what form and how it will be approached I don't know. But I think, it will be part of the document." (eigene Übertragung)Und mit einem Lächeln schlug Kardinal Tagle noch vor, die Frage am Folgetag – also heute – mit vertiefter Textkenntnis von Seiten der Synodalen doch noch einmal zu stellen.
Kardinal Marx, dem eben diese Frage dann heute direkt als erste gestellt wird, fordert auf die Frage im Grundsatz ein,
„dass das Thema Sexualität, das ein wichtiges Thema ist, nicht nur für Jugendliche, sondern für alle Menschen, nicht von allen Seiten benutzt wird für ideologische Schlachten – sei es so – oder so und nicht reduziert wird auf die körperliche Sexualität. (…) Lobbygruppen gibt es von allen Seiten, das mochte ich klar unterstreichen, (...) die immer wieder versuchen, das reinzubringen, das zu verhindern." (eigene Übertragung)
Beim Thema LGBT sagt Bischof Fuanya aus Kamerun zwar einerseits, dass der Begriff LGBT von 99,9 % der Jugendlichen in seinem Bistum Mamfe nicht verstanden würde und deshalb aus seiner Sicht in einem universalkirchlichen Dokument in dieser Formulierung auch keinen Platz haben solle. Aber darin sind er und Kardinal Marx – wie mit ähnlichen Worten Kardinal Tagle gestern – andererseits sich auch einig: "In der Sprache der Kirche muss man einen Weg gehen, die für alle verständlich ist.“ Und Kardinal Marx stellt klar:
„Wir machen hier keine Synode, die lehramtlich etwas über Sexualität äußern will. Sondern wir sagen etwas, wie begleiten wir Jugendliche auf ihrem Weg, und wie wir auch einbringen, was natürlich Lehre der Kirche ist, indem wir aber auch hören auf ihre Suchbewegung, auf das, was sie betrifft. (…) Aber das gibt doch nicht die Lehre der Kirche auf. Und wir sind klug genug in der Benutzung der Worte nicht einfach irgendetwas zu übernehmen, was missverständlich ist.“ (eigene Übertragung)
Und dann verweist er auf die notwendige, kulturelle Übersetzung und Auseinandersetzung mit den auf universaler Ebene behandelten Themen auf der Ebene der Ortskirche:
"In unserer Kultur (…) ist das Thema Homosexualität von den Jugendlichen selbst gekommen, weil sie Freunde haben, Freundinnen, die fragen. Wie gehen wir damit um? In anderen Kulturen ist es anders. Deswegen, wenn wir über die ganze Kirche sprechen (...), müssen wir eine Sprache sprechen, die verständlich ist, aber es muss auch in den einzelnen Ortskirchen dann auch unterschiedliche Formen geben, wie wir mit Themen umgehen. Ich kann es doch nicht ändern, ich kann doch nicht sagen, das sei in allen Kulturen gleich möglich. Dass muss man eben miteinander versuchen - in der Gemeinschaft der einen Überzeugung, aber dass es auch unterschiedliche Wege gibt, über das Thema zu sprechen.“ (eigene Übertragung)
Dass mit derselben Haltung auch eine neue Möglichkeit eröffnet wird, auch die Frage des vor zwei Wochen aufgrund seiner Äußerungen zum Thema Homosexualität verweigerten ‚Nihil obstat‘ (vgl. Blog-Beiträge vom 11.10. und 18.10.2018) für den Rektor der Hochschule St. Georgen, Prof. Ansgar Wucherpfennig, – wie heute bekannt wurde – in einem Kompromiss zu lösen, ist auch Teil dieses weltkirchlichen, synodalen Lernweges.