Über die Anerkennung der Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche, die soziologische
Analyse als theologischer Akt und die Relatio der Deutschen Sprachgruppe
Die im Arbeitspapier der Synode
(Instrumentum Laboris, nr. 70) angesprochene „Anerkennung der Rolle der Frau in
Gesellschaft und Kirche“ war bereits gestern in der Pressekonferenz von
Weihbischof Gobilliard gefordert worden. Die neue Synodenordnung würde ihnen zwar
schon eine größere Rolle einräumen, aber im Grundsatz sollten ihnen auch
Positionen in den administrativen Strukturen der Kirche offenstehen, wie dies
auf der Ebene vieler Ortskirchen schon zum Teil der Fall sei. Dies bekräftigte
heute auch Kardinal Oswald Gracias, Erzbischof von Bombay: „Papst Franziskus wolle
keine kosmetischen Veränderungen, sondern Verantwortung und
Entscheidungspositionen in der Kirche für Frauen.“ Die als Expertin der
französischen Bischofskonferenz an der Synode teilnehmende Sr. Nathalie
Becquart betonte, wie sehr das ‚Thema Frauen‘ von jungen Menschen eingebracht
wurde, die in einer Welt leben, in der sich die Beziehungen zwischen Männern
und Frauen verändert haben.
Wie die Frauen das bisherige Synodenerleben aus seiner Sicht
bereichern, unterstreicht auch der kanadische Erzbischof von Quebec, Kardinal
Gérald Cyprien Lacroix. Beindruckt hat ihn, wie die weiblichem
Synodenteilnehmenden in der Versammlung „frei und mit Autorität sprechen“:
"They aren't spectators, they're part of the parade."
Eine weitere, ganz
neue Erfahrung sei für ihn wie die jungen Auditor*innen auf ihnen zusagende
Beiträge zum Teil sehr emotional reagieren.
"They express themselves with
explosive joy!"
Als Mitglied der an der Vorbereitung der
Synode beteiligten Arbeitsgruppe ist es Kardinal Gracias, der auch bei den
Familiensynoden 2014 und 2015 eine zentrale Rolle an entscheidenden Stellen des
jeweiligen synodalen Prozesses gespielt hat, der betont, wie sehr bereits im Vorfeld der
Synode auf die Beteiligung der Jugendlichen wert gelegt wurde, wie bereits am 3.10.2018 in diesem Blog beschrieben. Die Pressekonferenz heute markiert
zugleich die Zäsur des Endes der Bearbeitung des I. Teils des Instrumentum laboris. Alle Arbeits- und Sprachgruppen haben nicht nur Überarbeitungsvorschläge
zu den einzelnen Absätzen des Arbeitsdokumentes eingereicht, sondern auch
jeweils eine zusammenfassende Relatio der jeweiligen Arbeitsgruppe
veröffentlicht. Die deutsche Sprachgruppe schlägt vor, den I. Teil in der
deutschen Übersetzung mit einem dem deutschen Sprachgefühl besser
entsprechenden Wort zu überschreiben:
"Wir plädieren dafür, dass in der deutschen
Übersetzung des Instrumentum laboris der Begriff „erkennen“ besser durch den
Begriff „wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen
„riconoscere“."
Auf die Frage in der Pressekonferenz, ob in
den Beratungen zum I. Teil neben den soziologischen Analysen auch die
wesentlichen Inhalte des Glaubens, die Sakramente usw. Angesprochen worden
seien – für mich der wichtigste Moment dieser Pressekonferenz – ist es mit Sr.
Nathalie Becquart eine Frau, die die Bedeutung des gerade abgeschlossenen Teils
der Arbeit verteidigt und in seiner theologischen Qualität herausarbeitet. Das
wahrnehmende Verstehen sei ein theologischer Akt und das Zuhören nicht einfach ‘nur’
soziologisch, sondern eine aufmerksame Weise des Nachvollziehens, wie Gott
handelt. Die Erfahrungen der Menschen von heute sei es, wie Jesus mit den
Emmaus-Jüngern zu gehen.
“Das Wahrnehmen ist bereits eine theologische
Kategorie.”
Dieses eindrucksvolle Statement, das auch
noch einmal die Bedeutung aller Phasen des Unterscheidungsfindungsprozesses,
den diese Synode bedeutet unterstreicht, findet sich der Sache nach auch am
Beginn der Relatio der deutschen Sprachgruppe:
„Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein
theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns
noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe
gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von
unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist aus
konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu
sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten
Teils des Instrumentum laboris ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die
Jugendlichen und schauen auf sie – mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
Die Relatio der Deutschen Sprachgruppe
(Relatio – Circulus Germanicus) in der vollständigen Länge (Moderator: Bischof
Felix Genn, Münster; Relator: Bischof Stefan Oster, Passau)
Wir haben in unserer Gruppe alle gestaunt
über die großen Unterschiede der konkreten Situationen junger Menschen in den
vielen Ländern, aus denen die Bischöfe und die Jugendlichen in der Synode
berichtet haben. Vor allem spüren wir, dass der europäische Kontext in den
Hintergrund tritt zugunsten einer weltweiten, pluralen Perspektive. Wir haben
aber gleichzeitig festgestellt, dass einige Themen und Probleme an den
verschiedenen Orten dennoch sehr häufig wiederkehren: Die Herausforderungen der
Sexualität, die Thematik des Missbrauchs, die Schwierigkeit den Glauben zu
vermitteln, die Digitalisierung, die Frage nach einer attraktiven Liturgie und
Predigt, die Flucht und Migration, der Wunsch der Jugendlichen in Freiheit und
zugleich authentisch begleitet zu werden, die Frage nach der aktiven
Beteiligung der Jugendlichen, die Frage nach der Gerechtigkeit für Frauen in
der Kirche und anderes mehr.
Wir sind bewegt davon, dass das Hören ein
theologisches und nicht nur ein pädagogisches Konzept ist – und wollten uns
noch besser einüben ins Hören. Deshalb haben wir uns in unserer Gruppe
gegenseitig von unseren Erfahrungen mit jungen Menschen erzählt, auch von
unserem Scheitern im Umgang mit ihnen. Wir spüren, dass es wichtig ist, aus
konkreter Erfahrung zu urteilen und nicht nur theoretisch oder abstrakt zu
sprechen. Aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, das Kapitel 5 des ersten
Teils des Instrumentum ganz an den Anfang zu stellen: Wir hören die
Jugendlichen und schauen auf sie - mit den Ohren und Augen eines Jüngers Jesu.
Wir plädieren dafür, dass in der deutschen
Übersetzung des Instrumentum der Begriff „erkennen“ besser durch den Begriff
„wahrnehmen“ ausgetauscht wird. Er entspricht besser dem italienischen
„riconoscere“.
In der Wahrnehmung der Situation im ersten
Teil des Instrumentum haben wir mehrfach gespürt, dass ein eigener Abschnitt
eingefügt werden sollte, in dem der Druck thematisiert wird, dem Jugendliche in
vielfacher Hinsicht ausgesetzt sind: z.B. der Druck durch die Schule und Ausbildung,
durch die Kirche, durch die Erwartung der Eltern, der Familien, der
Gesellschaft, der Druck durch die Selbstinszenierung in sozialen Medien, der
Druck durch die Moden der Gesellschaft, durch die Moden und Meinungen der
Peer-Group oder auch der Druck, der entsteht, wenn sich ein Jugendlicher als
Katholik bekennt. Uns scheint, dass es Jugendlichen heute schwerer fällt, sie
selbst zu werden – und nicht so zu werden, wie sie meinen unter dem Druck von
außen sein zu müssen.
Wir sehen und betonen, dass im Pontifikat
von Papst Franziskus zwei Begriffe immer wiederkehren: die Freude und die
Unterscheidung – und wir spüren auch, wie kostbar und zugleich wie
herausfordernd beide für unseren eigenen Umgang mit jungen Menschen sind.
Wir meinen auch zu verstehen, was mit dem
Wort „die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ gemeint ist: Wir wollen mit
den liebenden „Augen des Jüngers“ (Nr 2) auf die konkreten Menschen und ihre
konkreten Situationen schauen und verstehen lernen, wie darin Gottes Gegenwart
aufleuchtet – z.B. auch dann, wenn diese konkrete Wirklichkeit nicht oder noch
nicht einem Ideal christlichen Lebens entspricht.
Wir glauben, dass die digitale Wirklichkeit
in ihren positiven Möglichkeiten aber auch in ihren destruktiven Gefahren noch
konkreter beschrieben werden soll (z.B. Einstiegsalter in das Betrachten harter
Pornographie und Gewalt bei Jungen ist durchschnittlich 11 Jahre). Wir sind
dankbar, dass viele Jugendliche Pluralismus und Multikulturalität positiv
verstehen, wir glauben aber, dass es auch nicht wenige Jugendliche gibt, die
sich dem verschließen aus Angst vor dem Verlust von Identität.
Wir würden gerne festhalten, dass die
Distanzierung von jungen Menschen von Glauben und Kirche bei uns neben dem
erwähnten generellen Misstrauen gegen Institutionen drei weitere Hauptursachen
hat: erstens die für Jugendliche scheinbare Unvereinbarkeit zwischen einem
modernen, wissenschaftlichen Weltbild und dem Glauben, zweitens die Themen, die
direkt oder indirekt mit der Sexualität und dem Geschlechterverhältnis zu tun
haben (etwa die Sexualmoral allgemein, die Bewertung von Scheidung und
Wiederheirat, der Zölibat, Frauen und Weiheamt, die Missbrauchsskandale),
drittens der scheinbare oder auch oft bestätigte Zusammenhang zwischen Religion
einerseits und Gewalt oder Krieg andererseits.
Wir sehen, dass die Pfarrei oftmals kein
Ort mehr für das Glaubensleben junger Menschen ist und sehen das als
Herausforderung für die Suche nach anderen oder neuen Orten und
Gemeinschaftsformen in und außerhalb von Pfarreien.
Im Kapitel IV des Instrumentum haben wir
mehrere große Herausforderung für die Kirche identifiziert. Wir fragen uns, was
genauer mit der „Metamorphose“ der conditio humana (Nr 51) gemeint ist. Ist es
nicht nötig, tiefer zu verdeutlichen, was wir als Christen heute meinen, wenn
wir vom Menschsein sprechen? Was meinen wir etwa, wenn wir vom Menschen als
Person sprechen oder von gelingendem Menschsein? Was ist der Weg eines
gläubigen Menschen heute, was ist sein Ziel? Was ist eigentlich Freiheit? Wie
findet man Identität? Welches sind anthropologisch unsere größten
Herausforderungen heute? Und wie verhalten wir uns dazu?
Die Frage nach Körperlichkeit und
Sexualität, nach der digitalen Welt, nach der Unfähigkeit sich zu entscheiden,
die Sehnsucht nach Spiritualität sind Phänomene, die eine anthropologische
Vertiefung brauchen, wenn wir Jugendlichen den Glauben als Weg zu einem auch
menschlich gelingenden Leben vorschlagen wollen. Einer unserer Synodenväter
meinte: Wenn wir keine klare Diagnose der conditio humana haben, haben wir auch
keine Therapie dafür. In jedem Fall sind wir der Meinung, dass angesichts der
Bedeutung des Themas Sexualität für die Jugendlichen die bloße Beschreibung des
Phänomens und einiger Probleme in den Abschnitten 52 und 53 für den Text nicht
genügt. Wir plädieren für eine anthropologische Vertiefung und Orientierung für
diese Dimension – mit dem Akzent auf die Qualität der menschlichen Beziehungen.
Wir sind auch der Meinung, dass in einem
späteren Kapitel auch Positives zur Kirche als Institution gesagt werden soll,
wenngleich junge Menschen das Recht haben die Institution kritisch zu sehen und
nicht selten haben sie mit dieser Kritik auch Recht. Positiv aber ist zum
Beispiel die Verlässlichkeit in einer sich wandelnden Welt, ihre Objektivität
etwa in der Sakramentenspendung oder im Urteil des Glaubens und über
charismatische Phänomene, oder die Möglichkeit innerhalb einer objektiven
Rechtsprechung auch subjektiv erfahrenes Unrecht anzuzeigen und anderes mehr.
Der Abschnitt über die Digitalisierung
erscheint uns insgesamt der Komplexität des Phänomens nicht gerecht zu werden.
Selbstverständlich erkennen wir die ungeahnten positiven Möglichkeiten dieser
Medienwelt für uns alle an – und auch die Fähigkeit junger Menschen, sich
selbstverständlich darin zu bewegen. Das wollen wir ihnen auch nicht nehmen.
Aber andererseits wissen wir zum Beispiel nicht, welche Auswirkungen
langfristig der fortwährende Aufenthalt in digitalen Welten für junge Menschen
hat (Vgl. die medizinische Rede von „digitaler Demenz“ oder von neuen Süchten
oder von fehlender Konzentrationsfähigkeit, von schwindender Fähigkeit
komplexere Texte zu lesen, von Mangel an Beziehungsfähigkeit oder ähnlichem);
wir wissen noch nicht, ob und wie die digitale Welt Gesellschaften wirklich
besser macht oder nicht eher zersetzt und radikalisiert. Wir wissen z.B. noch
nicht, wie wir den totalitären Zügen von mächtigen Internetriesen etwas
entgegensetzen können. Wir wissen noch nicht, was durch die immer stärker
mögliche Verschmelzung von digitaler und realer Welt mit dem Menschen auf Dauer
passiert. Hier spüren wir eine Überforderung, die womöglich nicht nur für die
Kirche, sondern für die gesamte Menschheit besteht. Auch diese Überforderung
müsste deutlicher benannt werden.