Von der
"Revolution der zärtlichen Liebe – Vademecum zur
Familiensynode und zum Jahr der Barmherzigkeit" am "Tag der Schöpfung"
„
Ich glaube, dass
dies die Zeit der Barmherzigkeit ist“, sagte Papst Franziskus beim
Rückflug vom Weltjugendtag
nicht einmal ein halbes Jahr nach seiner Papstwahl. Ich habe dieses
Zitat an den Anfang des Vorwortes meines mit diesem letzten Blog-Beitrag vor der Synode gerade erschienenen Buches "Revolution der zärtlichen Liebe" gestellt, das neben allen - für die Buchveröffentlichung etwas überarbeiteten – Blog-Beiträgen auch ein 24 Seiten umfassendes Stichwort- und Personenverzeichnis enthält. Der Titel wie der Untertitel: "Vademecum zur Familiensynode und zum Jahr der Barmherzigkeit" waren schnell gefunden. Denn mit der in den letzten Beiträgen einbezogenen
Schöpfungsenzyklika ‚Laudato Si‘' ist noch einmal deutlicher
geworden, wie sehr die theologische Botschaft von Papst Franziskus
von der ‚Revolution der zärtlichen Liebe‘ (EG 88) in einer
Schöpfungstheologie gründet, nach der „das
ganze materielle Universum […] Ausdruck der Liebe Gottes ist,
seiner grenzenlosen Zärtlichkeit uns gegenüber [...] -
alles
ist
eine Liebkosung Gottes.“ (LS 84)
Papst Franziskus wählte am 1. September u.a.
diese Verse für eine Lesung in einem Wortgottesdienst aus Anlass des
erstmals begangenen 'Tages der Schöpfung'.
"Die Schöpfung ist in der Ordnung der Liebe angesiedelt. […] Jedes Geschöpf ist also Gegenstand der Zärtlichkeit des Vaters, der ihm einen Platz in der Welt zuweist. Sogar das vergängliche Leben des unbedeutendsten Wesens ist Objekt seiner Liebe, und in diesen wenigen Sekunden seiner Existenz umgibt er es mit seinem Wohlwollen." (LS 77)
In demselben „Strom
der Barmherzigkeit“ (MV 25) gipfelt das Geheimnis der
Menschwerdung und Auferstehung Jesu Christi (LS 96-100), die
„kosmische Liebe“ (LS 236) in den Sakramenten – insbesondere
der Eucharistie – wie das Leben der Kirche:
„Der Tragebalken, der
das Leben der Kirche stützt, ist die Barmherzigkeit. Ihr gesamtes
pastorales Handeln sollte umgeben sein von der Zärtlichkeit, mit der
sie sich an die Gläubigen wendet; ihre Verkündigung und ihr Zeugnis
gegenüber der Welt können nicht ohne Barmherzigkeit geschehen“.
(MV 10)
Wie sehr die beiden
Begriffe ‚Barmherzigkeit und Zärtlichkeit‘ für Papst Franziskus
innerlich verbunden sind und sich wechselseitig erschließen, wird in
den zurückliegenden Ansprachen und Veröffentlichungen immer
deutlicher – auch wenn der letztgenannte, von Papst Franziskus oft
gebrauchte Begriff der ‚zärtlichen Liebe‘ für unsere
mitteleuropäischen Verhältnisse ungewohnt klingt und sicher das
durchschnittliche kirchenamtliche Sprechen und Denken in den
deutschsprachigen Diözesen eher noch nicht erreicht hat. Doch bietet
gerade dieser Begriff der ’Zärtlichkeit‘ einen Zugang zum
Vollsinn des Begriffes ‚Barmherzigkeit‘. In seiner Predigt in der Christmette 2014 drückt Papst Franziskus dies in folgender Weise
aus:
„[E]s ist die Liebe,
mit der er in jener Nacht unsere Schwachheit, unser Leiden, unsere
Ängste, unsere Sehnsüchte und unsere Grenzen angenommen hat. Die
Botschaft, auf die alle warteten, das, wonach alle tief innerlich
suchten, war nichts anderes als die Zärtlichkeit Gottes: Gott, der
uns mit einem von Liebe erfüllten Blick anschaut, der unser Elend
annimmt, Gott, der in unser Kleinsein verliebt ist. Wenn wir in dieser
Heiligen Nacht das Jesuskind betrachten, wie es gleich nach der
Geburt in eine Futterkrippe gelegt wird, sind wir zum Nachdenken
eingeladen. Wie nehmen wir die Zärtlichkeit Gottes an? Lasse ich
mich von ihm erreichen, lasse ich mich umarmen oder hindere ich ihn
daran, mir nahe zu kommen. „Aber ich suche doch den Herrn“,
könnten wir einwenden. Das Wichtigste ist allerdings nicht, ihn zu
suchen, sondern zuzulassen, dass er mich findet und mich liebevoll
streichelt. Das ist die Frage, die das Christuskind uns einzig mit
seiner Gegenwart stellt: Lasse ich zu, dass Gott mich lieb hat?“
(Papst Franziskus, Predigt in der Christmette 2014)
Das ist die Kernaussage
des Evangeliums, der Frohen Botschaft, auch wenn wir sie uns nicht
häufig genug sagen können und müssen – und gerade auch den
Begriff ‚zärtlich‘ immer wieder verwenden, damit er nicht nur
von Papst Franziskus gesagt wird und damit letztlich doch nicht hier
bei uns angekommen ist, überhört wird, ‚unerhört‘ bleibt. Für
Papst Franziskus ist es eindeutig, dass eine Mystik der
überfließenden Liebe Grundlage ist für die Zukunft der Kirche und
nicht minder für die Zukunft der Welt. Schon in der
Schöpfungsenzyklika wies er auf die Bedeutung dieser Spiritualität
hin:
„Denn es wird nicht
möglich sein, sich für große Dinge zu engagieren allein mit
Lehren, ohne eine ‚Mystik‘, die uns beseelt, ohne „innere
Beweggründe, die das persönliche und gemeinschaftliche Handeln
anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen“. (LS 216)
Und wie Papst
Franziskus schon in der Schöpfungsenzyklika die Kohärenz einer
solchen Schöpfungsspiritualität mit einer offenherzigen Liebe allen
Menschen gegenüber ebenso voraussetzt wie anmahnt, dürfen wir dies
auch als Vorhersage für die pastoralen Leitlinien und theologischen
Lehraussagen der kommenden Bischofssynode lesen:
„Ein Empfinden
inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht
echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein
Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist.“ (LS 91)
Diese Zuwendung zu den
Menschen bis zu den „existentiellen Peripherien“ gründet für
Papst Franziskus aber nicht in einem moralischen Imperativ, sondern
in einer positiven Beschämung, in der Widerfahrnis, zärtlich
geliebt, ja gestreichelt zu sein und darin mitgerissen zu werden in
einem wahren ‚Fluss der Barmherzigkeit‘ (Instrumentum laboris 106).
Erst aus der
Beschämung, von Gott in meinem Kleinsein geliebt zu sein, folgen für
Papst Franziskus in seiner Predigt am Heiligen Abend die Sätze, die auch als
Leitfragen zu Beginn der Schlussetappe der Familiensynode stehen
können:
„Gehen wir noch einen
Schritt weiter: Haben wir den Mut, mit Zärtlichkeit die schwierigen
Situationen und die Probleme des Menschen neben uns mitzutragen, oder
ziehen wir es vor, sachliche Lösungen zu suchen, die vielleicht
effizient sind, aber der Glut des Evangeliums entbehren? Wie sehr
braucht doch die Welt von heute Zärtlichkeit!
Und in der
Ankündigungsbulle des Jahres der Barmherzigkeit setzt Papst
Franziskus fort:
„Wie sehr wünsche
ich mir, dass die kommenden Jahre durchtränkt sein mögen von der
Barmherzigkeit und dass wir auf alle Menschen zugehen und ihnen die
Güte und Zärtlichkeit Gottes bringen! Alle, Glaubende und
Fernstehende, mögen das Salböl der Barmherzigkeit erfahren, als
Zeichen des Reiches Gottes, das schon unter uns gegenwärtig ist. (MV 5)
Von dieser Botschaft
wird auch die Familiensynode getragen sein, wenn Sie sich den vielen
Fragen zuwendet, die als neue Herausforderungen in der weltweiten Befragung identifiziert wurden und nach einer neuen pastoralen
Aufmerksamkeit verlangen: die vielen vorehelichen Partnerschaften und
Freundschaften, die nicht einfach nur als Sünde angesehen werden, die
wiederverheiratet Geschiedenen, die ihr Leben weder für sich noch
vor ihren Kindern als auf immer fortbestehende Todsünde betrachten, wie Menschen mit homosexueller Orientierung,
die auch in ihrer sexuellen Veranlagung Gottes Schöpferwillen am
Werke sehen.
Eins steht schon jetzt
fest: Wenn die diesjährige Bischofssynode – etwa unter Aufnahme
der oft genannten theologischen Schlüsselbegriffe der ‚Analogie‘,
der ‚Gradualität‘, mit der Rede von ‚Semina verbi‘ oder ‚Wachstumsstufen der Freundschaft‘ – ein Erfolg wird, wird sie
geprägt sein von einer Spiritualität, die nahe am ‚Herzschlag der
Zeit‘ ist.
Papst Franziskus hat in
der Schöpfungsenzyklika deutlich gemacht, dass es keine wirkliche
‚ökologische Umkehr‘ und Schöpfungsverantwortung geben könne,
wenn sie nicht auch durchzogen ist von einer tiefen
Schöpfungsspiritualität und Mystik (vgl. LS 216). Dasselbe ist auch
bezogen auf die genannten, vielfältigen Herausforderungen unserer
Zeit zu sagen. Ohne eine Spiritualität der Barmherzigkeit, ohne eine
‚Revolution der zärtlichen Liebe' (EG 88), werden wir die Menschen
von heute nicht mehr erreichen. Nur in barmherziger Liebe und
Zärtlichkeit, die über den Buchstaben des Gesetzes hinausgeht, die
größere Liebe einbezieht, und darin das Gesetz erfüllt (vgl. MV 21), wird die Kirche auch als Grundsakrament dieser Liebe
wahrgenommen werden. Kirche überlebt, wie das gerade erschienene
Buch von Kardinal Marx überschrieben ist. Denn die Zeit der
Barmherzigkeit ist jetzt!
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