„…mit Weitsicht auf den Horizont blicken“ – Ermutigungen und Mahnungen der Abschlusspredigt der Weltsynode für den weiteren synodalen Prozess und in Deutschland
Mit einer Predigt zum Tagesevangelium Mt 22, 34–40 und der darin behandelten Frage nach dem
wichtigsten Gebot setzt Papst Franziskus quasi einen Schlussakkord auf die zurückliegenden vierwöchigen Beratungen der XVI. Generalversammlung der Bischofssynode:
„Auch
wir, die wir in den lebendigen Strom der Tradition eingetaucht sind, fragen
uns: Was ist das Wichtigste? Was ist die treibende Mitte? Worauf kommt es am
meisten an, so sehr, dass es das allem zugrundeliegende Prinzip ist? (…) Am
Ende dieses Wegabschnitts, den wir zurückgelegt haben, ist es wichtig, auf das
„Prinzip und Fundament“ zu schauen, von dem aus alles beginnt und wieder neu
beginnt: Gott mit dem ganzen Leben zu lieben und den Nächsten zu lieben wie
sich selbst.“ (press.vatican 29.10.2023)
Gottesliebe
setzt Papst Franziskus ineins mit der „Bewegung des Herzens“ der Anbetung, die
bedeutet „im Glauben anzuerkennen, dass nur Gott der Herr ist und dass unser
Leben, der Weg der Kirche und die Wendungen der Geschichte von der Zärtlichkeit
seiner Liebe abhängen.“ Mit der Aufnahme eines Zitats des verstorbenen
Kardinals Carlo Maria Martini wendet sich Papst Franziskus gegen alle Versuche und
Versuchungen, „‘Gott kontrollieren‘ und in seine Schemata“ zu zwängen,
„»der
nicht so gemacht ist, wie ich ihn mir vorstelle, der nicht von dem abhängt, was
ich von ihm erwarte, der also meine Erwartungen durchkreuzen kann, gerade weil
er lebendig ist. Die Bestätigung dafür, dass wir nicht immer die richtige
Vorstellung von Gott haben, ist, dass wir manchmal enttäuscht sind: Ich habe
dies erwartet, ich habe mir vorgestellt, dass Gott sich so verhalten würde,
aber ich habe mich geirrt. Auf diese Weise begeben wir uns wieder auf den Weg
des Götzendienstes, wenn wir wollen, dass der Herr nach dem Bild handelt, das
wir uns von ihm gemacht haben« (I grandi della Bibbia. Esercizi spirituali con
l’Antico Testamento, Florenz 2022, 826-827). (Ebd.)
Gottes
Handeln – so Franziskus weiter – „ist jedoch immer unvorhersehbar, geht darüber
hinaus“. In Bezug auf die Synodenversammlung hebt Papst Franziskus das
„Gespräch des Geistes“ hervor, indem die „liebevolle Gegenwart des Herrn
erfahren“ werden konnte:
„Wir
haben einander zugehört, und vor allem haben wir durch die reiche Vielfalt
unserer Geschichten und Empfindungen hindurch auf den Heiligen Geist gehört.
Heute sehen wir noch nicht die volle Frucht dieses Prozesses, aber wir können
mit Weitsicht auf den Horizont blicken, der sich vor uns auftut“. (Ebd.)
Weitsicht auf den Horizont: Der Synoden-Synthesebericht
Eben
dieser Horizont wird konkret auch in der Anlage des gestern als Abschlussbericht und zugleich als Vorbereitungsdokument für die nächste synodale Phase verabschiedeten
Synthesepapiers der Synode sprachlich ausgeleuchtet und mit weiteren Raum- und
Weg-Metaphern illustriert:
„In
jedem der drei Teile werden in jedem Kapitel Konvergenzen, zu behandelnde
Fragen und Vorschläge, die sich aus dem Dialog ergeben haben, zusammengetragen.
Die Konvergenzen zeigen die Fixpunkte auf, an denen sich die Reflexion
orientieren kann: Sie sind wie eine Landkarte, die es uns ermöglicht, uns auf
dem Weg zu orientieren und uns nicht zu verirren. Die zu behandelnden Fragen
sammeln die Punkte, bei denen wir erkannt haben, dass es notwendig ist, das
theologische, pastorale und kanonische Studium fortzusetzen: Sie sind wie
Kreuzungen, an denen wir innehalten müssen, um die Richtung besser zu
verstehen, die wir einschlagen müssen. Die Vorschläge hingegen zeigen mögliche
Wege auf, die zu beschreiten sind: einige werden vorgeschlagen, andere
empfohlen und wieder andere mit mehr Nachdruck und Entschlossenheit gefordert.“ (Relazione di sintesi; eigene Übersetzung)
Änderung der Sexualmoral?
Bereits
gestern und auch heute wird neben anderen Themen vor allem die „Änderung der Sexualmoral“, die die Synode mit
breiter Mehrheit beschlossen habe, als wichtiges Ergebnis in den Titelzeilen deutschsprachiger Presseberichte herausgestellt. Allerdings
kommt der Begriff "Sexualmoral" als solcher nur im Abschnitt 16g vor, in der
Menschen angesprochen werden, die in ihrer Erfahrung von Einsamkeit die Treue zum Lehramt und der kirchlichen
Sexualmoral leben. Tatsächlich beziehen sich die Presseberichte näherhin auch konkret auf die
Abschnitte 15 b und 15g, in denen es aber zunächst weniger um moralische als um
anthropologische Fragen der Sexuellen Identität und Orientierung geht und auch
weitere Themen mit angesprochen werden, die das vertiefte Gespräch mit den
Wissenschaften notwendig machen.
15g) „Einige Themen wie die Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung, das Ende
des Lebens, schwierige Ehesituationen und ethische Fragen im Zusammenhang mit
künstlicher Intelligenz sind nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der
Kirche umstritten, weil sie neue Fragen aufwerfen. Manchmal reichen die
anthropologischen Kategorien, die wir entwickelt haben, nicht aus, um die
Komplexität der Elemente zu erfassen, die sich aus der Erfahrung oder dem
Wissen der Wissenschaften ergeben, und erfordern eine Verfeinerung und weitere
Untersuchungen. Es ist wichtig, sich die nötige Zeit für diese Überlegungen zu
nehmen und unsere besten Kräfte darauf zu verwenden, ohne sich zu
vereinfachenden Urteilen hinreißen zu lassen, die den Menschen und dem Leib der
Kirche schaden. Das Lehramt hat bereits viele Hinweise gegeben, die darauf
warten, in geeignete pastorale Initiativen umgesetzt zu werden. Selbst dort, wo
weitere Klarstellungen erforderlich sind, zeigt uns das Verhalten Jesu, das wir
im Gebet und in der Bekehrung des Herzens verinnerlicht haben, den Weg nach
vorn.“ (Ebd.; eigene Übersetzung)
Notwendigkeit Sexueller Bildung
Wenn
ich darauf hinweise, ist das keine Spitzfindigkeit, sondern es hat zwei wichtige
Gründe, die auch mit meiner eigenen Profession als Dogmatiker und Religions- und
Sexualpädagoge zu tun haben. Zum einen sind die Fragen rund um Sexualität eben nicht einfach nur oder ausschließlich ein Thema der Moraltheologie und Ethik, sondern ebenso sehr der Anthropologie und Dogmatik, der Pastoraltheologie und
(Religions)Pädagogik, der christlichen Sozialwissenschaften, der biblischen Theologie
etc. und damit ein gemeinsames Thema bald aller theologischen Disziplinen im
Gespräch mit ihren jeweiligen Bezugs-, Human- und Kulturwissenschaften. Und zum anderen
führt das alleinige Stieren auf eine „Änderung der Sexualmoral“ dazu, dass Abschnitte des Syntheseberichtes, die auf eine Verstärkung der Anstrengungen in der
Sexualerziehung zielen, im wahrsten Sinn unbeachtet bleiben. Dabei heißt es in 14g konkret auf die Sexuelle Bildung bezogen:
14g) „Wir empfehlen, das Thema der affektiven und sexuellen Erziehung zu vertiefen,
um die Jugendlichen auf ihrem Wachstumsweg zu begleiten und die affektive
Reifung derjenigen zu unterstützen, die zum Zölibat und zur gottgeweihten
Keuschheit berufen sind; die Ausbildung in diesen Bereichen ist eine notwendige
Hilfe in allen Lebensabschnitten.“ (Ebd.; eigene Übersetzung)
M.a.W.: „Es braucht ein Ja zur Sexualerziehung“, wie ein Titel eines kurz vor Weltsynodenbeginn veröffentlichten Beitrags in der Herder Korrespondenz lautet. Und es braucht in Deutschland als nächstes auch endlich statt
eines weiteren Jahres des Zuwartens auf eine Änderung der Sexualmoral auf Ebene der Weltkirche einer Bearbeitung und Umsetzung des bereits im Rahmen des
Synodalen Wegs erarbeiteten, vorliegenden, aber auf unbestimmte Zeit aufgeschobenen Handlungstextes „Sexualpädagogische Begleitung und Förderung sexualpädagogischer Konzepte in allen pädagogischen und pastoralen Einrichtungen“!
Eliminierung von Missbrauchsursachen
Dieser
zur Eliminierung von Missbrauchsursachen in Deutschland grundlegende Text hat bisher noch nicht* den Status einer
schriftlichen Dokumentation im Zuge der geplanten Print-Publikationen von ZDK
und DBK erhalten. Von
daher – um auf die heutige Predigt von Papst Franziskus zum Abschluss der
zurückliegenden synodalen Etappe zurückzukommen – muss die Rezeption der
Ergebnisse der Synode vor allem in einen Selbstauftrag und in ein erneuertes,
vertieftes Engagement vor Ort münden, will man den anstehenden Aufgaben nicht ausweichen.
„Heute
sehen wir noch nicht die volle Frucht dieses Prozesses, aber wir können mit
Weitsicht auf den Horizont blicken, der sich vor uns auftut: Der Herr wird uns
leiten und uns helfen, eine synodalere und missionarischere Kirche zu sein, die
Gott anbetet und den Frauen und Männern unserer Zeit dient und hinausgeht, um
allen die tröstliche Freude des Evangeliums zu bringen.“ (press.vatican 29.10.2023)
* Nachtrag vom 18.11.23: Eine Veröffentlichung aller noch nicht beschlossenen Handlungstexte des Synodalen Wegs ist in Nachfolge einer Buchpublikation aller beschlossenen Texte jetzt ebenfalls angekündigt worden.